Nach Köln kommt der Rechtsruck

12.01.2016, Lesezeit 7 Min.
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Die Ereignisse der Kölner Silversternacht haben die ersten Tage des neuen Jahrs überschattet. Die bürgerlichen Parteien instrumentalisieren sie für eine Verschärfung der rechten Agenda. Dagegen müssen sich die Jugendlichen und Arbeiter*innen organisieren.

In der Kölner Silvesternacht wurden dutzende Frauen Opfer sexueller Gewalt. Stattfinden konnte dies unter Beobachtung der örtlichen Polizei. Schnell entstand eine breite politische Kampagne, die von den bürgerlichen Parteien und der imperialistischen Presse ausgeht. Doch ihr Gegner ist nicht der Sexismus, sondern Geflüchtete und die demokratischen Freiheiten.

Ähnliches geschah schon vor mehreren Monaten nach den Attentaten in Paris. Wie jetzt Köln wurde Paris von der politischen Elite dafür benutzt, imperialistische Kriegsinterventionen voranzutreiben und demokratische Rechte im Inland zu beschneiden. In Deutschland fand dies seinen Ausdruck in den jüngsten Bundeswehr-Interventionen in Mali, Syrien und dem Aufstocken der Kräfte im Irak. Gleichzeitig nahmen die rassistischen Kontrollen gegen Migrant*innen enorm zu. „Terrorwarnungen“ wie in Hannover im November oder in München an Silvester sollten die Bevölkerung verunsichern und die Polizeipräsenz rechtfertigen.

Die Geschehnisse in Köln sind scharf zu verurteilen. Sie werden jedoch von den Regierungspolitiker*innen und rechten Bewegungen als ein erneuter Angriff auf die „europäischen Werte“ verstanden. Erst hätten die Geflüchteten den Terror nach Westeuropa gebracht, und jetzt den Sexismus. Dabei verkennen Herrschenden bewusst, dass Frauen täglich Opfer sexueller Gewalt und Alltagssexismus werden, von Großevents wie den Kölner Karneval oder das Münchener Oktoberfest gar nicht zu reden.

Unter Hochdruck arbeiten die Parteien der Großen Koalition nun an Gesetzesmaßnahmen, welche die Rechte der Geflüchteten und die demokratischen Freiheiten der gesamten Bevölkerung weiter einschränken. Der Parteivorstand der CDU legte auf einer Klausurtagung am Samstag mit der „Mainzer Erklärung“ vor.

In dieser wird vorgesehen, dass Geflüchtete ihr Bleiberecht verlieren, wenn sie zu einer einfachen Freiheitsstrafe, selbst auf Bewährung, verurteilt werden. Das ist eine weitere Verschärfung gegenüber dem aktuellen Asylrecht, das am 1. Januar in Kraft trat. Dazu gehört auch, dass Geflüchtete seitdem schon bei Haftstrafen bis zu einem Jahr ohne Bewährung ausgewiesen werden können. Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) hatte am selben Wochenende Änderungen in diese Richtung angekündigt. Sein Ministerium steht in engem Kontakt zu dem Justizministerium von Heiko Maas (SPD), mit dem solche Gesetzesverhärtungen in den kommenden Tagen vorgestellt werden sollen. Eine weitere Verschärfung ist die Wiedereinführung der Einzellfallprüfung für Geflüchtete aus Kriegsregionen wie Syrien, Irak und Eritrea. Sie wird die Krise in den Registrierungsinstitutionen wie dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) oder dem Berliner Lageso noch weiter verschärfen und ist eine weitere Schikane für Kriegsgeflüchtete.

Eine weitere Forderung der „Mainzer Erklärung“ ist ein „Integrationspflichtgesetz“. Dieses soll Geflüchtete dazu zwingen, in möglichst kurzer Zeit zu auszubeutenden Arbeitskräften zu werden – ansonsten drohen Leistungskürzungen. „Integration“ für die „nützlichen“, Abschiebung für die „kriminellen“ Geflüchteten – das ist die Willkommenskultur à la Merkel, wie sie schon auf ihrer Neujahrsansprache angekündigt wurde. Um diese reaktionären Ziele zu erreichen, sollen auch „Rückstände“ bei Abschiebungen abgebaut werden. Das bedeutet oft schlicht die Abschiebung trotz drohender Verfolgung und Folter oder gesundheitlicher Bedenken.

