Hochwasser-Katastrophe: Diese Maßnahmen brauchen wir jetzt zur Soforthilfe und gegen den Klimawandel

20.07.2021, Lesezeit 10 Min.
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Foto von Realworldmoments/ shutterstock.com

Über 150 Menschen haben während des Hochwassers im Westen Deutschlands ihr Leben verloren. Zeitweise wurden allein im Landkreis Ahrweiler 1.300 Menschen vermisst. Der Klimawandel hat sich durch diese Katastrophe auch in Deutschland angekündigt. Zur Soforthilfe und gegen weitere Unwetter brauchen wir dringende Notfallmaßnahmen.

Dass der Klimawandel menschengemacht ist, ist längst bekannt. Auch, dass wir Maßnahmen gegen den Klimawandel umsetzen müssen, sagen Expert:innen und Aktivist:innen seit Jahrzehnten. Passiert ist noch nicht wirklich viel. Doch nun haben wir einen Punkt erreicht, an dem auch in Deutschland direkte Auswirkungen durch den Klimawandel bitter zu spüren sind. Das massive Hochwasser vergangener Woche, das neben Deutschland auch Teile Belgiens, der Niederlande, der Schweiz und weitere angrenzende Länder stark getroffen hat, ist eine europaweite Katastrophe. Allein in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hat sie über 150 Menschenleben gefordert, während die Opferzahlen auch Tage nach dem Hochwasser weiter steigen und erst langsam das erschütternde Ausmaß der Flutschäden sichtbar wird.

Doch schwere Überflutungen wie derzeit in Westdeutschland werden immer häufiger vorkommen. Es reicht nicht länger aus, nur zögerliche Maßnahmen zu ergreifen, die erst in Jahrzehnten greifen und den Klimawandel nur langsam verlangsamen. Es braucht jetzt radikale Maßnahmen, um auch nur annähernd eine unvorstellbare Klimakatastrophe zu verhindern: ein akutes Notfallprogramm zum Schutz der Bevölkerung und zur Rettung der Umwelt.

Finanzielle Hilfen, sofort! 

Eine drängende Frage, die sich durch die aktuelle Hochwassersituation aufdrängt, ist die der finanziellen Hilfen, die Betroffene erhalten. Aktuell verspricht Ministerpräsident Armin Laschet, der während der Katastrophe sogar lachend daneben stand, den Kommunen finanzielle Unterstützung. Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bereits angekündigt, dass es 300 Millionen € Soforthilfe vom Bund für Betroffene geben soll, die morgen im Kabinett beschlossen werden soll. Doch der Umgang mit Nothilfen vergangener Katastrophen und der Corona-Pandemie, bei der viele Menschen leer ausgingen, bürokratische Alpträume erleiden mussten oder sogar angeblich „unrechtmäßige“ Hilfen zurückzahlen mussten, lässt erahnen, dass viele Menschen  dabei wahrscheinlich im Regen stehen gelassen werden. Schon 2019 hatte Laschet höchstselbst bemerkt, dass die Katastrophen-Soforthilfe ein zu großes Loch in die Landeskasse riss. Folglich beschloss das Land Nordrhein-Westfalen unter seiner Führung den Ausstieg aus der unbürokratischen Soforthilfe. Auch vom Notfall-Fonds über sieben Milliarden Euro der SPD aus dem Jahr 2002, der nach der Elbeflut eingerichtet wurde, ist nicht besonders viel übrig geblieben. Und selbst dieser war schon damals unzureichend. Einzelpersonen bekamen nur maximal 500€ und ein Haushalt wurde auf 2.000€ gedeckelt, während Firmen bis zu 15.000€ und zusätzlich noch 500€ pro Mitarbeiter:in in den Rachen geworfen bekamen.

Auch stellt sich die Frage, wer für die immensen Kosten zum Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur aufkommen wird: massive Schäden an Bahnstrecken, Autobahnen und Straßen, Wiederherstellung der Strom- und Trinkwasserversorgung. Es geht um Kosten in Milliardenhöhe, für die Scholz dem Kabinett ein Aufbauprogramm vorschlagen will. Wir fordern, dass das Geld hierfür aus den Taschen der Kapitalist:innen kommt und die Arbeiter:innen, von denen viele durch Jobverluste und Kurzarbeit in der Pandemie bereits vor Existenzsorgen stehen, keinen Cent davon tragen sollen.

