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Einführung in den internationalen Klassenkampf

04.08.2023, Lesezeit 25 Min.
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Demonstrierende im Aufstand im Sudan 2019. Foto: Abbasher, lizensiert unter Wikimedia Commons.

Dieser Artikel basiert auf einem Vortrag, der auf der Veranstaltung „Klassenkämpfe in Europa“ am 25.05.23 gehalten wurde und auf Elementen des Artikels „Die marxistische Methode und die Aktualität der Epoche von Krisen, Kriegen und Revolutionen“ von Emilio Albamonte.

Das kapitalistische Weltsystem brachte in seiner 150-jährigen Geschichte multiple Krisen – sei es auf der Ebene der Ökonomie, Ökologie oder Kriege. So besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung über 50 Prozent des Weltvermögens, während die untersten 90 Prozent der Weltbevölkerung nur 10 Prozent besitzen. Oder anders: nur 36 Milliardäre verfügen über so viel Vermögen wie die Hälfte der Weltbevölkerung.

Gleichzeitig waren 688 Millionen Menschen im Jahr 2019 vom Hunger betroffen. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise ist die Tendenz steigend. Von Hunger sind vor allem abhängige und halbkoloniale Länder betroffen, deren Wirtschaft von imperialistischen Konzernen dominiert wird. Obwohl alle technischen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, schafft es die kapitalistische Weltwirtschaft nicht, den Hunger zu beenden. Im Gegenteil verschwendete sie alleine 2019 922 Millionen Tonnen an Lebensmitteln, die im Müll landeten. Das sind 120 Kilogramm pro Mensch, wenn man es auf die Weltbevölkerung aufteilen würde.

Auch während der Pandemie sahen wir, wie das Privateigentum an Produktionsmitteln und Konzernen eine Gefahr für die Weltgesundheit darstellt. So setzen sich die kapitalistischen Regierungen und Biotechnologie-Unternehmen gegen die Freigabe von Impfstoff-Patenten ein. Ende 2021 waren daher 67 Prozent der Bevölkerung in Deutschland zweimal geimpft, während in ärmeren Ländern nur 3 Prozent überhaupt Zugang zu Impfstoffen hatten. Ebenfalls wurden die hergestellten Impfstoffe zu solchen Preisen verkauft, dass alleine BioNTech 20 Milliarden Euro an Gewinn erzielen konnte. Ohne diesen Gewinn, also bei einer Vergesellschaftung der weltweiten Impfstoffproduktion, hätte man die Weltbevölkerung viel schneller und kostengünstiger mit Impfstoffen versorgen können.

Die Entstehung des Kapitalismus basierte auf dem Kolonialismus, der Millionen Mitglieder von indigenen Bevölkerungen Amerikas und Schwarze versklavt und ermordet hat. Die europäischen Bourgeoisien konnte sich durch die Sklavenarbeit und den Raub der Schätze der Kolonien enormen Reichtum aufbauen. Die beiden Weltkriege, die als Folge der kapitalistischen Konkurrenz um den Weltmarkt stattfanden, kosteten insgesamt über 77 Millionen Menschen das Leben. Ein beträchtlicher Teil davon wurde in kürzester Zeit in Massenvernichtungslagern ermordet.

Zu guter Letzt gibt es die Klimakatastrophe, die durch die Treibhausgasemissionen infolge unkontrollierter Industrieproduktion hervorgebracht wurde. Die kapitalistische Produktion ist somit nicht nur eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben der arbeitenden Massen, sondern für das Leben auf unserem Planeten insgesamt.

Es gibt also alle Gründe, den Kapitalismus als herrschendes Weltsystem abzuschaffen. Um dies zu schaffen, müssen wir verstehen, wie es funktioniert. In diesem Artikel fassen wir einige marxistische Grundlagen zusammen, die bei der Analyse der internationalen Situation helfen sollen.

