Heute vor 100 Jahren wurde die erste kommunistische Massenpartei gegründet

31.12.2020, Lesezeit 25 Min.
Übersetzung:
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Die Gründung der KPD ist gut bekannt. Während des Jahreswechsels 1918/1919 fand im Saal des preußischen Parlaments ein stürmischer Parteitag statt. Der von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht angeführte Spartakusbund und andere revolutionäre Gruppen gründeten eine neue Partei.

Zu Beginn war die KPD winzig. Man könnte sagen die wahre Gründung fand erst zwei Jahre später statt. Der sechste Kongress der KPD fand vom 4.-7. Dezember 1920 statt und war ein „Vereinigungs-Kongress“. Er gründete die VKPD, die Vereinigte Kommunistische Partei. Sie bestand aus der ursprünglichen KPD und der sehr viel größeren linken Mehrheit der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). Die KPD besaß zu Beginn etwa 10.000 Mitglieder, nun aber traten bis zu eine halbe Million Arbeiter:innen bei und machten die VKPD zur ersten kommunistischen Massenpartei in Westeuropa.

Etwa 100 Jahre später bietet der politische Kampf, der dazu nötig war, wichtige Lehren. In einer Zeit in der revolutionäre Sozialist:innen wieder in einer Minderheit sind gibt es den starken Druck sich an neoreformistische Parteien oder gar „progressive“  bürgerliche Kräfte anzupassen, um an Masseneinfluss zu gelangen. Die VKPD gibt ein schönes Beispiel gegen solche Versuche von Abkürzungen.

Während des Kriegs

Um die Prozesse zu verstehen die zur Gründung der VKPD führten müssen wir zuerst zurück in die Geschichte der deutschen Arbeiter:innenbewegung blicken. Seit 1875 war die deutsche Arbeiter:innenklasse in einer einzigen Partei mit unterschiedlichen Tendenzen organisiert – der SPD.  Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte die Bruchlinien innerhalb der SPD ans Tageslicht.

Der rechte Flügel der Partei um den Co-Vorsitzenden Friedrich Ebert hoffte zu einer zentralen Komponente innerhalb einer konstitutionellen Monarchie zu werden und unterstützte den deutschen Imperialismus. Der linke Flügel, inspiriert von Revolutionär:innen wie Rosa Luxemburg,  beharrte auf den revolutionären Prinzipien der SPD. Sie war nicht bloß gegen den Krieg, sondern wollte auch „die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise“ dazu nutzen, um „die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“1 Dies war die auf dem Sozialist:innenkongress in Stuttgart 1907 verabschiedete Formulierung. Zwischen diesen beiden Flügeln befand sich das „Zentrum“ angeführt vom Co-Vorsitzenden Hugo Haase und dem Cheftheoretiker Karl Kautsky, der mehrdeutige Theorien entwickelte um beide Flügel, mit ihren verschiedenen Strategien, unter einem Hut zu versammeln.

Mit Beginn des Krieges wurde die uneindeutige Strategie des Zentrismus unhaltbar. Der Krieg verlange eine klare Antwort: Dafür oder dagegen? Die Zentrist:innen rangen um eine Position: Sie würden einen Verteidigungskrieg akzeptieren, aber keinen Angriffskrieg. Sie würden die Kriegskredite gewähren, aber den Kaiser dazu auffordern den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. Das alles war völlig inhaltslos.

Der rechte Flügel, mit einer klaren proimperialistischen Haltung, behielt die Kontrolle über die Partei. Der linke Flügel wurde durch zwei verschiedene Kräfte zum Schweigen gebracht. Der Militarismus rief den Belagerungszustand aus und die Parteibürokratie den Burgfrieden. Die Bürokratie stellte sich gegen Streiks und Demonstrationen, genauso wie der kapitalistische Staat. In den vergangenen vierzig Jahren war der deutsche Kapitalismus sprunghaft gewachsen und die Arbeiter:innenbewegung hatte einen mächtigen Apparat von Hauptamtlichen hervorgebracht. Nach einigen Schätzungen hatten die SPD und die Gewerkschaften 100.000 Vollzeitbeschäftigte. Sie führten ein von den Massen getrenntes Leben, das von den Extra-Profiten des deutschen Imperialismus finanziert wurde und führte unter ihnen zu einer hohen Identifizierung mit dem Staat. Sie waren Agent:innen der Bourgeoise innerhalb der Arbeiter:innenbewegung, denen der Krieg erlaubte ihr patriotisches Banner vollends zu enthüllen.

