Nahverkehrs- und Klimastreik gemeinsam in Berlin: Ein wichtiges Zeichen

02.03.2024, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Dustin Hirschfeld

Mit ihrem Aktionstag setzten FFF und ver.di ein wichtiges Zeichen. Aber die Beteiligung blieb ebenso hinter den Möglichkeiten zurück, wie die politische Perspektive des gemeinsamen Streiks. Ein Bericht von der Klimastreik-Demo in Berlin.

Klimaaktivist:innen und Beschäftigte der BVG haben am Freitag gemeinsam gestreikt und demonstriert. Busse, Trams und U-Bahnen in Berlin standen still, während sie zusammen bessere Arbeitsbedingungen und den Ausbau des ÖPNV forderten.

Die Verbindung von Klimaprotesten und Arbeitskämpfen ist ohne Frage ein wichtiger und eigentlich längst überfälliger Schritt. Nur mit der Kraft der Arbeiter:innenbewegung kann der notwendige ökologische Umbau der öffentlichen Infrastruktur und der Wirtschaft durchgesetzt werden. Mit der aktuellen Kampagne #WirFahrenZusammen, hauptsächlich getragen von ver.di und Fridays for Future, werden richtigerweise die gemeinsamen Interessen von ÖPNV-Beschäftigten und der Klimabewegung in den Vordergrund gerückt: bessere Arbeitsbedingungen und ein klimafreundlicher Um- und Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs.

Doch gleichzeitig wirkt die Kampagne vor allem wie ein Bündnis der beiden Apparate von ver.di und Fridays for Future. Einzelne Beschäftigte werden zwar als Gesichter der Kampagne eingebunden, aber die wesentlichen Entscheidungen werden über die Köpfe der Kolleg:innen hinweg getroffen.

Mit unzureichender innergewerkschaftlicher Diskussion und Demokratie wird – gerade im Streik – viel Potenzial verschenkt. Und auch die Organisator:innen von Fridays for Future geraten in Widersprüche, wenn sie zwar radikale Maßnahmen zum Klimaschutz anmahnen, aber bei ihrer Kritik an den Regierungsparteien dann doch lieber nicht zu weit gehen wollen. Diese Widersprüche sind sicher auch ein Grund dafür, dass die Beteiligung an der Aktion mit zwei- bis dreitausend Teilnehmer:innen hinter den Erwartungen zurückblieb.

Entscheidungen über statt mit den Beschäftigten

In Gesprächen mit den Streikenden wird klar: noch sind längst nicht alle vom Sinn der gemeinsamen Aktionen überzeugt. Einer sagt, er wolle sich lieber auf die Kernforderungen nach besseren Arbeitsbedingungen konzentrieren. Ein anderer hat Angst, ihm könnte bei der Verkehrswende das Autofahren verboten werden. Einige weitere stehen der Klimabewegung und ihren Forderungen zwar nicht ablehnend gegenüber, aber sehen auch keine Vorteile in gemeinsamen Aktionen. Natürlich geht es nicht allen so. Doch es ist ein Symptom davon, dass die Entscheidungen in diesen Fragen nicht an der Basis der Gewerkschaften diskutiert und beschlossen werden, sondern in erster Linie von ihrer Führung.

Das zeigt sich auch in der Dauer des Streiks. Während sich viele Kolleg:innen auf Nachfrage für längere Streiks aussprechen und in vielen anderen Bundesländern auch zwei Tage am Stück gestreikt wurde, war in Berlin schon um 14 Uhr, also nach anderthalb Tagen, wieder Dienstantritt.

Der Ablauf des Streiktags hinterließ ebenfalls einen etwas faden Beigeschmack: So wurden die Kolleg:innen zu 9 Uhr mobilisiert, aber durften sich dann eine Stunde lang den Technik-Check der Bühne anhören, bis um 10 Uhr das offizielle Programm begann. Danach waren nur wenige gewerkschaftliche Beiträge zu hören, geschweige denn von BVG-Beschäftigten selbst. In den wenigen Fällen, in denen Kolleg:innen selbst zu Wort kamen, war die Reaktion immerhin auffällig positiv – schade nur, dass es dafür so wenig Raum gab.

Einige Mitglieder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) im Publikum, beklagten, dass ihre Gewerkschaft zwar offiziell Teil des Bündnis #WirFahrenZusammen sei, aber weder in der öffentlichen Kampagne noch in den internen Absprachen ernsthaft Beachtung findet.

Selektive Kritik

Inhaltlich boten die Reden von der Bühne wenig Überraschungen. Richtigerweise wurden die schlechten Arbeitsbedingungen im ÖPNV und der weit verbreitete Personalmangel kritisiert sowie massive Investitionen als Gegenmittel gefordert. Unzumutbare Schichtzeiten und Bedingungen für Beschäftigte mit Familien erzeugen viel Unmut unter den Kolleg:innen. Als es um Verantwortliche für die Missstände ging, wurde die Kritik jedoch sehr selektiv verteilt. Finanzminister Lindner (FDP) und Verkehrsminister Wissing (ebenfalls FDP), die besonders oft genannt wurden, haben natürlich jedes schlechte Wort verdient, das über sie gesagt wird. Doch die aktuelle Bundesregierung besteht nicht nur aus der FDP.