In den letzten 15 Jahren gingen dutzende Millionen Menschen auf die Straße gegen ihre Regierungen in unterschiedlichen Wellen des internationalen Klassenkampfes. Während einige reaktionäre Regierungen gestürzt worden sind, mündeten diese Revolten nicht in sozialistische Revolutionen. Der revolutionäre Marxismus nimmt sich aber vor, nicht nur die internationale Situation zu analysieren, sondern in den Klassenkampf zu intervenieren, die richtigen Lehren aus der historischen Kämpfen zu ziehen, um die sozialistische Revolution durchzuführen.

Imperialismus: eine Epoche von Krisen, Kriegen und Revolutionen

Der Kapitalismus war nicht immer so, wie er heute ist. Anfang des 19. Jahrhunderts verbreitete sich die kapitalistische Produktionsweise in kleinen Manufakturbetrieben in westeuropäischen Ländern, wo sie noch nicht die vorherrschende Produktionsweise war. Durch die technologischen Entwicklungen der Produktivkräfte wie mit der Dampfmaschine wurde es möglich, eine größere Menge an Waren an konzentrierten Produktionsstätten in kürzerer Zeit zu produzieren. Es war kostengünstig, in größeren Mengen zu produzieren, was dazu führte, dass kleinere Unternehmen nicht mehr konkurrenzfähig waren, bankrott gingen und einige wenige Unternehmen die Märkte dominierten.

Diese Tendenz der Konzentration der Produktion führte gegen Ende des 19.Jahrhunderts zur Entstehung der sogenannten Monopole. Diese sind Unternehmen, die in einem bestimmten Markt den größten Anteil haben und durch ihre wirtschaftliche Macht die Preise weitgehend so bestimmen können, dass sie keine Konkurrenz erlauben. Die Tendenz, die Produktion für Profit immer und immer auszuweiten, stieß jedoch bald an ihre Grenzen. Der Bedarf an produzierten Industriegütern im Binnenmarkt blieb zu klein für die Menge der Produktion, sodass es notwendig war, im Ausland neue Absatzmärkte zu erschließen.

Ein anderer Faktor für diese Notwendigkeit der internationalen Ausweitung der kapitalistischen Produktionsweise war auch, dass die Kapitalinvestitionen in eigene Industriesektoren, die bereits entwickelt waren, sich nicht mehr lohnten. Es war profitabel, Fabriken aufzubauen und Investitionen in andere Länder zu tätigen (Kapitalexport), wo die Arbeitskraft billiger war und es keine großen Konkurrent:innen gab.

Ebenfalls mussten sich die Monopole für ihre komplexeren Produkte Rohstoffe in anderen Ländern sichern, was wir zuletzt auch in der Debatte um die Lithium-Ionen aus Lateinamerika sehen, auf die die deutsche Elektroauto-Produktion angewiesen ist. Heute werden die High-End-Produkte als Endprodukt von einer Produktionskette hergestellt, die dutzende Länder durchkreuzt.

Viele revolutionäre Marxist:innen, darunter auch Wladimir Iljitsch Lenin, analysierten diese Entwicklungen des Kapitalismus. Nach Lenin war am Anfang des 20. Jahrhunderts eine neue Epoche, die Epoche des „Imperialismus“, eingetreten. Diese Epoche war vor allem von Kriegen auf Weltmaßstab, Wirtschaftskrisen, aber auch Revolutionen geprägt. Lenin fasste die besonderen Merkmale des Imperialismus wie folgt zusammen:

  • Dominierung der Märkte durch Monopole und Finanzkapital
  • Große Bedeutung des Kapitalexports
  • Aufteilung der Weltmärkte durch die internationalen Trusts
  • Abschluss der territorialen Aufteilung der Erde durch die größten kapitalistischen Länder (Kolonialismus)

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges war es für die größten kapitalistischen Länder in Vertretung von ihren jeweiligen nationalen Monopol-Konzernen nicht mehr möglich, die Konkurrenz auf „friedlichem Wege“ auszutragen. Die Weltmärkte mussten militärisch mit Waffengewalt erobert und verteidigt werden.