Alle, inklusive den revolutionären Sozialist:innen, waren entsetzt als die SPD am 4. August 1914 für den Krieg stimmte. Nur eine Woche zuvor hatten sie große Demonstrationen gegen den Krieg organisiert.

Kautsky rechtfertigte seine Weigerung sich gegen den Krieg zu stellen später mit: Welchen Unterschied würde es machen wenn eine „Handvoll von Parlamentsabgeordneten“ gegen den Krieg argumentiert und zu antikriegerischen Maßnahmen aufgerufen hätten, wenn die Arbeiter:innen nicht selbst gegen den Krieg auf die Straße gingen? Der Russische Revolution V.I. Lenin, der sich in seinem Schweizer Exil befand, antwortete:

Diese Handvoll wurde befragt, wurde zum Abstimmen aufgefordert, sie konnte stimmen, konnte Artikel schreiben usw. Die Massen aber wurden nicht ein einziges Mal befragt. Und nicht nur, dass sie nicht stimmen durften, man jagte sie auseinander, man hetzte sie, „auf Kommando“ zwar nicht einer Handvoll Parlamentarier, wohl aber der Militärbehörden.

Der linke Flügel traf an diesem Abend in der Wohnung von Rosa Luxemburg zusammen, um ihre Reaktion auf den Verrat zu besprechen. Sie versendeten 300 Telegramme mit der Bitte eine Petition gegen den Krieg zu unterzeichnen – sie erhielten eine einzige positive Rückmeldung, von Clara Zetkin aus Stuttgart. Luxemburg kündigte ihre Absicht an Selbstmord zu begehen, als verzweifelten Versuch dem Protest gegen den Krieg die benötigte Aufmerksamkeit zu verleihen.

Lenin fehlten Luxemburgs Einsichten in die wirkliche Natur der SPD – als er eine Zeitung erhielt, die das Votum der SPD für die Kriegskredite ankündigte, war er sicher, dass es sich um eine Fälschung des deutschen militärischen Geheimdienstes handeln müsse. Aber als er begriff, was geschehen war, passte er die Orientierung an die neue Situation an, mit einer Partei und Kadern, die bereit waren, diese neuen Perspektiven umzusetzen. In weniger als drei Monaten erklärte diese Partei, dass „die Zweite Internationale tot sei“ und dass die Kräfte für eine Dritte Internationale gesammelt werden müssten.

Luxemburgs Genoss:innen hatten dagegen keine dieser Ressourcen. Die deutsche Linke musste sich von Grund auf neu organisieren – unter Bedingungen der Illegalität. Sie brachte im April 1915 eine erste Ausgabe der Zeitschrift „Die Internationale“ heraus, wovon 5.000 Exemplare am Erscheinungstag in den Umlauf gekommen sind; aber sie wurde sofort verboten und von den Militärbehörden beschlagnahmt. Karl Liebknecht genoss als Reichstagsabgeordneter Immunität. Er hatte im Dezember 1914 mit einer glühenden Anprangerung des imperialistischen Krieges gegen die zweiten Kriegskredite gestimmt. Das machte ihn zu einem Helden der Arbeiter:innenklasse, und er begann, Flugblätter mit der Unterschrift „Spartakus“ zu verteilen.

