No more beautiful pictures! Art strike!

04.05.2020, Lesezeit 6 Min.
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„Die stärkste Waffe der Arbeiter im Kampf gegen das System ist die Verweigerung der Arbeit; genau dieselbe Waffe können auch Künstler einsetzen. Will man das Kunstsystem zerschlagen, müssen Jahre ohne Kunst ausgerufen werden: In einem Zeitraum von drei Jahren – von 1977 bis 1980 – produzieren und verkaufen Künstler keine Werke, bestücken keine Ausstellungen und verweigern die Zusammenarbeit mit jeglichem Teil der Medienmaschinerie des Kunstbetriebs. Diese vollständige Niederlegung der Arbeit stellt eine Kampfansage extremster Form der Künstler gegen den Staat dar.“

Stewart Home, Art Strike, 1990-1993

Wenn wir an Streik denken, haben wir die Bergarbeiterstreiks in Großbritannien 1984, die Hafenarbeiterstreiks in Hamburg 1896 oder den Generalstreik in Frankreich 2019 im Kopf. Nicht aber die Kunst mit ihrem kleinbürgerlichen Habitus und ihrem Streben nach Anerkennung in der bürgerlichen Kultur. Aber es gab sie doch, die Kunststreiks gegen die kapitalistische Kulturproduktion, gegen Ausbeutung und Krieg.

In diesem Artikel wird das Phänomen des Kunststreiks auf sein ambivalentes Verhältnis zwischen bürgerlicher Kulturproduktion und proletarischem Klassenkampf untersucht.

In zahlreichen Manifesten haben Kunstschaffende zum Streik gegen die bestehenden Verhältnisse aufgerufen und sich dabei als Kunstarbeiter*innen in die Front des Proletariats eingereiht. Guy Debords Mauergraffiti an der Rue de Seine „Ne travaillez jamais“ aus dem Jahr 1953 und seine Thesen aus „Gesellschaft des Spektakels“ klingen in vielen der Streikaufrufe und Attacken auf das Kunstsystem nach.

In den einleitenden Zeilen ruft Gustav Metzger 1974 seine Kolleg*innen zum Streik auf. Der Aufruf ist Teil einer Polemik, die zu Arbeitsniederlegungen im Kunstbetrieb als integrativem Bestandteil des kapitalistischen Staates aufruft. Ziel war nichts weniger als der Zusammenbruch des privatisierten Kunstmarktes. Die Kraft der durch den Kapitalismus geschwächten Kunst solle durch den Streik eine neue Chance erhalten, außerdem sollten gerechtere Formen für Verkauf, Ausstellungen und Veröffentlichungen geschaffen werden. Bis auf empörte Reaktionen von Galerist*innen und Kurator*innen blieb der Aufruf zur Einstellung der Kunstproduktion jedoch folgenlos. Metzger führte den dreijährigen Streik im Alleingang durch. Für ihn bedeutet der Kunststreik nicht die Negation der Kunst, sondern eine Radikalisierung innerhalb der politischen Kunst.

Auch ein Generalstreik der Kunst wurde ausgerufen. Lee Lozanos entwarf die Arbeit „General Strike Piece“, in der sie ihren Totalausstieg aus der Kunst ankündigte. Sie formulierte tagebuchartige Einträge mit Handlungsanweisungen an sich selbst. Dabei dokumentiere sie ihren Kampf gegen die „Machenschaften der Kunstwelt“. Im Mai 1968 notierte sie: „Künstler, Kritiker, Händler und Museumsfreunde, eigentlich fast alle: In eurem schlechten Atem kann ich noch immer die vor so langer Zeit ohne Widerspruch geschluckten Regeln anderer Leute riechen.“ Ihre Kritik am System Kunst ist in weiteren Einträgen ablesbar, in denen sie für einen Streik im Kunstbetrieb plädierte. Sie forderte, dass nicht die Kunstschaffenden von Sammler*innen ausgewählt werden, sondern umgekehrt: Sammler*innen sollten von Künstlern ausgewählt werden, sie sollten selbst einen Preis für ihre Werke festlegen können.