Denn eine Zwei-Klassen-Politik während Krisen-Situationen ist uns auch aus der Corona-Pandemie bekannt. Während Gesundheitsminister Jens Spahn Milliarden für Masken verprasste, bekamen die Beschäftigten im Krankenhaus keine ernsthafte Gehaltserhöhung. Auch die Wirtschaft konnte einfach weiter laufen, während es Repressionen gegen die Bevölkerung gab, wenn sie sich nicht an die Beschränkungen hielt. Es braucht deshalb demokratische Kontrolle über die Hilfsgelder unter Kontrolle der Betroffenen und Beschäftigten und unbürokratische Sofortzahlungen, um die Schäden zu finanzieren. Kostenlose Hotelzimmer müssen als Sofortlösungen für alle bereitgestellt werden, die ihre Wohnungen und Häuser verloren haben. Die Kosten für den Wiederaufbau dürfen auch nicht an Einzelpersonen hängen bleiben. Diese haben oft nichtmal eine Chance sich dagegen zu versichern, weil sich Versicherungen weigern, einen Schutz in bestimmten Risikoregionen abzuschließen. Ebenso müssen die Löhne weitergezahlt werden, auch wenn ein Arbeitsausfall stattfindet.

Die Regierung trägt die Schuld an den vielen Toten

Die versprochenen 300 Millionen Euro der Bundesregierung dürfen nicht davon ablenken, dass die in Folge der Flut Verstorbenen auf das Konto der Regierung gehen. Denn die ersten Zeichen der Hochwasserkatastrophe wurden bereits über eine Woche vorher von Sateliten erfasst, vier Tage vor der Flut warnte das Europäische Hochwasser-Warnsystem auch die Bundesregierung vor der drohenden Katastrophe. Die Schuld an den vielen Toten trägt deshalb auch die Regierung, die 24 Stunden vorher nahezu präzise genau wusste, welche Orte von der Flut betroffen sein werden, jedoch ohne das den Menschen vor Ort ausreichend zu kommunizieren, und damit das Leben von unzähligen Menschen aufs Spiel setzte. Bis jetzt sind über 150 Tote gemeldet, viele weitere werden noch vermisst. Trotz der hohen Opferzahlen, die durch rechtzeitige Warnungen und Evakuierungen hätten verhindert werden können, spricht der Innenminister von NRW Hubertus Reul (CDU), dass es nach seinem heutigen Erkenntnisstand keine großen grundsätzlichen Probleme gab. Eine absolut inakzeptable Aussage. Es braucht einen unabhängigen Untersuchungsausschuss unter Kontrolle der Betroffenen, sozialen Organisationen und Gewerkschaften, der sich damit beschäftigt, an welchen Stellen die Unwetterwarnungen nicht weitergeleitet wurden und warum. Die politischen Verantwortlichen müssen zurücktreten und zur Rechenschaft gezogen werden.

Was tun gegen Personalmangel? 

Vor Ort haben auch die die Einsatzkräfte, die aktuell in Westdeutschland sind, eine immense Aufgabe vor sich. Das liegt nicht nur an dem Hochwasser, sondern auch an der mangelnden Ausstattung der lokalen Rettungsdienste. Es fehlt oft an Equipment, das auf solche Extremsituationen ausgelegt ist. Circa 500 Lösch- und Schlauchfahrzeuge hat der Bund allein 2019 nicht geliefert. Damit fehlt mehr als ein Drittel der versprochenen 1.421 Fahrzeuge. Doch damit noch nicht genug: Es mangelt nicht nur an Equipment, sondern auch an Personal. Jede zehnte Feuerwehrstelle in Deutschland ist unterbesetzt. Bundesweit fehlen mindestens 3.000 Einsatzkräfte. Nicht zu vergessen, dass es auch den Freiwilligen Feuerwehren an Besetzung fehlt. Auch in den Fragen der Ausbildung, gibt es einiges aufzuholen, denn auch die mit modernster Technik ausgestatteten Einsatzwagen erfordern ein gutes Verständnis der Einsatzgeräte.

