50 Menschen diskutieren an der FU über die Russische Revolution

17.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Es war ein fulminanter Semesterbeginn an der Freien Universität Berlin: Ein prall gefüllter Seminarraum bot die Bühne, um zum 100-jährigen Jubiläum der Oktoberrevolution über die damaligen Ereignisse und ihre Bedeutung für politischen Aktivismus heute zu diskutieren. Eingeladen hatte Waffen der Kritik.

Was gibt es Besseres, als den ersten Tag des neuen Unisemesters mit einer Diskussion über die Russische Revolution zu beginnen? Das dachten sich am Montag etwa 50 Studierende und Beschäftigte der Freien Universität Berlin, die der Einladung von Waffen der Kritik gefolgt waren, im Rahmen der „Kritischen Orientierungswochen an der FU“ über Verlauf, Lehren und Aktualität der Russischen Revolution zu diskutieren.

Zu Beginn der Veranstaltung stellte zunächst Yunus Özgür, Student und studentischer Beschäftigter, das marxistische Flugblatt Waffen der Kritik vor, das an der FU nach ein paar Semestern Pause wieder regelmäßig erscheint, und mit dem die Herausgeber*innen marxistische Positionen zu aktuellen Debatten, nationalen und internationalen Themen beziehen und aktuelle Kämpfe unterstützen wollen.

Sein Referat begann Stefan Bommer, Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, mit der Feststellung, dass die meisten Anwesenden in einer Welt aufgewachsen sind, in der die Vorstellung einer Alternative zum Kapitalismus absurd erscheinen mochte. In der jedoch seit zehn Jahren eine permanente Krise herrscht, die immer wieder neue Massenphänomene von rechts und links hervorbringt, die die bestehende Ordnung ins Wanken bringen. Deshalb ist es umso notwendiger, wieder über Alternativen zu diskutieren – und wie wir dorthin kommen.

Die Oktoberrevolution vor 100 Jahren in Russland bietet uns dazu viele Lehren an, so der Referent: Sowohl darin, wie sie funktionierte, als auch darin, wie sie letztlich scheiterte.

Das Referat ging im Folgenden auf die Vorbedingungen der Russischen Revolution ein, die der russische Revolutionär Leo Trotzki im Jahr 1932, 15 Jahre nach der Revolution, in seiner „Kopenhagener Rede“ so zusammenfasste:

1. Die Fäulnis der alten herrschenden Klassen, des Adels, der Monarchie, der Bürokratie.

2. Die politische Schwäche der Bourgeoisie, die keine Wurzeln in den Volksmassen hatte.

3. Der revolutionäre Charakter der Bauernfrage.

4. Der revolutionäre Charakter des Proletariats der unterdrückten Nationen.

5. Das bedeutende soziale Gewicht des Proletariats. Zu diesen organischen Voraussetzungen muß man höchst wichtige konjunkturelle Bedingungen hinzufügen:

6. Die Revolution von 1905 war die große Schule oder, nach Lenins Ausdruck, die „Generalprobe“ der Revolution von 1917. Es genügt zu sagen, daß Sowjets[18] als unersetzliche Organisationsform der proletarischen Einheitsfront in der Revolution zum ersten Male im Jahre 1905 gebildet worden sind.

7. Der imperialistische Krieg verschärfte alle Gegensätze, riß die rückständigen Massen aus dem Zustand der Unbeweglichkeit heraus und bereitete dadurch das grandiose Ausmaß der Katastrophe vor. Doch alle diese Bedingungen, die vollständig genügten für den Ausbruch der Revolution, waren ungenügend, um den Sieg des Proletariats in der Revolution zu sichern. Für diesen Sieg war noch eine Bedingung nötig:

8. Die Bolschewistische Partei.

Anschließend wurden die wichtigsten Ereignisse der Russischen Revolution – von der Februarrevolution über die Juliaufstände und den Kornilow-Putsch bis hin zum Oktoberaufstand selbst – nachvollzogen. Die Ereignisse können auch in einer interaktiven Timeline täglich nachverfolgt werden.

