Keine PR für ihren Staat – mit Kritik an ihrer Regierung wollen Berliner Israelis antisemitische Stereotype aufbrechen

01.10.2014, Lesezeit 5 Min.
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Mehrere Tausend Israelis leben in Berlin. Der Gazakrieg hat einige von ihnen zusammengebracht: Sie sind gegen Antisemitismus, wollen aber die Politik von Israel nicht unterstützen.

Als der Zentralrat der Juden am 14. September zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus einlud, erschien die deutsche Politprominenz am Brandenburger Tor: Die Bundeskanzlerin, der Berliner Bürgermeister und zwei Bundespräsidenten saßen in der ersten Reihe, um sich gegen eine „neue Welle des Antisemitismus“ auszusprechen. Auf der anderen Seite des Tores stand der israelische Musiker Etay Naor – ebenfalls bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus, nur hier waren auch scharfe Worte gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen zu hören. Keine größere Zeitung erwähnte den antizionistischen Block. „Kritik an Israel ist nicht Antisemitismus“, hieß es auf einem Schild. „Merkel, gib uns deutsche Pässe statt Waffen!“, auf einem Transparent.

„Meine Freunde in Israel sind verzweifelt“ sagt Naor, der beim linken Bündnis „Chadasch“ in Israel aktiv war. Demonstrationen gegen den Krieg seien regelmäßig von rechten Schläger*innen auseinander gejagt worden, ohne dass die Polizei eingeschritten wäre. „Es ist gefährlicher, ein Araber oder ein Linker in Israel zu sein, als ein Israeli in Berlin“, stellt der 33-Jährige fest. Seit vier Jahren lebt er in der deutschen Hauptstadt. Mit Antisemitismus hat er bislang keine negativen Erfahrungen gemacht. „Die Mainstream-Medien reden soviel über Antisemitismus in Deutschland, damit sie nicht über den Mord an Zivilist*innen in Gaza reden müssen“, glaubt er. Die Diskussion solle gezielt die Anti-Kriegsbewegung delegitimieren. Naor will die deutsche Linke wachrütteln, denn man lebt nicht in einem neutralen Land. „Deutschland unterstützt die israelischen Kriege diplomatisch und militärisch“, kritisiert er.

Zwei Monate zuvor hatten junge Israelis zum ersten Mal in Berlin überlegt, wie sie ihre Kritik am Gazakrieg in Deutschland sichtbar machen können. „Wir wollten eine israelische Stimme gegen den Krieg erheben“, erinnert sich Iris Shahar, eine 34-jährige Studentin, die vor einem Jahr nach Berlin gezogen ist. „In Deutschland haben die Menschen Angst, gegen den Krieg in Gaza zu protestieren, weil das angeblich antisemitisch ist.“ Nach einer Friedensdemonstration versammelte sich eine kleine Gruppe in der Kneipe Südblock. Eine Woche später hatten sie ihre eigene Demonstration organisiert – fast 500 Menschen kamen zum Heinrichplatz in Kreuzberg – israelische Staatsbürger*innen, Deutsche, US-Amerikaner*innen, Palästinenser*innen, Flüchtlinge aus Afrika, die auch Sprüche auf Hebräisch riefen. Man hatte Kreuzberg ausgewählt, um die linke Szene Berlins unter Druck zu setzen, selbst auf die Straße zu gehen.

Die Israelis waren zuvor schon bei palästinensischen Demonstrationen gegen den Krieg dabei. Bedroht hätten sie sich dort nicht gefühlt, sagen sie. Ihnen ist aber bekannt, dass bei anderen Protesten offen gegen Juden gehetzt wurde: „Auf einer Demo am Adenauerplatz hat eine kleine Gruppe ‚Judenschweine‘ gerufen“, weiß der 27-jährige David Nelband, der als Musiker und Programmierer arbeitet. Die Aufnahmen zu sehen, war „ein erschütternder Moment“ für ihn. Er will jedoch differenzieren. Verschiedene palästinensische Gruppen organisierten Proteste, die meisten distanzierten sich klar von Antisemitismus. Als Nelband noch in Israel lebte, hat er öfter an der Seite von Palästinenser*innen gegen die Grenzmauer demonstriert.

Offiziell wohnen knapp 3.000 israelische Staatsbürger*innen zur Zeit in Berlin. Doch manche nutzen einen europäischen Zweitpass oder sind nicht gemeldet – so gehen manche Schätzungen von deutlich höheren Zahlen aus. Die israelische Community der Hauptstadt galt viele Jahre als liberal und mit der Situation in ihrer Heimat unzufrieden. Die neue Emigration aus Israel ist aber eher wirtschaftlich, als politisch begründet. Viele versuchen, den rasant steigenden Mieten in Tel Aviv zu entfliehen, und Berlin samt seiner Start-ups und den verhältnismäßig billigen Wohnungen wird zum beliebtesten Zufluchtsort. „Jetzt ist das gesamte politische Spektrum aus Israel hier vertreten“, meint Nelband. „Mit Ausnahme der Siedler*innen.“ Aber auch unpolitische Israelis, die mit kleinen Kindern ihre Heimat verlassen, drücken ihre Unsicherheit über die Zukunft eines Landes aus, das immer weiter nach rechts driftet.

In Israel gilt es als eine patriotische Pflicht, seinen Staat im Ausland gut darzustellen. „Hasbara“ ist dafür das hebräische Wort, wörtlich übersetzt heißt es „Erklärung“. Umgangssprachlich bedeutet „Hasbara“ eher „PR-Arbeit“ oder schlicht „Propaganda“, so sehen es Kritiker*innen. Die linken Israelis wollen auf ihre eigene Weise aufklären. „Israel beansprucht für sich, alle Juden*Jüdinnen der Welt zu vertreten, auch die in der Diaspora. Aber viele von uns sind nicht damit einverstanden“, erklärt Shahar. Für sie ist die Definition Israels als „jüdischer, demokratischer Staat“ ein „Oxymoron“. Die Studentin legt Wert darauf, zwischen Antisemitismus und Antizionismus zu unterscheiden. Das eine lehnt sie ab, das andere nicht. Erst wenn die Palästinenser*innen in Israel gleiche Rechte haben, werde es demokratisch sein. David Nelband unterstützt den palästinensischen Kampf ebenfalls. Er glaubt, damit auch antisemitische Einstellungen illegitim zu machen. „Wenn klar wird, dass es jüdische Israelis gibt, die ihren Staat kritisieren, wäre die Gleichsetzung von Juden*Jüdinnen und Israel nicht mehr möglich“, meint er.

Nicht nur während des Gazakriegs hört man hebräische Akzente bei linken Veranstaltungen in Berlin immer häufiger: ob in der Queerszene, in der Linkspartei oder alternativen Projekt. Manche unterstützen die umstrittene Kampagne zum Boykott des Staates Israels, andere wollen Friedensparteien in die Parlamente bringen und wiederum andere setzen auf horizontale Bewegungen im Stil von Occupy. Berlins antizionistische Israelis wollen jedenfalls beim nächsten Krieg im Nahen Osten noch lauter ihre Stimme erheben.

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