Diese Situation kennen wir aus anderen Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge nur allzu gut: Personalmangel im Krankenhaus, in der Pflege, in den Kindergarten und Schulen, ganz zu schweigen von kaputtgesparter Infrastruktur.

Bundeswehr in Katastrophenschutz umwandeln!  

Auch der Einsatz der Bundeswehr im Inneren zeigt, dass das Equipment und das Personal vor Ort an seine Grenzen gerät. „Das Verteidigungsministerium hat daher 900 Soldat:innen der Bundeswehr mit Panzern, schweren Fahrzeugen, Booten und Hubschraubern entsandt, um in den am schwersten betroffenen Gebieten Hilfe zu leisten. Das war nicht das erste Mal: Schon bei der Katastrophe 2002 waren circa 16.300 Soldaten der Bundeswehr im Einsatz.” Dabei stellt sich das Problem, dass die Bundeswehr auf militärische Auseinandersetzungen ausgelegt ist – für die zudem Jahr für Jahr mehr Geld ausgegeben wird – und nicht auf Katastrophenschutz. Wir fordern, deshalb, dass die Bundeswehr in zivilen Katastrophenschutz umgewandelt wird.

Unsere Solidarität gegen ihre Katastrophe!

Während diese Katastrophe uns alle erschüttert und mitgenommen hat, gab es auch einen Funken Hoffnung: Die großartige und hervorhebenswerte Solidarität unter der Bevölkerung. Allein in NRW halfen Angaben zufolge über 20.000 Freiwillige, den Einsatzkräften die Situation zu bewältigen. Auch eine große Bereitschaft, für die Betroffenen zu spenden, ist auf jeden Fall wahrzunehmen. Um die Solidarität aufrecht zu erhalten, die Aufräumarbeiten fortzusetzen und den Wiederaufbau und den Katastrophenschutz zu planen, sollen sich Hilfs- und Aktionskomitees in Städten und Dörfern bilden. Dort können Betroffene, Beschäftigte, Einsatzkräfte und Soldat:innen selbst über die notwendigen Maßnahmen diskutieren und entscheiden. Unserer Meinung nach sollten, um die Komitees mit ausreichenden Mitteln zu versorgen, die Klimakiller wie RWE und Co zur Kasse gebetenund die Bauindustrie in öffentliches Eigentum unter Kontrolle der Komitees gestellt werden. Denn nur so kann ein schneller Wiederaufbau garantiert werden, an dem sich niemand bereichern kann. Zusätzlich dazu könnte durch Komitees die große Solidarität der 20.000 Helfer:innen besser koordiniert und organisiert werden, wenn sie demokratisch eingebunden wären.

Renaturalisierung gegen weitere Katastrophen

Dadurch, dass es zu wenig natürliche Überschwemmungsgebiete gibt, durch die das Wasser abfließen kann, werden gigantische Regenfälle zur Katastrophe für die Bevölkerung. Diese zentrale Erkenntnis war auch schon im Zuge des Elbehochwassers 2002 zu beobachten. Die Umsetzung war ein wichtiges Versprechen der damaligen sozialdemokratischen Bundesregierung. Doch viel passiert ist nicht: Nach 19 Jahren Regierung von CDU, SPD, FDP und den Grünen, sind nur fünf Prozent der 35.000 Hektar Flächen in Sachsen renaturalisiert worden. Grund dafür sind viele Sondergenehmigungen, die die Lokalpolitik, die von CDU und SPD dominiert wird, ausgestellt hat. Mit diesen Machenschaften muss Schluss sein. Die Politiker:innen sind dafür verantwortlich, dass bundesweit keine Lehren aus dem Hochwasser von 2002 gezogen wurden und sich die Lage beispielsweise in NRW sogar noch verschärft hat. “Wälder werden abgeholzt, so wie der Hambacher Forst. 2016 beschloss die rot-grüne Landesregierung in NRW die Rodung für den Braunkohleabbau für den Energieriesen RWE fortzusetzen. Durch die Kohleverstromung wird nicht nur mehr CO2 in die Luft geblasen, es werden auch natürliche Räume zerstört, die Regenfälle aufnehmen könnten. Abholzungen, Flächenversiegelungen und die Zerstörung von Flussauen tragen dazu bei, dass sich die Wassermassen ungehindert ihren Weg bahnen können.” Es braucht deshalb unbedingt Komitees aus Menschen, die in Risikogebieten leben, die gemeinsam mit Expert:innen bundesweit alle Landflächen untersuchen und demokratisch darüber entscheiden müssen, welche Gebiete – auf Kosten der Reichen und der Unternehmer:innen – renaturalisiert werden müssen.

