COP26: Alarmstufe Rot für das Klima und die kapitalistische Heuchelei

17.11.2021, Lesezeit 20 Min.
Übersetzung:
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Ilustration: Flavia Gregorutti

Der IPCC-Bericht und die Klimakonferenz COP26 in Glasgow verdeutlichen den Ernst der Klimakrise und den Zynismus der kapitalistischen Regierungen. Welche strategischen Alternativen gibt es, um die Zerstörung des Planeten zu verhindern?

Vorbemerkung der Redaktion: Der vorliegende Artikel wurde zuerst am 7.11.2021 bei Ideas de Izquierda auf Spanisch veröffentlicht. Erst nach der Veröffentlichung des Artikels ging der COP26-Klimagipfel in Glasgow zu Ende. Sein Ergebnis ist ernüchternd: Kohlekraft und Subventionen für fossile Brennstoffe sollen als Ziel nur „reduziert“, nicht abgeschafft werden. Zwar sieht das Abschlussdokument vor, die Emissionen bis 2030 um 45 Prozent und bis 2050 auf Null zu reduzieren, dies reicht aber lange nicht für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels aus. Die Industrieländer werden aufgefordert, ihr Versprechen einzulösen, armen Ländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels bereitzustellen. Bindend ist dies und andere Beschlüsse jedoch nicht. Die Ergebnisse der COP26 offenbaren erneut, dass die imperialistischen Mächte und die kapitalistischen Staaten der Welt sich zwar formal verpflichten, Klimafolgeschäden zu reduzieren, zu finanzieren und zu lindern, aber nur insofern das ihnen ermöglicht, ihre Geschäfte weiterzuführen. Sie setzen auf einen „grünen“ Kapitalismus des Emissionshandels und des Marktes für erneuerbare Energien. Die tatsächlichen Interessen der großen Mehrheit der Weltbevölkerung in der Bekämpfung des Klimawandels werden weiter diesem Profitinteresse geopfert. Warum das so ist und welche Alternative es dazu gibt, das beschreiben Juan Duarte und Santiago Benítez Vieyra im folgenden Artikel.

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Vom Sonntag, den 31. Oktober, bis zum 12. November fand in Glasgow, Schottland, die 26. Konferenz der Vertragsparteien (COP26) statt, die durch das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen von 1992 für die internationale Zusammenarbeit im Klimabereich eingerichtet wurde. Dieser Gipfel ist bis jetzt der größte, was die Zahl der Delegationen angeht, und wird von den Medien als „der bisher Wichtigste“ bezeichnet. Die Bedeutung liegt in der sich verschlimmernden Klimakrise im Zusammenhang mit der globalen Temperaturerhöhung und der Pandemie, zwei Nebenprodukten des Verhältnisses des Kapitalismus zur Natur. Die Konferenz fällt aber auch mit der jüngsten Veröffentlichung des Sechsten Berichts des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen der Vereinten Nationen (IPCC) zusammen.

IPCC-Bericht: Alarmstufe Rot und dringende Notwendigkeit einer Handbremse

Am 9. August wurde der erste Teil des Sechsten Sachstandsberichts (AR6) des IPCC mit dem Titel „Climate Change 2021: The Physical Science Basis“ (Klimawandel 2021: Die physikalischen Grundlagen) veröffentlicht, an dem 234 Autor:innen der Arbeitsgruppe 1 mitgewirkt haben, die seit 2016 14.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen untersucht haben. Der zweite Teil über „Auswirkungen“ (Gruppe 2) wird im Februar 2022 und der dritte Teil über „Abschwächung“ im März 2022 veröffentlicht. Die Entwürfe beider Berichte sind durchgesickert und zeigen, wie ernst die Lage ist, vor allem wenn man bedenkt, dass es sich um eine zwischenstaatliche Einrichtung handelt, die von der UNO abhängig ist.

