Arbeiter*innen im Gesundheitssektor im Streik in Frankreich – Tränengasangriffe von der Polizei

20.06.2020, Lesezeit 7 Min.
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Zehntausende von Menschen in Frankreich – von Paris bis Montpellier, von Lyon bis Bordeaux – sind dem nationalen Aufruf zum Streik für die Pflege am 16. Juni 2020 gefolgt. Während der französische Präsident Macron auf Twitter Unterstützung für den Gesundheitssektor verspricht haben die Demonstrationen starke Repression erfahren, vor allem in Paris und Toulouse.

Bild: Révolution Permamente

Arbeiter*innen im Gesundheitssystem stehen an der Front im Kampf gegen die Corona-Pandemie. Eine große Mehrheit der Öffentlichkeit betrachtet sie als Held*innen. Und sogar die Politiker*innen, die für die Jahre der Sparmaßnahmen im Gesundheitssystem verantwortlich sind, versprechen Unterstützung. Dennoch bleiben die Arbeitsbedingungen schrecklich.

Tausende Pfleger*innen, Ärzt*innen und nicht-medizinische Krankenhausmitarbeiter*innen haben genug von dieser Situation. Sie sind bereit, für ihre Rechte zu kämpfen und haben dafür die Solidarität von anderen Arbeiter*innen, Student*innen und der Gelbwestenbewegung ausgesprochen bekommen. Am Dienstag wurden in den größten Städten Frankreichs die Straßen eingenommen, um mehr Investitionen für öffentliche Krankenhäuser und das gesamte Gesundheitssystem zu fordern.

Mehr als 220 Demonstrationen und Proteste wurden in ganz Frankreich auf den Aufruf der Gewerkschaften der öffentlichen Krankenhäuser abgehalten. Die Gewerkschaften haben von Demonstrationen mit 30.000 Teilnehmer*innen in Paris, 20.000 in Toulouse, 13.000 in Lyon und mehreren Tausend in Bordeaux, Montpellier, Marseille und Rennes gesprochen. Die erste nationale Mobilisierung des Gesundheitssektors seit die Quarantänebeschränkungen gelockert wurden war eine ausnahmslose Demonstrierung der Stärke der Pfleger*innen und ihren Unterstützer*innen.

Bordeaux: Am 16. Juni sind 8.000 Menschen auf der Straße laut der CTG. „Wessen Straße? Unsere Straße!“

Der Vorsitzende der CGT Gewerkschaftsvereinigung, Philippe Martinez, sagte: „Die Arbeiter*innen im Gesundheitssektor sind seit Monaten immer wieder im Streik und mobilisieren sich und immer noch nicht haben wir eine Antwort von der Regierung bekommen. Wir haben ihnen seit zwei Monaten von Fenstern und Balkonen zugewunken. Sogar der Präsident hat gesagt, es müsse etwas für das Gesundheitssystem und die darin Arbeitenden getan werden. Aber es passiert nichts. Es scheint, er hat seine Worte in den letzten zwei Monaten vergessen und jetzt sind die Leute wieder auf der Straße.“

Ein Demonstrant sagte:

Du kannst Applaus und nette Worte nicht essen. Um zu leben und zu essen brauchst du einen Job mit einer anständigen Bezahlung, ausreichend Personal und genug Material.

Versammlungen von Arbeiter*innen haben seit dem 11. Mai, dem letzten Tages der strengen Ausgangssperre, in Frankreich stattgefunden. Sie haben beschlossen eine nationale Mobilisierung an 200 Orten zu organisieren. Eine Erklärung der Arbeiter*innen sagte: „Die Krise um Covid-19 hat gezeigt (falls jemand davor noch nicht davon überzeugt war), dass öffentliche Krankenhäuser essentiell sind und dass sie genügend Personal und Material brauchen, um den Bedürfnissen der Bevölkerung entsprechen zu können.“

Weiter ging es: „Wir müssen damit aufhören Krankenhäuser zu schließen und die Bettenanzahlen zu reduzieren – Menschen brauchen Krankenhäuser in der Nähe ihrer Wohnorte. Die Regierung hat Milliarden von Euros in Privatunternehmen gesteckt – dasselbe können sie auch mit öffentlicher Gesundheitsversorgung machen.“

Massen von Unterstützer*innen stehen mit ihnen in Solidarität

Pflegekräfte, die seit Anfang März an der Front der Gesundheitskrise standen, sind in Massen auf die Straßen gegangen, trotz der Einschränkungen ihrer Arbeit. Sie wurden breit unterstützt – zahlreiche Menschen sind auf die Straße gegangen, um ihre Solidarität zu zeigen und öffentliche Krankenhäuser zu verteidigen. Zusammen haben sie das kriminelle Krisenmanagement der Regierung denunziert und Schutzausrüstung gefordert – denn das Fehlen jener wurde während der Pandemie zum Verhängnis.

