Freiheit für alle politischen Gefangenen!

18.03.2023, Lesezeit 15 Min.
1
Foto: BortN66 / shutterstock.com

Am 18.3. ist der Tag der politischen Gefangenen. Die Militarisierung im Zuge des Ukrainekriegs geht mit einer Zunahme von Repressionen einher. Ob in Deutschland oder international, wir fordern die Freiheit für alle politischen Gefangenen.

“Strafen macht keinen Sinn”, sagte einst Karl Marx. Als Marxist:innen wissen wir, dass Gefängnisse nicht wie von der Bourgeoisie propagiert dazu dienen, bessere Menschen aus Delinquenten zu formen, sondern ein Instrument zur Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft sind. Für unsere Klasse haben sie keinen Nutzen. Für die Herrschende aber schon. Ansonsten wären sie aufgrund all der Studien, die nachweisen, dass sie nicht geeignet sind, um Kriminalität und Gewalt entgegenzuwirken, längst geschlossen. Sie dienen genau wie die Polizei dazu eben jene Klassengesellschaft, auf deren Grundlage Kriminalität in der Regel überhaupt erst entsteht, gegen jeden Widerstand zu verteidigen. Michel Foucaults historische Analyse des Gefängnissystems hat uns gezeigt, wie die Körperstrafe von der Freiheitsstrafe abgelöst wurde und somit das Ziel ist, nicht Körper (in der Regel), sondern der Seele der Menschen schmerzen zuzufügen. Dabei geht es in keinem Fall darum, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, sondern sie abzusondern. Soziale Beziehungen werden massiv eingeschränkt oder zerstört, die Möglichkeit, frei über das eigene Leben und die Zeit zu bestimmen, wird genommen. Der Mensch verliert seine Würde und Selbstbestimmtheit. Insbesondere für politische Gefangene sind die Haftbedingungen meistens noch härter, damit ihre politische Identitäten gebrochen werden. Aufgrund ihrer Isolierung geraten politische Gefangene meist viel zu schnell aus unserem Blickfeld. Der heutige Tag dient dazu, an sie zu erinnern und den Kampf für ihre und damit auch unsere Freiheit zu stärken.

Die Situation von politischen Gefangenen in Deutschland

Die gegenwärtige Situation in Deutschland ist bestimmt von einem scharfen Diskurs gegen die Klimabewegung. Systematische Polizeigewalt in Lützerath und monatelange Präventivhaft wegen Sitzblockaden zeigen, wo der Feind für die Regierenden steht. Auch wer gegen Nazis kämpft, muss mit staatlicher Verfolgung und teils jahrelanger Inhaftierung rechnen, wie der Fall Lina E. zeigt, die nun fast 900 Tage in Untersuchungshaft sitzt und besonders repressiven Haftbedingungen ausgesetzt ist. So wird sie zu jedem Prozesstag in einer Wagenkolonne mit Blaulicht gefahren, während sie hinter verdunkelten Scheiben Hand und Fußfesseln tragen muss. Erst nach Monaten wurde ihr gewährt, dass sie pro Prozesswoche einmal an die frische Luft gehen darf, in ein winziges Rechteck unter ständiger Bewachung. Die restliche Zeit ist sie von den anderen Angeklagten und Besucher:innen im Keller des Gerichtsgebäudes abgeschottet und eingesperrt. Selbst medizinische Versorgung wurde ihr monatelang verwehrt, wodurch bleibende Gesundheitsschäden entstanden sind. Die Kriminalisierung von Linken in Deutschland trifft nicht nur Klimaaktivist:innen und Antifaschist:innen, sondern insbesondere Migrant:innen.

Der deutsche Generalbundesanwalt Dr. Peter Frank war vergangenen Sommer in Ankara und traf dort neben seinem türkischen Amtskollegen auch Erdogan. Die Bundesregierung ist weder auf Anfragen der Partei DIE LINKE noch der Medien bereit, über den Inhalt der Gespräche Auskunft zu geben. Naheliegend ist aber, dass die Treffen dazu dienten, das Vorgehen der deutschen Justiz gegen kurdische und türkische Linke, die in Deutschland leben, nach den Interessen des türkischen Staats abzustimmen. Der Paragraf 129b StGB (terroristische Vereinigung im Ausland) fällt in die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaften.

