30 Jahre nach dem Mord an Amadeu Antonio: Kampf dem Rassismus heißt Kampf dem Staat!

06.12.2020, Lesezeit 5 Min.
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Gedenken an Amadeu Antonio, 06.12.2020, Eberswalde. Foto: Rebecca

Am Sonntag den 06. Dezember jährt sich der rassistische Angriff auf Amadeu Antonio Kiowa zum dreißigsten Mal. Der junge Angolaner wurde von Neonazis ermordet, während die Polizei nur zuschaute. Seit 1990 hat sich viel verändert, aber auch heute morden Nazis unter Aufsicht (oder mit Unterstützung) des Staates.

Am 06. Dezember 1990 – heute vor 30 Jahren – starb Amadeu Antonio Kiowa an den Verletzungen, die ihm durch eine Horde Neonazis zugefügt wurden. Elf Tage zuvor wurden er und einige Freunde mit denen er unterwegs war durch Rechtsextreme angegriffen, die sich an diesem Abend verabredet hatten, um Jagd auf „ausländisch aussehende“ Personen zu machen. Während die anderen Menschen schwerverletzt fliehen konnten wurde Amadeu Antonio durch Schläge, Tritte und den Einsatz von Baseballschlägern so schwer am Kopf verletzt, dass er ins Koma fiel und wenige Tage später starb.

Amadeu Antonio kam 1987 aus Angola als Vertragsarbeiter in die DDR und wurde einer Fleischerausbildung in Eberswalde zugeteilt. Er gilt als eines der ersten Opfer rassistischer Gewalt nach der Wende. Er hinterließ seine hochschwangere Partnerin. Sie und der gemeinsame Sohn zogen wenige Jahre später wegen wiederholten rassistischen Angriffen aus Eberswalde weg.

Seit 1990 gibt es 213 dokumentierte Todesfälle rechter und rassistischer Gewalt in Deutschland. Viele von ihnen werden in den Polizeistatistiken nicht als Opfer rechter Gewalt aufgeführt, da zum Beispiel Gewalt gegen Obdachlose als unpolitische Tat dargestellt wird und auch deutliche Bekundungen zu rechtsextremer Ideologie für den deutschen Staat nicht reichen, um die Täter:innen als Rechte zu verurteilen und die Todesfälle als politisch motiviert einzuschätzen. Und selbst dann tauchen in dieser Zahl nur alldiejenigen Täter:innen auf, die auch tatsächlich verurteilt werden konnten.

Bis heute weigert sich der deutsche Staat den Mord an Amadeu Antonio als solchen anzuerkennen. Von mindestens 50 Täter:innen wurden überhaupt nur fünf verurteilt: nicht für Mord, sondern lediglich für schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Deshalb Angehörige und Mitglieder verschiedener Initiativen bis heute in der Erinnerung für eine Anerkennung als Mord kämpfen: „Amadeu Antonio das war Mord!“

Diese Verweigerung der Regierenden die Tat als das zu benennen, was es war, wird sich in den folgenden Jahren bis heute immer wiederholen. Auch dreißig Jahre nach Amadeu Antonios Ermordung werden Menschen von Rechten ermordet und der Staat schaut zu – oder ist aktiv daran beteiligt. Seien es die Morde des NSU, Hanau, Halle oder Brandanschläge gegen Unterkünfte für Geflüchtete. Selbst wenn die rechte Gewalt Leute „aus den eigenen Reihen“ trifft wie Walter Lübke ist es für die Regierenden eine riesige Hürde sich klar gegen rechte Gewalt auszusprechen. Die Begründung liegt auf der Hand, denn die bürgerliche „Mitte“ kann sich in ihrer rassistischen Haltung nicht von rechts abgrenzen. Dies unterstreichen auch die tiefen Verstrickungen von Polizei und rechten Netzwerken. Amadeu Antonio wurde ermordet, während drei Zivilpolizisten die Tat beobachteten ohne einzuschreiten, die Verwicklungen des Verfassungsschutz in den NSU sind bekannt und werden vom Staat vertuscht und fast jeden Tag bekommen wir eine neue Meldung über rechtsextreme Chatgruppen und Netzwerke in der Polizei.

Der Staat tut nicht nur Nichts um rechte Gewalt zu verhindern, er befördert sie also auch aktiv mit. Die Strategie zur Überwindung von Rassismus und rechter Gewalt kann also nicht, wie von Bürgerlichen, Liberalen oder NGoist:innen aller Colouer proklamiert wird, in der Kooperation mit den Institutionen des Staates liegen, sondern muss sich ganz aktiv gegen sie richten.

Anstelle von staatlichen Instanzen, die sich gegenseitig in ihrem Fehlverhalten decken, brauchen wir breite unabhängige Untersuchungskommissionen, die Fälle wie den Mord an Amadeu Antonio aufarbeiten und alle Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Schon jetzt sehen wir, dass unabhängige Organisationen und Initiativen, wie sie sich nach dem Mord an Amadeu Antonio oder Oury Jalloh gegründet haben, weit bessere und wichtigere Aufklärungs- und Bildungsarbeit leisten, als es alle staatlichen Stellen tun. Diese Ansätze außerstaatlicher Organisierung sind wichtig und können einen entscheidenden Beitrag für die Organisierung von Rassismus betroffener Communities leisten. Diese Arbeit muss durch die Perspektive erweitert werden, die die Funktion, welche der Rassismus für den Kapitalismus, in den er eingebettet ist, hat, nicht nur anklagt, sondern aktiv bekämpft.

Auch durch die vollständige Aufklärung aller rassistischen Morde in Deutschland würde Rassismus als Phänomen nicht verschwinden. Rassismus ist weit mehr als individuelles Verhalten, mehr als Vorurteile, die sich in Individuen ausdrücken, sondern strukturell in den Kapitalismus integriert. Die durch den Rassismus Unterdrückten werden von Anfang an vom Kapitalismus als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, vom Kolonialismus über die sogenannten Gastarbeiter:innen der 70er bis zu hochgradig prekarisierten Migrant:innen heute. Der Rassismus und die Gewalt, die er mit sich bringt zu überwinden, heißt also den Kapitalismus zu überwinden. Das Kapital zu stürzen bedeutet allerdings wiederum sich gegen den Staat und alle seine Institutionen (Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, etc.) zu wenden, da dieser nicht mehr als ein Werkzeug in der Hand der herrschenden Klasse zur Stabilisierung und Verwaltung der ausbeuterischen Verhältnisse ist.

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