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„Es besteht nicht nur die Gefahr einer Eskalation, sondern auch die reale Gefahr eines Krieges zwischen den USA und dem Iran“

05.01.2020, Lesezeit 10 Min.
Übersetzung:
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Iranian men burn the US flag during Supporters of the government and Iran's Supreme Leader Ayatollah Ali Khamenei at the demonstration in Ardebil on November 20, 2019 .

Die Ermordung des iranischen Generals Soleimani durch einen gezielten Militärschlag der USA droht, einen offenen Krieg mit unabsehbaren Folgen auszulösen. Um die Situation besser zu verstehen, interviewte unsere französische Schwesterseite Révolution Permanente Philippe Alcoy und Max Demian, die die internationale Sektion der Zeitung leiten.

Bildnachweis: AFP

Révolution Permanente: Könnt ihr uns einmal durch die Geschehnisse der letzten Tage führen? Wie passt dieser Militärschlag in die jüngste Eskalation zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran?

Max Demian: In Bezug auf die Ereignisse müssen wir sehen, dass es sich um eine große und sehr ernste Aggression der Vereinigten Staaten handelt. Sie ist Teil eines ganzen Zyklus steigender Spannungen, der von Donald Trump durch seine Entscheidung eingeleitet wurde, sich einseitig aus der Vereinbarung über das iranische Atomprogramm zurückzuziehen und eine Politik des „maximalen Drucks“ zu betreiben, um das iranische Regime in die Knie zu zwingen. Diese Politik hat das Regime in eine katastrophale Situation geführt und eine Reihe von Eskalationen ausgelöst.

Es gab gezielte Angriffe auf Öltanker im Golf, gefolgt von einem Drohnen- und Raketenangriff auf die Ölinfrastruktur in Saudi-Arabien im September, wodurch die Ölförderung des Regimes um fast die Hälfte reduziert wurde. All dies bedeutete für das iranische Regime, zu zeigen, dass es nicht bereit war, der Strategie des maximalen Drucks von Trump nachzugeben. Doch diesmal wird die Ermordung Soleimanis zweifellos viel weitreichendere Folgen haben.

Philippe Alcoy: In der Tat hatte es in den letzten Tagen eine neue Eskalation der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran gegeben. Am vergangenen Freitag hatte ein Raketenangriff auf einen US-Stützpunkts im Irak, der Militär und Zivilist*innen beherbergt, den Tod eines US-Zivilisten und mehrerer US-amerikanischer und irakischer Militärangehöriger verursacht. Washington machte eine pro-iranische Miliz, die Kataib-Hezbollah, verantwortlich und griff fünf ihrer Stellungen im Irak und in Syrien an. Als Reaktion darauf griffen die Anhänger der Kataib-Hezbollah die US-Botschaft in Bagdad an. Das führte zu der brutalen US-amerikanischen Reaktion, die zur Ermordung des iranischen Hauptgenerals Qassem Soleimani, aber auch des Milizführers der Kataib-Hezbollah, Abu Mahdi al-Muhandis, führte.

Das ist ein schwerer Schlag für den Iran. Soleimani war derjenige, der über mehrere Jahrzehnte die iranische Regionalpolitik überdachte und leitete. Trotz des Todes von Soleimani wird der Iran seine Regionalpolitik sicher weiterführen können. Aber es ist offensichtlich, dass die US-amerikanische Regierung die iranische politisch-militärische Führung in der Region und insbesondere im Irak „enthaupten“ wollten, und sie haben in dieser Hinsicht wichtige Schritte gemacht. Und dies wird selbst im Falle einer direkten Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran Konsequenzen haben: Teheran verliert einen seiner erfahrensten Generäle, der in der Lage ist, eine solche Konfrontation zu organisieren und zu führen.

RP: Genau, besteht nun die Gefahr einer Eskalation zwischen den beiden Ländern?

PA: Es besteht nicht nur ein „Eskalationsrisiko“, sondern eine reale Gefahr eines Krieges zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran. In diesem Sinne haben die Vereinigten Staaten gerade die Entsendung von 3.000 zusätzlichen Truppen in die Region angekündigt. Dies ist eine sehr bedeutende imperialistische Aggression, die selbst unter den westlichen Regierungen für einen Schock gesorgt hat.

