DWE macht Wahlkampf für Linkspartei und Grüne

23.01.2023, Lesezeit 9 Min.
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Aktivist:innen von DWE nach der letzten Berlin-Wahl. Foto: KGK

Im Vorlauf der Wahlwiederholung in Berlin macht die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ erneut Wahlwerbung für Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen. Aber dieser Ansatz ist schon einmal fehlgeschlagen.

Unter dem Titel “Wie stehen die Fraktionen zur Umsetzung des Volksentscheids?” legt die Website von Deutsche Wohnen & Co enteignen (DWE) eindrucksvoll offen, wie die Parteien es mit der Demokratie halten. Die erfolgreiche Kampagne hat 2021 einen Volksentscheid organisiert, in dem sich 59,1% der Berliner:innen für die Enteignung großer Immobilienkonzerne aussprachen: ein historisches Ergebnis! Im kürzlich veröffentlichten “Wahl-Tool zur Berliner Mietenwahl” zeigen die Aktivist:innen nun, welche Parteien und Abgeordneten den Willen der Bürger:innen tatsächlich durchsetzen wollen – und welche nicht. So stellt sich die Linksfraktion im Abgeordnetenhaus einstimmig hinter den Volksentscheid (24/24), die Grünen mehrheitlich (28/32), während die SPD sich mehrheitlich dagegen positioniert (9/36). Die anderen Parteien lehnen die Enteignung bekanntlich ab.

Die Ergebnisse dieser Untersuchung sind an sich interessant, schließlich offenbaren sie recht eindeutig die Doppelmoral vieler Politiker:innen sowie den Widerspruch zwischen Demokratie und Kapitalinteressen. Trotzdem hinterlässt die Veröffentlichung einen bitteren Beigeschmack: Nach der Verschleppung der Enteignung infolge der letzten Wahl, und nach der Räumung von Lützerath durch die Grünen, sind die Wahlempfehlungen von DWE wirklich die richtigen?

Verschleppung 2.0?

Schon ein flüchtiger Blick in das Wahl-Tool auf der DWE-Website wirft Fragen auf. Denn scheinbar war die Hürde, Wahlunterstützung von der Kampagnenführung zu erhalten, nicht allzu hoch. Klickt man etwa auf den SPD-Abgeordneten Lars Rauchfuß, der im Tool mit einem grünen Häkchen geschmückt ist (eine Befürwortung der Enteignung ausdrückend), wird schnell klar, dass es sich hier eigentlich um einen Enteignungsgegner handelt. Auf die Frage „Wie werden sie sich dafür einsetzen, dass die Vergesellschaftung umgesetzt wird?“ antwortet Rauchfuß: „Wie ihr wisst, habe ich beim Volksentscheid 2021 mit Nein gestimmt. Bisher unterstütze ich, indem ich darüber rede und Diskussionen dazu organisiere und ermögliche. Im Ziel sind wir uns einig, auf dem Weg dahin ist vor allem zu klären, wie das rechtssicher und bezahlbar geht.“ Warum spricht die Führung von DWE eine Wahlempfehlung für diesen durch und durch reaktionären Sozialdemokraten aus?

Bereits bei der ursprünglichen Abstimmung hatte die DWE-Führung auf die Berliner Regierung aus SPD, Grünen und Linkspartei, und darin vor allem auf die letzteren beiden gesetzt, um den Volksentscheid durchzusetzen – und wurde bitter enttäuscht. Wir schreiben hier von der „DWE-Führung”, da diese Entscheidung schon damals keineswegs der Meinung der kompletten Basis der Kampagne entsprach, in welcher wir auch aktiv waren. Während sich die Regierende Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey (SPD), augenblicklich gegen das demokratische Ergebnis stellte, trugen alle drei Parteien die Verschleppung bis heute mit. Obwohl die rechtliche Möglichkeit der Enteignung schon von verschiedenen unabhängigen Gutachten bestätigt worden war, wurde eine Expert:innenkommission beschlossen. Diese tagt und tut nichts. Besetzt ist sie mit drei Vertreter:innen der Kampagne und etlichen Enteignungsgegner:innen. Dass dort die Enteignung nicht beschlossen wird, ist also klar. Die Gründung von Kommissionen sind in kapitalistischen „Demokratien” ein nur allzu bekanntes Mittel, um den eigentlichen Willen der Wähler:innen nicht umzusetzen.