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Art Workers‘ Coalition und die Guerilla Art Action Group protestieren vor
Picassos Guernica im Museum of Modern Art, New York City, 1970

Der wohl bekannteste unter den Kunststreiks ist der New York Art Strike 1970, der aus den Reihen der Art Workers’ Coalition (AWC) organisiert wurde. Er hatte vor allem den Anti-Kriegsprotest zum Ziel und richtete sich gegen Repression und Rassismus. Die Streikenden richteten sich dabei auch gegen die Kulturinstitutionen und forderten eine Senkung der Eintrittsgelder und die Verlängerung der Öffnungszeiten, um mehr Menschen kulturellen Zugang zu ermöglichen. Sie brachen ihre Ausstellungen ab und entwarfen stattdessen politische Plakate gegen den Vietnamkrieg. Damit zogen die Mitglieder der AWC in das Museum of Modern Art ein und demonstrierten vor Picassos berühmter Stellungnahme zum Spanischen Bürgerkrieg, Guernica (1937). Das Moma distanzierte sich, da einige der Treuhänder*innen ausgesprochene Unterstützende des Vietnam-Krieges waren.

Die 68er Bewegung war ein Höhepunkt des Kunststreiks. Künstler*innen protestierten gegen die von Adorno und Horkheimer beschriebene Kulturindustrie mit ihrer kapitalistischen Verwertung der Kunst. Neben dem Streik organisierten sie Demonstrationen, entwarfen Plakate und Flugblätter. Außerdem wurden die Aktionen um neue performative Formen des Happenings erweitert. Sie nutzen die Museen als Bühne um ihrer Kritik Ausdruck zu verleihen. Die historischen „Meisterwerke“ wurden dafür zweckentfremdet und dienten als Kulisse des Protestes.

Mit den aktuellen globalen Revolten gewinnt auch der Kunststreik wieder an Bedeutung. Während des sechswöchigen Generalstreiks gegen die Rentenreformpläne von Präsident Macron in Frankreich streikten beispielsweise die Tänzerinnen der Pariser Oper. Sie führten ihr Stück stattdessen zur Unterstützung des Protestes vor dem Gebäude auf.

Politisierung der Kunst

Der Kunststreik ist eine Reaktion auf die sich verändernden Produktionsbedingungen der Kunst. Die Umwälzungen des Überbaus gehen langsamer voran als die der Basis. Deren Dialektik macht sich im Überbau jedoch nicht weniger bemerkbar als in der Ökonomie. Die profitorientierte Kulturproduktion ist nur ein Aspekt der kapitalistischen Produktionsweise. Wenn Gustav Metzger oder Lee Lozanos zum Streik aufrufen, attackieren sie die materiellen Bedingungen der profitorientierten Kulturindustrie. Sie richten sich damit nicht nur gegen die eigenen Institutionen, sondern stellen auch eine Verbindung zu den Kämpfen der Ausgebeuteten und Unterdrückten her.

Wie die Beispiele zeigen, ist es bislang jedoch nur bedingt gelungen die Streiks auszuweiten und die Kulturproduktion zum Stillstand zu bringen. Es bleibt bei vereinzelten Aktionen mit symbolischer Wirkung. Die Künstler*innen konnten nicht genug Druck aufbauen, um die Forderungen gegenüber dem Staat und seinen Kulturinstitutionen durchzusetzen. Das liegt zum einen an der mangelnden gewerkschaftlichen Organisierung im kreativen Sektor. Zum anderen an der fehlenden ökonomischen Hebelwirkung des Kunststreiks. Der Streik ist ein Instrument der Arbeiter*innen im Kampf zwischen Kapital und Arbeit. Ein Streik in einem zentralen Sektor der Wirtschaft kann enormen ökonomischen Druck aufbauen, da er die Mehrwertschöpfung mit hohen Verlusten unterbrechen kann. Dies verschafft den Arbeiter*innen eine bessere Ausgangslage im Kampf um ihre politischen und wirtschaftlichen Forderungen. Wenn freischaffende Künstler*innen oder Kulturarbeiter*innen mit befristeten Verträgen zum Streik aufrufen, sind die objektiven Bedingungen deutlich schlechter.

Kunststreiks können jedoch nicht ausschließlich auf Grundlage ihrer ökonomischen Erfolge bilanziert werden. Durch den Streik kann die Kunstproduktion zu einer Produktion revolutionärer Ideen werden. Der Kunststreik ist damit kein Streik im Sinne eines Arbeitskampfes. Sondern ein Schritt hin zur Politisierung der Kunst im Sinne Walter Benjamins. Er schrieb, dass der Faschismus eine Ästhetisierung der Politik betreibe und der Kommunismus mit der Politisierung der Kunst antwortet! Dabei ist der Kunststreik ein Versuch die Einheit des Klassenkampfes herzustellen. Kunstarbeiter*innen reihen sich ein in die Front des Proletariats. Hier liegt die verändernde Macht, welche Benjamin der Kunst zugesprochen hatte.

Nun bleibt zu hoffen, dass der Kunststreik in Zukunft nicht als Ware auf dem Kunstmarkt verscherbelt wird.

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