„Die Zeit der Geselligkeit ist vorbei“ – Massive neue Einschränkungen in Berlin beschlossen

07.10.2020, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Tim Lüddemann

Am Dienstag wurde bekannt, dass der Berliner Senat verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus beschlossen hat. Diese sollen vor allem private Feiern und öffentliche Partys treffen, während gleichzeitig der Arbeitsalltag normal weiterlaufen soll. Wir geben einen Überblick über die Einschränkungen und ihre Konsequenzen.

Der Neuinfektionswert pro 100.000 Einwohner:innen und der R-Wert haben beide eine kritische Grenze überschritten. Zwei der drei „Corona-Ampeln“ stehen deswegen in Berlin auf Rot. Diese Entwicklung des Infektionsgeschehens gab dem Berliner Senat genug Anlass neue Maßnahmen zu beschließen, die diesen Samstag in Kraft treten sollen.

Ab dem 10. Oktober gilt in Berlin zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr eine Sperrstunde, in welcher alle Geschäfte und Ladenlokale, also alle Kneipen und Restaurants, sowie Kioske und die typischen Berliner „Spätis“, schließen müssen. Lediglich für Tankstellen ist eine Ausnahmeregelung geplant, diese dürfen allerdings keinen Alkohol verkaufen. Außerdem treten neue Kontaktbeschränkungen in Kraft, nach welchen sich ab Samstag nach 23.00 Uhr nur noch maximal fünf Personen oder zwei Haushalte gemeinsam draußen aufhalten dürfen. Für private Feiern wurde die Obergrenze an Teilnehmenden von bisher 25 auf zehn Personen abgesenkt, die sich gleichzeitig in Innenräumen aufhalten dürfen. Bei Verstößen gegen die neuen Verordnungen drohen erhöhte Bußgelder ab 5.000 Euro.

Diese Maßnahmen richten sich ganz offensichtlich gegen Jugendliche und Partygänger:innen, von deren nächtlichen Zusammenkünften in den unterschiedlichsten Berliner Parks in letzter Zeit andauernd berichtet wurde. Dabei gibt sogar Katina Schubert, die Landesvorsitzende der Berliner Linkspartei ganz offen zu, dass man gar nicht wisse, „ob tatsächlich die Feiern draußen sind, die die großen Ansteckungsherde auslösen. Das wird [nur] vermutet.“ Während sich weiter tagtäglich tausende Menschen in die Berliner S- und U-Bahnen drängen, um zu ihrer Arbeit zu gelangen, in ihren Büros, Geschäften und Fabriken auf teilweise engstem Raum beisammen sind, wird in diese Abläufe, die die Produktion aufrechterhalten sollen, nicht grundlegend eingegriffen. Man will einen zweiten Lockdown verhindern, führt mit diesen Maßnahmen aber effektiv schon einen zweiten Lockdown durch, der alle Lebensbereiche herunterfährt, die nicht der Instandhaltung der gesellschaftlichen Produktion dienen.

Es ist eine politische Entscheidung der Rot-Rot-Grünen Landesregierung, das private Leben so stark einzuschränken, ohne auch nur ein Wort zu verlieren über die Auswirkungen und Risiken, denen die hunderttausenden Beschäftigten in ganz Berlin durch ihre Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Negativ betreffen wird dies vor allem die Jugendlichen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen, wie einer problematischen Wohnungs- oder Familiensituation, nicht an diese Einschränkungen werden halten können oder wollen. Es wird mit verstärkter Repression grade gegen migrantische Jugendliche zu rechnen sein, für die eine Aussicht auf ein Bußgeld von mindestens 5.000 Euro katastrophal ist.

Und nicht zuletzt helfen die massiven Einschränkungen der Landesregierung, politische Versammlungen und Proteste stark kontrollieren und einschränken zu können. Mit Blick auf die am Freitag anstehende Räumung des queer-feministischen Hausprojekts Liebig34 in Berlin-Friedrichshain, gegen die seit Wochen bundesweit in linken Kreisen mobilisiert wird, wird der Maßnahmenkatalog zu einem direkten Repressionsinstrument. Ganz offen erklärt Norbert Cioma, der Landesvorsitzende der „Gewerkschaft“ der Polizei (GdP) Berlin, wie Vergehen gegen die neuen Auflagen überprüft werden, dass „derartige Verstöße eigentlich nur bei Einrichtungen rund um die Liebig34 kontrolliert“ werden sollen. Die GdP beweist damit mal wieder eindeutig, dass sie keine Gewerkschaft ist, die die Interessen von Arbeiter:innen vertritt, sondern ein Handlanger der Repressivkräfte des bürgerlichen Staates, die sich offensiv gegen Arbeiter:innen und Jugendliche richten.

Die Einschränkungen sollen zunächst bis zum 31. Oktober andauern, bis dahin können sie aber auch jederzeit erneut verschärft werden. Es bleibt abzuwarten, wie die neuen Maßnahmen von den Menschen akzeptiert und von der Polizei durchgesetzt werden. Der Berliner Senat hat de facto einen zweiten Lockdown für das Privatleben der meisten Berliner:innen verhängt. Mit diesen weitgehenden Schritten will die Rot-Rot-Grüne Regierung beteuern, wie wichtig ihr die Gesundheit der Menschen ist. Durch massive Einschränkungen des Lebens für Millionen Berliner:innen lässt sich das leicht vortäuschen. Betrachtet man auf der anderen Seite beispielsweise die aktuelle Tarifrunde im Öffentlichen Dienst, wäre es ja auch eigentlich nur konsequent, wenn die Landesregierung so besorgt um die Gesundheit der Bevölkerung wäre, dass sie den Beschäftigten, die unser Gesundheitssystem aufrechterhalten, auch entsprechende gute Arbeitsbedingungen garantiert.

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