Am 2. Januar 1916 wurde in Liebknechts Anwaltskanzlei eine Spartakusgruppe gegründet. Zu diesem Zeitpunkt war Luxemburg bereits im Gefängnis. Liebknecht wurde ein paar Monate später aus dem Parlament ausgeschlossen und ebenfalls ins Gefängnis gesteckt. Im September 1916 gelang es der Untergrundgruppe, ihr erstes gedrucktes Flugblatt zu veröffentlichen, das Luxemburg in ihrer Gefängniszelle geschrieben hatte und das den Titel „Spartakus“ trug. Liebknecht erklärte: „Bürgerkrieg, nicht Bürgerfrieden!“

Der Zentrismus/Das Zentrum vs. Die Linke

 Je länger sich der Krieg hinzog, desto mehr schwand die Hoffnung auf einen schnellen Sieg, und die elendige Lage der Arbeiter:innenklasse, sowohl an der Front als auch zu Hause, verschlechterte sich drastisch immer weiter. Die kaiserliche Regierung und ihre sozialdemokratischen Unterstützer versuchten nicht mehr, den Krieg als „defensiv“ darzustellen – sie sprachen offen über ihre Pläne zur Annexion von Gebieten in Belgien und Frankreich.

Im Dezember 1915 stimmten die Zentrist:innen der SPD schließlich gegen neue Kriegskredite. Diese 20 „Dezembermänner“ wurden aus der SPD-Fraktion im Reichstag ausgeschlossen. Schon bald schloss die SPD-Führung jeden aus, der ihre Kriegsbegeisterung nicht teilte. Fast die Hälfte der Parteimitglieder wurden ausgeschlossen – darunter ganze SPD-Organisationen in Berlin, Bremen, Leipzig und anderen Großstädten.

Im April 1917 gründeten die Ausgeschlossenen ihre eigene Partei, die sie „Unabhängige Sozialdemokratische Partei“ nannten. Wie würde sich die Linke zu dieser neuen Partei der Mitte verhalten? Die Spartakisten waren sehr kritisch gegenüber den „Dezembermännern“, den „Johnny-come-latelies“, die den Krieg mehr als ein Jahr lang unterstützt hatten und auch jetzt noch revolutionäre Aktionen zu dessen Beendigung ablehnten. Die neue Partei, zu der nicht nur Kautsky, sondern sogar der Vater des Reformismus, Eduard Bernstein, gehörte, konnte nichts anderes sein als eine „Partei der Halbheiten und Zweideutigkeiten“, wie Luxemburg es ausdrückte.

Die stärksten Ortsverbände der Spartakusgruppe, wie in Chemnitz oder Stuttgart, wollten die USPD boykottieren und eine neue revolutionäre Partei gründen. Dies war auch in Bremen der Fall, wo die Linke stark genug gewesen war, die örtliche SPD zu übernehmen und die Reformisten hinauszuwerfen. Karl Radek rief die Linke in der Zeitschrift der Bremer Linksradikalen auf, „unter eigenem Banner“ zu marschieren:

 …so ist der Gedanke an eine gemeinsame Parteibildung mit den Zentrumsleuten eine schädliche Utopie. Die Linksradikalen müssen, ob die Verhältnisse für sie günstig sind oder nicht,an die Bildung einer eigenen Partei gehen, wenn sie ihre historische Aufgabe erfüllen wollen. 2

Der Spartakusbund hatte nur ein paar hundert Mitglieder, die ständigen Repressionen ausgesetzt waren, aber er profitierte von der enormen Prestige von Luxemburg und Liebknecht. Sie waren die Einzigen, die die Führung bei der Gründung einer neuen Partei übernehmen konnten. Aber sie widersetzten sich. Leo Jogiches, Luxemburgs lebenslanger Mitstreiter, der die Untergrundorganisation leitete, glaubte, dass jede neue revolutionäre Partei in jedem Fall eine „Sekte“ sein werde – der Beitritt zur USPD hingegen würde es den Revolutionär:innen erlauben, mit den Massen in Kontakt zu bleiben und gleichzeitig die Freiheit der Kritik zu bewahren. Die USPD war eine legale Partei mit vielen Zeitungen und Führer:innen, die von Reichstagsbüros aus arbeiteten – die Führer:innen der Spartakusgruppe hingegen saßen im Gefängnis.