Dass die Regierung weitere Angriffe gegen Geflüchtete plant, stand jedoch schon vor Köln fest. Die Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth wurde lange politisch aufgebaut. CSU-Vorsitzender Horst Seehofer hatte vorher erstmals eine konkrete Zahl für eine „nationale Obergrenze“ genannt: 200.000, eine Zahl, die selbst 2014, also vor dem großen Ausbruch der „Flüchtlingskrise“ überschritten wurde. Die CSU fordert außerdem, mehr Grenzkontrollen durchzuführen und Geflüchtete ohne Pass abzulehnen. Eine weitere Forderung ist die Unterschrift unter einen „Wertekodex“, ohne die den Geflüchteten Leistungen gekürzt werden.

Mögen sich die Pläne in dem ein oder anderen Punkt leicht unterscheiden, sind sich die Unionsparteien im Kern einig: Jede Maßnahme ist Recht, um die Abschiebungen zu verstärken und den Großteil der Geflüchteten aus Deutschland herauszuhalten.

In diesen Punkten stimmt auch der Koalitionspartner SPD überein. Ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel sagte in Bezug auf die Ausweisung von abgeurteilten oder abgelehnten Geflüchteten: „Wer straffällige Asylbewerber schützt, hat keinen Anspruch auf deutsches Steuergeld.“ Deutlicher kann die erpresserische imperialistische Politik nicht sein. Des Weiteren fordert er, dass Geflüchtete ihre Haftstrafe im Heimatland absitzen müssen. Wie sich diese in Bürger*innenkriegsländern abspielen würde, kann man sich nicht vorstellen.

Und auch wenn sich die SPD-Spitzen bisher noch nicht klar zu einer weiteren Verschärfung des Asylrechts bekannt haben, stehen sie der Union in ihrer repressiven Agenda in nichts nach. Während die CDU in ihrer „Mainzer Erklärung“ die Ausweitung der verdachtsunabhängigen Personenkontrollen durch die Polizei und die Videokontrolle von öffentlichen Plätzen fordert, möchte die SPD bis 2019 12.000 neue Polizist*innen einstellen.

Selbst aus der Linkspartei kommen Stimmen, die nach einer schärferen Politik gegenüber Geflüchteten rufen. „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht eben auch verwirkt“, sagte beispielsweise die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Eine vollkommen chauvinistische Haltung, die die Repression der Regierung legitimiert.

Schon die Einführung der neuen „Anti-Terror-Einheit“ BSF+ der Bundespolizei machte deutlich, dass auf den Kriegseinsatz im Ausland der Krieg zu Hause folgt, also die Aufrüstung des Repressionsapparates. Angriffe auf die Rechte der Geflüchteten und die demokratischen Freiheiten der Gesamtbevölkerung im Inland, militaristische Spirale im Ausland, das ist die reaktionäre Agenda der Großen Koalition für 2016.

Passend dazu startete am 8. Januar die ersten deutschen Tornado-Flieger vom türkischen Luftstützpunkt Incirlik. Sie sollen die Ziele lokalisieren, auf die andere Verbündete der „Anti-IS-Koalition“ die Bomben werfen. Dabei werden diese Bilder, auf denen auch die Stützpunkte der kurdischen PYD abgebildet sein werden, unter anderem auch der Türkei zur Verfügung gestellt. Alleine am vergangenen Wochenende wurden erneut dutzende Kurd*innen vom blutigen Erdogan-Regime ermordet. Die Tornado-Luftbilder sind eine weitere Hilfeleistung zum Mord, wie es die 3 Milliarden Euro der Europäischen Kommission zur Einsperrung der Geflüchteten sind. Zudem wurde kurz vor Weihnachten ohne Abstimmung des Bundestags der Einsatz von deutschen AWACS-Fliegern über der Türkei beschlossen. Die militaristische „Verantwortung“ des deutschen Imperialismus in der Region vergrößert sich Tag für Tag.

Dieser reaktionären Agenda der Regierung müssen die Arbeiter*innen und Jugendlichen etwas entgegen setzen, wenn sie nicht die Leidtragenden von imperialistischer Intervention, Polizeiaufrüstung und Abschottung sein wollen. Die Avantgarde der Jugendlichen hat im vergangenen Jahr kontinuierlich gegen rechtsextreme Demonstrationen von Pegida und der Alternative für Deutschland (AfD) mobilisiert und mehrere Schulstreiks gegen Rassismus organisiert. Ein bundesweites Bündnis hat am vergangenen Wochenende zu einem weiteren Schul- und Unistreik gegen Rassismus am 28. April aufgerufen. Der Protest der Linken gegen den Krieg in Syrien wächst, wie man auf der LL-Demonstration am letzten Sonntag sehen konnte. Die kämpferischen Sektoren der Arbeiter*innen und Jugendlichen müssen den Widerstand gegen den deutschen Imperialismus verstärken, um der Offensive der Regierung und der Rechten widerstehen zu können.

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