Zensur bei den Kritischen Orientierungswochen an der FU?

08.10.2016, Lesezeit 6 Min.
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So wie es aussieht, soll ein Journalist von Klasse Gegen Klasse von den Kritischen Orientierungswochen an der FU ausgeladen werden. Die Situation ist recht unklar. Scheinbar haben manche der Organisator*innen ein Problem damit, dass er mit linken Israelis zusammenarbeitet. Eine Replik.

Im Rahmen der Kritischen Orientierungswochen an der FU (KORFU) werde ich einen Workshop über linken Journalismus geben. Früher war ich Uniaktivist an der FU; Jetzt bin ich freier Journalist für verschiedene linke Medien (und auch Redakteur bei Klasse Gegen Klasse). Ich werde Studis, die Interesse an journalistischer Arbeit haben, ein paar Tipps geben.

In den letzten Tagen haben mich einige ausgesprochen vage Emails erreicht: Möglicherweise gab es ein „Veto“ gegen meine Teilnahme an der KORFU. Niemand will die Verantwortung für diese Entscheidung übernehmen – niemand will eine Begründung liefern. In einer der Mails wird ein Grund angedeutet: „Nähe zu FOR Palestine und BDS“. Ich richte diese Zeilen an die Organisator*innen der KORFU.

Worum geht es?

Ich habe mehrere Interviews mit Dror Dayan geführt: Ein israelischer Regisseur, der Gründungsmitglied der Gruppe „FOR Palestine“ ist. In seinem neuen Dokumentarfilm „Even Though My Land Is Burning“ geht es um den israelischen Anarchisten Ben Ronen, der gewaltfreie Proteste in Palästina unterstützt. Diesen Film kann ich allen Linken empfehlen: Es zeigt, wie Israelis und Palästinenser*innen sich über den nationalen Hass hinwegsetzen und Seit‘ an Seit‘ gegen Unterdrückung kämpfen.

Ich als linker Aktivist finde die Kämpfe der radikalen Linken in Israel unglaublich inspirierend. Seit über zehn Jahren berichte ich über „Anarchists Against The Wall“, „Breaking the Silence“ und israelische Linke in Berlin.

Richtet sich das Veto dagegen? Also gegen den israelischen Regisseur? Oder gegen den israelischen Anarchisten? Oder dagegen, dass ich ihre Arbeit einem deutschsprachigen Publikum vorstellen will?

Oder geht es darum, dass ich auch in Bündnissen mit FOR Palestine zusammenarbeite? Diese Gruppe – ob man sie mag oder nicht – ist ein fester Bestandteil der Berliner Linken geworden. Dieses Jahr am 1. Mai haben 25.000 Menschen eine „Nähe“ zu FOR Palestine gehabt, da diese Gruppe die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration mitorganisierte – trotz der Hetze von der Jungen Freiheit, der CDU, der AfD, usw. Vermutlich haben die meisten Organisator*innen der KORFU in diesem Sinne auch mit FOR Palestine zusammengearbeitet.

Ich bin Kommunist. Ich unterstütze das Recht aller Menschen, unabhängig von Religion, Sprache oder ethnischer Herkunft, gleichberechtigt im historischen Palästina zu leben. Diese Forderung erhebt FOR Palestine auch. Gleichzeitig habe ich auch eine klare Kritik an FOR Palestine formuliert: Die Forderung nach einem einzigen demokratischen Staat für alle Menschen in der Region erscheint mir, ohne den Sturz der kapitalistischen Staaten, vollkommen unmöglich. Aus meiner Sicht ist eine antikapitalistische Perspektive nötig.

Eine ähnliche Kritik habe ich an der Boykottbewegung gegen den israelischen Staat (BDS): Ich habe wenig Hoffnung in „zivilgesellschaftlichen Protest“ und „Druck auf die internationale Gemeinschaft“, wenn es darum geht, gegen Unterdrückung zu kämpfen. Ich glaube, dass nur eine unabhängige Bewegung der Arbeiter*innenklasse aller Länder die Macht hätte, um die kapitalistischen Staaten zu zerschlagen.