Spartakus schloss sich also der USPD an, deren zentristische Führer:innen von Liebknechts Prestige profitieren würden. Spartakus blieb kritisch gegenüber den Führer:innen der USPD, aber die organisatorische Einheit dämpfte diese Kritik. Wenn alle von Bernstein bis Luxemburg in einer Partei sein konnten, konnten das Zentrum und die Linke dann überhaupt so unterschiedlich sein? Und wie der trotzkistische Historiker Pierre Broué betonte, spaltete diese Entscheidung die radikale Linke effektiv, da die Bremer Linksradikalen ihre eigene Organisation, die Internationalen Sozialist:innen Deutschlands (ISD), außerhalb der USPD gründeten. Während die radikale Linke in Deutschland ein gemeinsames Programm hätte ausarbeiten sollen, war der Spartakusbund an die USPD gebunden, während die ISD unter einen gewissen syndikalistischen Einfluss geriet.

Die Revolution kommt

Im November 1918 brach in Deutschland schließlich die Revolution aus. Millionen von Arbeiter:innen und Soldat:innen gingen auf die Straße und bildeten überall im Land Arbeiter:innen- und Soldat:innenräte. Die wichtigsten Teile der Arbeiter:innen und Soldat:innen neigten dazu, sich der USPD anzuschließen, darunter die Matros:innen, die auf den Kriegsschiffen meuterten, und die Revolutionären Obleute –  das Netzwerk der Berliner Metallarbeiter:innen, die den aufständischen Generalstreik am 9. November organisierten.

Die USPD-Anführer:innen hielten revolutionäre Reden, doch sie wirkten letztendlich als Bremse der Revolution. Figuren wie Haase und Wilhelm Dittmann schlossen sich mit rechten Sozialdemokraten wie Ebert und Philip Scheidemann zusammen, um eine neue Regierung zu bilden, die sich fälschlicherweise „Rat der Volksbeauftragten“ nannte. Die USPD-Anführer:innen dienten als „revolutionäres“ Feigenblatt/Tarnung für die SPD – die ihrerseits eine Konterrevolution vorbereitete.

Als sich die Arbeiter:innen- und Soldat:innenräte im Dezember 1918 zu einem nationalen Kongress versammelten, war die große Frage, ob Deutschland eine „Räterepublik“ (was ein sozialistisches, von Arbeiter:innen geführtes System implizierte) oder eine „Nationalversammlung“ (ein kapitalistisches System unter Kontrolle der Bourgeoisie) haben sollte. Der Spartakusbund war eindeutig für Ersteres und die SPD eindeutig für Letzteres – während die USPD, getreu ihren zentristischen Prinzipien, utopische Pläne ausarbeitete, Arbeiter:innenräte mit einem bürgerlichen Parlament zu kombinieren.

Schließlich erkannten die Spartakistenführer:innen, dass sie ihre eigene Partei gründen mussten, getrennt von den Zentrist:innen. Sie hatten gehofft, eine Mehrheit in der USPD zu gewinnen, aber die Führung dieser Partei weigerte sich, einen Parteitag einzuberufen, um über die dringendsten Fragen der Revolution zu entscheiden. So wurde der Gründungskongress der KPD für die Silvesternacht 1918 einberufen. Jogiches, bekannt für seine unerschütterlichen Positionen, stimmte gegen die Gründung einer neuen Partei, und Clara Zetkin blieb skeptisch, aber Luxemburg änderte ihre Meinung.

Die neue Partei brachte den Spartakusbund, die ISD (jetzt die IKD) und andere revolutionäre Gruppen zusammen. Aber sie blieb klein. Die Revolutionären Obleute weigerten sich, trotz Verhandlungen mit Liebknecht in letzter Minute, beizutreten. In einigen wenigen Orten wie Neukölln, einem Arbeiter:innenbezirk außerhalb Berlins, stimmte die Mehrheit der USPD-Mitglieder für den Beitritt zur neuen Kommunistischen Partei. Aber das war eine seltene Ausnahme: Die meisten USPD-Mitglieder blieben, wo sie waren.

Gegründet und Enthauptet

Die neue KPD war nicht nur klein, sondern auch politisch verwirrt. Viele der Delegierten des Gründungskongresses waren erst in den stürmischen Wochen der Revolution zum politischen Leben erwacht, und sie gingen davon aus, dass die sozialistische Revolution in Deutschland in wenigen weiteren Wochen siegreich sein würde.