Wir befinden uns heute immer noch in dieser Epoche des Imperialismus. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass es in dieser Epoche jahrzehntelang andauernde Weltkriege, wirtschaftliche Krisen und Revolutionen gegeben hat. Es gab lange Phasen der relativen Stabilität des Kapitalismus sowie Zeiten der Umbrüche.

Das kapitalistische Gleichgewicht

Um die Entwicklung des Kapitalismus als Weltsystem zu analysieren, brauchen wir eine entsprechende dynamische marxistische Methode. Trotzki entwickelte dafür 1921 das Konzept des „kapitalistischen Gleichgewichts“.

Das Gleichgewicht des Kapitalismus ist eine sehr komplizierte Erscheinung: der Kapitalismus erzeugt dieses Gleichgewicht, stört es, stellt es wieder her und stört es von Neuem, indem er zugleich den Rahmen seiner Herrschaft erweitert. Auf dem Wirtschaftsgebiete bilden solche beständigen Störungen und Wiederherstellungen die Krisen- und Prosperitätsperioden. In den Beziehungen zwischen den Klassen nimmt die Störung des Gleichgewichtes die Form von Streiks, Aussperrungen, revolutionärem Kampfe an. In den Beziehungen zwischen den Staaten sind die Gleichgewichtsstörungen: Krieg oder in schwächerer Form wirtschaftlicher Zollkrieg oder Blockade. Der Kapitalismus hat also ein bewegliches Gleichgewicht, das stets entweder gestört oder wiederhergestellt wird. Zugleich aber besitzt dieses Gleichgewicht eine große Widerstandskraft; der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass die kapitalistische Welt bis jetzt nicht zusammengebrochen ist. (Leo Trotzki:Die Weltlage, 1921)

Die wirtschaftliche Lage, geopolitische Spannungen und der Klassenkampf selbst sind also die drei bestimmenden Faktoren für das Gleichgewicht des Kapitalismus und die Entwicklung der internationalen Situation. Dieses Gleichgewicht wird immer wieder durch innere Widersprüche des Kapitalismus zerstört und wiederhergestellt.

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Wie können wir nun diese Methode verwenden, um die bisherige Geschichte des Kapitalismus zu analysieren? Für eine ausführliche Analyse verweisen wir auf den Artikel von Emilio Albamonte.

Die marxistische Methode nimmt die Profitrate (also Kapitalrentabilität oder return on investment) als einen der grundlegenden Maßstäbe in der Analyse der Entwicklung der Weltwirtschaft. Die Profitrate ist das Verhältnis zwischen dem vom Kapitalisten investierten Kapital und dem erzielten Gewinn. Je weniger diese Profitrate beträgt, desto weniger neue Investitionen werden getätigt, sodass die kapitalistische Wirtschaft sich verlangsamt.

Diese durchschnittliche Profitrate zeigt durch die Jahrzehnte international einen fallenden Trend, was aus den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Produktionsweise hervorgerufen wird, wie Karl Marx im Kapital theoretisch bewiesen hat. Die Profitrate zeigen jedoch eine wellenförmige Entwicklung in kürzeren Fristen. Die Märkte und Investitionen stocken, bis das kapitalistische Gleichgewicht durch Kriege oder die Durchsetzung neuer Modelle, Kapital zu akkumulieren, wiederhergestellt wird.

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Die durchschnittliche Profitrate erlebt kurz vor dem Ersten Weltkrieg, ab 1900 einen drastischen Fall, was die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen kapitalistischen Konzernen und geopolitische Spannungen verstärkt. Der Erste Weltkrieg ist in diesem Sinne eine Antwort der kapitalistischen Mächte auf diesen Fall der Profitrate, sodass einerseits die Märkte neu aufgeteilt werden, jedoch andererseits eine drastische Zerstörung der Produktivkräfte (Fabriken, Produktionsstätten, bis zu ganzen Städte) stattfindet. Erst diese Zerstörung erlaubt in der Phase des Wiederaufbaus, dass es sich wieder lohnt, zu investieren – die Profitraten steigen. Im Zweiten Weltkrieg erleben wir einen ähnlichen Verlauf.