Der veröffentlichte erste Teil des Berichts liefert vor allem wissenschaftliche Beweise für die Ernsthaftigkeit der Klimakrise. Zweifel bestehen im Bericht nur in Bezug auf das Ausmaß der Katastrophe. Im ersten und optimistischsten der fünf Szenarien (SSP1-1.9) – in dem angenommen wird, dass die Kohlendioxid (CO2)-Emissionen bis 2050 auf Null reduziert werden – steigt die globale Durchschnittstemperatur bis 2040 auf 1,5°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau und bleibt bis zum Ende des Jahrhunderts zwischen 1,2-2°C. Dennoch sind die klimatischen Folgen katastrophal. Extreme Wetterereignisse wie Starkniederschläge, Rekordüberschwemmungen, Hitzewellen, Dürren, Monsune, Megastürme usw. würden sich häufen; die Gletscherschmelze und der Anstieg des Meeresspiegels wären für Jahrtausende unumkehrbar. Alle Regionen und Ökosysteme der Welt wären davon betroffen, mit katastrophalen Folgen für das Leben auf der Erde. Das zweite Szenario (SSP1-2.6) ist ebenfalls optimistisch und sieht eine Temperaturerhöhung von knapp unter 2°C vor. Doch sie birgt noch viel größere Gefahren. Die anderen drei stehen eher im Einklang mit den aktuellen Trends im Kapitalismus, bedrohen aber direkt die Existenz der Menschheit. Der fünfte (SSP1-8.5) impliziert eine Erwärmung von 3,3 bis 5,7°C, was absolut katastrophal wäre.

Aber auch die durchgesickerten Stellen in den anderen beiden Teilberichten sind bedeutsam und aufschlussreich. Der Entwurf des zweiten Teils, der sich mit den „Auswirkungen“ befasst, warnt laut Agence France-Presse, die den Text erhalten hat, dass diese großen Klimaschocks „die Umwelt drastisch verändern und die meisten Arten auslöschen würden, was die Frage aufwirft, ob die Menschheit die Saat für ihren eigenen Untergang sät“. In dem Papier heißt es wörtlich: „Das Leben auf der Erde kann sich von größeren Klimaveränderungen erholen, indem sich neue Arten entwickeln und neue Ökosysteme entstehen. Die Menschheit kann das nicht.“ Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass „wir einen Wandel brauchen, der sich auf Prozesse und Verhaltensweisen auf allen Ebenen auswirkt: individuell, gemeinschaftlich, unternehmerisch, institutionell und staatlich. Wir müssen die Art und Weise, wie wir leben und konsumieren, neu definieren.“ Es sei darauf hingewiesen, dass die „optimistischen“ Szenarien des Temperaturrückgangs von der Einführung künftiger CO2-Abscheidungstechnologien ausgehen. Diese unsicheren und sogar umstrittenen Annahmen bergen – genau wie der Appell an dieselben kapitalistischen Regierungen, die uns hierher gebracht haben – ein hohes Maß an Zynismus.