Warum also an den Wahlen zu einem bürgerlichen Parlament teilnehmen? Warum in Gewerkschaften arbeiten, die von reaktionären Bürokrat:innen geführt werden? All diese komplizierten Probleme, so glaubte die Kongressmehrheit, würden durch die steigende Flut der proletarischen Revolution schnell gelöst werden. Luxemburg versuchte vergeblich zu erklären, dass die Revolution näher an ihrem Anfang als an ihrem Ende sei. An der „infantilen Krankheit“ des Ultralinken leidend, stimmte der Kongress dafür, die anstehenden Wahlen zur Nationalversammlung zu boykottieren. Sie hätten dafür gestimmt auch die Gewerkschaften zu boykottieren, wenn Luxemburg nicht dafür gesorgt hätte, eine Entscheidung über diese Frage zu verschieben.

Luxemburg und Liebknecht gründeten die Art von Partei, die die deutsche Arbeiter:innenklasse brauchte, um zu triumphieren. Doch dieser Schritt kam viel zu spät. Während der Revolution war die Arbeiter:innenklasse gespalten zwischen einer konterrevolutionären Partei (der SPD) und einer anderen, die in jedem entscheidenden Moment schwankte (der USPD). Die Räte, die überall in Deutschland aufgetaucht waren, wurden immer noch von Bürokrat:innen und Abenteurer:innen beherrscht. Die Arbeiter:innenmassen waren noch nicht in der Lage gewesen, diese verschiedenen Führungen durch Erfahrung zu testen. Es gab keine revolutionäre Partei mit Kadern in jedem Betrieb und jeder Nachbarschaft, die in jedem entscheidenden Moment den nächsten Schritt zur Arbeiter:innenmacht aufzeigen konnte. Die Konterrevolution hingegen hatte einen funktionierenden Generalstab, der von der SPD und dem Militär gebildet wurde.

Die Verspätung der Spartakisten bei der Gründung einer revolutionären Partei war kein organisatorisches Versagen. Bis zur letzten Sekunde war Luxemburg gegen den Schritt und schrieb,

Es ist immer möglich, aus kleinen Sekten oder kleinen Koterien auszutreten, und, wenn man dort nicht bleiben will, sich dem Aufbau neuer Sekten und neuer Koterien zu widmen. Aber es ist nur ein unverantwortlicher Tagtraum, die ganze Masse der Arbeiter:innenklasse durch einen einfachen „Ausstieg“ von dem sehr schweren und gefährlichen Joch der Bourgeoisie befreien zu wollen.3

Nachdem sie so viel Zeit ihres revolutionären Lebens damit verbracht hatte, die Bürokratie zu bekämpfen, die die deutsche Arbeiter:innenbewegung erstickte, glaubte Luxemburg, dass revolutionäre Arbeiter:innen allen Formen der zentralisierten Führung widerstehen müssten. In dem letzten Artikel, den sie vor ihrer Ermordung schrieb, zog sie eine Bilanz des Arbeiter:innenaufstandes im Januar 1919. „Die Führung ist gescheitert“, schrieb sie. „Aber eine neue Führung kann und muss von den Massen und aus den Massen geschaffen werden.“ Diese Idee, dass eine solche Führung in den stürmischen Tagen der Revolution improvisiert werden könnte, hatte sich bereits als verheerender Irrtum erwiesen. Und Luxemburg hatte diesen Irrtum, zumindest implizit, durch die Gründung der Kommunistischen Partei erkannt.

Zwei Wochen später wurde diese neue Partei enthauptet. Luxemburg und Liebknecht wurden auf Befehl der SPD-Regierung von rechten paramilitärischen Freikorps ermordet. Jogiches übernahm die Führung der KPD – und wurde im März 1919 selbst von der Polizei getötet.

Lang lebe die Dritte Internationale!

