Taschenspielertrick bei Metall-Abschluss: Was die einen verkürzen, müssen die anderen mehr arbeiten

06.02.2018, Lesezeit 7 Min.
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In der Nacht zu Dienstag einigten sich Vertreter der Bosse und die IG Metall in Baden-Württemberg auf den Abschluss eines Tarifvertrags. Teil dieser Einigung ist auch die Möglichkeit, die Arbeitszeit befristet auf 28 Wochenstunden zu reduzieren. Erkauft wurde diese Errungenschaft jedoch durch Kompromisse an allen Ecken und Enden. Was ist von dieser Einigung zu halten?

Schon lange nicht mehr hatte die IG Metall so viele Arbeiter*innen mobilisiert: Insgesamt fast anderthalb Millionen Kolleg*innen bundesweit beteiligten sich in den vergangenen Wochen an Streiks. Die enorme Kampfbereitschaft der Kolleg*innen hat nicht nur die deutsche Wirtschaft überrascht, sondern weltweit die Augen auf das Herz der deutschen Industrie gelenkt. Denn angesichts der ökonomischen Lage hatte die Metallgewerkschaft nicht nur Lohnforderungen aufgeworfen, sondern auch die Frage der Arbeitszeit.

In der Nacht zu Dienstag verkündeten die Verhandlungspartner*innen eine Einigung. Auch wenn es sich nur einen Pilotabschluss für Baden-Württemberg handelt, ist davon auszugehen, dass die Tarifparteien in anderen Gebieten dieser Einigung schnell folgen werden. Doch ist sie wirklich so bahnbrechend, wie erhofft wurde?

Mehr Geld – unter Vorbehalt

Der geschlossene Tarifvertrag läuft bis Ende März 2020, hat also eine Laufzeit von 27 Monaten. Damit wirkt die Friedenspflicht für diesen Schlüsselsektor der deutschen Industrie wie eine über zweijährige Atempause für die anstehende „Große Koalition“ – was besonders im Kontext der schwierigen Regierungsbildung der letzten Monate ein wichtiges Zeichen dafür ist, wie sehr die IG-Metall-Führung als Garantin der Stabilität der Situation auftreten will.

Im Abschluss enthalten sind 4,3 Prozent mehr Lohn ab April 2018 sowie ein Festbetrag in Höhe von 400 Euro und eine Einmalzahlung für Januar bis März dieses Jahres in Höhe von 100 Euro. Auch Auszubildende sind darin einbezogen. Jedoch müssen sie sich mit deutlich weniger begnügen – 200 Euro Festgeld und 70 Euro Einmalzahlung.

Ein weiterer Wermutstropfen ist die Unverbindlichkeit des Festbetrags auf Unternehmerseite. Die Bosse haben somit die Möglichkeit diesen Festbetrag zu reduzieren, die Auszahlung zu verschieben oder sogar zu streichen, sollte es dem Betrieb wirtschaftlich schlecht gehen. Darüber hinaus wurde ein tarifliches Zusatzgeld für alle Beschäftigten vereinbart. Dieses Geld umfasst 27,5 Prozent des Monatsentgeltes und soll 2019 gemeinsam mit dem Festgeld an die Beschäftigten ausgezahlt werden.

Nur schwacher Ausgleich bei Arbeitszeitverkürzung

Mit der Forderung nach der Möglichkeit, die Arbeitszeit auf 28 Wochenstunden zu verkürzen, hat sich die IG Metall in die Offensive begeben. Die Unternehmerseite hatte ihrerseits deutlich gemacht, keinesfalls einem Abschluss mit dieser Forderung zuzustimmen. Besonders die hohe Auftragslage in der deutschen Elektro- und Metallindustrie trägt dazu bei, dass die Bosse eher an einer Verlängerung der Arbeitszeit interessiert wären, um das aufkommende Volumen zu bewältigen.

Die jetzige Einigung sieht demnach zwar durchaus die Möglichkeit vor, individuell die Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre auf 28 Wochenstunden zu verkürzen – jedoch ist von dem geforderten teilweisen Lohnausgleich nicht so viel übrig. Als Instrument wurde dafür das tarifliche Zusatzentgelt. Die Beschäftigungsgruppen in schwierigeren Lebenslagen, wie Schichtarbeit, familiäre Pflegefälle oder Kindererziehung können dieses Zusatzentgelt in Freizeit umwandeln. Aber auch hier steckt der Teufel im Detail, teilweise sind lange Zeiten von Betriebszugehörigkeit Voraussetzung, bei einem Wechsel-Schicht-Dienst sogar 15 Jahre.

Und es kommt noch dicker: Als Ausgleich im Sinne der Unternehmerseite wurden so genannte „Flexibilisierungsinstrumente“ vereinbart, die den Bossen zur Verfügung stehen. Einerseits bedeutet das die Begrenzung der „verkürzten Vollzeit“ in einem Betrieb: Anträge von Arbeiter*innen können abgelehnt werden, wenn schon 10 Prozent der Beschäftigten die Verkürzung in Anspruch nehmen. Andererseits – und das wiegt vermutlich noch schwerer – gibt es den Bossen die Möglichkeit, als „Ausgleich“ mehr Beschäftigten 40-Stunden-Verträge zu geben und damit die tarifliche Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche deutlich auszudehnen. Bisher durften nur 18 Prozent Arbeiter*innen in einem Betrieb beschäftigt werden, die abweichend vom Tarifvertrag 40 statt 35 Wochenstunden arbeiten.