Die Frage ist also nicht, ob der Iran zurückschlagen wird, sondern wann und in welchem Ausmaß. Angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen den beiden Staaten ist es sehr wahrscheinlich, dass der Iran einen US-Verbündeten in der Region, wie Israel oder Saudi-Arabien, angreifen wird. Aber der Iran könnte sich auch dazu entschließen, Angriffe von seinen Stellungen im Jemen oder Libanon aus durchzuführen. Angriffe gegen Diplomat*innen in der Region sind ebenfalls nicht auszuschließen, oder gegen US-amerikanische Militärstützpunkte am Persischen Golf (insbesondere Bahrain und Katar). Eine riskantere Aktion wäre ein Angriff auf einen US-Flugzeugträger, aber zum jetzigen Zeitpunkt kann nichts ausgeschlossen werden.

RP: Wie könnte der Iran in dieser Situation und angesichts des Eskalationsrisikos reagieren?

MD: Für den Iran ist es sehr schwierig, nicht zu antworten. Sie haben bereits angekündigt, dass sie antworten werden. Aber gleichzeitig wird das ihre Schwächen und Widersprüche offenbaren. Eine Reaktion auf der gleichen Höhe wie die US-amerikanische Offensive setzt den Iran einem verheerenden Krieg aus. Das Regime steht wegen der US-Sanktionen bereits am Abgrund; der Iran hat in letzter Zeit Volksaufstände erlebt, die er mit Blut und durch einen allgemeinen Stromausfall abgewehrt hat; seine Positionen und Errungenschaften in seinem Einflussbereich sind durch die anhaltenden Volksaufstände, insbesondere im Libanon und im Irak, destabilisiert worden. Trump setzt genau auf die Widersprüche des iranischen Regimes. Seine Politik des maximalen Drucks hat bisher versucht, den Iran deutlich zu schwächen und gleichzeitig das Risiko eines größeren Konflikts zu vermeiden. Aber dieser Angriff ändert die Situation. Washington wettet darauf, dass dies der Moment ist, dem Iran einen entscheidenden Schlag zu versetzen. Es ist klar, dass es für die Vereinigten Staaten ein riskantes Manöver war – aber eines, das ihnen erlaubt, das Spiel in die eigene Hand zu nehmen. In diesem Sinne müssen wir auch sehen, dass diese Militärschläge für Trump zu einem entscheidenden Zeitpunkt kommen, mitten in seiner Wiederwahlkampagne und zu einer Zeit, in der Nordkorea sein Atomprogramm wieder aufnimmt, was das Scheitern der von Trump inszenierten Verhandlungspolitik signalisiert.

PA: Wenn der Iran sich nicht der Situation gewachsen zeigt, wird es eine Niederlage sein, die vielleicht erhebliche Auswirkungen auf das Regime hat. Wenn sie proportional reagieren, wird das Kriegsrisiko erhöht, mit noch schlimmeren Folgen als in Syrien, was möglicherweise sogar tödlich für das Regime enden könnte. Die einzigen, die sich gegen eine noch dramatischere Eskalation entscheiden können, sind die USA. Aber dafür brauchen sie einen Sieg, das heißt eine iranische Antwort, die proportional unter ihrer eigenen liegt.

RP: Welche Konsequenzen könnten angesichts der Volksaufstände in vielen Ländern in der Region entstehen?

MD: Das iranische Regime hat Positionen in vielen Nachbarländern, die jetzt durch die Rückkehr des Klassenkampfes destabilisiert sind. Dies ist insbesondere im Irak der Fall, wo die Demonstrant*innen antiiranische Parolen skandieren, die die Korruption der Eliten und die Einmischung des Iran in die inneren Angelegenheiten des Landes anprangern. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation auf die Demonstrationen im Irak auswirken wird, aber es ist möglich, dass dieser Angriff das Gefühl der Einheit gegen den Imperialismus verstärkt, obwohl die iranischen Milizen im Irak bei den Menschen nicht beliebt sind.

Zugleich ist die Position des Irak gegenüber den USA ambivalent. Der Irak ist ökonomisch, politisch und militärisch sowohl vom Iran als auch von den USA abhängig; die Jahre des imperialistischen Krieges haben das Land ausgeblutet und ohne jede funktionierende Staatsstruktur hinterlassen. Dies ist einer der Gründe, warum die irakische Regierung den Abzug der US-Truppen nicht gefordert hat, zumindest bisher nicht. Noch einmal dieser Angriff könnte die Situation ändern: Wir müssen also sehen, wie die irakische Regierung auf diese große imperialistische Aggression auf ihrem Territorium reagieren wird.

