Frauen in der Corona-Krise – Wie die eigene Wohnung zum Käfig wird

02.03.2021, Lesezeit 10 Min.
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Foto: ErsinTekkol / shutterstock.com

Jobverlust, Wohnungsnot, Gewalt - Frauen erfahren durch die Pandemie auch im zweiten Lockdown eine besonders starke Belastung. Die Krise verstärkt ihre Prekarisierung immer mehr, während staatliche Hilfeleistungen ausbleiben. Doch die Probleme sind weder individuell bedingt, noch individuell lösbar – sie sind das Ergebnis des kapitalistischen Versagens.

Doppelte Belastung von Frauen in der Coronakrise

Während die Corona-Krise das Leben aller Menschen drastisch verändert, trifft sie Frauen besonders hart. Sie sind häufiger als Männer in systemrelevanten Berufen tätig – als Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Pflegerinnen und im Einzelhandel. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung liegt der Anteil von Frauen in systemrelevanten Berufen bei ca 75%. Bei diesen Arbeitsstellen ist der Wechsel ins Homeoffice nicht möglich, somit sind sie durch Arbeitsweg und Kontakt mit anderen Menschen auf Arbeit verstärktem Risiko einer Corona-Ansteckung ausgesetzt.

Wenn man mit Kleinkindern oder pflegebedürftigen Menschen arbeitet, lässt sich der Mindestabstand nunmal schlecht einhalten, wie gut die Arbeiterinnen mit Masken oder Desinfektionsmittel ausgestattet werden, oder ob sie bei Verdacht auf eine Infektion zuhause bleiben dürfen hängt vom Arbeitgeber ab.
Zudem arbeiten Frauen oft in Neben- oder Minijobs, da sie häufig die Hauptverantwortlichen für die Care-Arbeit zuhause sind. Durch die Corona-Krise wurden extrem viele dieser Jobs jedoch gekündigt, und verliert man seinen Minijob hat man auch keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung vom Arbeitsamt.

Doch nicht nur der Verlust des Einkommens ist in dieser Zeit eine große Belastung – durch das Wegfallen der Kitas und Schulen müssen Frauen nun neben der bisherigen Care-Arbeit, die sie komplett unbezahlt leisten, auch noch die Rolle von Erzieherinnen und Lehrerinnen für ihre Kinder übernehmen. Selbst die Frauen, die ihren Job nicht während der Pandemie verloren haben und im Homeoffice arbeiten können, sind stark vom Wegfallen der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder betroffen. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien zu Homeoffice im ersten Coronalockdown im März 2020 zeigte, dass fast 40 Prozent der Frauen während ihrer Lohnarbeit im selben Raum Kinder betreuen müssen – bei den Männern, die der Studie zufolge zudem auch oftmals ein eigenes Arbeitszimmer haben, waren es nur 19 Prozent.

Zu dieser zusätzlichen Belastung kommt oben drauf noch der Verlust von “Ausgleichsangeboten”: Es gibt keine Sportveranstaltungen mehr, Treffen mit Freund:innen sind untersagt – so gut wie alle Möglichkeiten, die oben beschriebene Doppelbelastung kurz hinter sich zu lassen oder etwas Ausgleich zu finden, sind plötzlich nicht mehr existent. Auch Angebote zum Austausch mit anderen Frauen, wie z.B. in Nachbarschaftshäusern sind im Moment nicht zugänglich. Wer dann neben schlecht bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Care-Arbeit die Zeit und Energie aufbringen kann, sich mit der Suche nach einem Therapieplatz zu beschäftigen, um vielleicht etwas mehr Unterstützung in dieser belastenden Zeit zu erhalten, steht vor der nächsten Hürde: unendlich langeWartelisten von Therapeut:innen – auch bei akuten Problemen, die den Alltag zusätzlich erschweren.

Unter diesen Aspekten leiden alle Frauen, am härtesten treffen sie jedoch die, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Viele migrantische Pfleger:innen gingen während der Pandemie zurück in ihr Heimatland, die eh schon schwere Wohnungssuche erscheint unmöglich, wenn man keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Diese Frauen arbeiten noch öfter in nun gestrichenen Minijobs, wodurch sich finanzielle Notlagen weiter verschlimmern.

Wie verstärkt die Mehr-Belastung patriarchale Gewalt?

Der psychische Druck wird dadurch für Frauen immer stärker, da bei steigender Belastung gleichzeitig die Rückzugs- und Hilfsmöglichkeiten wegfallen. Es entsteht eine Zusatzbelastung, wodurch die Probleme, die Frauen in einer kapitalistischen Gesellschaft erfahren, verstärkt werden. Ihre Prekarisierung nimmt deutlich zu, und mit ihr auch die Bedrohung durch patriarchale Gewalt.

