SPD stimmt für „Große Koalition“ – aber mehr als Hunderttausend sind dagegen

05.03.2018, Lesezeit 6 Min.
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Am Sonntag vormittag endete die fast sechsmonatige Hängepartie, welche Koalition die BRD zukünftig regieren wird: Zwei Drittel der SPD-Mitglieder stimmten für die Fortsetzung der „Großen Koalition“ und garantieren so das vorläufige Überleben des Merkelismus. Doch ein Drittel der Partei will nicht mitmachen. Wird es nun Zeit für eine neue Partei?

Auf den ersten Blick scheint es ganz einfach zu sein: Die SPD-Basis stimmt dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD zu – die „Große Koalition“ steht. 66 Prozent der SPD-Mitglieder, die seit vergangener Woche an dem Mitgliederentscheid teilgenommen haben, sprachen sich dafür aus. Die nächste deutsche Regierung wird wie schon die letzte von Angela Merkel angeführt werden, Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung werden vorerst nicht nötig sein.

Doch ganz so einfach ist es nicht: Ein Drittel der Abstimmenden wollte nicht mitspielen. Und das trotz der wochenlangen Arbeit der Parteispitze, die Mitglieder mit Briefen, örtlichen Versammlungen, Presseinterviews zu überzeugen. Fast die gesamte bürgerliche Presse stimmte in den Chor mit ein und prophezeite für den Fall eines „Nein“ zum Koalitionsvertrag fast schon den Untergang der Republik.

Wurde in den vergangenen zwei Wochen noch in allerlei Zeitungen die Verfassungsmäßigkeit des SPD-Mitgliederentscheids in Zweifel gezogen (wobei es die BILD-Zeitung mal wieder schaffte, auch daraus eine rassistische Kampagne zu machen), wird nun allerorts die demokratische Meisterleistung der SPD heraufbeschworen – von GroKo-Befürworter*innen wie -gegner*innen. Zweifellos hätte das anders ausgesehen, wenn die Abstimmung anders ausgegangen wäre. Aufgrund der doch relativ komfortablen Mehrheit von etwa zwei Drittel Ja-Stimmen war das nicht nötig.

Die deutsche Bourgeoisie, ihre Presse, und die SPD-Parteispitze freut sich nun verhalten: Die SPD garantiert das politische Überleben der „GroKo“ – und damit das politische Überleben von Angela Merkel. Zwar hätte bei einer Entscheidung gegen die GroKo wahrscheinlich eine Minderheitsregierung unter Merkel die Arbeit aufgenommen, aber diese hätte sich wohl kaum über eine gesamte Legislaturperiode gehalten. Nun ist erstmal – falls es nicht zu einem Koalitionsbruch kommt – Merkels Karriere als Bundeskanzlerin bis 2021 gesichert. Die SPD spielt damit wie schon in der Vergangenheit eine zentrale Rolle als Faktor der Stabilität des deutschen Regimes.

Dennoch: In der „kleinen GroKo“ mit kaum mehr als 56 Prozent der Parlamentssitze – und einer immer stärker wachsenden AfD, die von nun an als die größte Oppositionspartei bestätigt ist und in neusten Umfragen zum Teil sogar schon die SPD als zweitstärkste Partei bundesweit überholt hat –, ist diese Stabilität mehr als relativ. Innenpolitisch wird die Koalition vor allem von rechts in Frage gestellt, außenpolitisch befindet sie sich einer immer konflikthafteren Weltsituation gegenüber, deren letzter Höhepunkt der drohende Handelskrieg mit den USA ist.

Zu diesen Faktoren der Instabilität gesellt sich aber nun ein weiteres Gespenst: Was wird mit den „Abweichler*innen“ in der SPD geschehen? Von den 378.437 Mitgliedern, die abstimmten (78,4 Prozent aller Stimmberechtigten), entschieden sich 123.329 (32,6 Prozent der abgegebenen Stimmen, 26,6 Prozent aller SPD-Mitglieder) für ein Nein zum Koalitionsvertrag. Die Natur dieser Stimmen zu bestimmen, wird die Aufgabe der nächsten Tage und Wochen sein: Wie viele von ihnen sind nur Karrierist*innen wie Kevin Kühnert, deren Ablehnung der GroKo rein taktisch ist, damit eine nächste SPD-Regierung mit ihnen an der Spitze zustande kommt? Wie viele werden sich an die Appelle desselben Kühnert halten, trotzdem in der Partei zu bleiben? Und wie viele werden nun mit der SPD brechen und sich nach neuen Alternativen umsuchen?