Dies umso mehr, als die Folgen eines solchen Angriffs weitgehend unberechenbar bleiben. Sei es in politischer oder militärischer Hinsicht oder auch bezüglich der Auswirkungen auf den Ölpreis, der nach dem Angriff um 3% gestiegen ist. Eines ist sicher: Der Imperialismus stürzt die Region wieder einmal an den Rand des Abgrunds. Es ist unerlässlich, dass die sich jetzt in der Region und auf der ganzen Welt erhebenden Massen, die Arbeiter*innenklasse, die Jugend, die Frauenbewegungen und die unterdrückten Minderheiten, in Solidarität gegen diese große Aggression des Imperialismus zusammenstehen und gleichzeitig die reaktionäre Politik der regionalen Mächte anprangern. Diese werden versuchen, aus der Situation Kapital zu schlagen, um sich in einer Zeit, in der Volksaufstände sie zu Fall zu bringen drohen, neu zu legitimieren. Nur die Aktion der internationalistischen Klasse der Arbeiter*innen kann den Zyklen der Aggression und Kriege, die die Region zerstören, ein Ende setzen.

PA: In der Tat wird diese Aggression des US-Imperialismus zweifellos Auswirkungen auf die laufenden Massenmobilisierungen in der Region haben. Im Irak war es vor allem die schiitische Bevölkerung, die gegen das Regime und sogar gegen die iranische Einmischung demonstrierte (was nicht bedeutet, dass sie dem iranischen Volk feindlich gesinnt war). Dieser Angriff könnte eine Gelegenheit für das reaktionäre iranische Regime darstellen, seinen Einfluss unter den irakischen Schiiten wieder zu vergrößern, indem es sich als Garant der irakischen Souveränität gege die USA präsentiert.

Es ist sehr paradox, aber es ist eine Möglichkeit. Dasselbe gilt für den Libanon, wo die Hisbollah ihr wahres reaktionäres Gesicht gezeigt hatte, indem sie Demonstrant*innen angriff, aber auch im Iran, wo eine Massenmobilisierung gegen das Regime im Gange war. Es ist auch paradox, dass es die Ermordung von Soleimani ist, die dem iranischen Regime in der Region diese Möglichkeit eröffnet. Der General war vor allem im Irak sehr umstritten, weil er die Repressionen direkt gegen die Demonstrant*innen richtete, um den Status quo zu erhalten.

Zu diesem Punkt möchte ich eine Bemerkung zur Situation bezüglich des Angriffs auf die US-Botschaft machen. In der Tat lag seit Oktober letzten Jahres einer der wichtigsten geographischen Konfrontationspunkte genau am Eingang der sogenannten „grünen Zone“ in Bagdad, in der sich staatliche Institutionen, aber auch ausländische Botschaften, darunter die der Vereinigten Staaten, befinden. Während die pro-iranischen Milizen also in diesem Stadtviertel mit scharfer Munition auf Jugendliche und Arbeiter*innen schossen, die gegen das Regime demonstrieren wollten, konnten die Milizen und ihre Unterstützer*innen ungehndert gegen die Ermordung Soleimanis demonstrieren.

Dies ist ein kleines Beispiel für den schädlichen Einfluss des Irans im Irak und in der Region. Soleimani war ein schädlicher General, der von den mobilisierten irakischen Arbeiter*innen und Jugendlichen gehasst wurde, genauso wie sie das gesamte korrupte Regime, das der Iran und die USA seit 2003 errichtet haben, zu hassen beginnen. Es ist jedoch nicht die Hand des Imperialismus, mit der die Ausgebeuteten dieses abartige Regime loswerden könnten. In diesem Sinne bleibt die Ermordung von Soleimani eine imperialistische Aggression und ist keineswegs eine gute Nachricht für die Arbeiter*innen und die Jugend. Es liegt an den Arbeiter*innen und den ausgebeuteten und unterdrückten Klassen, ihre Henker selbst loszuwerden.

Dieses Interview erschien zuerst am 4. Januar 2020 auf Französisch bei Révolution Permanente.

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