Aber bedeutet das, dass es keinen Ausweg gibt? Ganz und gar nicht. Das bedeutet, dass alles getan werden muss, um das Überschreiten der 1,5°C-Grenze zu vermeiden. Die Zeit ist noch da, aber sie wird immer kürzer. Vor allem aber wird der Widerspruch zwischen den notwendigen und dringenden Maßnahmen und den Tendenzen und Bedürfnissen des Kapitalismus noch deutlicher.1 Der durchgesickerte Entwurf des dritten Teils befasst sich mit den Maßnahmen der „Abschwächung“ des Klimawandels. Obwohl die hypothetischen technologischen Verbesserungen, die eine relative Dekarbonisierung ermöglichen würden, absolut notwendig sind, würden sie nicht ausreichen, um unter 1,5°C zu bleiben. Ein gesellschaftlicher Übergang zu anderen Produktions- und Konsumformen ist erforderlich. Die Onlinezeitung CTXT hat dieses von Scientist Rebellion zur Verfügung gestellte Dokument geleakt, in dem es heißt, dass „keine neuen Kohle- oder Gaskraftwerke gebaut werden sollten und bestehende Kraftwerke ihre Lebensdauer verkürzen sollten“ und dass „einige Wissenschaftler:innen betonen, dass der Klimawandel durch die industrielle Entwicklung verursacht wird, und zwar durch die Art der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, die durch die nicht nachhaltige Natur der kapitalistischen Gesellschaft hervorgerufen wird“. Neben der sofortigen Beendigung der Förderung fossiler Brennstoffe ist es notwendig, die globale Energiematrix insgesamt zu verändern, die Städte und den Verkehr neu zu gestalten, den Fleischkonsum zu reduzieren und die Produktion von Kunststoffen drastisch zu verringern. Mit anderen Worten: ein Übergang zu einem wirklich nachhaltigen System. In dem Dokument wird auch die Frage der „Klimagerechtigkeit“ als zentraler Teil des Problems hervorgehoben: „Die obersten 10 Prozent der CO2-Emittenten (die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung, pro Kopf) tragen 36-45 Prozent der Treibhausgase bei, während die ärmsten 10 Prozent nur 3-5 Prozent beitragen.“ Das Dokument betont auch die Notwendigkeit eines „gerechten Übergangs“, bei dem „Arbeiter:innen, die Gemeinschaften an der vordersten Front [des Klimawandels, A.d.Ü.] und schwache Sektoren auf dem Weg zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft nicht zurückgelassen werden.“

Was seit 1992, dem Jahr der UNO-Rahmenkonvention, geschehen ist, zeigt die gegenläufigen Tendenzen des Kapitalismus. Seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 sind 50 Prozent der gesamten CO2-Emissionen seit Beginn des Industriezeitalters (1750) in die Atmosphäre gelangt, und allein in den letzten sieben Jahren wurden 10 Prozent emittiert. Nach dem Pariser Gipfel 2015 wurde sogar der größte Anstieg der CO2-Emissionen in der Geschichte des Kapitalismus verzeichnet. Mit anderen Worten: 30 verlorene Jahre bei der Bekämpfung der globalen Erwärmung, die von den kapitalistischen Konzernen gewonnen wurden, um weiter Geschäfte zu machen. Ein Beispiel dafür ist Exxon Mobil, das größte Öl- und Gasunternehmen der Welt, das laut internen Dokumenten seit 1977 die Auswirkungen der CO2-Anreicherung auf das Klima genau berechnet. Nichtsdestotrotz setzt es sich seither dafür ein, die Beweise zu diskreditieren.2

Die Worte von UN-Generalsekretär Antonio Guterres verdeutlichen den Ernst der Lage: Der IPCC-Bericht sei „die Alarmstufe Rot für die Menschheit“, sagte er. Ob die COP26 dieser Aufgabe gewachsen ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Hochstaplerei und „Business as usual“

Die Ziele der COP26 in Glasgow laut der UNO sind: 1) Vermeidung eines globalen Temperaturanstiegs von mehr als 1,5°C durch „kühne und rasche Emissionssenkungen“ und Netto-Null-Verpflichtungen; 2) Erhöhung der Gesamtausgaben für die Anpassung an den Klimawandel auf internationaler Ebene um mindestens die Hälfte; 3) Erfüllung der bestehenden Verpflichtung, jedes Jahr 100 Milliarden Dollar an Klimafinanzierung aufzubringen, damit die Entwicklungsländer in grüne Technologien investieren und ihr Leben vor den sich verschlechternden Klimaauswirkungen schützen können.