Die radikale Linke in Israel

Die britische Feministin Laurie Penny schrieb mal:

Es ist, würde ich sagen, eine befremdliche Erfahrung für eine Ausländerin jüdischer Abstammung, wie ich es bin, Twitter zu öffnen und festzustellen, dass Deutsche einen mit Hitler vergleichen.

Als jemand, der ebenfalls nicht in der deutschen Linken politisch sozialisiert wurde, finde ich es auch immer wieder befremdlich. Manche linke Strukturen in Deutschland, die sich sonst gegen den Staat und gegen den Kapitalismus stellen, verlangen eine absolute Loyalität gegenüber einem bestimmten kapitalistischen Staat, nämlich dem israelischen.

Das ist schon deswegen problematisch, weil es die kleine aber dynamische (und mutige!) radikale Linke in Israel praktisch unsichtbar macht. Dort gibt es viele Menschen, die sich gegen „ihren“ Staat und „ihre“ rechte Regierung und „ihr“ Militär stellen. Nicht wenige junge Menschen gehen ins Gefängnis, weil sie sich weigern, in der Armee zu dienen. Sind diese „Staatsfeind*innen“ unsere Freund*innen? Ich glaube schon.

Diese israelische radikale Linke gibt es auch in Berlin. Linke Israelis haben zum Beispiel 2014 eine Demonstration in Kreuzberg gegen den Krieg in Gaza organisiert, zusammen mit Palästinenser*innen, Deutschen und Geflüchteten aus aller Welt. Das finde ich super. Mit meinem Journalismus unterstütze ich sie, so viel ich kann.

Die Forderung, dass Kritik am Staat Israel in linken Räumen in Deutschland keinen Platz haben sollte, führt direkt dazu, dass Israelis und Juden*JüdInnen ausgeschlossen werden. Wirklich.

Vor fünf Jahren wurde ein israelischer Anarchist von der Vollversammlung der Ausländer*innen in das RefRat der Humboldt Universität gewählt. Aber das RefRat hat seine Wahl nicht anerkannt. Warum? Weil ausgerechnet der einzige Israeli in dem Gremium ein „Antisemit“ sein sollte. Dieses Jahr gab es erneut eine ähnliche Geschichte an der HU: Eine israelische Frau hat einen Job nicht bekommen, weil sie sich kritisch über „ihre“ Regierung geäußert hat. Das klingt nach einem systematischen Ausschluss von Juden*Jüdinnen – im Namen des Kampfes gegen Antisemitismus?!?

Auch an der FU ist ähnliches passiert. 2009 hatte der ASTA der FU versucht, eine Diskussionsveranstaltung mit einem israelischen Anarchisten zu unterbinden. Die Veranstaltung fand trotzdem statt.

Wie gehen wir mit Zensur um?

Ich habe bis jetzt keine Ahnung, ob es ein „Veto“ gegen mich gibt und, falls ja, worauf sich dieses Veto stützen soll.

Ich bin gern bereit, eine Diskussion über linksradikale Perspektiven im Israel-Palästina-Konflikt zu führen. In den nächsten zwei Wochen könnten wir sicherlich verschiedene israelische Aktivist*innen dafür gewinnen, eine Podiumsdiskussion an der FU zu führen, zusammen auch mit Linken aus Palästina und anderen Ländern. Das wäre für alle Beteiligten sehr lehrreich. Und welches bessere Mittel gibt es gegen Antisemitismus, als israelische und jüdische Menschen in unsere Diskussionen einzubinden?

Aber als ehemaliger Uniaktivist musste ich mich immer wieder gegen das Präsidium, die Securitys und die Polizei durchsetzen, um Veranstaltungen zu organisieren. Liebe Organisator*innen: Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass diese Veranstaltung wegen eines anonymen und unbegründeten „Vetos“ ausfallen wird, oder? Wir sehen uns dann am Montag. Ich hoffe, dass ihr zahlreich erscheint. Vielleicht wollt ihr etwas über Journalismus diskutieren. Und im Anschluss können wir stundenlang über Israel diskutieren.

Wie man Journalist*in wird


Referent*innen: Wladek Flakin, Tabea Winter

Montag, 10. Oktober
12:00 – 14:00 Uhr
Rost- und Silberlaube KL 29/239 Übungsraum

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