In den letzten Jahren wurden viele türkische und kurdische Aktivist:innen in Deutschland gefangen genommen. Bspw. wurden Mitglieder der Musikgruppe Grup Yorum im Mai letzten Jahres inhaftiert. Ein zentraler Anklagepunkt ist die Organisierung einiger Konzerte, gegen die zunächst Verbote eingereicht wurden, welche aber der Überprüfung nicht standhalten konnten. Ins Fadenkreuz der Bundesregierung gerieten sie aber wohl vor allem deshalb, weil sie der DHKP-C nahe stehen, einer linken Guerillagruppe, die teils bewaffnet gegen das türkische Regime kämpft. Im Knast trat die Aktivistin Özgül Emre von Grup Yorum dann in den Hungerstreik, da ihr trotz Zusagen verwehrt wurde, persönliche Kleidung zu tragen. Im Hungerstreik hat ihr die Justizvollzugsanstalt dann verwehrt, Salz und Zucker zu sich zu nehmen, zwei Lebensmittel, die elementar sind, um bleibende Gesundheitsschäden durch einen Hungerstreik zu vermeiden. Ihr Beispiel ist leider nur eines von vielen. Durch den NATO-Beitritt von Finnland und Schweden im Zuge des Ukrainekrieges ist zu erwarten, dass die Repressionen gegen Linke aus der Türkei und Kurd:innen in Europa noch weiter verschärft werden. Wie die Kampagne Death in Custody und zahlreiche Berichte sowie Proteste von Gefangenen deutlich machen, kommt es auch in deutschen Gefängnissen immer wieder zur Verletzung von Menschenrechten, zu Ungleichbehandlung, Demütigung und letztendlich auch Mord an den Gefangenen. Es ist davon auszugehen, dass insbesondere BPOC Personen und Linke häufiger betroffen sind. So wurde Oury Jalloh 2005 in einer Zelle in Polizeigewahrsam vermutlich von den Beamt:innen aus rassistischen Gründen angezündet, eine Aufklärung wird seitens der Regierenden seit Jahren verhindert.

Gefangene und Repressionen in Russland und der Ukraine

Bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine war die Situation in den Gefängnissen der Ukraine sehr schlimm. In Berichten von 2005 und 2011 kritisierte Amnesty International beispielsweise die unzureichende medizinische Versorgung von Häftlingen und die Diskriminierung von Minderheiten durch Sicherheitskräfte. Auch von Folter war die Rede. Im neuesten Bericht vom Juni 2021 heißt es, dass einige Haftanstalten massiv überbelegt sind. Es gibt nicht genügend Betten für alle Inhaftierten. Die Zellen sind für die vielen Gefangenen viel zu klein und schlecht ausgestattet mit wenig Licht und Frischluft, fehlenden Tischen oder Stühlen in den Zellen. Regelmäßig treten Gefangene in den Hungerstreik oder verletzen sich aus Protest selbst. Der Krieg hat die Situation für alle Gefangenen nur noch weiter verschlimmert. Die deutsche Tageszeitung taz schreibt: „Verletzungen der Rechte von Gefangenen sind in der Ukraine an der Tagesordnung und werden auch in Zeiten des Krieges weiter begangen. Der Krieg hat die Verletzlichkeit von Gefangenen allerdings noch verschärft.“ Die meisten Gefängnisse erhalten nur etwa 5 Prozent der benötigten Gelder. Durch den Krieg fallen noch mehr Kosten an, beispielsweise, weil Gefängnisse auch von Raketen getroffen werden oder wegen Raketenangriffen nicht mehr versorgt werden können.

Repressionen gegen Gefangene und politische Gefangene existieren auch in der Ukraine.

Eine Gruppe, die besonders betroffen ist, sind LGBTQ Personen. In einer von der Europäischen Union finanzierten Studie aus dem Jahr 2021 heißt es: “Das gesamte Arsenal von polizeilicher Gewalt wird gegen LGBTQ Personen verwendet und es wird mit einer Art Erziehungsmethodik gerechtfertigt – viele Polizeibeamt:innen sehen ihre Aufgabe nicht nur darin, die Straßen von Kriminellen zu “reinigen”, sondern auch von LGBTQ Personen.”