Vergebene Chance für die Metaller*innen

Diese Einigung ist insgesamt ernüchternd. Statt der groß angekündigten Arbeitszeitverkürzung liegt in der Einigung eher eine Zustimmung der IG Metall zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten. So kommen die Vereinbarung zur Verkürzung der Arbeitszeit fast schon einer Zustimmung zur Kurzarbeit durch die IG Metall gleich, während die auf der anderen Seite die erkämpfte 35-Stundenwoche für Vollzeitbeschäftigte durch Mehrarbeit ganz legal ausgehebelt werden kann.

Dabei waren die objektiven Voraussetzungen in diesem Arbeitskampf so gut, wie fast nirgendwo anders in Deutschland. Die Zustimmung unter den Kolleg*innen zu den Forderungen war enorm, was sich in der großen Streikbeteiligung niedergeschlagen hat. Allein mit den Warnstreiks in der letzten Woche hat die IG Metall einen gigantischen, wirtschaftlichen Druck auf die deutsche Industrie ausüben können. Allein die 24-Stunden-Streiks der letzten Woche verursachten bei den Bossen einen Schaden zwischen 770 und 980 Millionen.

Die Kolleg*innen waren bereit zu einer wahrhaften Kraftprobe mit den mächtigsten Unternehmer*innen Deutschlands – sie hätten die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen im imperialistischen Zentrum bedeutend ins Wanken bringen können. Angesichts der hohen Auftragslage und der Rekordgewinne der deutschen Industrie im Jahr 2017 hätte eine Ausweitung der Streiks in den nächsten Wochen, weiteren Druck ausüben können, um zumindest die Forderung einer wirklichen Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.

Dafür notwendig wäre jedoch eine weitere Eskalation dieses Konflikts durch Flächenstreiks gewesen. Eine Möglichkeit, die sowohl die Führung der IG Metall als auch die Unternehmerseite unter allen Umständen verhindern wollten. IG-Metall-Chef Jörg Hofmann (übrigens Mitglied der SPD) hat die Interessenlage für die Gewerkschaft in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ vor gut einer Woche ganz treffend auf den Punkt gebracht. Auf die Frage nach einer Urabstimmung über Flächenstreiks antwortete er:

Ich halte es auf jeden Fall für wünschenswert, noch ein Ergebnis ohne Flächenstreiks zu erzielen. Einmal mit Blick auf drohende volkswirtschaftliche Schäden, aber auch auf das künftige Verhältnis der Sozialpartner untereinander.

In dem Sinne ist diese Einigung für die Führung der IG Metall ein Erfolg, um ihr Gesicht wahren zu können. Nicht die Durchsetzung der Forderungen war das zentrale Anliegen für die Führung, sondern die Aufrechterhaltung der sozialpartnerschaftlichen Verhältnisse und der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland.

Was die Beschäftigten von diesem Abschluss denken, wird man wohl nur im Betrieb selbst oder in diversen facebook- oder WhatsApp-Gruppen erfahren. Auswirkungen hat das allerdings nicht mehr. Eine Abstimmung der Gewerkschaftsmitglieder über die Annahme dieser Einigung wäre in dem Sinne das Mindeste, was die IG Metall in den Wochen durchführen sollte. Vor einer solchen Urabstimmung hat die Gewerkschaftsführung jedoch große Angst – würde sie doch möglicherweise zeigen, dass ein wichtiger Teil ihrer Basis die Bereitschaft besitzt, die Konfrontation mit den Bossen auf die Spitze zu treiben.

So bleibt von den wichtigsten Streiks der letzten Jahre in Deutschland ein kleiner Teilerfolg, der Lohnforderungen und einen individuellen Anspruch auf befristete Arbeitszeitverkürzung durchsetzt, doch zugleich weitestgehend auf Lohnausgleich verzichtet. Hier ist auch zu bedenken, dass die GroKo den jetzt schon bestehenden gesetzlichen Anspruch auf eine Stundenreduzierung mit einem Rückkehrrecht ausstatten möchte, um die so genannte „Teilzeitfalle“ aufzuheben. Weiter erlaubt der Abschluss Flexibilisierung der Arbeitszeit für die Bosse und eine Erhöhung des Anteils der 40-Stunden-Woche e, und vor allem die große Kampfbereitschaft im Metallsektor für über zwei Jahre demobilisiert. Die IGM-Führung lässt so der zukünftigen GroKo ein freies Feld.

Dennoch, über eine Millionen Arbeiter*innen aus der deutschen Kernindustrie haben ihr Potential gezeigt. Allein mit einem 24-stündigen Warnstreik waren schon Zugeständnisse des Kapitals möglich. Man stelle sich vor, was erst ein Vollstreik erreichen könnte. Zumindest um die Erfahrung ihrer Macht kann niemand die Metall- und Elektro-Arbeiter*innen berauben.

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