Stahlzölle: Ende des Freihandels und Vergeltung aus Deutschland?

05.03.2018, Lesezeit 10 Min.
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US-Präsident Donald Trump will mit Strafzöllen auf Stahl und Aluminium die Kosten der Überproduktionskrise auf die globale Konkurrenz abwälzen. Drohende Handelskriege kommentiert er lapidar damit, diese seien „gut und leicht zu gewinnen“. Aus Deutschland kommen Antworten in Kriegsrhetorik.

Seit dem Amtsantritt Donald Trumps schwebt der Protektionismus wie ein Damoklesschwert über den Beziehungen zwischen der EU und den USA. Seit Monaten lassen führende Politiker*innen Deutschlands verlauten, die EU müsse sich unabhängiger von den USA machen. Mit den angekündigten Zöllen von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium scheint die stille Rivalität in einen greifbaren Konflikt überzugehen. Eine gegenseitige Eskalationsspirale steht im Raum. Außenminister Sigmar Gabriel sagte: „Ein solcher weltweiter US-Rundumschlag würde gerade unsere Exporte und Arbeitsplätze mit am stärksten betreffen“, weshalb die EU „entschieden reagieren“ müsse.

Zwar ist das erklärte Ziel der Bundesregierung, einen Handelskrieg zu vermeiden, doch laufen in Berlin und Brüssel schon seit Monaten Vorbereitungen, genau diesen zu führen. Die bereits erwarteten Zölle wurden vom SPD-Europaabgeordneten und Handelsexperten Bernd Lange gar mit den Worten kommentiert: „Damit ist die Kriegserklärung da.“ Jörg Krämer, Chefsvolkswirt der Commerzbank äußerte sich: „Wenn die EU nicht angemessen reagiert, ermuntert sie Trump nur zu weiteren Maßnahmen. Die Folterwerkzeuge müssen auf dem Tisch liegen.“ Nach dem de facto Scheitern des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, dem sich auch die SPD kritisch gegenüber verhielt, versucht die deutsche Bourgeoisie nun den Freihandel im Interesse ihrer Banken und Konzerne durch angedrohte Vergeltungsmaßnahmen zu erzwingen.

Bisher sind die Strafzölle nur eine Ankündigung, die Trump am Donnerstag bei einem Treffen mit Branchenvertreter*innen tätigte. Von dessen genauer Höhe wurden angeblich selbst Vertraute Trumps überrascht. Die Details stehen noch aus und das Washingtoner Establishment wird Trump ebenso anflehen wie diverse Lobbyist*innen großer Konzerne, Ausnahmeregelungen zuzulassen. Doch auch wenn Trump sich noch auf kleine Änderungen einlassen sollte, so war doch der grundlegende Plan einer protektionistischen Wirtschaftspolitik sein zentrales „Wahlversprechen“. Auch die jetzigen Strafzölle ließ er schon monatelang prüfen.

Nachdem der Präsident bereits zu Jahresanfang Zölle auf Waschmaschinen und Solarmodule verhängte, was sich gegen Importe aus China und Südkorea richtet, machte er nun mit Stahl und Aluminium einen sehr viel drastischeren Schritt. Und es ist gut möglich, dass er es nicht dabei belässt. Per Twitter drohte er, sollte die EU sich in einen Handelskrieg begeben, werde er auch europäischen Autos den Zugang zum US-Markt erschweren. Dies wäre endgültig ein Schritt, der die globale Ordnung fundamental durcheinanderwirbeln würde und besonders das deutsche Exportmodell grundlegend in Frage stellen würde.

Der Grund für das Schäumen der europäischen Bourgeoisien liegt nicht unmittelbar im Ärger über die möglichen Auswirkungen auf ihre Geschäfte mit Stahl und Aluminium. Trump stellt grundlegend das globale Handelssystem in Frage, das sich in den letzten beiden Jahrzehnten mit der Vermittlungsinstanz der Welthandelsorganisation (WTO) etabliert hat. Ein System, das zwar den global agierenden Konzernen grandiose Profite ermöglicht hat. Aber auch den Konkurrenzdruck auf die amerikanischen Arbeiter*innen und Mittelschichten und selbst Teile des US-Großkapitals gewaltig gesteigert hat. Die Folge war der Wahlsieg einer derart grotesken Figur wie Donald Trump, der als einziger in der Lage schien, mit den alten Paradigmen zu brechen.

Eine Belebung der US-Wirtschaft?