Eine LGBTQ Person sagte in der Befragung: “Die Attitüde der Polizei gegenüber LGBTQ Personen gegenüber schwulen und lesbischen Paaren ist noch unter null, es ist so eine Einstellung wie gegenüber Tieren […].” Der Studie zufolge geraten LGBTQ Personen wegen ihrer Identität häufiger ins Fadenkreuz der Polizei und werden auch häufiger Opfer von Polizeigewalt. Wenn sie dann gefangen sind,  geht es mindestens genauso schlimm weiter, in der Studie heißt es: “Hinter Gittern werden sie sofort mit einem System der Diskriminierung konfrontiert, das seit vielen Jahren existiert – die kriminelle Subkultur ist längst eine informelle Institution, die den Rahmen für soziale Beziehungen setzt und stark auf Demütigung und Kaste setzt. Dieses Beziehungssystem setzt LGBT-Menschen auf die unterste Stufe der Hierarchie […]. Darüber hinaus unterstützen die meisten Mitarbeiter:innen der Anstalten diese Regeln (offen oder verdeckt) und demonstrieren durch die offene Verletzung von Artikel 14 des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Artikel 22, 24 und 28 der Verfassung der Ukraine diese Regeln (offen oder verdeckt). So verstehen sie immer wieder ihre Ablehnung von LGBT als Zeichen des Status.”

Unter den Haftbedingungen und dem autoritären Staat leiden aber nicht nur queere Menschen. Insbesondere erleben wir derzeit eine massive Repression gegen alle, die nicht dem Kurs der Regierung folgen. Da wäre beispielsweise der Fall von Yan Taksyur, einem bürgerlichen Journalisten und Autor, der sich immer wieder kritisch gegenüber den Regierungen äußerte und dem deshalb nun eine lebenslange Haftstrafe wegen Hochverrat droht. Er ist 70 Jahre alt und leidet an Krebs, seine Tochter hat eine Kampagne für seine Freilassung und den Zugang zu medizinischer Versorgung gestartet.

Insbesondere die ukrainische Linke ist von starken Repressionen betroffen. Viele linke Symbole und Lieder sind verboten und ihre Verwendung kann bereits zu mehrjährigen Inhaftierungen führen. Ebenso wurden fast alle relevanten Parteien des linken Spektrums verboten.

Neben Kritiker:innen der Regierung vom linken bis zum bürgerlichen oder prorussischen Spektrum treffen die Repressionen des Staates aktuell insbesondere Kriegsdienstverweiger:innen. Obwohl den Kriegsdienst zu verweigern als Menschenrecht gilt, ist es Männern zwischen 18 und 60 verboten, das Land zu verlassen. Es wurden Tausende Verfahren diesbezüglich eröffnet und langjährige Haftstrafen drohen. Um Menschen zu zwingen, wählt der Staat aber gerade nicht nur den justiziellen Weg. Zwangsrekrutierungen sind derzeit Alltag. In einem Artikel der Zeitung Junge Welt heißt es: “Mehrere Kleinbusse fahren plötzlich auf dem Marktplatz von Wasilkow im Gebiet Kiew vor. Ukrainische Soldaten springen heraus, einige davon mit Waffen. Sie sperren den Platz ab und beginnen, alle Männer zu ergreifen, die im Alter von 18 bis 60 Jahren scheinen. Zwanzig Männern werden Einberufungsbescheide zum Militär übergeben, vier weitere werden unter ­Schreien und Drohungen auch mit Waffen in den Bus gedrängt. Danach verlassen alle fluchtartig den Marktplatz.” Arbeiter:innen und arme Landebewohner:innen werden so rekrutiert und mit nur einem kurzen Training an die Front geschickt. Die Tageszeitung taz schreibt in einem Artikel über einen Kriegsdienstverweigerer: “Michail Nasarenko, Ende zwanzig, schwul, setzt sich seit vielen Jahren aktiv für die Zukunft seines Landes ein. Auf seine Weise: In NGOs, Kleinparteien, auf Protesten kämpfte er für Menschenrechte, die Gleichstellung von LGBTQ und für eine nachhaltige Wirtschaft. Über viele seiner Aktivitäten wurde in den Medien berichtet. Seine Posts und Videos wurden vielfach geteilt. […] Jetzt gilt er vor dem Gesetz als Verbrecher. In seiner Exilwohnung hat Michail Nasarenko die Vorhänge zugezogen und verhält sich möglichst still, erzählt er. „Ich mache auch nachts kein Licht an, damit niemand bemerkt, dass ich da bin.“ Nur selten geht er in den Supermarkt. „Essen kann ich online bestellen und liefern lassen.“ Sollte er erwischt werden, würde ihm wie vielen anderen auch eine mehrere Jahre lange Haftstrafe drohen.