Der Klimawandel wird nicht demnächst beginnen, er ist schon längst da

Der Klimawandel ist kein Phänomen, das uns erst in einigen Jahren ereilen wird – er ist schon längst da und das mit gravierenden Folgen für Mensch und Natur. Die Konsequenzen sind nicht nur Hochwasserkatastrophen wie die in Europa jetzt, sondern auch unter anderem extreme Hitzewellen mit fast 50 Grad und in Folge dessen riesige Waldbrände wie zuletzt in Nordamerika. Die extremen Temperaturen forderten viele Tote, zum einen, weil diese natürlich selbst im Ruhezustand eine immense Belastung für den menschlichen Körper darstellen, zum anderen aber auch, weil Arbeiter:innen teilweise trotz der absurd hohen Temperaturen gezwungen waren, weiter draußen zu arbeiten – wie in Kalifornien, wo einige Farmarbeiter:innen auf Feldern einen grausamen Hitzetod starben.

Extreme Naturkatastrophen, wie wir sie allein in diesem Jahr beobachten konnten, werden sich immer weiter häufen. Und entgegen der Behauptungen einiger Politiker:innen oder der Wirtschaft können wir diese nicht einfach nur mit neu erfundenen Technologien oder dem Verbot von Plastikstrohhalmen aufhalten – denn die Ursache dafür liegt direkt im System, in dem wir leben. Die Ausbeutung von Mensch und Natur ist die fundamentale Grundlage des Kapitalismus und wird nicht enden, solange es dieses System gibt. Das bedeutet auch, dass es keine wirklichen Maßnahmen gegen den Klimawandel geben kann, solange wir in einem System leben, das wirtschaftliche Profite, wie die von gigantischen Energiekonzernen wie RWE und Co., über Menschenleben und Umwelt stellt.

Für das Hochwasser und die kommenden Umweltkatastrophen sind diese kapitalistischen Großkonzerne unmittelbar verantwortlich. Umso mehr gilt das für die unzähligen Naturkatastrophen, die in den vergangenen Jahrzehnten in halbkolonialen und peripheren Ländern stattfanden, wo imperialistische Großkonzerne massive Umweltzerstörung betreiben und Profite in die imperialistischen Zentren schaufeln. Eine tatsächliche Perspektive gegen die Klimakatastrophe  muss deshalb auch immer antiimperialistisch sein.

Imperialistische Großkonzerne und Banken müssen deshalb zu massiven Entschädigungszahlungen verpflichtet werden, sie müssen die Kosten für eine Umstellung auf nachhaltige und erneuerbare Energien tragen und perspektivisch unter Arbeiter:innenkontrolle verstaatlicht werden. Dies kann nur ein erster Schritt hin zu einer sozialistischen, auf die tatsächlichen Bedürfnisse von Mensch und Natur fokussierter demokratischen Planwirtschaft sein – die einzige Alternative zur Fortsetzung der kapitalistischen Zerstörung unseres Planeten.

Organisier dich mit uns gegen Kapitalismus und Klimakrise

Mehr über unser Notfallprogramm gegen den Klimawandel findest du in unserem Manifest der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale: “Der Kapitalismus zerstört den Planeten, lasst uns den Kapitalismus zerstören”. Wenn du mit den strategischen Vorschlägen überein stimmst, schreib uns gerne eine Nachricht und lass uns darüber diskutieren, wie wir gemeinsam dafür aktiv sein können.

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