Krieg und Revolution

Neben der wirtschaftlichen Entwicklung und der Geopolitik der Regierungen spielt der Klassenkampf die wichtigste Rolle. Die Kapitalist:innen versuchen in diesen Krisenphasen, die Kosten der Krise auf die Arbeiter:innenklasse abzuwälzen und im schlimmsten Fall, sie für neue Kriege zu begeistern. Das Proletariat hat im Grunde zwei Optionen: entweder kämpft es unter reformistischen Führungen, die im schlimmsten Fall die Massen für den Krieg zu begeistern versuchen, für einen scheinheiligen Kompromiss oder setzt sich zur Wehr, nimmt den Krieg und die tiefen Wirtschaftskrisen als eine Möglichkeit, die kapitalistische Ordnung an sich infrage zu stellen und für die politische Macht zu kämpfen.

Es ist kein Zufall, dass genau um die beiden Weltkriege zahlreiche revolutionäre Prozesse stattfanden. Die revolutionäre Welle 1917-1921: Erfolgreiche sozialistische Revolution und Bildung einer Arbeiter:innenregierung in Russland 1917, Große Streikbewegungen in England 1917, Revolutionäre Kämpfe 1918 in Deutschland/Österreich/Ungarn, Bildung einer Arbeiter:innenregierung in Ungarn 1919 und so weiter. Ebenfalls brachte der Zweite Weltkrieg die Enteignung des Kapitals in vielen Staaten Osteuropas, auch mit vielen Widersprüchen, sowie gescheiterte revolutionäre Prozesse in Griechenland, Italien und vielen weiteren Ländern.

Aktuell erleben wir wieder eine Etappe, in der die Spannungen zwischen den imperialistischen Mächten sich verstärken und militärische Konflikte sich vermehren. Früher oder später wird eine direktere Konfrontation der großen Mächte unvermeidbar, wofür sich Deutschland jetzt auch mit einer historischen Aufrüstung der Bundeswehr vorbereitet. Die internationale Arbeiter:innenbewegung hat die Aufgabe, mit Massenkämpfen und Generalstreiks einen neuen Krieg zu verhindern. Und wenn dieser trotzdem ausbrechen sollte, den imperialistischen Krieg zu einem Krieg der internationalen Arbeiter:innenklasse gegen die eigenen Kapitalist:innen und Regierungen zu verwandeln.

Vier Etappen der imperialistischen Epoche

Wenn wir das Konzept des kapitalistischen Gleichgewichtes auf die imperialistische Epoche anwenden, können wir vier Etappen identifizieren.

Die erste Etappe (ca. 1900 bis 1945) können wir somit vom Anfang der imperialistischen Epoche, der eigentlich bis zu den Kriegen vor dem Ersten Weltkrieg zurückdatiert werden kann, bis zum Zweiten Weltkrieg veranschlagen. Diese erste Etappe sah zahlreiche revolutionäre Prozesse, den Aufstieg des Faschismus, tiefe Wirtschaftskrisen sowie die zerstörerischsten Kriege. Viele der Lehren des revolutionären Klassenkampfes basieren auf dieser Etappe, die von vielen revolutionären Marxist:innen studiert worden ist. Das kapitalistische Gleichgewicht wurde in dieser Etappe auf internationalem Maßstab mehrmals zerstört und wiederhergestellt.

Als zweite Etappe (1945 bis 1970er) bezeichnen wir die Phase vom Zweiten Weltkrieg bis zur Entstehung des Neoliberalismus – also das „Goldene Zeitalter“ des Kapitalismus. Der Zweite Weltkrieg hatte ein widersprüchliches Ende. Einerseits wurde das Kapital in mehreren Ländern in Osteuropa und China enteignet, die Sowjetunion siegte im Krieg. Jedoch waren die neu entstandenen Arbeiter:innenstaaten von Anfang an deformiert und bürokratisch geführt, sodass trotz der kollektiven Planwirtschaft die arbeitenden Massen von der Ausübung der Staatsmacht seitens einer Bürokratie ausgeschlossen waren. Andererseits bestanden die Bedingungen dafür, dass der westliche Imperialismus sich erholen konnte.