Doch schon vor Glasgow gab das G20-Treffen den Ton an: Nur 12 Länder verpflichteten sich, bis 2050 keine Emissionen zu verursachen (China und Saudi-Arabien nur formell und erst im Jahr 2060). Was bis 2030 halbiert werden müsste, wird stattdessen um weitere 15 Prozent wachsen. Sie haben sich auch zum ersten Mal dem neoliberalen Mechanismus des „Einsatzes von Anreizen und Mechanismen zur Bepreisung von Kohlenstoff“ als mögliches Instrument gegen den Klimawandel angeschlossen, und Boris Johnson sagte, dass sie die 100 Milliarden nicht aufbringen werden.

Wie der Guardian anmerkt, „kann man diesem COP nicht vorwerfen, dass ihm ein klarer Erzählbogen fehlt. Die Veröffentlichung von Anzeigen wurde geschickt eingefädelt, um den Eindruck von Fortschritt zu erwecken.“ Großartige Inszenierung.

Von den großen Emissionsländern hielt Joe Biden, Präsident des zweitgrößten Emittenten (Kopf an Kopf mit China), eine großspurige Rede. Allerdings wurde er durch das Clean Electricity Performance Program (CEPP) von einem Senator aus seiner eigenen Partei, einem Lobbyisten der fossilen Industrie, in den Schatten gestellt. Narendra Modi, Indiens Premierminister (fünftgrößter Emittent), versprach, dass sein Land bis 2030 die Hälfte seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Energien decken und bis… 2070 emissionsfrei sein wird. China, Russland und Brasilien (die dritt- und viertgrößten Emittenten) waren nicht anwesend.

Diese Woche gingen sie so weit, eine Verpflichtung zur Beendigung der Entwaldung bis… 2030 zu unterzeichnen. Allerdings war eine ähnliche Verpflichtung bereits 2014 unterzeichnet worden. Die Agrarindustrie machte problemlos weiter und verursachte sogar die Covid-19-Pandemie durch die Zerstörung von Ökosystemen und die Freisetzung von Viren durch Zoonose (im Falle Argentiniens, einem der größten Abholzungsverursacher, gibt es sogar eine frühere Gesetzgebung, die von der Agrarindustrie bis heute problemlos umgangen wird).

Eine Verpflichtung zur Verringerung der Methangasemissionen wurde auch von 100 Ländern unterzeichnet, darunter die USA, Brasilien und Argentinien (dessen Regierung das Gesetz über Feuchtgebiete, das neben der Viehzucht zu den Hauptverursachern von Methangasemissionen gehört). Darüber hinaus haben sich 40 Länder (darunter Polen, ein Großverbraucher) verpflichtet, Kohlekraftwerke zwischen 2030 und 2040 auslaufen zu lassen, während die USA, China, Australien und Indien, die Hauptverbraucher und -exporteure, dies noch nicht getan haben.3

Auf den Straßen von Glasgow demonstrierten am 5. und 6. November Zehntausende und forderten dringende Maßnahmen. Greta Thunberg war lapidar: „Es ist kein Geheimnis, dass die COP26 gescheitert ist […] Viele fragen sich, was nötig ist, damit die Mächtigen aufwachen […] Aber um es klar zu sagen: Sie sind bereits aufgewacht. Sie wissen genau, was sie tun […] Es scheint, dass ihr Hauptziel darin besteht, weiterhin für den Status quo zu kämpfen. Es handelt sich nicht mehr um eine Klimakonferenz, sondern um ein Greenwashing-Festival des globalen Nordens. Eine zweiwöchige Feier des ‘Business as usual’ und ‘bla, bla, bla’.“ Die bisherigen Fakten geben Greta Recht.