Am 2. März desselben Jahres wurde auf einem Kongress in Moskau die Kommunistische Internationale gegründet. Dieser Kongress brachte die Bolschewiki, die die erfolgreiche Revolution in Russland angeführt hatten und nun eine Arbeiter:innenregierung führten, mit meist kleinen Gruppen aus anderen Ländern zusammen. Damit erhielten die deutschen Kommunist:innen eine gewisse internationale Führung.

Die Aufgabe, den „infantilen“ Ultralinkismus der KPD zu bekämpfen, fiel Luxemburgs Nachfolger, dem Juristen Paul Levi zu. Auf dem zweiten Kongress der KPD im Oktober 1919 in Heidelberg ließ Levi die Delegierten über die Grundprinzipien der Kommunistischen Internationale abstimmen, Prinzipien, die als Grundlage der Parteimitgliedschaft dienen sollten – dazu gehörten die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen und die Arbeit in reformistischen Gewerkschaften, immer als revolutionäre Opposition. Auf diese Weise vertrieb die Führung um Levi eine große ultralinke Tendenz, vielleicht die Hälfte der Mitgliedschaft, aus der KPD. Sie gründeten daraufhin die chaotische, syndikalistische Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), die auseinanderzufallen begann, noch bevor sie sich etablieren konnte.4
Die Anührer:innen der Komintern kritisierten Lenins drastischen Schritt, da er die politische Diskussion mit den Ultralinken, die eine Massentendenz in der deutschen Arbeiter:innenklasse repräsentierten, abschnitt. Lenin war überzeugt, dass die Opportunisten zwar rücksichtslos aus der Arbeiterbewegung vertrieben werden mussten, die Ultralinken aber durch geduldige Argumentation gewonnen werden konnten. Lenins Orientierung erwies sich jedoch bald als richtig. Indem er die KPD vom dilettantischen Ultralinkstum distanzierte, konnte er Massen von Arbeiter:innen aus der USPD anziehen.

Die Entwicklung der Revolution schärfte die Widersprüche innerhalb der USPD. Arbeiter:innen strömten in die Partei – sie erreichte 1920 fast 1 Million Mitglieder – und sie sympathisierten im Allgemeinen mit der russischen Revolution und den Bolschewiki. Die Gründung der Kommunistischen Internationale wurde mit solcher Begeisterung aufgenommen, dass die USPD-Führer im Sommer 1920 zum zweiten Kongress nach Moskau reisen mussten. Sie baten darum, der Dritten Internationale beizutreten – ohne die Grundprinzipien des Kommunismus zu akzeptieren. Als Antwort darauf formulierte die Komintern ihre 21 Bedingungen für jede Partei, die beitreten wollte.

Die USPD-Führer lehnten diese Bedingungen als ein Diktat ab. Sie wollten lieber die „Autonomie“ ihrer deutschen Partei schützen, als eine weltweite kommunistische Partei aufzubauen. Aber die Mitglieder der USPD wollten sich mit den Bolschewiki vereinigen. Dieser Widerspruch spitzte sich auf dem Parteitag im Oktober 1920 in Halle zu. Grigori Sinowjew, der Präsident der Komintern, sprach sich für den Beitritt aus, während Julius Martow, der Führer der russischen Menschewiki, also der Reformist:innen, dagegen sprach.5 Sehr zum Entsetzen der USPD-Bürokratie stimmten fast zwei Drittel der Delegierten für den Beitritt zur Komintern. Der rechte Flügel der Partei – der in Opposition zu den Bolschewiki immer den Mantel der „Demokratie“ für sich beansprucht hatte – trat einfach aus.

Während der entscheidenden Monate der Revolution war die USPD ein Instrument für die Bürokrat:innen gewesen, um die politische Kontrolle über Hunderttausende revolutionärer Arbeiter:innen zu behalten. Dieses Instrument war nun zerbrochen. Dies bereitete die Bühne für einen Fusionskongress der KPD und der linken Mehrheit der USPD, der auch einige Elemente der KAPD angehörten. Die KPD, einst winzig, hatte nun 450.000 Mitglieder und 33 Tageszeitungen. Vor allem hatte die neue Partei Kader, die tief in der deutschen Arbeiter:innenklasse verwurzelt waren. Mit dieser Fusion schlossen sich die Revolutionären Stewards endgültig der KPD an.