Besonderes Augenmerk legte der Referent auf die Bedeutung der Sowjets (Räte) für die Revolution, sowie für die marxistische Staats- und Revolutionstheorie. Dabei spielte die theoretische Weitsicht Lenins eine zentrale Rolle, da erst sein programmatisches Beharren auf der Zentralität der Rätestrukturen die Parole „Alle Macht den Räten!“ ins Zentrum der bolschewistischen Politik rückte.

Nach einer Runde von Nachfragen drehte sich die Diskussion im Folgenden um die Errungenschaften der Revolution: die Enteignung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Schaffung des ersten Arbeiter*innenstaats der Geschichte, gegründet auf Organen der Rätedemokratie.

Der Referent legte dabei auch einen Fokus auf die Errungenschaften der Frauen in der Oktoberrevolution, aber auch ihre späteren Rückschritte. Dieser Aspekt wurde in der Diskussion vertieft, indem auf die Diskrepanz zwischen der Vorstellung vom „Absterben der Familie“ nach der Revolution, den materiellen Hindernissen dafür und den stalinistischen Angriffen auf diese Vision eingegangen wurde.

Letztlich degenerierte die Russische Revolution aufgrund des Ausbleibens der internationalen Revolution, aufgrund der wirtschaftlichen Rückständigkeit und aufgrund der damit verbundenen Bürokratisierung, als deren Konsequenz der Stalinismus sich etablieren konnte. Deshalb hob der Referent zum Abschluss zwei zentrale Lehren der Revolution hervor: zum Einen die Notwendigkeit einer lebendigen Arbeiter*innendemokratie und zum Anderen die Notwendigkeit eines lebendigen Internationalismus, entgegen der Illusion eines national isolierten Aufbaus des Sozialismus.

In der anschließenden Diskussionsrunde wurden viele Punkte noch vertieft. So drehten sich viele Wortbeiträge um das Spannungsfeld zwischen bürgerlicher und proletarischer Demokratie, um die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt, und darum, was wir heute aus der Oktoberrevolution lernen können.

All diese Diskussionen konnten nur angerissen werden; deshalb wurde zum Abschluss darauf hingewiesen, dass Waffen der Kritik während des Wintersemesters eine ganze Veranstaltungsreihe zur Oktoberrevolution plant, mit einer Auftaktveranstaltung am 7. November. In den nächsten Wochen wird es dazu Ankündigungen geben.

Zum Schluss lud Yunus die Anwesenden noch einmal zu den kommenden Veranstaltungen ein, an denen sich Waffen der Kritik an der FU beteiligt:

Veranstaltungen in der Kritischen Orientierungswoche

Gemeinsam gegen Prekarisierung und niedrige Löhne
Veranstalter*innen: Aktionsplenum Arbeitskämpfe
Wann? Freitag, 20.10., 14 Uhr
Wo? AstA-Gebäude, Otto-von-Simson-Straße 23
Facebook-Veranstaltung

Studieren-Arbeiten-Kämpfen: Workshop und Planspiel
Veranstalter*innen: Initiative Tarifvertrag für studentische Beschäftigte
Wann? Donnerstag, 19.10., 16 Uhr
Wo? Rost und Silberlaube, JK 26/140
Facebook-Veranstaltung

Der Aufstand in Katalonien
Veranstalter*innen: Waffen der Kritik
Wann? 20.10., 12 Uhr
Wo? Rost und Silberlaube, KL 29/137 Übungsraum
Facebook-Veranstaltung

Besonders rief Yunus dazu auf, die Kampagne für einen neuen Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten zu unterstützen, um erste Schritte der Selbstorganisation an der Universität zu gehen.

Offene Treffen

TVStud-Streikgruppe an der FU
Wann? Dienstag, 24.10., 16 Uhr
Wo? Rost und Silberlaube, vor Mensa II

Waffen der Kritik
Wann? Mittwoch, 25.10., 17 Uhr
Wo? Rost und Silberlaube, vor Mensa II

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