Erneuerbare Energien und „grüner“ Kapitalismus

Die COP ist auch zu einer Geschäftsplattform für den „grünen“ Wandel geworden. Der Fall der argentinischen Regierung, die mit dem Bergbaugiganten Fortescue eine Wahlkampfankündigung zur Produktion und zum Export von grünem Wasserstoff gemacht hat, ist nur ein Beispiel. Einwände gegen die Notwendigkeit von antikapitalistischen Maßnahmen werden mit dem Beispiel erneuerbarer Energien begründet. Wie Daniel Tanuro4 betont, ist der Anteil der erneuerbaren Energien in den letzten zwanzig Jahren um durchschnittlich 13,2 Prozent pro Jahr gestiegen, und laut der Internationalen Energieagentur (IEA) werden im nächsten Jahrzehnt mehr als 80 Prozent der Energieinvestitionen in diesen Bereich fließen. Es ist jedoch eine Lüge, dass der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen „fortgeschritten“ ist: Zwischen 2009 und 2019 sank der Anteil der fossilen Brennstoffe nur von 80,3 auf 80,2 Prozent; der Anteil der Kohle sank zwischen 1999 und 2019 um durchschnittlich nur 0,3 Prozent pro Jahr, während Erdgas um 2,6 Prozent und Öl um 1,5 Prozent zunahmen (2014-2019). Erneuerbare Energien decken nur einen Teil des frenetischen Energieverbrauchs, der unter anderem durch globale Just-in-time-Ketten angetrieben wird. Diese streben nach der maximalen Ausbeutung des Mehrwerts durch die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte überall auf der Welt und durch die anarchische Produktion von Wegwerf-Konsumgütern. Selbst Spekulationsgeschäfte nehmen solch irrationale Formen des Energieverbrauchs an wie das Bitcoin-Mining. Der Verbrauch des Militärs und irrationale, luxuriöse Verkehrsmittel (mit Jeff Bezos‘ rasanten Reisen in den Weltraum als Extrembeispiel) sind weitere Quellen von Verbrauch und Emissionen. Die Hälfte der Luftverkehrsemissionen stammt von den reichsten 1 Prozent der Weltbevölkerung.

Der Fall China veranschaulicht den Widerspruch zwischen dem grünen Wandel und der kapitalistischen Akkumulation: China ist der größte Produzent von Photovoltaikzellen, kündigte Dekarbonisierungsziele (bis zum Höhepunkt im Jahr 2030) und den Stopp des Baus von Kohlekraftwerken im Ausland an. Angesichts der Nachfrage nach Strom für die Produktion hat das Unternehmen jedoch die heimische Kohleproduktion aufgrund der steigenden Kosten für russisches Gas erhöht und plant den Bau von 43 Kraftwerken in verschiedenen Teilen der Welt.

In den USA sieht es nicht viel anders aus: Biden hat bereits jeden Flirt mit dem Green New Deal aufgegeben und in den ersten sechs Monaten des Jahres mehr als 2000 neue Genehmigungen für die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen auf öffentlichem und Stammesland erteilt (bis Ende des Jahres sollen 6000 Genehmigungen erteilt werden). Gleichzeitig verbraucht das imperialistische US-Militär mehr fossile Brennstoffe und stößt mehr umweltschädliche Gase aus als 140 Länder zusammen.

Insgesamt schätzen die Vereinten Nationen selbst, dass 15 Länder (darunter die USA) planen, die Produktion fossiler Brennstoffe bis 2030 im Vergleich zum Pariser Klimaabkommen mehr als zu verdoppeln: 240 Prozent mehr Kohle, 57 Prozent mehr Öl und 71 Prozent mehr Gas.5

Einen Monat vor Beginn der COP26 hatten die Organisator:innen angekündigt, dass die großen Ölgesellschaften nicht am Gipfel teilnehmen würden. Die Nachricht wurde als Sieg für Umweltschützer:innen gewertet, die ihren Ausschluss gefordert hatten. Nach Angaben von Friends of the Earth Scotland gelang es jedoch Unternehmen wie British Petroleum, Chevron, Equinor, Rio Tinto und anderen, sich unter dem Dach eines im Rahmen des Gipfels selbst eingerichteten „Business Hub“ einzuschleichen. Eine Fassade für den Handel mit Treibhausgasemissionen und dubiosen Kompensationsprogrammen.

