“Haben wir dafür gestreikt?“ – GEW-Führung sagt Streikwoche ab

30.08.2016, Lesezeit 6 Min.
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Kurz vor den Berliner Abgeordnetenhauswahlen wollten die angestellten Lehrer*innen mit einem einwöchigen Streik für ihre Forderungen kämpfen. Doch gestern sagte die GEW-Führung die Streikwoche ab. Im Gegenzug dazu erhält sie Versprechen vom Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD).

Wenige Tage fehlen noch zum Ende der Sommerferien in Berlin. Wie viele Schüler*innen schaute auch der Berliner Senat mit Sorge auf die ersten Schultage. Denn die Lehrer*innengewerkschaft GEW hatte zu einem einwöchigen Streik aufgerufen. Mit Kundgebungen und Demonstrationen sollte für „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“ Stimmung gemacht werden.

Doch am gestrigen Montag unterzeichnen GEW-Führung und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) eine gemeinsame Erklärung, in der die Gewerkschaft die Streikwoche absagt. Was wurde erreicht?

Versprechungen des Senators

Der Senator für Finanzen und die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft beabsichtigen, in die nach der anstehenden Wahl zu führenden Koalitionsgespräche einen Vorschlag einzubringen, um die nach neuem Recht für das Lehramt an Grundschulen ausgebildeten Lehrkräfte in der Entgeltgruppe 13 einzugruppieren. […] Die tatsächliche Umsetzung eines solchen Vorschlags obliegt dem Gesetzgeber; den den Senat nach der Wahl tragenden Parteien und ihren Fraktionen im Abgeordnetenhaus.

Diese schwammige Formulierung aus der Erklärung lässt einige Schlussfolgerungen über das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Kollatz-Ahnen und der GEW-Bürokratie zu. Denn darin verpflichtet sich der Finanzsenator nicht etwa, er „beabsichtigt“ nur, die nach dem neuen Lehrkräftebildungsgesetz ausgebildeten Grundschullehrer*innen mit den angestellten Lehrer*innen an Gymnasien gleichzustellen. Diejenigen, die nach dem alten Lehrkräftebildungsgesetz ausgebildet wurden – eine absolute Mehrheit, viele von ihnen mit zahlreichen Jahren Berufserfahrung –, müssen sich erst weiterbilden, um die nötige Entgeltgruppe zu erreichen.

Dazu kommen eine Reihe weiterer Versprechungen des Senators, beispielsweise bezüglich des Fortbestehens der „Stufe-5-Regelung“, sowie der Möglichkeit für Quereinsteiger*innen ohne volle Lehramtsausbildung, eine Erfahrungsstufe vorweg zu gewähren.

Gebundene Hände

Im Gegenzug dafür hat sich die GEW in der politisch wichtigen Wahlkampfphase und auch danach die Hände binden lassen. Streiks wären erst nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen Oktober/November 2016 möglich, und auch dann nur, wenn die GEW vorher das Gespräch mit den Finanzsenator sucht.

Doch es geht noch weiter: Sollte die neue Regierung die Versprechen für die Grundschullehrer*innen und die Stufenzuordnung der Lehrer*innen ohne volle Lehramtsausbildung einhalten, wird es „zu keinen weiteren Streikaufrufen [kommen], die sich auf Forderungen gegen das Land Berlin beziehen.“ Der Senat hat den Arbeitskampf der Lehrer*innen nicht nur verschoben, sondern kann ihn für relativ kleine Zugeständnisse beenden.

Damit spielt die GEW-Führung in erster Linie der SPD in die Hand: Ein wichtiger Arbeitskampf zu einem für die Regierung ungünstigen Zeitpunkt ist aus dem Weg geschafft. Damit hat die GEW-Bürokratie derjenigen Partei Hilfe geleistet, die gemeinsam mit der Linkspartei (damals PDS) das Ende der Verbeamtung einführte und Hauptfeind der streikenden Lehrer*innen war, Hunderttausende Wohnungen privatisierte und die Ausgliederung in Landesbetrieben einführte, gegen die sich heute in den Krankenhäusern wie der Charité und Vivantes der „Aufstand der Töchter“ erhebt.

Sollte die SPD, wie es nach den aktuellen Umfragewerten aussieht, in eine Koalition mit den Grünen und der Linkspartei gehen, könnte sich diese Regierung mit kleinen Maßnahmen den schon mehr als drei Jahre andauernden Kampf der Berliner Lehrer*innen vom Leib halten. Sollte sie sich jedoch für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU einsetzen, könnten die Forderungen die Koalitionsgespräche nicht überstehen, wodurch die Streiks zumindest lange hingezogen würden.

Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück

Damit ist das Ergebnis kein Schritt vorwärts für die kämpfenden Lehrer*innen: Weder Tarifvertrag, noch „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wurde damit erreicht. Wieder einmal hängen sie von dem guten Willen des Senats ab, der in Wahlzeiten riesig groß ist, doch immer wieder schnell verfliegt. Dass konnten die Lehrer*innen ein ums andere Mal beobachten. Und wieder einmal leistet die Gewerkschaftsbürokratie den Kolleg*innen der Berliner Schulen einen Bärendienst, indem sie nicht auf die Mobilisierung der Arbeiter*innen setzen.

Ein großer einwöchiger Streik hingegen, mit Kundgebungen und Demonstrationen, unterstützt von den sich im Konflikt befindenden Krankenhäuser Vivantes und Charité und Schüler*innen, zwei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl, hätte einen großen politischen Druck erzeugt, um der Ungleichheit ein Ende zu setzen. Das hätte auch ein Signal für andere kämpferische Belegschaften sein können.

Die Entscheidung sorgt bei vielen GEW-Mitgliedern für Unmut. Wenn man Reaktionen auf Facebook Glauben schenken kann, denken einige sogar über einen Austritt nach. Es ist verständlich, dass nach einem so langen und aufopferungsvollen Kampf Frustration darüber eintritt, dass die Gewerkschaftsführung immer wieder auf die Fallen des Senats hereinfällt und Ergebnisse abschließt, die nicht dem Interesse der Lehrer*innen entsprechen. Jedoch: Außerhalb der Gewerkschaft ist ein Kampf nicht möglich, wichtig ist es dagegen, in der Gewerkschaft mit möglichst vielen aktiven Kolleg*innen organisiert zu sein und für ein antibürokratisches Programm einzutreten.

Von dieser Situation können auch die Kolleg*innen vom Charité Facility Management (CFM) ein Lied singen. 2011 streikten sie für „Gleiches Geld für gleiche Arbeit“. Auch dort wurde der Streik von der Gewerkschaft mit der Begründung beendet, das Unternehmen sei zu Zugeständnissen bereit. Fünf Jahre später sind sie immer noch ohne Tarif und sie müssen erneut kämpfen.

Darauf müssen sich auch die angestellten Lehrer*innen schon jetzt vorbereiten. Keine der Parteien, die im kommenden Abgeordnetenhaus vertreten sind, wird ihre Forderungen erfüllen. Nur die Mobilisierung und die Zusammenführung der Kämpfe, wie bei Charité und Vivantes, kann den Sieg bringen.

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