Kommunalwahl im Osten: Ein Test für die Landtagswahlen?

06.06.2019, Lesezeit 5 Min.
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Ende Mai waren nicht nur Europawahlen, sondern auch vielerorts Kommunalwahlen. In Ostdeutschland konnte die AfD dabei zahlreiche Sitze erringen. Alte Mehrheiten sind dahin, in Görlitz könnte die AfD gar den Bürgermeister stellen. Bahnen sich hier schon mögliche schwarz-blaue Koalitionen auf Landesebene an?

Das Parteienspektrum hat sich radikal verändert. So radikal wie zum ersten Mal seit Gründung der BRD. Die beiden großen Parteien CDU/CSU und SPD kommen zusammen nicht mehr auf die Hälfte der Stimmen. Im Westen konnten die Grünen sich als neue Volkspartei etablieren und klassenübergreifend Sektoren für sich gewinnen. Im Osten hingegen gelang es der AfD, ihren Stimmanteil auszubauen und die alten Mehrheiten hinfort zu fegen – ein Trend der sich schon vorher angedeutet hatte.

Für die kommenden Landtagswahlen im Osten stellt dies die Parteien vor neue Herausforderungen. Vor allem in Sachsen geht es um die Frage, wie neue Regierungsmehrheiten gebildet werden können. Während in Thüringen – wenn auch mit Abstrichen – Rot-Rot-Grün unter Bodo Ramelow weiterregieren könnte, ist eine Fortsetzung der Großen Koalition in Sachsen nahezu ausgeschlossen.

Hier kann die Kommunalwahl vor knapp zwei Wochen als Test gelten. In vielen Städten in Sachsen müssen nun neue Mehrheiten gefunden werden. Die Frage ist, ob die Linkspartei eine Minderheitsregierung akzeptiert, um die AfD an der Regierung zu verhindern, oder ob die AfD eine Regierungsbeteiligung von linken Kräften verhindert.

In Meißen hatte sich die AfD hinter den Bürgermeisterkandidaten der CDU gestellt, um einen humanistischen Pastor im Bürgermeisteramt zu verhindern. In Görlitz könnte sich die Linkspartei hinter den CDU-Kandidaten stellen, um zu verhindern, dass die AfD den Oberbürgermeister stellt. Hier werden neue Kooperationen ausgetestet. Diese könnten dann nach der Landtagswahl als Fundament für Koalitionsverhandlungen dienen.

Aber so oder so, das Parteienregime in Ostdeutschland ist instabil. Während es sich im Westen mit dem Wahlerfolg der Grünen stabilisieren konnte – Schwarz-Grün ist mehrheitsfähig –, wäre die einzig stabile Version in Ostdeutschland eine Koalition aus AfD und CDU. Aber der Ibiza-Skandal in Österreich zeigt gut, dass diese Stabilität nur auf dem Papier existiert.

Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die AfD als Teil der Regierung Skandale produzieren würde. Auch auf Bundesebene wäre eine schwarz-blaue Regierung in Sachsen ungern gesehen. Die Frage wäre auch, wie sich die Grünen dazu verhalten, wenn sich ihr möglicher Koalitionspartner im Osten auf die AfD einlassen würde. Daher würde die Instabilität im Osten sich auch bundesweit auswirken.

Rechter Osten?

Natürlich ist jetzt wieder vielerorts vom „rechten Osten“ zu lesen und zu hören. Doch man kann den Erfolg der AfD nicht verstehen, ohne die wirtschaftliche Lage in Ostdeutschland zu betrachten. Görlitz steht beispielhaft für die Entwicklung. Dort könnte die AfD bald den Oberbürgermeister stellen. Gleichzeitig ist die Stadt von großen Schließungen bedroht. Siemens und Bombardier wollen ihre Produktion am Standort Görlitz schließen.

Nicht dass die AfD hier wirklich eine „Alternative“ darstellt, die sich den Schließungen entgegensetzen würde. Ganz im Gegenteil: Sie hatte ganz auf das Thema Sicherheit gesetzt, nicht die soziale Sicherheit, sondern mehr Polizei an der Grenze zu Polen, um „illegale Einwanderung“ zu verhindern. Der Erfolg der AfD ist vor allem in der Ohnmacht der sozialdemokratischen Führung der Arbeiter*innenbewegung angesichts der Schließung zu suchen.

Was tat sie gegen die drohende Schließung? Der sozialdemokratischen Führung der Gewerkschaften gelang es lediglich, ein Memorandum bis 2020 zu verhandeln. Dann liegt das Thema Schließung wieder auf dem Tisch. Man kann hier eine historische Parallele zu der Marienthalstudie ziehen. Dort unternahm die sozialdemokratische Führung ebenfalls nichts gegen die Schließung der großen Textilfabrik, die einem Großteil der Bevölkerung Lohn und Brot gab. Diese kampflose Niederlage mündete in Apathie, eine ähnliche Situation wie wir sie auch heute beobachten können.

Der Osten von Deutschland erlebt seit der Wiedervereinigung Schließungen. Schon in Zeiten der Treuhand schaute die sozialdemokratische Führung der Gewerkschaften tatenlos zu, wie Betriebe geschlossen wurden. Immer wieder werden Betriebe im Osten geschlossen oder Stellen abgebaut, um die Rentabilität im Westen zu steigern. Dafür stehen nicht nur Halberg-Guss oder die Kalisalz-Produktion in Bischofferode, sondern eine ganz Reihe weiterer Beispiele.

Dass angesichts es Fehlens einer Alternative zu der kapitulatorischen Sozialdemokratie – von der die Linkspartei in Ostdeutschland nur eine andere Variante ist – AfD und Co. gestärkt werden, lässt sich gut am Wahlergebnis der AfD unter Gewerkschafter*innen, besonders im Osten, ablesen. Wo die sozialdemokratischen Führungen auf Standortchauvinismus setzen, verschärft die AfD nur die Rhetorik. Und wo sie kapitulieren, stellt sich die AfD als Partei der „Wendeverlierer“ dar.

Wollen wir dem Rechtsruck in Ostdeutschland etwas entgegensetzen, müssen wir uns an die Sektoren wenden, die von ihrer Führung im Stich gelassen werden. Wir brauchen ein Programm, das sich den Schließungen entschlossen entgegenstellt und damit eine Perspektive gegen die Bosse schafft, anstatt die Spaltung in „Einheimische“ und Migrant*innen zu bestätigen.

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