Berlin: Koalitionsvertrag von CDU und SPD für die Stadt der Reichen

04.04.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Ewa Draze / Shutterstock.com

CDU und SPD haben am Montag ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Sie versprechen „das Beste für Berlin“, liefern jedoch leere Worthülsen und eine verschärfte Law and Order Politik. Die neue Regierung wird Berlin noch mehr als R2G zur Stadt der Reichen machen.

„Berlin ist die Chancenmetropole Europas“, „ein Koalitionsvertrag für alle!“ und „miteinander statt gegeneinander“. Mit vielen wohlklingenden Phrasen und voller Selbstbewusstsein haben Kai Wegner (CDU), Franziska Giffey (SPD) und Raed Saleh (SPD) den neuen Koalitionsvertrag vorgestellt, der in den vergangenen Wochen erarbeitet wurde. Nun wird in den Parteien darüber diskutiert und abgestimmt. In einigen Punkten verspricht der Vertrag bei zentralen Problemen, wie beispielsweise den maroden Schulen und dem Lehrkräftemangel ambitionierte Verbesserungen, genauso sollen auch die outgesourcten Tochterunternehmen der Krankenhäuser wieder in die Mutterkonzerne eingegliedert werden. Versprechungen, die auch vorherige Regierungen machten und die nie umgesetzt wurden. Aber neben falschen Versprechungen drohen auch reale Veränderungen und diese werden nicht positiv sein. So ist ein noch massiverer Ausbau der Polizei und ihrer Kompetenzen zu erwarten.

Der Koalitionsvertrag wurde bereits von führenden Arbeitgeber:innen gelobt. Ironischerweise hat auch die Spitze vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) lobende Worte für den Koalitionsvertrag übrig. Berlin könnte mit diesem „Programm zur Hauptstadt Guter Arbeit“ werden. Den Hauch von Kritik muss man in ihrem Statement schon wohlwollend mit der Lupe suchen. Man wolle die Vorhaben vom neuen Senat „engagiert, konstruktiv und kritisch begleiten“. Insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Tarifauseinandersetzungen, in denen Arbeitgeber:innen vor allem mit miesen Angeboten glänzen, scheint dieses Lob für den Koalitionsvertrag vollkommen unnötig und unverständlich. Doch die DGB-Führung macht damit deutlich, dass sie den neuen Senat nicht ernsthaft herausfordern wollen. Die Interessen der Kolleg:innen werden dabei wie so oft auf der Strecke bleiben. Wirkliche Kritik an der GroKo gab es bisher nur von der Fußball-Fanszene. Wir haben uns die Pressekonferenz und den 135 Seiten langen Vertrag angesehen und fassen für euch zusammen.

Besonders hervor sticht der Teil im Koalitionsvertrag, der sich als „progressive“ Law and Order Politik zusammenfassen lässt. Auf der Pressekonferenz sprach Wegner zunächst davon, „wie bunt Berlin sei“ und dass „jeder hier nach seiner Fasson leben könne“, doch um das weiter gewährleisten zu können, brauche es „mehr Wertschätzung für die Polizei“. Ja, diese Überleitung hat er wirklich gemacht. Der neue Berliner Senat würde polizeiliche Videoüberwachung des öffentlichen Raums einführen, die Rechtsgrundlagen schaffen um alle Polizeikräfte mit Tasern und Bodycams auszustatten, einen bis zu fünftägigen Präventivgewahrsam ermöglichen und neue Ausrüstung sowie bis zu 1.000 neue Polizist:innen finanzieren, welche die Polizei noch „spürbarer präsent“ machen sollen.

Sicherheitsbehörden sollen sich nach Vorstellung von Giffey und Wegner auch an der Bekämpfung von Queerfeindlichkeit beteiligen, so sollen diese künftig am Runden Tisch „Schutz vor queerfeindlicher Hasskriminalität“ teilnehmen. Die Sicherheitsbehörden, die bekannt für ihre rechten Chatgruppen sind, Gewalt und Rassismus gegenüber BPoC Personen sowie Verstrickungen in rechtsextreme Gewalt, sollen eine „intersektionale Antidiskriminierungspolitik“ ausführen, wie es der neue Koalitionsvertrag beschreibt. Das ganze Konzept lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: „Freiheit und Sicherheit verbinden: Berlin wird nur dann auch künftig die Stadt der Vielfalt sein, wenn es gemeinsame Regeln gibt, die respektiert und durch einen starken Staat durchgesetzt werden“.Eine weitere Stelle im Koalitionsvertrag ist besonders dreist: „Wir schützen die Betroffenen von sogenannten „Feindeslisten“ durch frühzeitige Information, Schutz durch Meldesperren und konsequente Strafverfolgung der Täterinnen und Täter“. Im Fall des Neukölln-Komplex kann man ja sehen, wie Justiz und Sicherheitsbehörden (die SPD und CDU stärken wollen) in Berlin funktionieren. Sie sind der Aufklärung und Gerechtigkeit nicht dienlich; im Gegenteil. Auch unter dem kommenden Senat wird unser Kampf gegen rechte Strukturen in Polizei und Justiz weitergehen müssen, im Angesicht der Aufrüstung der Staatsmacht wohl noch schärfer als zuvor.