Argentinien: Greenwashing, Leugnung der Rolle der Agrarindustrie und falsche Lösungen

Wo steht Argentinien bei den Treibhausgasemissionen? Die Zeitung Página 12 zitierte folgende Daten der Seite carbonbrief.org: 8,6 Gigatonnen CO2-Emissionen, weniger als andere periphere Länder wie Mexiko (20,6) oder Polen (28,1) und weit weniger als die USA (402) oder China (241,8). Berücksichtigt man aber die Landnutzung, so liegt Argentinien bei den historischen Emissionen mit zusätzlichen 23,7 Gigatonnen (insgesamt 32,3 Gt) auf Platz 14.6 „Argentinien ist mit 39 Millionen Hektar das sechstgrößte Land der Welt, was die Anbaufläche angeht. Nach offiziellen Angaben gehört das Land zu den zehn Ländern mit dem höchsten Netto-Waldverlust im Zeitraum 2000-2015. Die am stärksten betroffene Region ist der Parque Chaqueño, der nach dem Amazonasgebiet der zweitgrößte Abholzungsherd in der Region ist“, heißt es dort. Dies steht in krassem Gegensatz zu den leugnenden Behauptungen von Minister Julián Domínguez über die Rolle der Agrarindustrie. Auf Twitter erklärte er, dass „die agrar-bioindustriellen Systeme unseres Landes Teil der Lösung und nicht des Problems sind“. Offiziellen Angaben zufolge ist die Agrar- und Bioindustrie der Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen im Land: 9,8 Prozent aufgrund von Landnutzungsänderungen, 21,6 Prozent aufgrund der Viehzucht und 5,8 Prozent aufgrund der Landwirtschaft.

Dominguez‘ Äußerungen sind kein Einzelfall: Die BBC prangerte Versuche von Argentinien, Brasilien, Saudi-Arabien, Japan und Australien an, wissenschaftliche Daten aus dem Sechsten Bericht des IPCC über die Rolle des Fleischkonsums bei den Treibhausgasemissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen zu entfernen.7

Die Regierung von Alberto Fernandez versucht, die Verantwortung für die globale Erwärmung von ihrer Politik der Rohstoffausbeutung abzukoppeln. Ihr Programm umfasst nicht nur die bereits erwähnte Agrarindustrie, sondern auch die Ausbeutung von Offshore-Kohlenwasserstoffen, die Bereitstellung von Millionen an staatlichen Subventionen für das Fracking in Vaca Muerta (von der UN selbst als „Kohlenstoffbombe“ bezeichnet), den umweltschädlichen Mega-Bergbau und sogar pandemische Mega-Schweinefarmen zusammen mit China. Die Ankündigung der Produktion von grünem Wasserstoff mit Fortescue während der COP26 ist Teil der gleichen Rohstoffexportstrategie, um die unrechtmäßigen und illegalen Schuldenzahlungen an den IWF zu begleichen. Der Vorschlag der Regierung für einen „gerechten Übergang“ fordert den „Tausch von Finanzschulden gegen ökologische Schulden“.8 Dieser neoliberale Mechanismus setzt auf Marktlösungen, die nicht nur völlig unzureichend sind, wie der IPCC zeigt, sondern auch auf der Kommodifizierung der Natur und der Anerkennung kolonialer Mechanismen wie Schulden beruhen. Doch sie sind illegitim und illegal und könnten souverän missachtet werden, wie es die Front der Linken – Einheit (FIT-U) vorschlägt, als Teil eines Gesamtplans, der einen Teil dieser Ressourcen für eine energetische und agrarökologische Transformation vorsieht.9 Doch all das passt nicht zu den Plänen der Regierung und ihrer Hingabe an US-Präsident Biden. Vielmehr sehen sie die Möglichkeit, Geschäfte zu machen, um ihre Strategie der Rohstoffausbeutung zu vertiefen.