Durch den Verlust von Jobs verlieren viele Frauen die Möglichkeit, eigenes Geld zu verdienen, womit ihnen automatisch ein Teil ihrer Autonomie genommen wird. Schon vor der Pandemie waren Frauen oftmals finanziell von ihren Partnern abhängig. Sich zu trennen bedeutet automatisch, die finanzielle Hilfe und Unterstützung des Partners zu verlieren, was vor allem für Frauen (besonders mit Kindern) häufig keine Möglichkeit ist. Wer finanziell vom Partner abhängig ist, entscheidet sich weniger wahrscheinlich für eine Trennung, weil der Lebensunterhalt alleine kaum bestritten werden kann. Mit niedrigerem Einkommen oder gar ohne Job ist es nahezu unmöglich, alleine oder mit Kind zu überleben.

Die Perspektivlosigkeit verstärkt sich auch durch den angespannten und profitorientierten Wohnungsmarkt. Wie schwer es ist, bezahlbaren Wohnraum in Großstädten wie München oder Berlin zu finden, weiß jede:r, der oder die schonmal eine Wohnung gesucht hat. Aber in Pandemie-Zeiten eine Wohnung zu finden, ist noch schwieriger – einerseits, weil der Markt sich zunehmend verkleinert hat und außerdem Wohnungsbesichtigungen unter Kontaktbeschränkungen kaum möglich sind. Selbst wenn Frauen sich für eine Trennung entscheiden, bleibt die Frage, wohin sie gehen können. Und wenn sie weder über ein hohes eigenes Einkommen verfügen, noch die Möglichkeit auf eine bezahlbare Wohnung haben, bleibt oft nur die Couch von Familienmitgliedern und Freund:innen. Und das in einer Zeit, in der der Alltag von Zuhause aus stattfindet. Sich dann noch ein Zimmer zu teilen, oder im Wohnzimmer zu wohnen und keinen Rückzugsort zu haben, bedeutet für betroffene Frauen eine noch stärkere emotionale Belastung.

Beide Aspekte nehmen Frauen die Möglichkeit, aus einer gewaltsamen Beziehung zu fliehen. An dieser Stelle, so könnte man meinen, sollten Frauenhäuser einen ersten Ausweg bieten. Auch wenn sie keine langfristige Lösung für Frauen darstellen und auch das Problem der finanziellen Not nicht beheben, können sie eine erste Anlaufstelle sein. Jedoch fehlen in Deutschland etwa 15.000 Plätze in Frauenhäusern, die nach Vorgaben des Europarats in der BRD verfügbar sein sollten. Aber aktuell ist man davon in Deutschland weit entfernt, Hilfe bleibt den betroffenen Frauen verwehrt.

Das Versagen des Marktes einerseits, und die Ignoranz der Regierung andererseits zwingt Frauen dazu, patriarchale Gewalt zu ertragen, da finanzielle Hilfen, bezahlbarer Wohnraum und Hilfsangebote fehlen. Betroffene Frauen werden dazu genötigt, die Gewalt in Kauf zu nehmen, weil die Angst vor Armut oder Obdachlosigkeit größer ist. Ohne eigenen Job und eine eigene Wohnung gibt es in unserer kapitalistischen Gesellschaft eben wenige Perspektiven.

Warum patriarchale Gewalt ein kapitalistisches Problem ist

Das Problem hinter den einzelnen Faktoren ist das System, dass von der Spekulation mit Wohnraum, von Privatisierung und von der systematischen Prekarisierung von Menschen lebt. Der freie Markt bietet Menschen keine Hilfe, existentielle Bedürfnisse befriedigt er nicht. Zusätzlich bietet der Staat zu wenig Unterstützung im Sinne der Finanzierung von Frauenhäusern oder Hilfeleistungen, außerdem sind die bestehenden Angebote meistens mit immensen bürokratischen Hürden verbunden. Der deutsche Staat versagt sogar bei der Aufgabe, die Vorgaben der europäischen Union einzuhalten und genügend Frauenhausplätze sicherzustellen – stattdessen werden weiter Unternehmen mit Hilfsmitteln vollgepumpt. Die kapitalistische Regierung stellt weiterhin Kapital vor Menschenleben. Die psychische Belastung für Frauen wird hingenommen, während Fabriken weiter geöffnet haben. Dass zeigt die Ignoranz des kapitalistischen Systems, dass marginalisierte Gruppen und Frauen bewusst leiden lässt und ihnen Hilfe verweigert.

