Merkel vs. Schäuble?

23.07.2015, Lesezeit 6 Min.
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// Am vergangenen Freitag stimmte der Bundestag dem Kolonialpakt gegen Griechenland zu. Obwohl eine breite Mehrheit zustimmte, gab es eine interne Opposition in der Regierungskoalition. Ein Streit, der sogar bis in Merkels Kabinett reichte. //

69 von 485 anwesenden ParlamentarierInnen der regierenden CDU/SPD-Koalition verweigerten Kanzlerin Angela Merkel in der Sitzung des Bundestages am Freitag die Gefolgschaft. An jenem Tag wurden Verhandlungen mit der griechischen Regierung auf der Basis des am 12. Juli durchgesetzten Memorandums zugestimmt. 69, das ist jedes siebte Parlamentsmitglied der Regierungskoalition. Wenn man die Stimmen auf die Parteien aufteilt, wird der Loyalitätsbruch noch deutlicher: 65 der „AbweichlerInnen“ sind Mitglieder von Merkels eigener Partei, der CDU, oder ihrer bayrischen Schwester CSU. Das sind mehr als 20 Prozent aller Parlamentssitze der Union.

Eine Kolumne von Robert Roßmann in der Montagsausgabe der Süddeutschen Zeitung ging sogar so weit zu sagen, dass Merkel ohne Finanzminister Wolfgang Schäubles Unterstützung um ihre Mehrheit in der Regierungskoalition hätte bangen müssen. Ob das stimmt oder nicht: 65 Parlamentsmitglieder, die gegen (60) Merkels Vorschlag gestimmt oder sich enthalten (5) haben, repräsentieren die größte interne Opposition in Merkels Partei seit ihrem Machtantritt im Jahr 2005.

In der Vergangenheit war es egal, welche Entscheidung Merkel traf: Ihre Partei folgte ihr fast einstimmig, egal was die ParlamentarierInnen wirklich dachten. Aber nicht dieses Mal. Deshalb nennt Roßmann die Abstimmung am Freitag „das Ende der Allmacht Merkels in der CDU“. Woher kommt diese Opposition?

Erste Risse?

Auch wenn es zu früh sein mag, den Abgesang auf Merkels Herrschaft in der CDU zu beginnen, ist klar, dass der Streit über den Umgang mit der Frage der Kolonisierung Griechenlands große Debatten innerhalb der deutschen herrschenden Klasse und ihrer Parteien angefacht hat. Und besonders in den letzten Wochen ist Wolfgang Schäuble die Ikone derjenigen geworden, die für ein immer härteres Vorgehen gegenüber Griechenland sind.

Um klar zu sein: Es gibt keinen Streit in der deutschen Bourgeoisie über das Endziel: Deutschlands unangefochtene Herrschaft über Europa. Seit Jahren ist offensichtlich, dass der deutsche Imperialismus die Wirtschaftskrise zur Umverteilung der Macht innerhalb der Europäischen Union nutzen will. Von Beginn an war die EU ein Instrument des deutschen Kapitals zur Ausdehnung nach Ost- und Südeuropa, sowohl als Zugriff auf neue Märkte als auch als Quelle billiger Arbeitskraft. Aber Deutschland war zu schwach, um dieses Ziel allein zu erreichen, und suchte sich deshalb Frankreich als Partnerin; die Achse Berlin-Paris entstand.

In den letzten Jahren hat sich das geändert. Während Frankreich selbst als Resultat der Krise immer mehr ins Wanken geriet, setzte Deutschland den Rest der europäischen Länder immer mehr unter Druck. Griechenland diente dabei als politisches Labor. Die Troika – der Zusammenschluss aus IWF, EZB und EU-Institutionen, der Griechenland immer härtere Austeritätsmaßnahmen aufzwingt –, ist dabei vollständig in den Händen der VertreterInnen des deutschen Kapitals.

Und darin liegt die Quelle des Streits: Ist Deutschland schon stark genug, um die Diplomatie fallenzulassen und Europa ohne Rücksicht auf die anderen imperialistischen Länder zu beherrschen? Zwei der mächtigsten imperialistischen Länder der Welt, Frankreich und die USA, warnen die deutsche Regierung seit einiger Zeit, dass ein gewisser Schuldenschnitt in Griechenland nötig sei, um die Eurozone nicht zu gefährden und die geopolitische Position von Ländern wie Russland und China nicht zu stärken.

Wolfgang Schäuble hat sich indes völlig gegen jede Erleichterungen für Griechenland gestellt und sogar einen „zeitweiligen Grexit“ vorgeschlagen – in Opposition zu Merkel und zum Koalitionspartner SPD. Sogar nach viel Kritik und nach der Abstimmung von Freitag hat Schäuble diesen Vorschlag mehrfach wiederholt. In den Verhandlungen vor der Übereinkunft vom 12. Juli hatte seine Position gedroht, die griechischen VertreterInnen zu einer Ablehnung des Memorandums zu drängen.

Zwei Seiten einer Medaille

Bisher hat Schäubles Erpressungstaktik funktioniert und die Syriza-Regierung hat sich dem Kolonialpakt völlig untergeordnet. Aber viele haben Angst, dass zu viel Druck die gesamte Eurozone – und damit Deutschlands europaweiten Markt – in Gefahr bringen könnte. Merkel und hohe SPD-PolitikerInnen wie der Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel oder der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, haben mit erpresserischer Rhetorik gegen Griechenland nicht gespart, aber niemand ging so weit wie Schäuble. Er repräsentiert einen Teil des konservativen Establishments, das eine noch sehr viel aggressivere Außenpolitik fordert. Nichtsdestotrotz muss auch gesagt werden, dass die „Nein“-Stimmen der CDU-Mitglieder am Freitag mindestens teilweise taktische Stimmen waren, da klar war, dass sowohl die SPD als auch die Grünen für das Memorandum stimmen würden. Das heißt aber nicht, dass sie alle Merkel folgen würden, wenn die Mehrheit in Gefahr wäre.

Bisher haben die internen Streitigkeiten in der deutschen Regierung nicht zu unumkehrbaren Brüchen innerhalb der Regierungsparteien geführt. Beide Strategien, wie sie von Merkel und Schäuble repräsentiert werden, sind zwei Seiten der selben Medaille. In der aktuellen Situation kann Schäubles aggressivere Rhetorik Merkel sogar nutzen – nach außen, wenn sie in Verbindung mit diplomatischen Gesten genutzt werden, und nach innen, um KritikerInnen in der Partei im Zaum zu halten. Aber das kostet seinen Preis: Schäuble hat schon angekündigt, dass er zum Rücktritt bereit wäre, wenn er zu etwas gezwungen würde, an das er nicht glaubt. Wieder eine Erpressung, das ist klar, aber diesmal gegen Merkel. Das Ergebnis wird sich noch zeigen, aber eins ist schon klar: Der deutsche Imperialismus steuert auf noch mehr Aggression zu.

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