Bisher versucht die Linkspartei vor allem in Pressemitteilungen, aus dieser Situation Kapital zu schlagen, doch ob es ihr gelingen wird, ist mehr als fraglich. Wahrscheinlich werden viele SPD-Mitglieder – wie schon beim letzten Mitgliederentscheid über die GroKo im Jahr 2013 – resigniert und passiv in der SPD bleiben.

Doch es gibt noch eine andere Option: Fast 130.000 Stimmen gegen die GroKo könnten eine Vorankündigung für eine Anti-Regierungs-Politik mit Basis in der Arbeiter*innenbewegung sein. Denn in einer Zeit wachsender politischer Instabilität, wachsender Ansprüche der Arbeiter*innenklasse (wie der IG-Metall-Streik gezeigt hat), und zugleich einer immer stärkeren AfD steigt die Notwendigkeit einer Antwort auf der Straße und in den Betrieben. Wenn zum Beispiel all diejenigen, die die GroKo abgelehnt haben, jetzt für mehr Personal im Krankenhaus auf die Straße gehen würden, zur Unterstützung der streikenden Kolleg*innen, dann würde die Sozialpolitik anders aussehen.

Ob und wie sich die Opposition innerhalb und außerhalb der SPD neu organisiert, wird von vielen Faktoren abhängen, darunter die Politik der GroKo selbst, aber vor allem die Antworten, die in den Gewerkschaften auf die neue Regierung gegeben werden, und wie sich die (radikale) Linke dazu positioniert. Eins darf auf jeden Fall nicht passieren: So zu tun, als wenn die Ablehnung der GroKo innerhalb der SPD in der aktuellen politischen Situation dasselbe bedeuten würde wie noch vor vier Jahren. Auch wenn aus der Opposition innerhalb der SPD nichts direktes erwachsen sollte, ist sie doch ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Zeit der Passivität und Alternativlosigkeit in Deutschland langsam vorbei ist.

Die Antwort auf diese Fragen werden die kommenden Monate geben. Kurzfristig steht nichts mehr der Wahl von Angela Merkel zur Bundeskanzlerin am 14. März entgegen. Zuvor muss die SPD aber noch bestimmen, mit welchen Personen sie die Kabinettsposten besetzen wird, die sie in den Koalitionsverhandlungen zugesprochen bekommen hat. Der aktuelle SPD-Interimsvorsitzender und -Rechtsaußen Olaf Scholz gilt als zukünftiger Finanzminister und Vizekanzler quasi als gesetzt. Auch für Katarina Barley und Heiko Maas dürften Ministerposten sicher sein. Offen ist vor allem, ob der aktuelle Außenminister Sigmar Gabriel sein Amt behalten darf oder seine politische Karriere beenden muss.

Die CDU hatte schon in der vergangenen Woche ihre Ministerposten vergeben, Merkel war dabei innerparteilichen Kritiker*innen entgegengekommen und hatte sowohl jüngere Kandidat*innen als auch Gegner*innen von Merkel in der CDU nominiert. Besonders sticht Jens Spahn hervor, der designierte Gesundheitsminister, der in der Vergangenheit immer wieder an Merkels Stuhl gesägt hatte. Noch muss sich zeigen, ob Merkel Spahn mit der Einbindung ins Kabinett zähmen kann, oder ob seine Nominierung nur ein notwendiges Zugeständnis zur Aufrechterhaltung des innerparteilichen Gleichgewichts war, welches die Konflikte nur temporär begräbt. Die CSU ihrerseits wird am heutigen Montag ihre Ministerposten offiziell bekannt geben.

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