Hinzu kommt ein kulturelles und ideologisches Problem: Der Kapitalismus lebt von der Ideologie, in der die Kleinfamilie als wichtige, gar heilige Instanz existiert. Diese Sphäre gilt als so heilig und intim, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden muss. Was in den eigenen vier Wänden passiert, ist Privatsache. Diese Ideologie wird nicht zuletzt dadurch bestätigt, dass Politiker, die die Vergewaltigung in der Ehe zur Privatsache erklärten und nicht legalisieren wollten, nach wie vor wichtige Posten innehaben. Indem diese Ideologie aufrechterhalten wird, werden Frauen davon abgehalten, über die Gewalt und Unterdrückung innerhalb der Familie zu sprechen. Von ihnen wird erwartet, die Familie zu “schützen”, und zwar um jeden Preis. Sogar, wenn das bedeutet, dass sie weiter in gewalttätigen Beziehungen leben müssen.

Patriarchale Gewalt ist kein individuelles Problem, dass nur auf das Versagen einzelner Männer oder einzelner Partnerschaften zurückzuführen ist, es ist ein gesamtgesellschaftliche Problem und als solches muss es auch behandelt werden. Der Kapitalismus erzeugt Krisen, in denen wiederum der psychische Druck und die materielle Not verstärkt wird, und weder die Regierung noch der Markt sind dazu im Stande, die daraus resultierenden Probleme der Menschen zu lösen.

Frauen werden in dieser Logik zu den Opfern einer Kette aus Gewalt, die Frauen und ihre Körper schrittweise abwertet. Es beginnt beim Lächerlichmachen und Cat-Calling und entläd sich schlussendlich in Gewalt und Feminiziden. Diese Kette der Gewalt ist ein kapitalistisches Phänomen. Die Gewalt wird oftmals ausgeübt von den Kapitalist:innen und ihrem Staat, aber auch von Männern, die sich zu Agenten des Kapitals machen. Es muss zusätzlich betont werden, dass nicht alle Frauen gleichermaßen von ihr Betroffen sind. Obwohl Frauen aller Klassen Gewalt erfahren, ist ihre Zielrichtung letztlich auf die Kontrolle der Frauen der Arbeiter:innenklasse gerichtet, denn gerade ihre Körper sollen der kapitalistischen Kontrolle unterworfen werden.

Der Kapitalismus bedingt und festigt die soziale Ungleichheit und die Prekarisierung von Frauen. Er ist die wahre Mutter aller Probleme und nur in seiner Überwindung kann auch die patriarchale Gewalt grundliegend überwunden werden.

Forderungen für die Bekämpfung von patriarchaler Gewalt

Die aktuelle Situation ist untragbar, weshalb wir eine Verbesserung der Bedingungen fordern. Hierfür schlagen wir verschiedene Möglichkeiten für Betroffene, aber auch Forderungen an die Regierung vor.

  1. Mehr Frauenhäuser und kostenloser und ausreichender Wohnraum, in dem Betroffene gefahrlos in Quarantäne können. Dies ist eines der wichtigsten Probleme, auch über die Diskussion um patriarchale Gewalt hinaus. Hierzu fordern wir neben der Enteignung der großen Immobilienkonzerne zusätzlich die Enteignung von ohnehin aktuell nicht benötigten Hotels, um den Bedarf an Wohnraum für Betroffene von Gewalt, Geflüchtete, wohnungslose Menschen und alle, die Bedarf haben, zu decken.
  2. Mehr Hotlines, auch/besonders für geflüchtete, migrantische, queere und behinderte Menschen, damit sie sich in Situationen von patriarchaler und sexualisierter Gewalt an diese wenden können. Das bedeutet eine Finanzierung für professionelle Dolmetschdienste und durchgehende telefonische Erreichbarkeit.
  3. Die Gründung von demokratischen, selbstorganisierten Frauenkomitees in Betrieben und in der Nachbarschaft, um eine kollektive Verantwortung zu übernehmen, funktionierenden Selbstschutz aufzubauen und Forderungen durchzusetzen. Der Staat und das Justizsystem bieten für Betroffene von Gewalt keine Lösung.
  4. Angemessene Arbeitsmaßnahmen in Zeiten der Coronakrise und darüber hinaus: Während der Zeit der Coronakrise ein komplettes Kündigungsverbot, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und bezahlte Freistellung bei Gewalterfahrung! Die Abwertung von als weiblich gelesener Arbeit schafft Abhängigkeitsstrukturen, deshalb braucht es Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich!
  5. Hygiene- und Sicherheitskommissionen, Entfristungen und Festanstellungen an allen Arbeitsplätzen!
  6. Ein Gesundheitssystem im Interesse (der Gesundheit) der Menschen und nicht in dem der Unternehmen und Konzerne: massive und kostenlose Tests, damit nur die in Quarantäne müssen, die zwingend isoliert werden müssen, die Erhöhung des Gesundheits- und Sozialbudgets und die Verstaatlichung des Gesundheitssystems!

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