COP26 sagt „blah blah blah“, aber was sind die konkurrierenden Strategien?

Angesichts der globalen Krise, die durch den Klimawandel verursacht wird, schwankt der Kapitalismus zwischen zwei Strategien: auf der einen Seite eine Kampagne der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Auch wenn diese Kampagne mit Vertreter:innen wie Javier Milei in Argentinien oft lächerlich wirkt, ist sie doch allgegenwärtig, wie die Jahre der Trump-Regierung in den USA oder Jair Bolsonaro in Brasilien zeigen. Die zweite Strategie, die auf jedem Gipfeltreffen zum Einsatz kommt, ist die Idee eines „grünen“ oder „nachhaltigen Kapitalismus“, der sich auf internationale Vereinbarungen stützt, die nur wenige echte Verpflichtungen beinhalten. Diese Ökologisierung des Kapitalismus beruht auf der Anerkennung der Umweltzerstörung und der Notwendigkeit, einen Teil des „Naturkapitals“ als Strategie zur Verbesserung des Wirtschaftswachstums wiederherzustellen. Naturkapital ist ein Konzept, das das ökonomische Kapital erweitert, indem es einem Ökosystem oder den „Dienstleistungen“, die Ökosysteme für das menschliche Leben erbringen, einen Geldwert zuweist. In dieser Denkweise hat die Natur einen realen Tauschwert, und die Schaffung von Kohlenstoffgutschriften oder -tauschgeschäften auf Kosten der „Nichtverschmutzung“ ist logisch. Es ist also kein Zufall, dass Gipfeltreffen wie die COP26 von großen kapitalistischen Unternehmen und den Regierungen der größten Umweltverschmutzer der Erde dominiert werden.

Der grüne Diskurs konzentriert sich auf die Notwendigkeit steuerlicher Anreize für die Energiewende und verschweigt die Tatsache, dass die Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den meisten Fällen durch die Verlagerung der Produktion in periphere Länder erreicht wird. Die von den Gipfeln und den „grünen“ Agenden der Regierungen diktierten Maßnahmen werden nur so lange umgesetzt, wie sie die Geschäfte und Interessen der großen Konzerne, den Welthandel und die kapitalistische Produktion nicht beeinträchtigen. Die Heuchelei wird auf die Spitze getrieben: Wie wir bereits angedeutet haben, beruhen mehrere der vereinbarten Emissionsreduktionsziele auf dem Versprechen, dass in Zukunft Technologien entwickelt werden, mit denen CO2 in großem Maßstab aus der Atmosphäre zurückgewonnen werden kann. Hinzu kommen weitere Anpassungs- und Abschwächungstechnologien, die nur die Bereitschaft des Großkapitals offenbaren, ihre Geschäfte weiterzuführen, während sie auf eine Wunderlösung warten. Das Oxymoron „grüner Kapitalismus“ verschleiert die Tatsache, dass es unmöglich ist, die Klimakrise zu lösen, ohne die Gewinne der Unternehmen zu beeinträchtigen. Das Wesen des Kapitalismus ist die Ausweitung des Profits und der Akkumulation um jeden Preis. Selbst wenn diese Kosten die materielle Zerstörung des Planeten bedeuten.

Greta Thunbergs Aussagen zur COP26, oder von Bewegungen wie Fridays for Future und anderen Jugendbewegungen, machen an dieser Stelle Sinn: „Es sollte offensichtlich sein, dass wir eine Krise nicht mit denselben Methoden lösen können, die uns überhaupt erst in die Krise gebracht haben“. Dies ist eine korrekte Anprangerung des kapitalistischen Systems als Ursache der aktuellen ökologischen Krise. Allerdings fehlt diesen Bewegungen noch eine Strategie, um sie zu überwinden. Wir können den Kampf um das Schicksal des Planeten nicht auf die simple Anprangerung und Forderung an die politischen Vertreter:innen des Kapitals reduzieren, dringende Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts der Irrationalität des Kapitalismus und der Regierungen, die nur die Interessen der Konzerne verteidigen, besteht ein klarer Bedarf an drastischen und dringenden Maßnahmen durch eine rationale Planung der Weltwirtschaft oder, wie Marx sagen würde, durch „die Einführung der Vernunft in die Sphäre der wirtschaftlichen Beziehungen“.

