Weitere Katastrophe in Moria: Die Grünen dreschen leere Phrasen

09.09.2020, Lesezeit 6 Min.
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@campsoscar

Im Geflüchtetenlager Moria auf der griechischen Insel Lesvos ist es in der Nacht vom 8. auf den 9. September zu mehreren Bränden gekommen.

Im größten Geflüchtetenlager Europas leben seit Monaten in etwa vier mal so viele Geflüchtete wie vorgesehen. Und seit Monaten schauen die griechische Regierung und die EU weg, obwohl bekannt war, dass die Bedingungen, unter denen gelebt wird, nicht nur menschenunwürdig sind, sondern auch die hygienischen Mindeststandards weit unterschreiten.

So gab es für die 12.600 Bewohner*innen des Lagers, von denen mehr als ein Drittel Kinder und Jugendliche sind, nur einen einzigen Arzt. Aufgrund des Platzmangels konnten die notwendigen 1,8 Meter Abstand kaum eingehalten werden – allein für Essen musste stundenlang Schulter an Schulter Schlange angestanden werden. Als es letzte Woche wenig überraschenderweise zum ersten Coronafall kam, wurde das komplette Camp unter Quarantäne gestellt. Binnen weniger Tage war die Zahl der Infizierten auf 35 gestiegen, was die allgemeine Anspannung verstärkte.

Heute ist Moria fast komplett niedergebrannt. Die meisten Geflüchteten konnten in Sicherheit gebracht werden, andere sind den Flammen gerade so selbst entkommen und durch den das Lager umgebenden Wald geflohen. Augenzeugenberichten zufolge sollen sich Inselbewohner*innen den Fliehenden in den Weg gestellt haben. Momentan hindern Polizist*innen sie daran, an Wasser und Nahrungsmittel zu gelangen, indem sie die Lieferungen der NGOs nicht passieren und die ehemaligen Bewohner*innen des Camps nicht in Supermärkte lassen.

Über Tote und Verletzte gibt es bisher noch keine offiziellen Informationen. Allgemein ist das Ausmaß der Katastrophe noch nicht abzusehen. Denn in der Nacht hatte es auch in der unmittelbaren Umgebung des Lagers gebrannt.

Auch die Ursache des Feuers ist noch unbekannt. Lokale Medien berichten, Geflüchtete hätten versucht, der Feuerwehr die Löschung zu erschweren. Ob sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben selbst die Container und Zelte, in denen sie gezwungen werden zu leben, angezündet haben, ist eine zweitrangige Frage.

Zuerst einmal ist es wichtig, alle 12.600 unterzubringen – und zwar in beheizten Gebäuden mit fließendem Wasser, ausreichend Duschen und Toiletten, um sich vor dem Virus zu schützen und einem richtigen Dach über dem Kopf. Seit Jahren diskutiert die EU über den Verbleib der Geflüchteten von Moria, die zwar nicht wie viele andere durch illegale Push-Backs zurück in die Türkei gebracht werden, aber auch nicht aufs griechische Festland reisen dürfen. Während die Betroffenen also de facto gefangen gehalten wurden – und das an einem Ort, an dem sie auch vor Faschist*innen nicht sicher sind – ist es bei diesen Verhandlungen bisher zu keinerlei Ergebnissen gekommen.

Du Horst

Verschiedene Einzelpersonen, Gruppen und Initiativen setzen sich seit Jahren dafür ein, dass Deutschland Geflüchtete aus diesen Zuständen herausholt – Platz gäbe es hierzulande mehr als genug. Vor einem Monat hatten Berlin und Thüringen verkündet, tatsächlich Kapazitäten zu haben und sich infolgedessen bereit erklärt, einen Bruchteil der Menschen aufzunehmen. Doch hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ihnen ein solches Vorgehen untersagt.

Das macht ihn zu einem direkt Verantwortlichen für das Leid der Menschen. Denn sowohl die Erkrankung einiger Dutzend als auch die aktuelle Obdachlosigkeit mehrerer Tausend Menschen hätte so verhindert werden können. Damit sich nicht weiter nicht geeinigt wird, sondern endlich etwas tut, muss Seehofer zur Verantwortung gezogen werden und zurücktreten.

Nichts kann ungeschehen machen, was geschehen ist. Es ist auch nicht wieder gut zu machen. Doch zeigt die letzte Nacht mehr denn je die Notwendigkeit auf, die innereuropäischen Grenzen zu öffnen – aber auch würdige Lebensbedingungen für Geflüchtete in Deutschland zu schaffen. Dafür muss ihnen ausnahmslos die Staatsbürger*innenschaft verliehen und die Polizei abgeschafft werden.

Da wir auf die Bundestagswahlen zugehen, können wir momentan beobachten, wie verschiedene bürgerliche Parteien darum wetteifern, als die humanitärste von allen dazustehen. An ihrer Spitze stehen zweifelsohne die Grünen, die momentan die Kampagne um die Aufnahme anführen. So beklagte deren Bundesvorsitzende Annalena Baerbock das systematisierte Ausbremsen von Hilfe seitens der Bundesregierung: Dass Bundesländer, die aufnehmen können und wollen, bisher bei Seehofer “gegen die Wand” gelaufen seien, müsse sich nun ändern.

Doch reicht es bei Weitem nicht aus, Kinder, Jugendliche und Frauen aus elendigen Verhältnissen in etwas weniger elendige Verhältnisse zu bringen. Denn in Deutschland erwartet die meisten Geflüchteten nichts anderes als tagtägliche Diskriminierung, rassistische Polizeigewalt, politische Verfolgung durch den Verfassungsschutz, Residenzpflicht, ein Arbeitsverbot und ein unendlich langer Kampf um Bleiberecht, der nicht selten doch in ihrer Abschiebung endet.

Während vor allem der linke Flügel, zu dem Baerbock nicht zählt, sowie die Jugend der kleinbürgerlichen Partei auf Papier mitunter radikale Forderungen wie die nach der Abschaffung des Verfassungsschutzes aufstellen, entwickelt Bündnis 90 / Die Grünen sich zu einer Partei, die die Interessen des deutschen Großkapitals vertritt und regiert in elf von 17 Bundesländern mit einer alles andere als progressiven Linie. In Koalitionsgesprächen werden die eigenen Ideale aufgegeben, ohne mit der Wimper zu zucken. So wird beispielsweise die Bundeswehr aufgebaut, für einen aggressivem Imperialismus in Form von Auslandseinsätzen, die zu Krieg, der Zerstörung anderer Länder und der Flucht von Menschen führen, eingetreten und das Aufrufen zu Mobilisierungen wie die zur Teilnahme an den “Fridays For Future”-Demonstrationen des letzten Jahres ohne Weiteres eingestellt.

Dabei liegt unsere Kraft nicht in den Parlamenten, sondern auf der Straße. Denn es ist unmöglich, staatlichen Rassismus durch Regierungsbeteiligungen zu bekämpfen. Deshalb unterstützen wir die Aufrufe zu spontanen Demonstrationen seitens der #WirHabenPlatz-Kampagne:

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