Zu früh oder zu spät?

Aus dieser Erfahrung zogen Luxemburgs engste Genoss:innen alle die gleiche Schlussfolgerung: Die deutsche Arbeiter:innenklasse hätte die Macht erobern können, wenn es beim Ausbruch der Novemberrevolution eine Partei wie die VKPD gegeben hätte – eine disziplinierte und sichtbare Organisation, die sich den konterrevolutionären Machenschaften der SPD und dem Zaudern der USPD systematisch entgegenstellen konnte. Die Niederschlagung der Revolution durch Sozialdemokrat:innen und Freikorps öffnete letztlich dem Faschismus Tür und Tor. Eine sozialistische Revolution in Deutschland hätte sich mit der Revolution in Russland vereinigt und damit die stalinistische Entartung verhindert. Aller Wahrscheinlichkeit nach wäre dies der Beginn der Revolution in der ganzen Welt gewesen.

Franz Mehring, ein großer marxistischer Historiker und Gründungsmitglied der Spartakusgruppe, schrieb, sie hätten sich nur in einem Punkt geirrt: „als wir uns nach der Gründung der unabhängigen Partei organisatorisch anschlossen … in der Hoffnung, sie voranzutreiben“.6 Paul Levi, Luxemburgs Nachfolger, brachte es auf den Punkt:

Es gibt heute keinen  einzigen Kommunisten in Deutschland, der nicht bedauert, dass die Gründung einer kommunistischen Partei nicht schon lange vor dem Krieg stattgefunden hat, und dass die Kommunist:innen sich nicht 1903 zusammengefunden haben, wenn auch in Form einer kleinen Sekte, und dass sie nicht eine Gruppe gebildet haben, wenn auch eine kleine, die wenigstens Klarheit hätte ausdrücken können.7

Heute gibt es paradoxerweise Kommunist:innen, die die Gründung der KPD als zu früh ansehen. So schreibt Ben Lewis von der Gruppe CPGB/Weekly Worker, dass die Abspaltung der KPD von der USPD „eindeutig ein verfrühter Schritt“ war.8  Ottokar Luban, ein prominenter Historiker der Spartakusgruppe, schreibt, dass sich die „Führer der Gruppe mit der Gründung der KPD vor allem dem Druck eines radikalen Spektrums ausgeliefert“ hätten und eine Massenpartei hätten bilden können, wenn sie in der USPD geblieben wären.9 Stefan Bornost von Marx21, einer Gruppe innerhalb der Partei Die Linke, veröffentlichte einen Artikel, in dem er Luxemburg und Liebknecht als „die Netzwerker“ lobte und ihre Entscheidung, in der SPD und dann in der USPD zu bleiben, rechtfertigte. Bornost schreibt, die KPD habe „ihre Chance nicht genutzt“, weil sie die USPD verlassen habe. Das ist natürlich nur ein Versuch, die Anpassung von Marx21 an die Bürokratie einer reformistischen Partei zu rechtfertigen, die derzeit in vier verschiedenen Bundesländern an der Regierung ist.

Aber die Spartakist:innen, die der USPD beitraten, zogen den gegenteiligen Schluss. Es war nicht die Präsenz in der USPD, die es den Spartakist:innen ermöglichte, die Massen zu erreichen. Es war Liebknechts mutige, kompromisslose Haltung gegen den Krieg – im klaren Gegensatz zu den Zentrist:innen. Indem er unter demselben Banner wie Haase oder Kautsky auftrat, verlieh Liebknecht ihnen ein Prestige, das sie in keiner Weise verdienten. Das bedeutete auch, dass den Revolutionär:innen die Hände gebunden waren und sie in entscheidenden Momenten, wie dem Rätekongress Mitte Dezember 1918, nicht für ihr eigenes Programm kämpfen konnten.