Leider können wir uns bei der Wahlwiederholung auf keine der Parteien verlassen. Bei der SPD ist das unumstritten. Während Giffey sich für Spenden aus der Immobilienlobby bedankt, beteuert sie abermals: „Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, mich für Enteignungen einzusetzen.“

DIE LINKE hat deutlich gezeigt, dass ihre sozialen Forderungen nicht über den Wahlkampf hinaus reichen und ihnen der Koalitionsfrieden mit SPD und Grünen wichtiger ist als das Wohl der Bevölkerung. Die Linkspartei ist so stark in den Staat integriert, dass sie nicht einmal in der Lage ist, für reformistische Forderungen Straßenprotest zu organisieren. Doch genau dieser ist jetzt nötig. Die einzige Perspektive, um gegen unsere horrenden Nebenkostenabrechnungen und Wohnungsnot vorzugehen, ist der Protest auf der Straße und in den Betrieben.

Die Grünen sind schon weitaus weniger überzeugt. Die Spitzenkandidatin Bettina Jarasch beruft sich allerdings ziemlich klar auf die altbekannte Strategie der Verschleppung: „Es gab ein klares Votum, aber auch viele offene Fragen – weniger beim Ob als vielmehr beim Wie. Ich erwarte, dass die Expertenkommission uns darauf Antworten geben wird, wie ein Enteignungsgesetz aussehen kann.” Auch aus internen Kontakten hören wir immer wieder, dass sich der Wille, den Volksentscheid wirklich umzusetzen, in Grenzen hält. Wie wir kürzlich in einem anderen Artikel betont hatten, ist es üblich für die linkeren Teile der Partei, sich verbal hinter radikale Forderungen zu stellen, diese aber dann bei der parlamentarischen Abstimmung einstimmig zu verraten – wie etwa bei der Abstimmung zum Bundeswehr-Sondervermögen oder Lützerath. Damit sind wir auch schon beim jüngsten Eklat der Grünen angekommen, der diese Partei endgültig unwählbar macht. Wie können wir es, als linke Gruppen und Klimaschutzbewegung, mit unserem Gewissen vereinbaren, eine Partei zu wählen, die Lützerath abbaggern lässt? Mit der Räumung von Lützerath ist die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels unerreichbar geworden. Die “grüne” Partei ist dafür verantwortlich! Vor diesem Hintergrund halten wir die Wahlempfehlung der DWE-Führung aus vielerlei Hinsicht für schädlich und falsch.

Glaube an den Reformismus

Die Wahlempfehlung entspringt einer grundlegend falschen Strategie der Bewegung und vor allem der Interventionistischen Linken (IL), die die Kampagne bekanntlich mittlerweile tonangebend anführt. So schreibt DWE auf Instagram „59,1 % der Berliner*innen haben mit ‘Ja!’ gestimmt. Bisher wollen sich ca. 40% des Parlaments für die Umsetzung einsetzen. Da fehlen noch 19 %!” Die Strategie der Kampagne ist eine parlamentarische und eine reformistische: Die Bewegung auf der Straße soll lediglich Druck auf die Regierung ausüben, damit sie den Volksentscheid durchsetzt. Dabei ist dieser keineswegs rechtlich bindend. So fungiert die Kampagne DWE, unter dem Einfluss ihrer Führung, als eine Art Lobbygruppe, die Bitten an die Regierung stellt.