Auch Bekenntnisse und Initiativen zur Bekämpfung von antimuslimischen Rassismus finden sich im Koalitionsvertrag. Wegner, der noch vor einigen Monaten im Zuge der Silvester-Nacht in einem rassistischen Akt nach den Vornamen der Beteiligten fragte, will nun also als regierender Bürgermeister eine „intersektionale Antidiskriminierungspolitik“ machen. Unglaubwürdiger geht es wohl kaum.

Im gleichen Atemzug mit der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Islamismus wird dann auch noch die „Herausforderung“ der Bekämpfung linksextremistischer Bestrebungen genannt. Neben racial profiling und Polizeigewalt gegen Migrant:innen könnte dieser Senat auch die Repressionen gegen Linke weiter verschärfen.

Eine besonders heuchlerische Aussage traf auch Berlins aktuell regierende Bürgermeisterin Giffey, indem sie sagte, Berlin sei „die Hauptstadt der Frauen“. In Berlin streiken seit über einem Jahr die Lehrer:innen für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz. Ähnliches gilt für die Krankenhäuser, ein besonders feminisierter Sektor, die sich ebenso in den vergangenen Wochen in einem Streik befanden, der von der Regierung mit Füßen getreten wird. Der bisherige Senat war nicht einmal bereit, mit der Gewerkschaft der Lehrer:innen zu verhandeln. Die Aussage ist aber auch deshalb besonders dreist, weil Gewalt an Frauen zunimmt und auch der Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern weiter hoch ist. An den Gesamtschulen in Berlin beträgt er 12 Prozent, an Gymnasien 11,5 Prozent, um nur mal ein Beispiel zu nennen. Doch auch Giffey und Wegner wissen um die sozialen Probleme und probieren sie nicht nur durch unbegründetes Selbstbewusstsein, man erinnere sich an „Berlins bärenstarke Verwaltung“ mit der im Wahlkampf durch die SPD geworben wurde, zu kaschieren.

In Berlin fehlen Lehrer:innen und es werden noch viele mehr in Rente gehen in den nächsten Jahren. Die Universitäten bilden viel zu wenige aus. Daher nehmen sich CDU und SPD nun langfristig vor, dass 2.500 statt wie bisher 900 Lehrer:innen jedes Jahr ihre Ausbildung absolvieren. Das wären zwar immer noch nicht die benötigten 3.000, aber eine Verbesserung zum Status Quo. Doch wie sie das genau umsetzen und finanzieren wollen, ist nicht bekannt. Auch die vorherigen Regierungen haben solche Versprechungen gemacht, von einer Schulbauoffensive war beziehungsweise ist die Rede und von einem Ausbau der Kapazitäten an den Universitäten. Doch passiert ist bisher fast nichts. Daran wird sich unter diesem Senat sicherlich ebenso nichts ändern, bereits in der Pressekonferenz wurde betont, dass man sich dem „Gesetz der Zahlen“ verpflichtet und nicht Ideologie über Wirtschaftlichkeit stelle. Dass so wenig Lehrkräfte ausgebildet werden, liegt ja aber gerade daran, dass dieses Studium für die Universitäten wenig lukrativ ist. CDU und SPD werden genauso wenig regeln wie der Markt.

Franziska Giffey sprach in der Konferenz von zwei großen Zukunftsfragen, dem Klimaschutz und der Wohnungssituation. Zum Klimaschutz wurde dann auch erstaunlich viel gesagt, doch viel passieren wird trotz einer angekündigten „Investitionsoffensive“ nicht.