Die sogenannte „Jalta-Ordnung“, bezogen auf die Stadt Jalta, in der die imperialistischen Mächte und Stalin die Nachkriegsordnung planten, basierte auf der „friedlichen Koexistenz“ der Arbeiter:innenstaaten mit dem Imperialismus. Der Kapitalismus konnte sich in dieser Phase wirtschaftlich neu aufstellen und verzeichnete einen starken wirtschaftlichen Aufschwung. Ebenfalls fanden große antikoloniale Aufstände in Afrika, Asien und Lateinamerika statt, die versuchten, sich vom Joch des Imperialismus zu befreien.

Die USA und ihre westlichen Alliierten führten einen „Kalten Krieg“ gegen die Sowjetunion, um sie zu isolieren und wirtschaftlich zu schwächen. Sie führten auch Stellvertreterkriege in Korea, Vietnam etc.

Die dritte Etappe (1970er-2008) fing mit der Bremsung des Aufschwungs des Klassenkampfes an, der mit der kubanischen Revolution begann und auch in Europa mit dem Mai ‘68 in Frankreich, Streikwellen in England, Italien, aber auch mit wilden Streiks in Deutschland seinen Ausdruck fand. In den Peripherien musste die Arbeiter:innenbewegung mit Militärdiktaturen, die von den USA unterstützt wurden, terrorisiert werden. 1973-74 fand eine große internationale Wirtschaftskrise statt, die seitens des Kapitals durch neoliberale Wirtschaftsreformen beantwortet wurde. Durch diese Strukturreformen wie die drastische Senkung der Löhne, Privarisierungswellen, Abbau der Errungenschaften der Arbeiter:innenklasse usw. konnte das Kapital einen neuen Aufschwung in der durchschnittlichen Profitrate erreichen.

Dieser bedeutete große Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse und ging auch mit einer internationalen politischen Offensive des Kapitals gegen die bürokratisieren Arbeiter:innenstaaten wie die Sowjetunion oder die VR China einher, um in diesen Ländern den Kapitalismus wiederherzustellen (Bürgerliche Restauration). Die Bürokratien der Sowjetunion und Chinas, die bisher aus der bürokratischen Führung der Planwirtschaft sich Privilegien schafften und eine Ausweitung der Revolution verhinderten, verwandelten sich zu direkten Agenten des Kapitals und führten die Wiederherstellung des Kapitalismus durch. Während die bürokratisierte Planwirtschaft in China zu einem „Staatskapitalismus“ führte, leitete die sowjetische Bürokratie mit einer „Schocktherapie“ den Übergang zur Russischen Föderation ein, die von einigen wenigen Oligarchen aus den Reihen der Sowjetbürokratie regiert wurde.

Es folgte eine Phase nach dem Fall der Sowjetunion, in der der Klassenkampf und die „Geschichte“ von bürgerlichen Ideologen für „beendet“ erklärt wurde. Das Kapital hatte scheinbar endgültig gesiegt. Der Individualismus wurde als einziger Ausweg für die Menschen aus ihrer Misere deklariert und die Arbeiter:innenklasse galt als „nicht mehr existent“. Der „siegreiche“ Kapitalismus zeigte sich jedoch alles andere als stabil und es fanden mehrere Krisen statt, wie in den Volksaufständen 2001 bis 2002 und die imperialistischen Invasionen in den Irak und Afghanistan, angeführt von den USA im Namen des „Kampfes gegen den Terror“.

