Warum wir 1.800 Euro Bafög für alle fordern

11.01.2022, Lesezeit 3 Min.
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Foto: Champion studio/ Shutterstock.com

In unserem Wahlprogramm für die Wahlen des Studierendenparlaments steht unter anderem: „elternunabhängiges Bafög für alle in Höhe von 1.800 Euro“. Wieso ein solcher Satz weder viel noch unrealisierbar ist, erfahrt ihr in diesem Kurzartikel.

Meine Mutter (57) hat erst vor Kurzem ihre Bafög-Schulden abbezahlt – schließlich ist die Hälfte des aufgenommenen Quasi-Kredits inklusive Zinsen an den Staat zurückzuzahlen. Und mal abgesehen davon, dass man die Förderung nur erhält, wenn die eigenen Eltern nachweislich arm oder sehr arm sind – obwohl die nicht als solche klassifizierten Mütter und Väter vieler Studierenden ihre Kinder entweder auch nicht, beziehungsweise kaum finanziell unterstützen können oder aber gar nicht erst wollen – liegt der Bafög-Höchstsatz bei nur 861 Euro pro Monat.

861 Euro klingt für viele von uns gar nicht so schlecht. Weil wir auch nichts anderes gewöhnt sind. Freund:innen, die eine Ausbildung machen, kriegen auch nicht viel mehr – oder sogar weniger, als werdende Friseur:innen zum Beispiel. Das Unmögliche ist möglich geworden: Es ist komplett normalisiert, dass wir in Armut leben.

Und nein, das ist keine Übertreibung. Momentan bin ich in Berlin auf Wohnungssuche. Ein schwieriges Unterfangen, da ich im Monat keine 650 Euro für ein WG-Zimmer übrig habe. Aber rechnen wir mal mit Zahlen alter Mietverträge: Wenn wir von den 861 Euro nun 450 Euro für Miete inklusive Nebenkosten, 82,04 Euro, die an die Krankenkasse gehen, sowie 52,14 Euro Semesterbeitrag abziehen, bleiben 276,82 Euro übrig. Das entspricht in etwa 62 Prozent dessen, was als Existenzminimum definiert wird.

Hartz-IV und Bafög-Höchstsatz bedeutet Leben unterhalb der Armutsgrenze

In Deutschland ist das Existenzminimum momentan 449 Euro monatlich (Hartz-IV-Regelsatz 2022 für Alleinstehende und Alleinerziehende). Die von der neuen Bundesregierung beschlossenen Erhöhungen des Regelsatzes des ALG2 um drei Euro für Erwachsene und Jugendliche und zwei Euro für Kinder pro Monat trat zum 1. Januar 2022 in Kraft. Zuvor waren sie unter anderem von Kinderrechtsorganisationen scharf als völlig unzureichend kritisiert worden: 0,67 Prozent mehr bei einer Teuerungsrate von im Durchschnitt genau fünf Prozent über die letzten drei Monate kann de facto nicht als Erhöhung bezeichnet werden. Vielmehr handelt es sich um den allmählichen Verlust an Kaufkraft. Besonders zynisch: Während die Energiepreise im vergangenen Quartal um fast 20 Prozent stiegen, berechnete die Ampelkoalition, dass Arbeitslose für 2022 sowohl anteilig als auch numerisch weniger Geld für „Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung“ benötigen würden.

Aber zurück zum Bafög. Wem 1.800 Euro nichtsdestotrotz immer noch viel vorkommt, sollte sich auch Folgendes vor Augen führen: Wer 45 Jahre lang, also zum Beispiel ab dem 22. bis zum 67. Lebensjahr, pro Monat 1.800 Euro netto „verdient“, würde dann 913,90 Euro Rente erhalten – allein nach Abzug der oben genannten Miete (für ein WG-Zimmer wohlgemerkt) und 63,97 Euro Krankenkassenkosten bleiben 399,93 Euro, also auch weniger als der sowieso zu geringere Hartz-IV-Satz. Im Übrigen würde man auch mit dem von der Regierung für dieses Jahr geplanten Mindestlohn von 12 Euro mit einer 40-Stunden Woche bei Renteneintritt in Altersarmut fallen.

Aber: Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?

Allein von den rund 100 Milliarden Euro, die Deutschland Schätzungen zufolge jährlich an Steuereinnahmen durch Steuerhinterziehung verliert, könnten an 4,63 Millionen Student:innen pro Monat 1.800 Euro ausgezahlt werden – so viele Menschen studieren heute hierzulande nicht einmal.

Lasst uns aufhören, Armut zu normalisieren – wir alle, egal ob arbeitslos, beschäftigt oder studierend verdienen ein würdevolles Leben. Dafür müssen wir uns organisieren und kämpfen!

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