Dies liegt vor allem daran, wie eng sich die Klimaschutzvorstellungen der beiden (aber auch der anderen bürgerlichen Parteien) an die kapitalistische Produktionsweise koppeln. Ein großes Standbein in der „Mobilitätswende“ sollen zum Beispiel E-Autos sein. Doch diese sind enorm klimaschädlich. Abgesehen davon, dass zwei Drittel der E-Autos Zweit- oder Drittfahrzeuge sind, ist ihr CO2-Ausstoß im Vergleich zu normalen Autos je nach Größe des Modells gar nicht mal niedriger. Auch die für ihre Produktion benötigten Ressourcen sind endlich. Eine wirkliche radikale Verkehrswende, weg vom kapitalistischen Individualverkehr, wird in Berlin nicht möglich gemacht. Zwar ist geplant, die Kosten für ein ÖPNV-Abonnement in Berlin zu senken, doch wann genau die Umsetzung geplant ist und ob sie in Abstimmung mit dem Land Brandenburg wie angekündigt umgesetzt werden kann, konnte Giffey auf Nachfrage nicht beantworten. Erwarten können wir realistischerweise einen schleppenden Ausbau des ÖPNV und die Bevorzugung des Autos gegenüber dem Fahrrad.

In puncto Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ positionieren sich SPD und CDU ähnlich wie der bisherige Senat. Sie kündigten in der Pressekonferenz nach expliziter Nachfrage an, das Ergebnis zu respektieren und eine Entscheidung der Expert:innenkommission abwarten zu wollen. Sie machten aber bereits mit den üblichen Warnungen vor hohen Entschädigungssummen deutlich, nicht viel von dem Vorhaben zu halten. Im Koalitionsvertrag heißt es, sie würden potentiell ein „Vergesellschaftungsrahmengesetz“ verabschieden. Doch davon können wir uns nichts erhoffen. Die Kampagne DWE schreibt dazu:

Statt Vonovia und Co. zu enteignen, wollen CDU & SPD ihnen Wohnungen abkaufen – aber der Aufkauf von Schrottimmobilien zu aufgeblähten Spekulationspreisen schützt keine Mieter:innen, sondern soll strauchelnde Großkonzerne aus ihrer selbstverschuldeten Schieflage retten […] Mit ihrer wohnungspolitischen Luftnummer wollen CDU & SPD die Berliner Mieter:innen für dumm verkaufen und die SPD-Basis besänftigen.

Wie unter rot-grün-rot soll es eine „Bauoffensive“ geben. Dafür sollen unter anderem private Wohnungsunternehmen mit weniger Hürden gefördert werden, hieß es auf der Pressekonferenz. Von den geplanten Wohnungen, die wohl zum Großteil gar nicht erst entstehen werden, sind nur 25 Prozent als Sozialwohnungen geplant. Dieser Vertrag trägt ganz klar die Handschrift der Immobilienlobby. Zu allem Überfluss ist wohl geplant, dass die Gegnerin des Volksentscheids Franziska Giffey, sollte der Koalitionsvertrag angenommen werden, Bausenatorin wird.

Aber nicht nur das Ergebnis dieses Volksentscheides wollen die Parteien nicht umsetzen. Sie planen ebenfalls, das Tempelhofer Feld zu bebauen, womit sie einen weiteren Volksentscheid missachten. Dafür sollen aufwendige Pläne entwickelt werden, um dann noch einmal eine Befragung in der Bevölkerung durchzuführen.

Um Berlin steht es schlecht, marode Schulen, Personalmangel, wohin das Auge reicht, Armut ohne Ende, Wohnungen zu astronomischen Preisen. Die Liste ließe sich noch lange fortführen. Auf heuchlerische Weise geben sich Wegner und Giffey wie der vorherige Senat weltoffen und machen einige soziale Versprechungen, doch umgesetzt wird letztendlich nur das, was dem Staat und den Reichen nützt.

In der Berliner SPD ist die Koalition auch nicht unumstritten. Die Kreisverbände Neukölln, Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg haben sich explizit gegen eine große Koalition ausgesprochen. Auch in anderen Bezirken war das Votum nicht einheitlich, auch wenn sich letztlich trotzdem die große Mehrheit für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen hat. Kämpferische Zeiten stehen bevor.

Dabei darf ein Zurück zur rot-rot-grünen Koalition, die die höchste Abschiebequote Deutschlands zu verantworten hat, die Polizeiwache am Kottbusser Tor eröffnete und sich ebenso der Enteignung und den Streikbewegungen in den Weg stellte, nicht unsere Alternative sein. Linke Teile der SPD, Grüne, Linke und auch große Teile der außerparlamentarischen Linken fordern dies, denn sie mag im Vergleich zur CDU-geführten Regierung, zumindest auf dem Papier, fortschrittlicher sein. Wir dürfen die kommenden unsozialen und rassistischen Reformen des Senats nicht hinnehmen und müssen uns dagegen organisieren und durch Streiks und Demonstrationen Druck auf die Regierung ausüben. In der Perspektive gilt es eine Kraft aufzubauen, die eine wirkliche Alternative für Arbeiter:innen, Jugendliche und Unterdrückte bietet. Die dem Verrat der Linkspartei genauso selbstverständlich wie der rassistischen CDU entgegensteht.

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