Bekannte linke Feministinnen aus den USA rufen zum Streik am 8. März auf

06.02.2017, Lesezeit 5 Min.
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Aktivistinnen und Akademikerinnen wie Angela Davis, Nancy Fraser oder Cinzia Arruzza rufen für den 8. März zum Streik auf. Sie wollen sich damit der Bewegung hin zu Streiks für die Rechte von Frauen in Lateinamerika und anderen Ländern anschließen.

Nancy Fraser, Cinzia Arruzza, Keeanga-Yamahtta Taylor und Angela Davis sind Erstunterzeicherinnen eines Aufrufs (weiter unten in deutscher Übersetzung), in dem für einen internationalen Streiktag am 8. März argumentiert wird. Sie schließen sich damit dem Aufruf von Feministinnen aus anderen Ländern an, vor allem aus Lateinamerika, wo die Plattform Ni Una Menos auf einen Streik hinarbeitet.

Sie verbinden ihren Aufruf mit einer Abrechnung gegenüber dem neoliberalen Feminismus, der für die große Mehrheit der Frauen keine Verbesserungen bringen konnte. An seiner Stelle solle ein Feminismus treten, der vor allem die Probleme der Arbeiterinnen, Migrantinnen und Frauen of Color in den Blick nimmt.

Im Folgenden eine deutsche Übersetzung des Aufrufs:

Für einen Feminismus der 99 Prozent und einen kämpferischen internationalen Streik am 8. März

Die massiven Frauenmärsche am 21. Januar könnten den Anfang einer neuen Welle von militanten feministischen Kämpfen markieren. Aber was genau wird ihr Fokus sein? Wir denken, dass es nicht ausreicht, sich Trump und seiner aggressiv frauenfeindlichen, homophoben, transphoben und rassistischen Politik entgegenzustellen. Wir müssen auch auf die neoliberalen Angriffe auf soziale Fürsorge und Arbeitsrechte antworten. Während Trumps unverfrorene Frauenfeindlichkeit der unmittelbare Auslöser für die massive Antwort am 21. Januar war, begannen die Angriffe auf Frauen (und die gesamte arbeitende Bevölkerung) lange vor seiner Amtszeit. Die Lebensbedingungen von Frauen haben sich in den vergangenen 30 Jahren immer mehr verschlechtert, vor allem die von Frauen of Color, Arbeiterinnen, Arbeitslosen und Migrantinnen, und zwar aufgrund von „Finanzialisierung“ und kapitalistische Globalisierung. Der „Lean-In“ Feminismus und andere Varianten des Business-Feminismus haben die überwältigenden Mehrheit von uns im Stich gelassen, die, die keinen Zugang zu individueller Eigenwerbung und Entwicklung haben und deren Lebensbedingungen nur durch ein Programm verbessert werden kann, welches soziale Reproduktion verteidigt, reproduktive Gerechtigkeit sichert und Arbeitsrechte garantiert. Wir denken, dass die neue Welle von Frauenmobilisierung all diese Themen in den Vordergrund stellen muss. Es muss ein Feminismus der 99 Prozent sein.

Die Art Feminismus, die wir anstreben, entsteht bereits weltweit, in Kämpfen rund um die Welt: Vom Frauenstreik gegen das Abtreibungsverbot in Polen zu dem Frauenstreik und den Demonstrationen in Lateinamerika gegen männliche Gewalt; von der massiven Frauendemonstration letzten November in Italien zu den Protesten und dem Frauenstreik in Verteidigung reproduktiver Rechte in Südkorea und Irland. Bemerkenswert an diesen Mobilisierungen ist, dass viele von ihnen Kämpfe gegen männliche Gewalt mit dem Widerstand gegen Prekarisierung von Arbeit und gegen Lohnungerechtigkeit verbinden, während sie gleichzeitig auch Homophobie, Transphobie und xenophobe Einwanderungspolitik ablehnen. Zusammen sind sie Vorbotinnen einer neuen weltweiten feministischen Bewegung mit einer erweiterten Agenda – gleichzeitig anti-rassistisch, anti-imperialistisch, anti-heterosexistisch und anti-neoliberal.

Wir wollen zu der Entwicklung dieser neuen, ausgedehnteren feministischen Bewegung beitragen.

Als ersten Schritt wollen wir zu einem internationalen Streik gegen männliche Gewalt und zur Verteidigung reproduktiver Rechte am 8. März beitragen. Damit schließen wir uns feministischen Gruppen aus ca. 30 Ländern an, die zu einem solchen Streik aufgerufen haben. Die Idee ist es, Frauen – einschließlich Trans-Frauen – und alle, die sie unterstützen wollen, zu einem internationalen Kampftag zu mobilisieren – ein Tag voller Streiks, Demonstrationen, Boykotts, Straßen-, Brücken- und Platzbesetzungen. Es wird keine Haus-, Pflege- oder Sexarbeit geleistet, frauenfeindliche Politiker*innen und Unternehmen werden konfrontiert, in Erziehungseinrichtungen wird gestreikt. Diese Aktionen sollen die Bedürfnisse und Ziele derjenigen, die der Lean-In Feminismus ignoriert hat: Frauen auf dem formalen Arbeitsmarkt; Frauen, die in der Sphäre der sozialen Reproduktion und der Pflege arbeiten; arbeitslose und prekäre Arbeiterinnen.

Bei unserem Engagement für einen Feminismus der 99 Prozent werden wir inspiriert von dem Argentinischen Bündnis Ni Una Menos. Gewalt gegen Frauen hat in ihrer Definition viele Facetten: Es ist häusliche Gewalt aber auch die Gewalt des Marktes, der Schulden, der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und des Staates; die Gewalt der diskriminierenden Politik gegen lesbische, trans- und queere Frauen, die Gewalt der staatlichen Kriminalisierung von Migrationsbewegungen, die Gewalt der Masseninhaftierung und die institutionelle Gewalt gegenüber Frauenkörper durch Abtreibungsverbote und mangelhaften Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung und freier Abtreibung. Ihre Perspektive prägt unsere Entschlossenheit, den institutionellen, politischen, kulturellen und ökonomischen Angriffen auf Musliminnen und Migrantinnen, auf Frauen of Color und arbeitenden und arbeitslose Frauen, auf Lesben und Trans-Frauen und auf alle Menschen, die gender nonconforming sind, entgegenzutreten.

Die Frauendemonstrationen am 21. Januar haben gezeigt, dass in den Vereinigten Staaten ebenfalls eine neue Frauenbewegung im Entstehen begriffen ist. Es ist wichtig, nicht den Schwung zu verlieren. Lass uns uns zusammenschließen, um am 8. März zu streiken und zu demonstrieren. Lasst uns diesen internationalen Aktionstag zum Anlass nehmen, mit dem „Lean-In“ Feminismus aufzuräumen und an seiner Stelle einen Feminismus für die 99 Prozent aufzubauen, einen Graswurzel-Feminismus, einen antikapitalistischen Feminismus – einen Feminismus in Solidarität mit den Arbeiterinnen, ihren Familien und ihren Verbündeten auf aller Welt.

Autorinnen und Erstunterzeichnerinnen:

Linda Martín Alcoff
Cinzia Arruza
Tithi Bhattacharya
Nancy Fraser
Keeanga-Yamahtta Taylor
Rasmea Yousef Odeh
Angela Davis

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