Mit Sabotage zur Klimarevolution? „How to Blow Up a Pipeline” in den Kinos

08.06.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: KGK

Der neue Film, basierend auf dem Buch von Andreas Malm, bietet viel unterhaltsame Action – aber eine sehr individualistische Politik.

Vor zwei Jahren kam ein Buch mit einem brillanten Titel in die Regale. Doch das Cover von How to Blow Up a Pipeline („Wie sprengt man eine Pipeline“) des schwedischen Wissenschaftlers Andreas Malm könnte als falsche Werbung angesehen werden. Auf den 208 Seiten findet sich keine einzige Zeile darüber, wie man die Infrastruktur für fossile Brennstoffe sabotieren kann. Ein zutreffender Titel für dieses philosophische Werk würde eher lauten: Warum sprengen nicht mehr Menschen Pipelines in die Luft?

Jetzt ist Hollywood zur Rettung gekommen. Ein gleichnamiger Film von Daniel Goldhaber befasst sich mit den eher technischen Aspekten der Sabotage. Eine Gruppe von acht (jungen) Erwachsenen, jede:r mit eigenen Fähigkeiten und Eigenheiten, trifft sich in einem Schuppen in Westtexas zu einem gewagten Sabotage-Akt. Es ist wie eine Umweltversion von Ocean’s Eleven, nur dass sie nicht versuchen, reich zu werden – sie versuchen, die Zivilisation zu retten. Ihr Plan ist es, durch die Explosion den Preis für ein Barrel Rohöl in die Höhe zu treiben und so von Investitionen in die Öl-Infrastruktur abzuschrecken. Noch wichtiger ist jedoch, dass sie andere zu ähnlichen Sabotageakten inspirieren wollen.

Der Film zeigt einen Querschnitt von den USA. Da sind junge Frauen aus Long Beach, Kalifornien, die in der Nähe einer Ölraffinerie aufgewachsen sind und schrecklich darunter gelitten haben (eine hat Krebs im Endstadium, die andere hat ihre Mutter durch eine Hitzewelle verloren). Es gibt College-Student:innen, die die Nase voll haben von ultra-pazifistischen Protesten für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Es gibt Anarcho-Punks aus Portland (eine arm, einer reich), die bereits Erfahrungen mit ökologischer Sabotage gemacht haben, diese aber auf die nächste Stufe bringen wollen. Es gibt einen sozial unbeholfenen indigenen Mann aus North Dakota, der es hasst, wenn Ölarbeiter:innen in indigenes Territorium eindringen, und der wirklich gut darin ist, Sprengstoff herzustellen. Und schließlich, weil die subkulturellen Linken von dieser Fantasie nicht genug bekommen können, gibt es einen echten texanischen Cowboy, der eine Waffe trägt, Tabak kaut und Jesus liebt. Er hat sich der Verschwörung angeschlossen, nachdem ihm sein Land für den Bau der Pipeline weggenommen wurde.

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass der Film gefährlich unrealistisch ist. Die Verschwörung wird aufgebaut, indem man Leute auf TikTok anschreibt oder sie in einem Buchladen anspricht, während sie sich Malms Buch ansehen. Sie treffen sich nur persönlich in ihrem Versteck. Das ist ein todsicherer Weg, um sicherzustellen, dass eine Gruppe voller Polizeiagent:innen ist. Solltest du jemals auf diese Weise angesprochen werden, kannst du dir sicher sein, dass du mit eine:r Polizist:in sprichst.

In der Welt dieses Films gibt es das FBI zwar, aber es gibt nur eine einzige Agentin, die sich auf die Informationen einer Informantin per SMS verlässt. In der realen Welt verfügt der Polizeiapparat des US-Imperialismus über Billionen von Dollar, um Aktivist:innen erbarmungslos zu verfolgen. Wenn wir uns tatsächliche ökologische Sabotagebewegungen in den Vereinigten Staaten ansehen, wie die Earth Liberation Front (ELF) aus den 1990er Jahren, dann sehen wir, dass das FBI über Jahrzehnte hinweg grenzenlose Ressourcen aufwendet, um jede einzelne beteiligte Person zu verfolgen, zu inhaftieren und zu foltern, obwohl die Aktionen der ELF weniger dramatisch waren als die Explosion, die im Mittelpunkt dieses Films steht.