Seit der Weltwirtschaftskrise 2008 erleben wir eine neue, vierte Etappe (2008-?) des Imperialismus, in dem die Tendenzen zu Krisen, Kriegen und Revolutionen aktualisiert werden. Das kapitalistische Gleichgewicht zerbrach zuerst mit einer schweren internationalen Finanzkrise, deren Ursache die Überschuldung im Immobiliensektor und in Finanzkonzernen hatte. Kapitalistische Regierungen retteten daraufhin mit Milliardenpaketen die Profite der Kapitalist:innen und eine große internationale Entlassungswelle fand statt.

Seit dem Ausbruch der Krise und der erneuten Abwärtsentwicklung der Profitrate fand das Kapital bisher kein Rezept für eine wirtschaftliche Erholung. Was wir im Gegenteil sahen, ist einerseits eine größere Konkurrenz zwischen kapitalistischen Ländern, die sich bis zu einem Zollkrieg zwischen den USA, der EU und China entwickelte und sich aktuell weiter verschärft, sowie andererseits eine seit Jahrzehnten nicht dagewesene neue Wellen des Klassenkampfes.

Die erste Welle des Klassenkampfes nach 2008 begann kurz nach dem Zusammenbruch des Bankensystems in den USA mit revolutionären Aufständen in Ländern des Nahen Ostens wie Ägypten oder Tunesien mit Platzbesetzungen und Massendemonstrationen. Die Proteste weiteten sich bis auf die USA mit den „Occupy Wall Street“-Protesten und nach Griechenland, dem Spanischen Staat, Syrien und Algerien mit Massenmobilisierungen aus. Die zweite Welle begann 2018 mit einer internationalen Wirtschaftsverlangsamung. Wir sahen Proteste der Gelbwestenbewegung, Massenstreiks in Frankreich sowie Rebellionen in Hong Kong, Algerien, Irak und ebenso in mehreren Ländern Lateinamerikas wie Ecuador, Chile usw. Die Besonderheit dieser zweiten Welle war einerseits, dass die Arbeiter:innenklasse auch in imperialistischen Zentren auf die Bühne trat, und andererseits, dass Fragen der Unterdrückung angesichts der antirassistischen Proteste wie der Black Lives Matter Rebellion oder feministischen Mobilisierungen für das Recht auf Abtreibung großen Einfluss ausübten.

Voraussetzungen der sozialistischen Revolution

Der Klassenkampf ist also zurück. Wir sahen mehrere Revolten und vorrevolutionäre Situationen, in denen Millionen von Menschen für den Sturz ihrer Regierungen auf der Straße waren. Jedoch kam es noch nicht zu Revolutionen, die zu einer Machteroberung der Arbeiter:innenklasse und Enteignung des Kapitals führten. Dabei ist es hilfreich, sich darüber klar zu sein, wie Revolutionen überhaupt stattfinden.

Wenn wir über die sozialistische Revolution reden, ist es wichtig, eine Unterscheidung zwischen der Bildung einer Arbeiter:innenregierung und Enteignung des Kapitals (also „Machteroberung“) und dem Aufbau des Sozialismus als ein Weltsystem, das für die Massen einen höheren Wohlstand als der Kapitalismus bringt, zu unterscheiden. Die Unterscheidung wird umso wichtiger, sobald bereits erfolgreiche sozialistische Revolutionen, im Sinne der Eroberung der Macht mittels einer Arbeiter:innenregierung, existieren und die Frage im Raum steht, wie nun der Übergang zum Sozialismus gestaltet werden kann.

Es existieren objektive und subjektive Bedingungen für die sozialistische Revolution. Unter objektiven Bedingungen können wir die langfristigen ökonomischen Bedingungen zählen, also überhaupt die Möglichkeit, dass die Arbeiter:innenklasse die Wirtschaft nach ihren eigenen Interessen gestalten und die Staatsmacht ausüben kann. Dazu gehört einerseits die zahlenmäßige Stärke des Proletariats, sodass sie entweder die Mehrheit der Bevölkerung bildet oder in der Lage ist, die Mehrheit der Bevölkerung anzuführen – was heute in allen Ländern gegeben ist. Andererseits gehört zu diesen objektiven ökonomischen Bedingungen die ausreichende Entwicklung der Produktivkräfte, um eine sozialistische Wirtschaft aufzubauen. Diese sind auf Weltmaßstab objektiv seit dem Anfang der imperialistischen Epoche andauernd gegeben.