Gregory, eine OP-Pflegekraft in Toulouse sagte: „Es ist eine Maskerade, kein richtiger Plan für Gesundheitsversorgung! Wenn die Regierung uns nicht zuhört, verstärken wir unsere Bewegung!“

Tatsächlich wurden Pflegekräfte nicht nur „an die Front ohne Waffen gesendet“ – mit hohen Infektionszahlen von Covid-19 unter ihnen – sondern wurden auch gezwungen, das Fehlen von Personal und Ausrüstung zu kompensieren, indem sie ihre eigenen Ressourcen ausschöpfen, z.B. durch unbezahltes Arbeiten, das Aufopfern ihrer Familienleben mitten in der Krise und so weiter. Auszubildende und Student*innen wurden von der Regierung mit einer Bezahlung von nur 1,42 € in der Stunde zum Dienst gezwungen.

Für diese „Entfesselung des Zorns“ und trotz enormer Müdigkeit haben Entschlossenheit und Solidarität gesiegt. Über den Straßen auf den Balkonen haben Menschen ihre Solidarität gezeigt, Leute sind auf den Straßen gemeinsam mit Krankenhausarbeiter*innen gelaufen, um ihre Unterstützung und ihren Wunsch nach qualitativer Gesundheitsversorgung auszudrücken.

Arbeiter*innen aus anderen kämpferischen Sektoren, die sich ebenso gegen die Regierung auflehnen – Lehrer*innen, Eisenbahner*innen, Arbeiter*innen aus dem Luftverkehr und Beschäftigte aus der Energieversorgung – haben ebenso ihre Solidarität gezeigt.

Alle haben gemeinsam, dass die Regierung sie für die Krise bezahlen lassen will. Der Eisenbahnarbeiter Anasse Kazib und die Universitätsprofessorin Diane haben das beide in Interviews betont:

Anasse sagte: „Ich habe an vielen Kämpfen teilgenommen, aber dieser ist wirklich besonders. Gefragt zu werden, die Krankenhausbeschäftigten zu unterstützen, die wegen dem Fehlen von Masken, von Schutzkitteln kämpfen müssen… Mit ihnen hier zu sein – wow.“ Diane, die Professorin in Toulouse ist, sagte:

Wir müssen eine Annäherung zwischen all diesen Kämpfen herstellen. Denn nur dann werden wir es schaffen, dass nicht die Arbeiter*innen für die Krise zahlen, sondern der Staat und die für sie Verantwortlichen.

Große Teile der antirassistischen Bewegung, die am vergangenen Samstag in Paris mehr als 180.000 Menschen zusammenbrachte, versuchten, diese Konvergenz der Kämpfe zu verkörpern, indem sie ebenfalls ihre Unterstützung zum Ausdruck brachten. Dazu gehörten das Adama-Komitee, der bekannte Schauspieler und Schriftsteller Almamy Kanouté und Adama Traorés Schwester Assa Traoré, eine Aktivistin, die in einem Interview mit Révolution Permanente sagte, dass sie von Covid-19 ebenfalls betroffen war. „Diese Maschine, mit der wir es zu tun haben, muss gemeinsam zu Fall gebracht werden“, sagte sie.

Macron bedankt sich bei den Pfleger*innen, während in Paris und Toulouse Repressionen entfesselt werden

Am Morgen der Demonstrationen twitterte Macron ein Video, in dem er eine Gruppe von Arbeiter*innen des französischen multinationalen Pharmakonzerns Sanofi fragte, ob „die Moral gut sei“, und ihnen dafür dankte, dass sie „die Krise im Griff behalten haben“. Der Tweet wurde von einer Notiz begleitet: „Investitionen in den Gesundheitssektor sind eine Investition in die Unabhängigkeit Frankreichs und Europas. Es ist eine Anerkennung der Exzellenz und des Know-hows von Frauen und Männern, die sich Gesundheitsversorgung zur Verpflichtung ihres Lebens gemacht haben“. Es war eine unverschämte Zurschaustellung genau in dem Moment, als die Mobilisierung des Gesundheitspersonals in Paris und Toulouse gewaltsam unterdrückt wurden – angeführt von der Bereitschaftspolizei, unter Einsatz von Tränengas und mit gewaltsamen Verhaftungen. In Paris wurden nicht weniger als 32 Verhaftungen gemeldet. Unter ihnen wurde mindestens eine Krankenschwester von der Polizei brutal niedergeschlagen, die sie an den Haaren zog und ihr blutende Wunden im Gesicht zufügte.

Die Frau in der weißen Bluse, an ihren Haaren gezogen während sie festgenommen wird, kriegt am Ende blutende Verletzungen im Gesicht zugefügt. Sie verlangte mehrmals ihr Asthmaspray.

Die Regierung hat Arbeiter*innen aus dem Gesundheitssystem „nationale Held*innen“ genannt. Jedoch dankten sie ihnen mit Polizeirepression, weil sie mehr Ressourcen verlangten. Mehr denn je ist es notwendig, eine vereinigte Front aller verschiedenen kämpfenden Sektoren aufzubauen, um qualitative Gesundheitsversorgung für alle zu erkämpfen und noch weiter, eine Alternative zu Prekarisierung und Repression zu erschaffen.

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