Dabei wissen wir, wenn man zum Beispiel die Spenden der Immobilienkonzerne an die SPD betrachtet, dass es deutlich stärkere Lobbygruppen gibt, die Einfluss auf die Politik nehmen. Ohnehin ist der Staat, und auch das Land Berlin, strukturell abhängig vom Kapital: Die Besitzenden sitzen am längeren Hebel. Das heißt nicht nur, dass sie überproportionalen Einfluss auf die Politik nehmen können und einfacheren Zugang haben, selbst in die Politik einzutreten. Es heißt auch, dass wenn eine Regierung sich gegen die Kapitalinteressen einsetzt, die Besitzenden kurzerhand ihre Unterstützung zurückziehen oder an andere Kandidat:innen umleiten können. Im Extremfall kann die Kapitalist:innenklasse eigenständig die Wirtschaftsleistung drosseln und so das Leben aller verschlechtern, nur um Druck auf die Regierung auszuüben. Dagegen kann keine Regierung standhalten, auch keine linke. In Anbetracht der derzeitigen Wirtschaftskrise ist zudem nicht zu erwarten, dass die Besitzenden eine Bedrohung ihrer Profite hinnehmen würden. Die logische Konsequenz ist ein Kampf gegen den Staat und den Reformismus, statt mit ihm. Anstatt Bitten an die Regierung zu stellen, müssen wir unsere Kraft dort fokussieren, wo die Macht wirklich liegt: in der Wirtschaft und in der Arbeiter:innenklasse.

Ein Aufruf zur Wiederwahl von Grünen und Linkspartei ist also ein Aufruf zum „Weiter so”. Das ergibt sich einerseits aus der vorigen Analyse, aus der sich schließen lässt, dass selbst wenn die Linkspartei die relative oder sogar absolute Mehrheit im Parlament stellen würde, die Verbesserungen kleinteilig wären. In Deutschland hat sich das in Thüringen bestätigt, wo Ministerpräsident Bodo Ramelow sogar parteiintern Kritik an seiner rechten Politik aushalten muss. Aber auch geschichtlich und international gibt es zahllose Beispiele, wie etwa im Kontext von „Chiles Weg zum Sozialismus” („the Chilean Path to Socialism”). Hier wurde von der Unidad Popular unter Salvador Allende versucht, den Sozialismus mit den Mitteln der bürgerlichen Demokratie und Verfassungskonformität zu erreichen, was nur magere drei Jahre später in einem von den USA unterstützten Militärputsch endete. Das Resultat war “der erste Versuch des Neoliberalismus” unter General Augusto Pinochet, in dessen 17-jähriger Diktatur sich mehrere tausend Morde und mehrere zehntausend Fälle von Folter zutragen und der schließlich die bürgerliche Demokratie abschaffen sollte.

Andererseits ergibt sich die Ablehnung der Wahlempfehlung der DWE-Führung auch aus einem Realismus, selbst wenn man am Reformismus festhalten will. Denn Grüne und LINKE werden keine Mehrheit bilden: Die Linkspartei steckt in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung und bei den Grünen bahnt sich dieser Status nach Lützerath ebenfalls an. Wenn eine dieser Parteien an der Regierung beteiligt sein soll, dann als Juniorpartnerin unter SPD – oder, schlimmer noch, CDU. In keiner dieser Koalitionen ist eine Umsetzung des Volksentscheids realistisch. Es kündigt sich eine weitere Verschleppung an.

Wir bieten diese Analyse, die eine lange und viel bewährte Tradition verschiedenster linker Strömungen darstellt, als solidarische Kritik an. Wir sollten die Mobilisierungskraft einer so erfolgreichen Bewegung wie DWE in den Kampf auf den Straßen gegen die Regierung umlenken. Diesem Kampf können wir uns gemeinsam widmen. Unser Ziel muss die Überwindung von Staat und Kapital, von Unterdrückung und Ausbeutung sein. Nur so werden wir die Enteignung erreichen, von Immobilien- und Energiekonzernen, sowie vielen weiteren. Nur so werden wir den Kapitalismus abschaffen.

 

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