Eine andere objektive Bedingung wären wirtschaftliche und politische Krisen, die aus den inneren Widersprüchen des Kapitalismus resultieren und periodisch auftreten. Diese sind notwendig, damit breite Massen der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten ihr Vertrauen in das kapitalistische Regime verlieren und sich in Bewegung bringen, um ihre Interessen zu verteidigen. Diese Phasen verzeichnen eine erhöhte Aktivität des Proletariats und der Unterdrückten, etwa durch Massenmobilisierungen oder Massenstreiks. Wenn diese zu einem Ausmaß kommen, in dem das kapitalistische Regime schwankt, können vorrevolutionäre Momente entstehen.

Eine besondere Krise stellt auch die sogenannte organische Krise dar. Diese bedeutet für Gramsci eine „strukturelle Krise des gesamten Regimes, welche tiefgründige Widersprüche offenlegt, die die herrschende Klasse nicht durch ihre gewöhnlichen Methoden lösen kann. Dadurch eröffnet sich eine Periode tiefgründiger Infragestellung der herrschenden Ordnung, in dessen Rahmen wichtige Sektoren der Massen mit den traditionellen Repräsentationsstrukturen wie den etablierten Parteien und den herrschenden Institutionen brechen – nach links oder nach rechts.“ Seit der Krise 2008 erleben wir in mehreren Ländern Elemente der organischen Krise, die die Entstehung von Massenbewegungen verstärken.

Die letzte Bedingung für die sozialistische Revolution sind die subjektiven Bedingungen: das Bewusstsein des Proletariats über ihre Stellung und ihr Potenzial in der Gesellschaft und das Vorhandensein von eigenen revolutionären Organisationen, mit der sie um die Macht kämpfen können. Also eine revolutionäre Partei, die in Zeiten der Revolten versucht die Mehrheit der Arbeiter:innenklasse von der Eroberung der politischen Macht zu überzeugen, sowie Räte-Organe, die in der Lage sind, die Arbeiter:innenklasse und ihren Verbündeten in diesem Kampf zu sammeln. Diese Räte werden dann nach einer erfolgreichen Revolution zu den Regierungs- und Selbstverwaltungsorgane des neuen Arbeiter:innenstaates. Wenn diese Organe im Entstehen sind und es eine reale Möglichkeit für die Machteroberung gibt, können wir über eine revolutionäre Situation reden. Ob eine solche Situation tatsächlich in eine Revolution mündet, hängt dann von der Schlacht des Proletariats und ihrer Partei sowie von der korrekten Politik ihrer Führung ab.

Eben diese subjektiven Voraussetzungen waren bei den Massenaufständen nach 2008 nicht erfüllt. Es fehlte eine revolutionäre Partei und räteähnliche Organe des Proletariats, um in entscheidenden Momenten der Proteste den Kampf für die Enteignung des Kapitals anzuführen. Da eine revolutionäre Führung mit genug Verankerung in der Arbeiter:innenklasse fehlt, konnten unterschiedliche Kräfte (reformistische Parteien und Bürokratien) der herrschende Klasse sich an die Spitze der Bewegungen stellen, um eine andere kapitalistische Regierung zu installieren, die das Regime wieder stabilisierte.

Was darüber hinaus bei der Beurteilung der objektiven Situation wichtig ist, ist, dass es sich in Realität stets um Übergangssituationen handelt. Es gibt selten rein revolutionäre oder konterrevolutionäre Situationen. Im Gegenteil ist die Realität ständig im Übergang von einer zu einer anderen. Stabilität kann sich in eine relative Instabilität umwandeln, während es in vorrevolutionären Situationen durch faschistische Putsche konterrevolutionäre Momente geben kann, bis hin zu raschen Wandlungen in reaktionären Wellen zu revolutionären Aufständen. Es ist daher lebenswichtig, dass die revolutionäre Führung diese Wandlungen in der Situation so konkret wie möglich definieren, vorhersehen und entsprechend handeln kann.