Die Durchsetzung dieser Maßnahmen ist nur möglich, wenn die Planung der Wirtschaft in den Händen der einzigen Klasse liegt, die aufgrund ihrer objektiven Situation und ihrer materiellen Interessen in der Lage ist, den Rest der unterdrückten Sektoren zu führen, um eine Katastrophe zu vermeiden: die Arbeiter:innenklasse. Kleine, aber sehr wichtige Beispiele wie der emblematische Streik der Ölarbeiter:innen von Grandpuits gegen den Giganten Total in Frankreich oder die beginnende, aber wichtige Erfahrung von Madygraf in Argentinien zeigen dies klar. Die Arbeiter:innenklasse in ihrer ganzen Heterogenität – einschließlich der verschiedenen Nationalitäten, der indigenen Völker und des Kampfes der Frauen gegen die patriarchalische Unterdrückung – hat die soziale Kraft, ein Bündnis der Arbeiter:innen, des Volkes und der Jugend voranzutreiben, um der vom Kapitalismus aufgezwungenen doppelten Entfremdung von Arbeit und Natur ein Ende zu setzen und zu einer wirklich demokratischen und rationalen Planung der Wirtschaft voranzuschreiten.

Fußnoten

1. Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Roberts weist darauf hin, dass „der jüngste Bericht der Internationalen Energieagentur, der World Energy Outlook 2021, zeigt, dass wir wissen, was wir dagegen tun können, und zwar in allen Einzelheiten und zu erschwinglichen Kosten. Aber es fehlt der politische Wille der Regierungen, die stattdessen den Interessen der fossilen Industrie, der Luftfahrt- und Verkehrsbranche und des Finanz- und Industriekapitals insgesamt verpflichtet sind, die Profite auf Kosten der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu erhalten.“

2. Exxon wusste seit fast 40 Jahren vom Klimawandel, Scientific American, abgerufen am 5.11.2021 unter https://www.scientificamerican.com/espanol/noticias/exxon-tenia-conocimiento-del-cambio-climatico-desde-hace-casi-40-anos/.

3. Jonathan Watts, „Cop26 week one: the impression of progress – but not nearly enough“, The Guardian, 6.11.2021.

4. Daniel Tanuro, „COP26, basta de blablablá, sólo la lucha pagará“, Rebelión, abgerufen am 5.11.2021 unter https://rebelion.org/cop26-basta-de-blablabla-solo-la-lucha-pagara/.

5. Brad Plumer, „Fossil Fuel Drilling Plans Undermine Climate Pledges, U.N. Report Warns“, New York Times, 20.10.2021.

6. Gemessen in tCO2 pro Kopf ist die Bilanz noch viel schlechter: Dort liegt Argentinien mit 3.382 tCO2 an fünfter Stelle.

7. Justin Rowlatt und Tom Gerken, „COP26: Document leaking reveals nations lobbying to change key climate report“, BBC News, abgerufen am 5.11.2021 unter https://www.bbc.com/news/science-environment-58982445.

8. Wie Alberto Fernandez dieser Tage twitterte: „Mechanismen für die Bezahlung von Ökosystemleistungen, Tausch von Schulden gegen Klimamaßnahmen und Anwendung der Ausgabe von Sonderziehungsrechten des IWF auf einen Umweltsolidaritätspakt“.

9. Siehe das Programm der FIT U.

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