War das die letzte Fusion? Der Traum von einem Ort ohne Rassismus, Sexismus und Ausbeutung

11.07.2016, Lesezeit 3 Min.
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Letztes Wochenende versammelten sich 70.000 Menschen in einem Paralleluniversum, das in Mecklenburg-Vorpommern liegt. Die FUSION, das größte linke Festival in Deutschland, fand zum 20. – und vielleicht auch letzten – Mal statt.

Oben auf jedem Hangar flattert eine rote Fahne. Früher war das Gelände ein sowjetischer Militärflughafen. Aber seit 1997 findet jedes Jahr am letzten Juniwochenende ein Festival statt. Am Anfang kamen nur einige hundert – inzwischen bewerben sich Hunderttausende um ein Ticket. Die Nachfrage ist so groß, dass man sich fast ein Jahr vorher an einer Lotterie beteiligen muss.

70.000 Menschen feiern fünf Tage lang. Es gibt Musik, Theater, Zirkus – rund um die Uhr gibt es viel Licht und Lärm. Überall sind „Hundepfeifen“ für Linksradikale: rote Fahnen, kyrillische Schrift, Bilder von Lenin sowie Straßen, die nach Revolutionär*innen aus aller Welt benannt sind. (Eine Leo-Trotzki-Allee gibt es auch.) Wer links ist, wird unendlich viel revolutionäre Symbolik erkennen; für unpolitische oder rechte Menschen bleibt vieles nur halb sichtbar.

Das ganze Festival ist nicht kommerziell – viel Arbeit wird von freiwilligen Helfer*innen geleistet. Von „Ferienkommunismus“ ist die Rede. Natürlich ist das Gelände nicht frei von Rassismus, Sexismus und Ausbeutung. Die Autorin Hengameh Yaghoobifarah hat in einer scharfen Polemik bei Missy Magazine aufgezeigt, wieviel subtiler (und nicht so subtiler) Rassismus durchgeht. Was soll das „indianische Essen“ überhaupt sein, das an einem Stand von weißen Menschen serviert wird? Auch die pseudo-indische Ästhetik auf der „Kolkata“-Bühne mit Elefanten und Saris macht nicht den Eindruck, dass Menschen aus Asien ernstgenommen werden.

Dennoch: Der ganze Dreck der kapitalistischen Gesellschaft wird auf der FUSION ein Stück weit zurückgedrängt. Das ist wirklich schön.

Zum 20. Mal fand nun das Festival statt und die Veranstalter*innen brauchen dringend ein Jahr Pause. Sie versprechen allerdings, dass sie ihre „kommunistische Kleinstadt“ im Jahr 2018 erneut aufbauen wollen.

Einige Menschen von RIO und RKJ haben gefeiert, aber auch mitgearbeitet, um das ganze Festival am Laufen zu halten. Durch das Prinzip der freiwilligen Arbeit für die Gemeinschaft wirkt es auf dem Gelände ein bisschen, wie es im Kommunismus sein wird – aber nur ein bisschen. Entkommen kann man der kapitalistischen Wirklichkeit letztlich eben nicht mit einem Festival. Um die „gelebte Utopie“ Wirklichkeit werden zu lassen, müssen wir mit Massenaktionen den Kapitalismus stürzen.

Das Festival ist dabei laut Fatty McDirty auf LowerClassMagazine „die Mutter aller Solipartys“ und treibt viel Geld für linke Zwecke ein. Auf dem Festival selbst ist aber sehr wenig von politischem Kampf zu spüren. Zwar gibt es an verschiedenen Stellen Workshops, aber die sind schlecht besucht, und die Themen driften manchmal sogar stark ins Esoterische.

Wer die FUSION nicht politisch genug findet, ist deshalb zur Sommerakademie von RIO und unseren Schwesterorganisationen nach Barcelona eingeladen. Dort ist es ein bisschen wie die FUSION – nur ohne Konzerte, dafür mit unendlich vielen spannenden Debatten. Dort gibt es wirklich, wie wir auf eigenen T-Shirts versprochen haben, Diktatur des Proletariats statt Ferienkommunismus.

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