Die gesamte Ampel, inklusive der Grünen, ist für eine Politik der niedrigen Löhne mitverantwortlich. Unter anderem die „konzertierte Aktion“ von Regierung, Bossen und Gewerkschaftsführungen ab 2022 zielte ja darauf ab, in den folgenden Tarifrunden einen Inflationsausgleich und erst recht Reallohnerhöhungen abzuwenden. Angesichts dieses überparteilichen Konsenses hilft es auch nichts, wenn eine Greenpeace-Rednerin am Streiktag zur Beruhigung anmerkt: „Es wird auch mal einen neuen Finanzminister geben“. In Berlin waren Grüne und SPD Teil der letzten Regierung und haben – ebenso wie die Linkspartei – die schlechten Arbeitsbedingungen bei der BVG mitzuverantworten. Doch das auszusprechen, würde für die Führungen von ver.di und FFF bedeuten, die eigenen Verbündeten zu kritisieren.

Obwohl gerade die FFF-Unterstützer:innen hier und da radikale Ideen und antikapitalistische Slogans mit auf die Demo brachten, war auf der Bühne von Radikalität keine Spur. Ebenfalls angepasst zeigten sich die Veranstalter:innen beim Thema Palästina – denn trotz des laufenden Genozids und Berichten über ein neues Massaker am Donnerstag, wurde es schlichtweg ignoriert. Die meisten internationalen Fridays for Future Sektionen solidarisieren sich mit Palästina. Doch die Führung der deutschen Sektion grenzt sich davon scharf ab. In München wurden deswegen sogar Palästina-solidarische Aktivist:innen mithilfe der Polizei von der Demo ausgeschlossen. So sollte die FFF-Bewegung sich nicht wundern, wenn sich große Teile der politisierten Jugend wieder von ihnen abwenden, weil sie sich unkritisch hinter die zionistische, deutsche Staatsräson stellen.

Für radikale Klimastreiks der Arbeiter:innen!

Die Antwort auf die Schwierigkeiten und politischen Grenzen der Aktion darf natürlich nicht sein, das Bündnis selbst zu verwerfen. Stattdessen müsste transparent und so demokratisch wie möglich sowohl in den Gewerkschaften als auch in der Klimabewegung diskutiert werden. Und zwar nicht mit der Maßgabe, die Grünen nicht zu verärgern oder der SPD nicht auf den Schlips zu treten.

Für konsequenten Klimaschutz werden Maßnahmen nötig sein, die tief in die Profite der Automobil- und Industriekonzerne, der Energieunternehmen und anderer Kapitalist:innen einschneiden. Dementsprechend werden sie nur gegen den Widerstand der Bosse und der deutschen Regierung durchgesetzt werden können.

Gemeinsame Demonstrationen und eine Unterschriftenkampagne wie von #WirFahrenZusammen, können vielleicht ein Zeichen setzen. Aber zur Durchsetzung der Klimaforderungen werden längere und größere Streiks der Gewerkschaften nötig sein, die das Thema in den Mittelpunkt stellen. Eine Ausweitung wäre auch aktuell schon möglich: Denn gerade sind die Verhandlungen zwischen der Deutschen Bahn und der GDL geplatzt. Damit sind neue Streiks im Fernverkehr und auch bei der Berliner S-Bahn wahrscheinlicher geworden. Die Zusammenführung der Streiks von ver.di und GDL in Verbindung mit der jugendlichen Klimabewegung hätte viel Potenzial, das gesamte Land lahmzulegen und Druck auf die Regierung aufzubauen. Um solche Streiks vorzubereiten und konsequent zu Ende zu führen, müssen aber vor allem die Beschäftigten selbst die Führung darüber übernehmen. Sie sind es, die über jede Streikmaßnahme und jede Aktion gemeinsam entscheiden sollten. Kein Angebot darf ohne Diskussion und Abstimmung unter den Streikenden angenommen werden. Dafür braucht es auch regelmäßige Versammlungen der Kolleg:innen, insbesondere während ein Arbeitskampf läuft.

Damit es also nicht bei einem symbolischen Schulterschluss von Arbeiter:innen- und Klimabewegung bleibt und radikale Forderungen nicht an der sozialpartnerschaftlichen Ausrichtung der Gewerkschaftsführung scheitern, müssen die Streiks voll in den Händen der Beschäftigten liegen. Die Kolleg:innen selbst sollen entscheiden, wann und wie gestreikt wird und wie die Verbindung mit der Klimabewegung am besten umgesetzt wird.

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