Eine gute Idee?

Unabhängig von der Durchführbarkeit der Taktik: Ist es eine gute Idee, eine Pipeline zu sprengen? Der Film endet, nachdem die Bomben gezündet und das triumphale Videostatement auf TikTok hochgeladen wurde. Aber als nächstes würde folgendes passieren: Jede Figur würde für den Rest ihres Lebens vom imperialistischen Staat verfolgt,  eingesperrt und womöglich gefoltert werden.

Würde dies die Profite der Unternehmen beim Verkauf von fossilen Brennstoffen schmälern? In den letzten Jahren haben wir massive Sabotageakte erlebt, allerdings nicht von Linken. Im vergangenen September wurden die Nord-Stream-Pipelines gesprengt, die einst Erdgas von Russland nach Deutschland transportierten. Drei Jahre zuvor hatten Drohnen der Houthi-Bewegung im Jemen zwei Raffinerien in Saudi-Arabien angegriffen. Dies ging weit über das hinaus, was junge Aktivist:innen in den USA zu erreichen hoffen konnten – die Explosionen legten sechs Prozent (!) der weltweiten Ölproduktion auf einmal lahm.

Der Angriff auf Nord-Stream trug jedoch zu einem enormen Anstieg der Erdgaspreise bei. Infolgedessen waren die arbeitenden Menschen gezwungen, Milliarden von Dollar zusätzlich an das fossile Kapital zu zahlen, um ihre Häuser warm zu halten. Die Sabotage führte zu Rekordgewinnen für die Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft – Kapital, das für den Bau weiterer Pipelines verwendet werden wird. In ähnlicher Weise führte der Angriff in Abqaiq-Khurais zu einer wochenlangen Unterbrechung der Produktion, was jedoch keine großen Auswirkungen auf die globalen Ölmärkte hatte, da die saudischen Reserven erschlossen wurden. Diese Angriffe waren zwar nicht ökologisch motiviert, hatten aber weitaus größere Ausmaße als alles, was Malm oder die Filmemacher:innen in Erwägung ziehen. Das Kapital kann weitaus größere Zerstörungen durchstehen – siehe die zwei Weltkriege -, solange es einen Weg findet, weiterhin Profite zu erzielen.

Was noch wichtiger ist: Würde dies mehr Aktivist:innen inspirieren? Wahrscheinlich nicht, wenn man bedenkt, dass die enormen Opfer zu so mageren Ergebnissen führten.

Die Arbeiter:innenklasse

Sabotage wie diese — von der Bourgeoisie als Öko-Terrorismus bezeichnet — ist eine Sackgasse. Aber es gibt einen Weg, die kapitalistische Weltuntergangsmaschine, die unseren Planeten systematisch kocht, zu stoppen. Der Film deutet sogar an, wie dies passieren könnte: Die Figuren, die sich entschieden haben, ihr Lebenswerk auf diese eine Pipeline zu konzentrieren, sind allesamt arbeitende Menschen. Wir sehen sie mit denselben Problemen konfrontiert wie Milliarden von arbeitenden Menschen in den Vereinigten Staaten: ihnen wird von einem gewinnorientierten Unternehmen die Gesundheitsversorgung verweigert, sie kämpfen um eine Wohnung, die nicht von Umweltverschmutzung durchtränkt ist, sie suchen nach einer würdigen Arbeit in einer Region, in der es keine gibt. Sie alle sind Arbeiter:innen, aber sie werden als Individuen dargestellt. Tatsächlich sind die Arbeiter:innen, die in diesem Film auftauchen, allesamt hirnlose Drohnen des fossilen Kapitals – Ölarbeiter:innen scherzen sogar, dass sie die Arbeit einer buchstäblichen Drohne verrichten – und sie sind neben der einzelnen FBI-Agentin die einzigen Antagonist:innen auf der Leinwand. Und ja, Arbeiter:innen können manipuliert werden, um die Kohleindustrie oder Autokonzerne zu unterstützen. Doch der Klassenkampf im wirklichen Leben zeigt, dass selbst Ölarbeiter:innen, wenn sie sich organisieren und unabhängig kämpfen, für einen ökologischen Wandel kämpfen können. Und man braucht die Pipeline nicht zu sprengen, wenn man die Ölarbeiter:innen dazu bringen kann, die Ventile zu schließen!

