„Wir Revolutionär*innen brauchen Ermutigung und Inspiration!“ – Interview mit Stephanie McMillan.

16.09.2016, Lesezeit 5 Min.
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Die US-Künstlerin Stephanie McMillan zeichnet Comics, die politische Aktivist*innen motivieren sollen. Bei den „Daily Affirmations for Revolutionary Proletarian Militants” gibt es Tiere, Pflanzen und Botschaften, die uns für den alltäglichen Kampf für die Revolution ermuntern sollen. Nun hat sie ein Tischkalender mit 365 Comics veröffentlicht. Ein Interview mit Stephanie McMillan.

Wir haben beim Left Forum in New York einen deiner Kalender gekauft. Kannst du unseren Leser*innen darüber erzählen?

“365 Daily Affirmations for Revolutionary Proletarian Militants” ist ein Tischkalender, der jedes Jahr weiterbenutzt werden kann. Er besteht aus täglichen Botschaften, die das Ziel haben, Revolutionär*innen – also diejenigen, die für eine soziale Transformation im Interesse der Arbeiter*innenklasse kämpfen – zu inspirieren und ihnen Kraft zu geben. Die geschriebenen Botschaften werden von farbenfrohen Zeichnungen von Tieren, Pflanzen und Cartoon-Figuren begleitet.

Wenn man Kommunist*innen fragt, was sie von Motivationsplakaten denken, würden die meisten wahrscheinlich würgen. Wie kam es dazu, dass du motivierende Zeichnungen für proletarische Revolutionär*innen machst? 

Menschen brauchen Zuspruch, besonders, wenn sie an etwas Schwierigem arbeiten. Es gibt Berge von Motivationsliteratur für alle Arten von Zielen, welche dem Kapitalismus dienen. Zum Beispiel die Schaffung von Wohlstand, finanziellem Erfolg, Gewichtsreduzierung, Gelassenheit und Romantik. Mich hat es genervt, dass es sowas nicht auch für die von uns gibt, die ihre Energie in etwas stecken, dass sehr viel wichtiger und schwieriger ist: die Zerstörung des Kapitalismus. Revolutionär*innen fühlen sich manchmal auch mutlos, isoliert und erschöpft – wir brauchen Ermutigung und Inspiration wie jede*r andere auch!

Ich habe angefangen, die “Affirmations” zu zeichnen, um eine Möglichkeit zur Ermutigung zu schaffen. Eine freundliche Hand, die sich zu allen Genoss*innen weltweit ausstreckt, damit wir uns nicht so allein fühlen. Auch wollte ich inspirierende Worte weitergeben, die uns vielleicht helfen können zu erfüllen, was von Revolutionär*innen abverlangt wird. Dabei helfen, uns in eine Geisteshaltung zu versetzen, wo wir unsere besten Qualitäten aufbringen können: Mut, Standhaftigkeit, kritisches Denken und kollektive Stärke.

Wie siehst du das Verhältnis zwischen deinen Comics und den realen politischen und sozialen Kämpfen?

Meine Comics, wie jegliche aufrichtige politische Kunst, soll den politischen Kampf nicht nur begleiten, sondern in ihm integriert sein. Politische Kunstschaffende müssen im Kampf involviert sein, sonst können wir ihn nicht wirklich verstehen. Zu viele Künstler*innen glauben, dass es genug ist, an der Seite zu stehen und dem Kampf zuzujubeln, aber können dann nicht seine Bedürfnisse und Prozesse in der Tiefe begreifen und letztendlich nur oberflächliche Beobachtungen anbieten.

Ich bin seit den frühen 80er Jahren an politischen und sozialen Kämpfen beteiligt und bleibe es auch. Diese “Affirmations” speisen sich aus meinen eigenen Erfahrungen und viele stehen in direkter Verbindung zu konkreten Problemen, denen ich in der Zeit der Entstehung gegenüberstand. Ähnliche Bedenken und Probleme tauchen andauernd auf, wenn Menschen an Kämpfen beteiligt sind, also kam ich zu dem Schluss, dass diese Erfahrungen wahrscheinlich sehr universell sind.

Als ich anfing, die Bilder online zu posten, fand das unter einer Vielzahl von Leuten Zustimmung, die sie an andere verbreiteten. Einige fragten nach einem Kalender und als ich in sozialen Medien fragte, ob Leute wollen, dass ich sowas produziere, erhielt ich eine überwältigende Zustimmung. Also startete ich eine Kickstarter-Kampagne, um das Projekt zu finanzieren.

Wir lesen jetzt seit einer Weile deine Comics – sie sind Teil unserer täglichen Routine geworden. Aber einige sind sehr knallhart und stellen sehr hohe Ansprüche an uns. Wie ist dein Denkprozess: Wie weit kannst du gehen, wenn du die Zeichnungen machst?

Danke, dass ihr sie lest! Ich hoffe, sie sind hilfreich.

Meine Arbeit ist schon durch viele Phasen gegangen. Sie reflektiert, wo ich in meinen eigenen Anstrengungen nach Organisierung bin – worüber ich nachdenke, was ich anstrebe, umzusetzen und was ich wahrnehme.

Viele, die sich für die Revolution organisieren, werden positive und negative Tendenzen in sich selbst oder anderen bemerken, um die es im Kalender geht: vom simplen, dass Menschen nicht mehr zu spät zu Treffen kommen können, zu sowas krassem, wie die eigene Bereitschaft, sein Leben dem proletarischen Kampf zu widmen.

Wir sind fehlbar und menschlich, und die „Affirmations“ erkennen das an. Gleichzeitig ermutigen sie uns, unsere Schwächen zu überwinden. Wenn wir straucheln oder Fehler machen, müssen wir uns selbst wieder aufhelfen und weitermachen. Die „Affirmations“ sind anspruchsvoll: per Definition beinhalten sie nicht, was wir schon erreicht haben, sondern sollen uns erinnern, wonach wir streben, während wir politische Arbeit machen.

Wie können Leser*innen in Deutschland dir folgen? Versendest du deine Kalender international?

Die Kalender sind im Shop auf meiner Website verfügbar und ich versende sie gerne international. Ich habe noch ein paar Hundert übrig und es ist unwahrscheinlich, dass ich sie noch einmal drucken lasse, wenn sie weg sind. (Bitte seid nicht geschockt von den Versandkosten – das ist der wirkliche Preis, den die Post verlangt, und daran verdiene ich nicht zusätzlich.)

Viele meiner anderen Comics sind auch auf meiner Seite verfügbar, unter anderem eine PDF-Version meines Buches “Capitalism Must Die! A basic introduction to capitalism: what it is, why it sucks, and how to crush it.” Wie auch der Kalender ist es eine Kombination aus Text und Comics. Das Buch hat eine tiefere politischere Analyse und Linie, während der Kalender sich eher mit Ideologie, Emotion und Einstellung befasst.

Solidarität mit euch und euren Leser*innen!

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