Durch die Gründung der KPD konnten die Spartakist:innen alle linken Elemente der USPD dazu bringen, ihre „friedliche Koexistenz“ mit den Führung ihrer Partei aufzugeben. Sie zeigten, dass eine unabhängige Partei nicht nur notwendig, sondern durchaus möglich war.

Heute gibt es ähnliche Spaltungen innerhalb der sozialistischen Bewegung. Wenn wir den Sozialismus in den Vereinigten Staaten betrachten, sehen wir einen rechten Flügel, der aus Reformisten besteht, die sehr offen die Demokratische Partei der herrschenden Klasse unterstützen und damit letztendlich die Politik des US-Imperialismus unterstützen. Wir sehen auch einen linken Flügel der sozialistischen Bewegung, der dafür kämpft, dass sich die Arbeiter:innenklasse als unabhängige politische Kraft konstituiert und eine sozialistische Revolution anführt – wir von Left Voice sehen uns als einen Teil dieser Linken. Schließlich sehen wir Zentristen, die versuchen, diese Kluft mit verwirrenden und konfusen Theorien zu überbrücken, die versuchen, die Linie zu verwischen, welche Reformist:innen und Revolutionär:innen trennt.

Wie die weitsichtigsten Revolutionär:innen in Deutschland während des Ersten Weltkriegs besteht die Aufgabe heute darin, die Linke zu vereinen, was eine klare Abgrenzung nicht nur von der Rechten, sondern auch von der Mitte erfordert. Mit anderen Worten: Die Schaffung einer einheitlichen sozialistischen Bewegung erfordert einen Kampf gegen jeden Kompromiss mit der Demokratischen Partei und ihrer rassistischen und imperialistischen Politik – eine solche Politik spaltet die Arbeiter:inneklasse, heute genauso wie vor 100 Jahren. Eine solche Abgrenzung mag im Moment „sektiererisch“ erscheinen – aber wie die Geschichte der deutschen Revolution zeigt, ist sie die absolut notwendige Voraussetzung für Revolutionär:innen, um die Massen zu erreichen.

1 Dies war die Formulierung, die auf dem Stuttgarter Kongress der Sozialistischen Internationale 1907 beschlossen wurde.

2 Karl Radek, „Unterm eigenen Banner“, in Arbeiterpolitik, Nr. 8 und 9, 1917, zitiert in Pierre Broué, The German Revolution 1917-1923 (Leiden: Brill, 2005), 81.

3 Rosa Luxemburg, „Offener Brief an Gesinnungsfreunde“, unterzeichnet von Gracchus, in Der Kampf, Duisburg, Nr. 31, 6. Januar 1917, zitiert in Broué, Deutsche Revolution, 71.

4 Es ist manchmal behauptet worden, dass Levi zu bürokratischen Tricks griff, um eine Mehrheit auszuschließen. Doch wie die Historiker Florian Wilde und Marcel Bois mit einem detaillierten Studium des Quellenmaterials zeigen, beruhten die Entscheidungen des Heidelberger Kongresses auf klaren Mehrheitsentscheidungen nach monatelangen Diskussionen. Marcel Bois und Florian Wilde,„Modell für den künftigen Umgang mit innerparteilicher Diskussion‘? Der Heidelberger Parteitag der KPD“, Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 2007/II.

5 Ben Lewis und Lars T. Lih haben diese beiden historischen Reden übersetzt: Grigori Sinowjew und Julius Martow, Head to Head in Halle (London: November Publications, 2011).

6 Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution (Berlin: Internationaler Arbeiter-Verlag, 1929), 163-64, unsere Übersetzung.

7 Paul Levi, „Der Parteitag der KP„, in: Die Internationale, Nr. 26 (1. Dezember 1920): 41, zitiert in Broué, Deutsche Revolution, 453.

8 Ben Lewis, „The four-hour speech and the significance of Halle„, in Sinowjew und Martow, Head to Head in Halle, 19.

9 Ottokar Luban, „The Role of the Spartacist Group after 9 November 1918 and the Formation of the KPD“, in Ralf Hoffrogge und Norman LaPorte, Weimar Communism as Mass Movement 1918-1933 (London: Lawrence and Wishart, 2017), 54.

 

 

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