Anstatt sich von ihren Communitys abzukapseln, um in den Untergrund zu gehen, könnten diese acht Aktivist:innen daran arbeiten, die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten in einer revolutionären Bewegung zu organisieren, die für die Enteignung des fossilen Kapitals kämpft. Anstatt zu versuchen, den Markt zu beeinflussen, um die Banker:innen dazu zu bringen, in andere Energieformen zu investieren, könnten sie für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft kämpfen, so dass die arbeitenden Menschen entscheiden, wie die Weltwirtschaft strukturiert wird. Die Vision einer alternativen Gesellschaft scheint weder von den Filmemacher:innen, noch von ihren Figuren, noch von Malm je in Betracht gezogen worden zu sein.

Letzte Worte

In Zeiten, in denen der Klassenkampf gering ist und die globale Arbeiter:innenklasse nicht als potenzielle:r Akteur:in des sozialen Wandels in Erscheinung tritt, ist es unvermeidlich, dass isolierte junge Menschen versuchen, Massenaktionen durch Dynamitstangen zu ersetzen. Die Idee ist, die noch unwissenden Massen „aufzuwecken“ und zu „elektrisieren“. Im Effekt führt das meist nur dazu, dass Aktivist:innen isoliert und die staatliche Repression zu gerechtfertigt wird.

Als Sozialist:innen lehnen wir „Gewalt“ nicht ab – die herrschende Klasse bezeichnet alles, was sich gegen ihre Interessen richtet, als „Gewalt“, „Terrorismus“ und so weiter. Aber Sabotageakte von kleinen Gruppen werden das System nicht wesentlich beeinflussen. Wann immer etwas in die Luft gesprengt wird, werden die Kapitalist:innen die Arbeiter:innen zwingen, für den Wiederaufbau zu bezahlen.

Wenn die Pipelines auf dem Bildschirm in die Luft fliegen, sind wir genauso glücklich wie alle anderen im Publikum. Aber als Marxist:innen haben wir ein viel größeres Ziel. Um mit einem Punkt zu enden, den Leo Trotzki vor über einem Jahrhundert formulierte:

Wenn wir gegen terroristische Akte sind, dann nur, weil uns die individuelle Rache nicht befriedigt. Die Rechnung, die wir mit dem kapitalistischen System zu begleichen haben, ist zu groß, um sie einem Funktionär namens Minister zu präsentieren. Zu lernen, alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit, alle Demütigungen, denen der menschliche Körper und Geist ausgesetzt sind, als verdrehte Auswüchse und Ausdrucksformen des bestehenden Gesellschaftssystems zu sehen, um all unsere Energien in einen kollektiven Kampf gegen dieses System zu lenken – das ist die Richtung, in der der brennende Wunsch nach Rache seine höchste moralische Befriedigung finden kann.

Wir werden uns weiter mit dem Ökoleninismus von Andreas Malm auseinandersetzen. Lasst uns gemeinsam auf unserer öffentlichen Veranstaltung am 15. Mai in Berlin und online auf Zoom diskutieren.

Dieser Artikel erschien zuerst auf unserer Schwesterseite Left Voice.

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