Um ihn und die aktuellen Zölle zu verstehen, ist ein Blick auf die US-Wirtschaft nötig. Das Außenhandelsdefizit der USA beläuft sich auf 800 Milliarden US-Dollar jährlich, die laut Trump vom „unfairen Wettbewerb“ der ausländischen Konkurrenz herrühren. Die Strafzölle sollen die weiter voranschreitende Deindustrialisierung der USA stoppen. Statt der günstigeren globalen Konkurrenz soll die heimische Stahl- und Aluminiumindustrie profitieren. So kündigte auch gleich der Chef von Century Aluminium an, 100 Millionen US-Dollar in das Werk in Kentucky zu investieren. Der Börsenkurs des Unternehmens stieg um 10 Prozent. Auch viele andere Erzeuger von Stahl und Aluminium verzeichneten am Donnerstag und Freitag steigende Aktienpreise.

Aber während in der Stahl- und Aluminiumproduktion etwa 140.000 Menschen beschäftigt sind, so sind es in der weiterverarbeitenden Industrie 6,5 Millionen. Etwa ein Drittel des Stahls, den die US-Wirtschaft benötigt, wird importiert. Bei Aluminium liegt der Anteil sogar bei 90 Prozent. Autohersteller wie Ford und General Motors warnen vor steigenden Einkaufspreisen für Stahl. Von höheren Aluminiumkosten wäre unter anderem der weltweit größte Flugzeughersteller Boeing stark betroffen. Auch Güter des täglichen Bedarfes, wie etwa Haushaltsgeräte und Getränkedosen, könnten sich in den US-amerikanischen Läden verteuern, da die Produzenten wie Coca Cola eventuelle Mehrkosten an die Kund*innen weitergeben.

Die höheren Materialkosten könnten wiederum die internationale Wettbewerbsfähigkeit gerade im Maschinen- und Fahrzeugbau senken. Das hätte zur Folge, dass zwar weniger Stahl und Aluminium, dafür mehr Autos und tägliche Konsumgüter importiert würden. Mit Ausnahme der Stahl- und Aluminiumproduzenten gerieten die Börsenkurse der meisten anderen Branchen stark ins Minus. So verlor der Dow Jones drei Prozent. Das Wall-Street-Journal kommentierte gar: „Donald Trump hat den größten politischen Patzer seiner Karriere begangen.“

Tatsächlich ist keineswegs gewiss, ob die angekündigten Schutzzölle mehr neue Jobs in der Stahl- und Aluminiumpruktion schaffen, als in anderen Branchen auf dem Spiel stehen. Auch frühere US-Präsidenten scheiterten mit dem Versuch, durch Schutzzölle die Deindustrialisierung vor allem der Städte des Mittleren Westens zu stoppen. So musste zuletzt George W. Bush als Präsident Schutzzölle auf Stahl nach nur zwei Jahren wieder zurücknehmen. Auch wenn kurzfristig die Preise auf Stahl steigen dürften, so wird die US-Administration auch an Maßnahmen arbeiten, die Produktionskosten langfristig zu senken. Um konkurrenzfähig zu bleiben, wird Trump andere Wege suchen, zum Beispiel geringere Umweltstandards oder die Flexibilisierung und Prekarisierung der Arbeit.

Die Einfuhrbeschränkungen sind nicht nur die Einlösung eines Wahlversprechens an das absteigende Industrieproletariat, das Trump einen bedeutenden Teil seiner Stimmen einbrachte. Die Schwierigkeiten, die eine protektionistische Handelspolitik der US-Wirtschaft bereiten können, deuten auf eine wesentlich größere Dimension der Trump‘schen Vorhaben hin, als bloß die Wiederherstellung alter Industriejobs und einige Gefallen an die Stahlbarone.

Hier wäre zum einen die strategische Komponente der Stahlindustrie. Trump twitterte: „IF YOU DON’T HAVE STEEL, YOU DON’T HAVE A COUNTRY!“ („Ohne Stahl hast du kein Land“) Trump begründete seine Zölle mit der nationalen Sicherheit. Das hat für ihn den Vorteil, dass der Kongress dazu nicht angehört werden muss und die WTO nicht zuständig ist. Diese Begründung ist aber nicht nur ein Vorwand, sondern trifft durchaus einen Kern. Denn Trump, der mit dem militärisch-industriellen Komplex eng verbunden ist, möchte, in Zeiten wachsender globaler auch militärischer Spannungen, seine Rüstungsindustrie und Streitkräfte nicht von ausländischen Materialimporten abhängig machen.

Vorerst wichtiger noch dürfte die beabsichtigte Wirkung der Zölle auf die globalen Handelsströme sein. Trump macht durch die Importbesteuerung zusätzliche Gelder für die gebeutelte US-Staatskasse und versucht, die Kosten der globalen Überproduktion im Stahl und möglicherweise bald auch anderen Branchen auf die Konkurrenz in Europa und Asien abzuwälzen. Das US-Defizit sollen gefälligst andere zahlen.