Permanente Revolution

Wir wiesen auf die Unterscheidung zwischen der Bildung einer Arbeiter:innenregierung und des Aufbaus des Sozialismus als ein politisches und wirtschaftliches Weltsystem hin. Dies bekommt für die Debatten um die revolutionäre Strategie im Weltmaßstab eine ungeheure Bedeutung.

Revolutionäre Marxist:innen wie Lenin und Trotzki gingen davon aus, dass der Sozialismus nur durch siegreiche Revolutionen in mehreren imperialistischen Ländern aufgebaut werden und siegen konnte. Sie stellten sich gegen Illusionen, dass eine Planwirtschaft gegen mehrere kapitalistische Länder auf lange Sicht bestehen könne oder dass eine solche Gesellschaft als „Sozialismus“ bezeichnet werden kann.

Der Grund war, dass einerseits die Produktivkräfte in der kapitalistischen Epoche des Imperialismus höchst internationalisiert sind, sodass nur eine internationale Planwirtschaft, die aus mehreren ehemals imperialistischen Ländern besteht, sich als eine Alternative aufbauen kann. Und andererseits, dass ein isolierter Arbeiter:innenstaat stets unter Angriffen der imperialistischen Mächte stehen würde und früher oder später dazu gezwungen wäre, kapitalistische Verhältnisse wieder einzuführen, falls die sozialistische Revolution sich nicht ausbreitet.

Eben deswegen stellte die linke Opposition in der Sowjetunion in ihrem Kampf gegen die stalinistische Bürokratie die Theorie der Permanenten Revolution der Theorie des „Sozialismus in einem Land“ entgegen. Die stalinistische Bürokratie versuchte nämlich, die eigenen Interessen als privilegierte Kaste, die im Erhalt des Status Quo bestanden, mit denen der internationalen Arbeiter:innenklasse zu ersetzen. Wie wir oben anführten, führte diese Politik zur Aufgabe der internationalen sozialistischen Revolution als Ziel und am Ende auch zum Fall der bürokratisierten Arbeiter:innenstaaten selbst.

Die wichtigste Lehre daraus ist, dass jede nationale Revolution und Bildung von Arbeiter:innenregierungen im Dienste der internationalen Revolution gestellt werden muss. Und dass es eine internationale revolutionäre Weltpartei der Arbeiter:innenklasse braucht, die mit einer einheitlichen Strategie sowohl in imperialistischen Zentren als auch in abhängigen und halbkolonialen Staaten in den Klassenkampf interveniert.

Internationale Lage heute

Aktuell erleben wir nach der Corona-Pandemie, die die zweite Welle des Klassenkampfes ab 2018 unterbrochen hatte, eine neue Welle des Klassenkampfes. Wir sahen in mehreren Ländern große Streikbewegungen gegen die Inflation, die durch den Ukrainekrieg und die Sanktionspolitik der westlichen Mächte befeuert wurde.

Wir können Mitte 2023 drei weitere bestimmende Elemente der internationalen Lage definieren, neben der neuen Welle des Klassenkampfes: unsichere Aussichten für die Weltwirtschaft; Krieg in der Ukraine als Teil der verschärften politischen Spannungen und die Konflikte zwischen den USA und China, die sich in weiteren möglichen Krisen in Taiwan sowie in Hong Kong ausdrücken können.

Für eine ausführliche Analyse der aktuellen internationalen Lage und Klassenkampf empfehlen wir den Artikel:„Die Rückkehr der ‚Epoche der Krisen, Kriege und Revolutionen‘ und die Perspektiven für eine revolutionäre internationalistische Linke“.

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