TVöD: Streiken gegen die „schwarz-rote“ Null!

04.04.2018, Lesezeit 5 Min.
1

Im April werden die Streiks im öffentlichen Dienst härter. Die Kassen sind voll, doch Finanzminister Scholz (SPD) beharrt auf der "schwarzen Null". Dadurch könnte die TVöD-Tarifrunde zum ersten Streik gegen die Große Koalition werden. Fünf Aspekte machen die diesjährige TVöD-Tarifrunde zu etwas Besonderem.

Sechs Prozent mehr Geld, mindestens aber 200 Euro mehr monatlich: Das ist die Hauptforderung in der diesjährigen Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Wie immer stellen sich die Bosse stur. Doch auf gewerkschaftlicher Seite bewegt sich einiges: Im März haben sich bereits 70.000 Beschäftigte an Aktionen beteiligt, darunter 24-stündige Warnstreiks in Schleswig-Holstein und großflächige Streiks im öffentlichen Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen mit zehntausenden Teilnehmer*innen. Hinzu kamen Streiks in Kitas, Ämtern, Wasserversorgung, Krankenhäusern und Müllabfuhr.

In den kommenden Wochen soll nun das Tempo weiter angezogen werden. „Nach Ostern werden wir weitere starke Signale an die Adresse der Arbeitgeber senden“, sagte ver.di-Chef Frank Bsirske. Geplant sind „bundesweit Ausstände in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes.“ Doch diese Tarifrunde könnte noch mehr werden, nämlich zum ersten großen Arbeitskampf gegen die neue Große Koalition.

Fünf Aspekte machen die diesjährige TVöD-Tarifrunde zu etwas Besonderem:

  1. Zunächst einmal ist die finanzielle Lage: Die Kassen sind voll. Im vergangenen Jahr sind die Steuereinnahmen um 4,1 Prozent gewachsen, fast doppelt soviel wie das Wachstum der Wirtschaftsleistung. Der Tagesspiegel fasste zusammen: „Insgesamt nahmen der Bund, die Länder und die Kommunen im vergangenen Jahr mehr als 674 Milliarden Euro an Steuern ein, ein Zuwachs von gut 26 Milliarden Euro.“ Im Klartext: Es ist mehr als genug Geld da, um die Forderungen der Streikenden zu erfüllen.
  2. Zweitens begann das Jahr mit einem wegweisenden Arbeitskampf: Hunderttausende Metaller*innen streikten nicht nur für mehr Lohn, sondern auch für eine Arbeitszeitverkürzung. Auch wenn der Streik mit einem widersprüchlichen Ergebnis vorzeitig abgebrochen wurde, zeigte er doch, dass der Wind sich dreht: Es geht nicht mehr nur um Abwehrkämpfe oder um Streiks in ultraprekären Sektoren. Auch die zentralen Sektoren der Arbeiter*innenklasse in Deutschland beginnen sich zu bewegen. Der TVöD-Streik könnte ein weiterer Schritt in die Richtung werden – besonders wenn weitergehende Forderungen erhoben werden, zum Beispiel die Forderung nach allgemeiner Arbeitszeitverkürzung.
  3. Denn drittens ist zum ersten Mal seit 2009 nicht mehr Wolfgang Schäuble (CDU), Architekt der europäischen Austeritätspolitik und Herr über die „schwarze Null“, Finanzminister. Jetzt ist Olaf Scholz (SPD) Adressat der Forderungen. Die TVöD-Tarifrunde wird somit zu einem ersten Prüfstein für die SPD in der neuen Großen Koalition. Indes hat Scholz schon angekündigt, sich an Schäubles finanzpolitisches Mantra der „schwarzen Null“ zu halten. Diese Tarifrunde könnte zu einem Streik gegen die „schwarz-rote“ Null werden – und damit zu einer Zerreißprobe für die SPD und ihren Einfluss auf die Gewerkschaftsapparate.
  4. Dieser politische Charakter des TVöD-Streiks verbindet sich mit dem vierten Aspekt: Jens Spahn. Der neue Rechtsaußen-Bundesgesundheitsminister (CDU) scheint darauf erpicht, in jeder nur erdenklichen Hinsicht Polarisierung zu erzeugen. Da trifft es sich gut, dass hunderte Krankenhäuser unter den Geltungsbereich des TVöD fallen. Die Krankenhausbeschäfigten können ihre Forderungen, etwa nach mehr Personal, auch in dieser Tarifrunde lautstark zum Ausdruck bringen. Diese Kolleg*innen können die Tarifrunde zu einem kraftvollen Signal gegen die Rechtsentwicklung der deutschen Gesundheitspolitik machen. TVöD-Streik muss heißen: Streiken gegen Spahn!
  5. Zu guter Letzt ist fünftens noch einmal die Forderung nach der Laufzeit hervorzuheben: Nur zwölf Monate, statt wie üblich zwei Jahre, soll der Tarifvertrag gelten. Falls diese Forderung durchgesetzt wird, wäre sie ein Dammbruch: Denn sie würde die seit 2005-06 geltende Spaltung in TVöD für Bund und Kommunen und TVL für Landesbeschäftigte derart überbrücken, dass in zwölf Monaten ein gemeinsamer TVöD- und TVL-Streik möglich wäre. Das wäre ein riesiger Schritt auf dem Weg zur Überwindung der vielfältigen Spaltungen, die der öffentliche Dienst in den letzten 15 Jahren erlebt hat, durch unterschiedliche Tarifverträge und Laufzeiten, Outsourcing, Leiharbeit und ähnliche Mechanismen.

 

„TVöD/TVL für alle!“ – das ist die Forderung, die verschiedene outgesourcte Tochterfirmen im öffentlichen Dienst in den vergangenen Jahren erhoben haben. Momentan gibt es mehrere Arbeitskämpfe allein in Berlin, die sich gegen Tarifflucht richten: darunter die studentischen Beschäftigten, die in ihrem Kampf für einen neuen „TVStud“ eine Ankopplung an den TVL fordern, oder die Kolleg*innen der Vivantes Service GmbH (VSG), die angesichts der stockenden Tarifverhandlungen mit ihrer Geschäftsführung neue Streiks angekündigt haben und ebenfalls für den Anschluss an den TVöD kämpfen.

Mehr zum Thema