Hafenstreiks und Unibesetzungen – die Massen in Katalonien werden aktiv

23.09.2017, Lesezeit 5 Min.
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Die Festnahme von 14 Mitarbeiter*innen der katalanischen Regierung durch die spanische Polizei hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Eine breite Bewegung von Arbeiter*innen und Jugendlichen organisiert sich in Versammlungen und kämpft mit Besetzungen und Streiks für das demokratische Recht auf nationale Selbstbestimmung.

Es scheint eine halbe Ewigkeit her zu sein, aber seit der Festnahme von 14 Mitarbeiter*innen der katalanischen Regierung durch die spanische Polizei sind erst drei Tage vergangen.

Doch die repressive Maßnahme gegen die Beauftragten zur Vorbereitung des Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober hat eine Welle der Empörung in Katalonien und im Rest des Spanischen Staats ausgelöst.

Was dazu gedacht war, die Volksabstimmung zu verhindern, hat die sozialen Sektoren mobilisiert, die eine erfolgreiche Durchführung garantieren könnten.

Von spontanen Massenmobilisierungen…

Schon am Mittwoch antwortete die Bevölkerung Barcelonas spontan mit großen Kundgebungen vor dem Wirtschaftsministerium und wichtigen Plätzen auf die Aggression der spanischen Regierung. Stundenlang verhinderten Tausende, dass die paramilitärische Guardia Civil mit den Festgenommenen das Regierungsgebäude verlassen konnte.

An anderer Stelle sorgte eine Menschenmenge dafür, dass die Polizei den Hauptsitz der antikapitalistischen CUP, welche die Minderheitsregierung der Unabhängigkeitsbefürworter*innen PDeCat und ERC toleriert, nicht stürmen konnte und daraufhin abziehen musste.

Studierende der verschiedenen großen Universitäten verließen spontan die Hörsäle und den Campus, um sich an den Kundgebungen zu beteiligen und die wichtige Hauptstraße Avenida Diagonal in Barcelona zu besetzen. Auch Gewerkschafter*innen verschiedener Organisationen führten Straßenblockaden durch.

Bis in die Nacht hinein demonstrierten 40.000 Menschen auf dem zentralen Plaça Catalunya gegen die Eskalationsversuche von Ministerpräsident Mariano Rajoy und für das demokratische Recht auf Selbstbestimmung. Zudem rief am Abend der alternative katalanische Gewerkschaftsdachverband IAC zu einem Treffen auf, um einen Generalstreik zu organisieren.

… zum organisierten Widerstand

Doch dabei blieb es nicht. Am Donnerstag morgen in der früh trafen die Hafenarbeiter*innen von Tarragona und Barcelona eine weitreichende Entscheidung: In einer Versammlung beschlossen sie, drei Kreuzschiffe der spanischen Polizei, die sich in ihren Häfen befinden, nicht zu versorgen. Diese Schiffe wurden von der spanischen Regierung gechartert, um bis zu 4.000 Polizist*innen unterzubringen, die am 1. Oktober die schon vorhandenen Einsatzkräfte bei der Repression und Verhinderung des Referendums unterstützen sollen. Die Arbeiter*innen stellten sich mit ihrer Entscheidung gegen die „Schiffe der Repression“ und zwangen die Polizist*innen, selbst das Nötigste einzukaufen.

Dazu kamen Stellungnahmen anderer Gewerkschaften, wie der der Metro-Beschäftigten von Barcelona, die das Vorgehen des Zentralstaats verurteilten. Eine weitere alternative Gewerkschaftszentrale, die CGT Katalonien, veröffentlichte eine Vorankündigung für einen Generalstreik.

Im Laufe des Tages fanden weitere Kundgebungen für das Referendum und die Freilassung der Gefangenen vor dem Sitz des katalanischen Obersten Gerichtshofs statt, welcher die Verhaftungen angeordnet hatte. Die zivilgesellschaftlichen Pro-Unabhängigkeits-Organisationen Òmnium Cultural und die ANC riefen zum Dauerprotest vor dem Gebäude der Justizbehörde auf.

An den Universitäten Barcelonas fanden Vollversammlungen statt, zu denen die Studierendengewerkschaften aufgerufen hatten. Tausende Studierende zogen durch den Campus der Autonomen Universität Barcelonas, um für das Recht auf Selbstbestimmung zu protestieren.

Derweil ließ auch die Solidarität der Bevölkerung aus dem Rest des Staates nicht auf sich warten: Die Gewerkschaft der Landarbeiter*innen im andalusischen Süden solidarisierte sich genauso wie die Bask*innen im Norden und die Arbeiter*innen und Linken der spanischen Hauptstadt, Madrid, mit den festgenommenen Politiker*innen und der katalanischen Bevölkerung.

Der einzige Weg

Im aktuellen Stadium der „katalanischen Krise“, wie der institutionelle Konflikt zwischen spanischer und katalanischer Regierung in der Presse genannt wird, werden Monate zu Wochen und Wochen zu Tagen. Diese Tatsache spiegelt sich auch im Bewusstsein der Massen wider, das sich in Windeseile radikalisiert. Das kann man sowohl in der Arbeiter*innen- als auch in der Studierendenbewegung beobachten.

Die katalanische Regierung hat es ab 2012 geschafft, durch die formelle Übernahme der Forderungen die Unabhängigkeitsbewegung auf die zwar massiven, aber routinierten Mobilisierungen zum Nationalfeiertag Diada am 11. September zu beschränken. Auch in diesem Jahr gingen an diesem Tag wieder eine Million Menschen in Barcelona auf die Straße. Doch was bis vor wenigen Tagen vorherrschte, war die passive Anspannung und das Vertrauen in die bürgerliche Führung des Unabhängigkeitsprozesses aus PDeCat und ERC.

Die Festnahmen der 14 Regierungsmitarbeiter*innen, die Beschlagnahmung von 45.000 Wahlbenachrichtungen, Stimmzetteln und das Einfrieren der Konten der katalanischen Regierung – dieses Repressionspaket des Spanischen Staats war ein harter Schlag für die Durchführung des Referendums. Selbst der katalanische Vize-Präsident Oriol Junqueras musste dies inzwischen zugeben.

Doch es scheint so, als hätten die katalanischen Massen erkannt, dass sie sich nicht mehr allein auf ihre Regierung verlassen können und die Verteidigung des Referendums selbst in die Hand nehmen müssen. Nicht anders sind die überall aus dem Boden sprießenden Kundgebungen und Versammlungen zu verstehen. Gestern beschlossen Tausende Studierende einen Streik bis zum 1. Oktober und besetzten die Universität von Barcelona. Immer mehr Gewerkschaften und Dachverbände sprechen sich für das Recht auf Selbstbestimmung und gegen die zentralstaatliche Repression aus und werfen die Frage eines Generalstreiks zur Durchsetzung des Referendums auf.

Was vor wenigen Wochen noch als utopische oder ultralinke Forderung erschien, stellt die spanische Aggression heute für tausende Arbeiter*innen und Jugendliche ganz natürlich auf die Tagesordnung. Denn es ist tatsächlich so: Nur mit den Methoden des Klassenkampfes, der Massenstreiks und Mobilisierungen von Arbeiter*innen und Jugendlichen in Katalonien und um ganzen Spanischen Staat, kann das Recht auf nationale Selbstbestimmung erkämpft werden.

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