TVöD-Streiks während Corona: Weder „verantwortungslos“ noch „unzumutbar“ – sondern notwendig!

05.10.2020, Lesezeit 5 Min.
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Bild: Symbolbild. Warnstreik Hannover 2009. CC BY 3.0, Wolf-Dieter

Gesundheitsschutz ist kein Privileg, sondern eine Notwendigkeit!

Noch vor wenigen Monaten waren sich die bürgerlichen Medien und Politiker:innen fast aller Parteien einig, dass die Corona-Krise die besondere Bedeutung vieler Berufe zeige, die üblicherweise kein besonderes Ansehen genießen und vor allem besonders nicht gut bezahlt werden: allen voran Beschäftigte von Krankenhäusern und Altenheimen, aber auch Kassierer:innen und viele andere, die täglich das gesellschaftliche Leben am Laufen halten und nun besonderen Gefahren ausgesetzt waren.

Doch seit der Ankündigung von ver.di, Streiks im öffentlichen Dienst durchzuführen, rudern immer mehr Kommentator:innen in die andere Richtung: In einer Kolumne des Spiegel wird über die „Corona-Maulhelden“ hergezogen und bei der FAZ wird vorgerechnet, dass doch nur ein Bruchteil der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Krankenhäusern arbeitet. Die recht eindeutige Botschaft: einige Beschäftigte hätten vielleicht ein paar Euro mehr verdient, aber der Großteil bekomme eh schon zu viel.

Natürlich geht es bei diesem Argument nicht darum, eine gerechte Bezahlung für Krankenhausbeschäftigte einzufordern. Viel mehr soll ein Keil zwischen die verschiedenen Berufsgruppen getrieben und die öffentliche Meinung gegen sie in Stellung gebracht werden – um die Streiks zu verhindern oder wenigstens zu schwächen.

Gesundheitsschutz sollte kein Privileg, sondern selbstverständlich sein

Dabei wird auch darauf verwiesen, dass viele Beschäftigte in öffentlichen Ämtern und Einrichtungen wie Museen, Theatern, usw. nicht mehr, sondern weniger gearbeitet hätten – und das auch noch bei fast vollständiger Lohnfortzahlung!

Zur Erinnerung: Wir befinden uns mitten in einer Pandemie einer potentiell tödlichen Krankheit mit unbekannten Langzeitschäden, die sich besonders in geschlossenen Räumen wie Büros schnell verbreitet. Angesichts dieser Bedrohung sollte es kein Privileg sein, sich nicht mit dutzenden oder hunderten anderen Menschen Arbeits- oder Büroräume, Flure und sanitäre Einrichtungen zu teilen. Ungerecht ist nicht, dass im öffentlichen Dienst mit dem Beginn der Pandemie weniger gearbeitet wurde, um Ansteckungen zu vermeiden. Ungerecht ist, dass Millionen Beschäftigte in anderen Branchen trotzdem weiter zur Arbeit gehen mussten. Damit wurde nicht nur die Gesundheit jedes under jeder Einzelnen aufs Spiel gesetzt, sondern auch einer schnelleren Verbreitung des Virus Vorschub geleistet. Diejenigen, die doch nach Hause geschickt wurden, mussten mit Kurzarbeit auf bis zu vierzig Prozent ihres Gehalts verzichten (wenn sie nicht komplett entlassen wurden). Das alles, um die Profite der Kapitalist:innen nicht in Gefahr zu bringen.

Ein anderes wiederkehrendes Argument: Durch den wirtschaftlichen Einbruch und die niedrigeren Gewerbesteuer-Einnahmen seien die öffentlichen Kassen eh schon extrem gebeutelt. Da könne doch jetzt niemand zusätzliche Lohnforderungen stellen.

Das wirft die entscheidende Frage auf, wer eigentlich für die Kosten der Corona-Krise aufkommen soll. Aktuell ist die Antwort eindeutig: Die Arbeiter:innenklasse soll mit ihren Löhnen oder gleich mit ihren Jobs dafür zahlen. Dagegen braucht es eine Vermögenssteuer und Sonderabgaben der großen Unternehmen, damit die gesellschaftlichen Kosten von denen übernommen werden, die die Taschen voll haben.

Große Konzerne sollten nicht noch vom Staat subventioniert werden, um durch die Krise zu kommen. Insbesondere, wenn sie, wie Lufthansa, trotzdem noch zehntausende Mitarbeiter:innen entlassen. Solche Unternehmen sollten verstaatlicht und unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden.

Mehr als ein Kampf um höhere Löhne

Es sind längst nicht nur Kommentator:innen in großen Zeitungen, sondern auch Politiker:innen, die sich dieser Tage auf die Streiks einschießen. Der Münchner Oberbürgermeister Reiter (SPD) wiederholte nach den Kita- und Krankenhausstreiks dieser Woche seine Einschätzung: Streiks in diesen Einrichtungen seien „das falsche Signal“. Zuvor hatte er die Streikstrategie von ver.di „verantwortungslos“ genannt. Die Münchner Grünen warfen den Streikenden im Nahverkehr vor, für enges Gedränge in den öffentlichen Verkehrsmitteln verantwortlich zu sein, weil U-Bahnen, Tram und Busse nicht wie üblich fuhren.

Auch Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Linkspartei sandte den Streikenden nicht etwa bedingungslose Solidarität. Er forderte zwar Bund und Kommunen zur schnellen Erfüllung der Forderungen auf – doch im gleichen Atemzug bezeichnete er Streiks in der aktuellen Situation als „unzumutbar“.

Die Streiks sind jedoch nicht „verantwortungslos“ oder „unzumutbar“, sondern die einzig richtige Antwort auf die Krise und die bisherige Politik der Regierung, die Milliarden an Unternehmen gibt, während bereits zu erahnen ist, dass das Geld über Lohn- und Stellenkürzungen im Öffentlichen Dienst zurückgeholt werden soll.

Besonders angesichts dieser Perspektive müssten die Streiks im öffentlichen Dienst noch viel mehr sein, als ein Kampf um zusätzliche Lohnprozente: Sie sollten der ganzen Arbeiter:innenklasse zeigen, dass auch in der Krise Kämpfe möglich und nötig sind.

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