Globale Überproduktionskrise

Die globale Produktion von Metallen, insbesondere von Stahl, ist in den letzten Jahren massiv gestiegen. China ist im Laufe der 2000er Jahre zum größten Stahlproduzenten weltweit aufgestiegen und ist mittlerweile mit jährlichen 800 Millionen Tonnen Stahl für etwa die Hälfte der weltweiten Produktion verantwortlich. Die chinesischen Fabriken sind zum Teil in den Händen des Staates, werden von den Staatsbanken subventioniert und können durch günstigere Arbeitskräfte und niedrigere Umweltauflagen deutlich preiswerter produzieren als die Konkurrenz aus den USA oder der EU.

Aber ein Blick auf die US-Importe verrät: Die Strafzölle richten sich nicht unmittelbar gegen China oder die EU. Trotz der chinesischen Weltmarktposition beziehen die USA nur zwei Prozent ihrer Stahlimporte aus China und 4,4 Prozent stammen aus Deutschland. Die wichtigsten Exporteure für Stahl in die USA sind Kanada, Brasilien, Südkorea und Mexiko. Thyssenkrupp erklärte, der Konzern habe nur ein „geringes Engagement in den USA.“ Auch der weltweit größte Stahlkonzern, ArcelorMittal, mit Sitz in Luxemburg, gab bekannt, dass er in den USA eigene Standorte betreibe, die folglich kaum von Zöllen tangiert würden. Vom Aluminiumzoll ist vor allem Kanada betroffen, das die Hälfte aller US-amerikanischen Aluminiumimporte liefert.

Schwerwiegender als die Auswirkungen auf die direkten Geschäfte in die USA sind für die EU und China mögliche Kettenreaktionen. So haben sich weltweite Überproduktionskapazitäten von 400 Millionen Tonnen Stahl jährlich aufgetürmt. Der erschwerte Zugang zum US-Markt wird zur Folge haben, dass für die Branche global betrachtet weniger Märkte zur Verfügung stehen, auf die sich das restliche Geschäft aufteilt. Überproduktionskapazitäten könnten durch Stellenkürzungen und Fabrikschließungen in China oder der EU abgebaut werden, wie es zum Teil bereits geschieht. Die EU befürchtet vor allem auch eine Flutung des europäischen Märkte mit billigem Stahl und einen wachsenden Preisdruck.

Die Überproduktion ist nicht nur in diesem Sektor ein Problem. Auch die weiterverarbeitenden Industrien wie die Automobilbranche stehen vor der gleichen Frage, wer ihre Produkte kaufen soll. Eben aus diesem Grund reagiert die EU so allergisch auf die Schutzzölle. Sie könnten nur ein erster Schritt sein, da Trump droht, auch für andere Produkte den schuldenfinanzierten Absatz von europäischen Produkten auf den US-Markt zu erschweren, der die Wirtschaft insbesondere Deutschlands in den letzten Jahren mit am Laufen gehalten hat.

Um ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen, haben bereits China, die EU, Brasilien und Kanada Reaktionen auf Trumps Zölle angekündigt. Die EU hat schon seit Monaten eine Liste erarbeitet mit Produkten, auf die Einfuhrbeschränkungen verhängt werden könnten. Dazu gehören Bourbon Whiskey, Harley-Davidson-Motorräder oder Bluejeans. Noch schreckt die EU vor den schweren Geschützen zurück und versucht Trump durch Drohungen doch noch zum Umlenken zu bewegen. FDP-Chef Christian Lindner ist da schon einen Schritt weiter, der fordert, es sei jetzt Zeit, die Internetriesen Facebook und Google aufs Korn zu nehmen.

Trump hingegen droht auch mit Steuern auf deutsche Autos wie VW, BMW und Daimler, sollte die EU mit Vergeltung antworten. So hat er bereits zu Beginn seiner Amtszeit mit Zöllen in Höhe von 35 Prozent auf Autos in Erwägung gezogen, die nicht in den USA gefertigt werden. Deutsche Kraftfahrzeugexporte in die USA hatten 2017 einen Gesamtwert von 28,6 Milliarden Euro, mehr als jede andere Branche. Hohe Steuern auf Autos würden das gesamte deutsche Exportmodell in Frage stellen. Auch hier ist Überproduktion ein eklatantes Problem, da die europäischen Märkte weitgehend gesättigt sind. Mit solchen Zöllen, würden sich die weltweiten wirtschaftlichen und politischen Koordinaten grundlegend verändern, inklusive wirtschaftlicher Rezensionen und neuer internationaler Spannungen.

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