Gewalt statt Hilfe: Wenn psychisch Kranke in Deutschland zu Opfern der Polizei werden

13.06.2025, Lesezeit 5 Min.
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Letzte Woche erschoss die Polizei in München eine Frau, die sich mutmaßlich in einer psychischen Ausnahmesituation befand. In diesen Situationen kann nicht mit Gewalt geantwortet werden.

Letzte Woche wurde eine Frau von der Polizei mit einer Dienstwaffe getötet, nachdem sie zwei Personen mit einem Küchenmesser leicht verletzt und Polizist:innen bedroht hatte. Stunden zuvor war sie von der Münchner Polizei bereits verhaftet, gefesselt und in Gewahrsam genommen worden, nachdem sie in einem Supermarkt in der Nähe der Theresienwiese auffällig geworden war; nach dieser ersten Konfrontation wurde sie kurze Zeit später bereits entlassen, nachdem die Polizei der Meinung war, sie hätte sich beruhigt. 

Vor einem Jahr im August 2024 ereignete sich in einem Supermarkt in Sendling ein nahezu identischer Fall. Eine 30-jährige mit einer Vorgeschichte psychischer Erkrankung bedrohte die Einsatzkräfte mit einem “kleinen Küchenmesser”, woraufhin diese viermal auf sie schossen und töteten. In Bayern starben seit 1997 nicht mehr so viele wie im vergangenen Jahr durch Polizeischüsse. Laut Innenministerium gab es vier Todesfälle und fünf Verletzte insgesamt.

Der bayerische Innenminister Johannes Herrmann ordnet das Verhalten der Polizist:innen im Interview mit der Springerpresse als nötiges Handeln zur Aufrechterhaltung der Sicherheit ein: “Ich bin der Münchner Polizei für das rasche Einschreiten und Stoppen der Messerstecherin sehr dankbar. Ihr Tod ist bedauerlich, war aber wohl leider unvermeidlich.”

So gerne der besorgte Bürger diese Einordnung glauben will: Was wir hier sehen, ist keine unvermeidliche und gerechte Verteidigung der Öffentlichkeit durch die Polizei. Wir sehen eine massive Gewalt einer Person gegenüber, die sich mutmaßlich in einer wahnhaften Episode befindet. Wahllose Angriffe gegenüber Unbeteiligten, ohne ein anderweitiges Motiv zu verfolgen, kann und sollte nicht anders verstanden werden als eine psychische Ausnahmeerscheinung. Die häufige Unfähigkeit der deutschen Polizei, sich in psychischen Ausnahmesituationen deeskalierend, hilfreich und gewaltfrei zu verhalten, sowie ihre strukturellen Ursachen sind schon länger Debatte und müssen auch weiterhin thematisiert werden, um weitere Eskalationen zu verhindern.

Gerade bei schweren Erkrankungen wie der Schizophrenie ist es Gang und Gebe, dass wahnhafte Episoden, sogenannte Psychosen, in der Akutphase auftreten. In diesem Moment sind die erkrankten Personen losgelöst von der Realität und es kann zu visuellen, vor allem aber akustischen Halluzinationen kommen; Wahnvorstellungen wie ein paranoider Verfolgungswahn treten auf, das Ich-Erleben verändert sich.

Viele Personen ziehen sich bei Beginn der Symptomatik zurück. Oft werden sie daher erst auffällig, wenn sie sich in einer akuten psychotischen Phase befinden. Aufgrund einer massiven Stigmatisierung dieser Erkrankung trauen sich viele auch erstmal nicht nach Hilfe zu fragen. Warum? Weil sie Fälle wie diesen sehen, Fälle wie Oisìn O. der mit 5 Schüssen erschossen wurde, während er mit einem Messer auf zahlreiche Polizist:innen zuging.

Wenn Polizisten mit ihrer Gewalttat als “Held:innen” gefeiert und Todesfälle wie jener der 30-jährigen Frau von Joachim Herrmann als “bedauerlich, (…) aber wohl leider unvermeidlich” dargestellt werden, vermittelt das psychisch erkrankten Menschen das Bild, dass ihre Erkrankung zwangsläufig zu gefährlichen Ausbrüchen führt, wobei diese Ausbrüche nur Sinnbild einer Gesellschaft sind, die keinen angemessenen Umgang erlernt hat mit solchen psychischen Erkrankungen einfühlsam umzugehen. Es wirkt nicht nur stigmatisierend, sondern erhöht die Hürde, sich die eigene Erkrankung einzugestehen; denn wer sieht, wie die Gesellschaft mit solchen Fällen umgeht, entwickelt oft Angst vor dem gleichen Schicksal, Angst vor Verurteilung, Rückzug und sucht gar nicht erst Hilfe. Und genau dieser Rückzug kann im schlimmsten Fall in eine psychotische Krise samt tragischer Ausschreitungen münden. 

Mehr Prävention statt Zwangsintervention

In solchen Fällen ist sofortige Hilfe notwendig; aufgrund des hohen Risikos, erneute Schübe zu erleben, benötigt es auch eine gute Nachsorge. Eine seit langem marode psychiatrische und psychologische Gesundheitsversorgung, sowohl in Klinik, als auch der Ambulanz, kann viele Bedarfe nicht erfüllen. Was wir stattdessen sehen sind Zwangseinweisungen und lange Aufenthalte auf der Geschlossenen.

Was wir brauchen, sind Communities, im Rahmen von Auffangsstationen für Betroffene. Sodass mehr Prävention statt Zwangsintervention geleistet werden kann. Ausgebildetes psychosoziales Fachpersonal, das bei Ausschreitungen mitkommt, um die Betroffenen zu beruhigen, statt mit Dienstwaffen auf sie zu schießen. 

All diesen Anspruch auf Hilfe wird die Frau nicht mehr erhalten können. Denn nun ist sie tot. Erschossen. Anstatt längst überfällige Hilfe zu bekommen, wird auf sie geschossen, sie erliegt ihren Wunden im Krankenhaus. 

Dass es so weit kommen musste, war nicht nötig. Die Gewalt hätte verhindert werden können. Sie wie der bayerische Innenminister als alternativlos darzustellen funktioniert nur, wenn man von all der Gewalt schweigt, die in unserem System existiert. Adäquate Gesundheitsversorgung und präventive Arbeit, weite Aufklärung in der Gesellschaft über psychische Ausnahmezustände verhindern Fälle wie diesen. Die Ressourcen einer so reichen Gesellschaft wie der Deutschen, nicht so zu verteilen, dass Menschen Hilfe und Betreuung erfahren, ist Gewalt. Enteignungen und eine gerechte Verteilung der Produktionsmittel, ein Streichen der Mittel für staatliche Repressionsapparate und der Aufbau von demokratisch organisierten Care-Systemen beendet Gewalt. 

Doch die Schüsse als Ausdruck einer ungerechten Gesellschaft zu verstehen, deren Systemen Gewalt innewohnt, liegt den Regierenden fern. Stattdessen plant Dobrindt eine weitere Aufrüstung der Bundespolizei mit Tasern, entgegen Expertenmeinungen dass hiermit nicht Todesfälle verhindert werden, sondern nur die Hemmschwelle zur Anwendung von potenziell tödlicher Gewalt verringert wird.

Für eine effektive Gesundheitsversorgung und soziale Gerechtigkeit, statt Lob und zusätzliche Gelder für Polizeigewalt!

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