In den letzten Jahren erlebten wir auch in Russland eine kontinuierliche Verschärfung der Repressionen durch neue repressive Gesetzgebungen und brutale Unterdrückung diverser Protestformen und Bewegungen. In den ersten Tagen des Krieges entstanden an nahezu allen Orten spontane Straßenproteste, die von der Staatsmacht von der Straße verdrängt wurden. Berichte von Verhafteten geben an, dass diese auch gefoltert worden sind. Nach dem Verschwinden der großen Straßenproteste entstanden neue Protestformen gegen den Krieg, wie das Verteilen von Flugblättern, das Sprühen von Graffiti und kleinere Spontandemonstrationen. Doch auch diese wurden nicht geduldet. Mit Verfahren wegen “Vandalismus” oder “der Vorbereitung eines terroristischen Anschlags” reagierte auch in diesen Fällen der Staatsapparat. Schließlich folgte eine Welle “militanter Einzelaktionen”, in denen Menschen versuchten, mithilfe von Brandstiftungen und Sabotagen gegen den Krieg vorzugehen. Die Kampagne “Solidaritätszone” macht die Schicksale von Menschen öffentlich, denen der Staat Sabotageakte vorwirft. Da wäre beispielsweise Vladlen Menshikov, der eine Bahnstrecke sabotierte, auf der Militärzüge verkehrten, oder Kirill Butylin der einen Brandanschlag auf ein Wehrersatzamt verübte und dabei die Akten von Wehrpflichtigen zerstörte und im Anschluss ein antiimperialistisches Manifest veröffentlichte. In diesem hieß es: “Ich hoffe, dass ich meine Klassengeschwister nicht in Gefangenschaft oder auf den Listen der Toten sehen werde. Ich denke, das sollte in Umlauf gebracht werden. Die Ukrainer werden wissen, dass es Menschen in Russland gibt, die für sie kämpfen, dass nicht jeder Angst hat oder gleichgültig ist. Unsere Aktivist:innen sollten inspiriert werden und entschlossener handeln. Und das sollte den Geist der russischen Armee und Regierung noch mehr brechen.”

Die Revolte im Iran

In kaum einem Land der Welt ist die Repression derzeit so schlimm wie im Iran. Von der patriarchalen Unterdrückung und der ökonomischen Krise entfacht, ging im letzten Jahr bis heute eine Massenbewegung auf die Straßen, die sich gegen das Mullah-Regime in seiner Ganzheit richtet. Der Staat reagierte auf die Proteste und Streiks mit brutaler Repression. 525 Menschen wurden bisher getötet, darunter 71 Minderjährige. 19.546 Menschen wurden verhaftet, darunter fast 1000 Studierende und Jugendliche. Viele wurden zu jahrelanger Haft und auch körperlichen Strafen wie Peitschenhieben verurteilt. Bei 110 Menschen lautet die Anklage auf Todesstrafe. Doch im Angesicht dieser schlimmen Situation verfallen viele Menschen trotz alledem nicht in Depression. Mindestens zwei Hinrichtungen konnten durch massive Proteste und Blockaden vor den Gefängnissen vorerst gestoppt werden. Die Polizeigewalt im Teheraner Evin-Gefängnis führte ebenso zu einem Protestmarsch von Tausenden, die sich mit den Insassen solidarisierten und Straßen blockierten. Der 18. März dieses Jahres steht insbesondere im Zeichen der Solidarität mit der Revolte im Iran, in Solidarität mit dem feministischen Befreiungskampf!

Die Periode, in der wir leben, ist geprägt von Krisen, Kriegen und Revolten. Damit einhergeht, wie wir an vielen Beispielen sehen können auch eine Verschärfung der Repressionen durch innere und äußere Militarisierung, den imperialistischen Konkurrenzkämpfen und den Anstieg von Armut. Weltweit landen viele Linke, Feminist:innen, Indigene, Umweltaktivist:innen und Gewerkschafter:innen hinter Gittern, weil sie für eine bessere Zukunft einstehen. Menschen, die im Iran für den Feminismus kämpften, in Deutschland für Solidarität mit Kurdistan, in den USA gegen die rassistische Unterdrückung, in Palästina für ein Ende der Besatzung, in Mexiko gegen die Unterdrückung von Indigenen oder in Russland für ein Ende des Krieges werden aufgrund ihrer politischen Identität inhaftiert, in vielen Fällen auch gefoltert oder ermordet. Gefängnisse sind im Kapitalismus Mittel und Zwang, um gesellschaftlichen Konsens herzustellen. Sie werden bewusst genutzt, um „politische Gegner:innen” des Staates zu unterdrücken, zu isolieren oder von ihrer Aktivität abzuschrecken. Wenn wir gegen das Gefängnissystem und die Repression vorgehen wollen, müssen wir uns gegen den Klassenfeind organisieren.

Ob heute oder morgen: Freiheit für alle politischen Gefangenen! Kampf den kapitalistischen Regimen und dem Imperialismus!

Mehr zum Thema