Voith ist beerdigt: Das war der Kampf um das Allgäuer Traditionswerk

01.04.2021, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Simon Zamora Martin

Gestern wurde das Getriebewerk Voith in Sonthofen endgültig geschlossen. Im vergangenen Frühjahr hatte Klasse Gegen Klasse ausführlich über den Kampf der Beschäftigten um ihre Arbeitsplätze berichtet. Ein Blick zurück auf die Lehren dieses wichtigen Kampfes.

Symbolisch haben die zuletzt verbliebenen 90 Produktionsarbeiter:innen bei Voith in Sonthofen an ihrem letzten Arbeitstag ihr Werk zu Grabe getragen. Für jedes Jahr, an dem an diesem Ort Metall verarbeitet wurde, stellten sie ein Grablicht auf. Fast 500 Jahre währte die Tradition. Nun hat die Oberallgäuer Kleinstadt ihren ehemals größten Betrieb verloren.

Um das zu verhindern, hatten die Arbeiter:innen im Frühjahr letzten Jahres 33 Tage lang gestreikt. Ihr Werk konnten sie nicht bewahren, Ende September 2020 wurde die Produktion nach Crailsheim verlegt. Der Streik brachte lediglich einen Sozialtarifvertrag. Der Großteil der Beschäftigten wurde vorerst in eine Transfergesellschaft überführt.

Als Klasse Gegen Klasse haben wir die Streikposten besucht und dabei eine Perspektive aufgeworfen, wie das Werk gerettet werden könnte: die Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten selbst:

Anstatt sich immer wieder den Interessen privater Eigentümer*innen zu unterwerfen, könnten die Beschäftigten das Werk selbst verwalten. Der Staat, dem das Werk unter dem Namen BHS auch schon bis 1989 gehörte, könnte es wieder übernehmen und die 500 Kolleg*innen könnten unter eigener Regie weiter produzieren.

Auch theoretisch haben wir untermauert, warum diese Forderung so entscheidend ist:

Die Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle ist eine solche Übergangsforderung. Sie ist im aktuellen System umsetzbar, sie verbessert die Kampfposition der Arbeiter*innen, weil sie sind nicht mehr dem Druck der kapitalistischen Bosse ausgesetzt sind, und sie weist auf eine grundlegend andere Wirtschaftsweise hin.

Doch wir haben uns nicht nur theoretisch mit dem Kampf beschäftigt, sondern den Streikenden den Rücken gestärkt, indem wir eine ganze Reihe von Solidaritätsbotschaften organisiert haben: von Krankenhaus-Beschäftigten in Berlin und München, von Führungsfiguren besetzter Fabriken und Parlamentsabgeordneten aus Argentinien und Gewerkschaftern in Chile.

Die Schließung des Werks war aber nicht nur deshalb besonders verwerflich, weil der Standort noch 2019 profitabel produziert hatte. Die Familie Voith ist zudem eine der reichsten in Deutschland. Wie wir vorgerechnet haben, hätte man von ihrem Vermögen den Lohn der 500 Arbeiter:innen noch einhundert Jahre weiterzahlen können.

Soweit kam es letztlich nicht. Auch wenn die IG Metall den Streik als erfolgreich bezeichnete, gingen die Arbeitsplätze verloren. Wie es passieren konnte, dass der große Kampfwille der Beschäftigten nicht genügte, um das Werk zu retten, haben wir nach dem Streik bilanziert:

Die Beschäftigten haben gezeigt, dass sie kämpferisch sind: Sie haben bei hohem gewerkschaftlichem Organisationsgrad bis zum letzten Tag bei nahezu voller Beteiligung gestreikt und auch weitergehende Methoden angewandt wie die zeitweise Blockade des Werkstors. Doch was gefehlt hat, um sich von der Gewerkschaftsführung nicht den Schneid abkaufen zu lassen, war eine Selbstorganisierung der Basis. Es wäre nötig gewesen, in Streikversammlungen einen Kampfplan für eine Ausweitung des Streiks, Mobilisierungen und einer bundesweiten Solidaritätskampagne als Alternative zur Verhandlungstaktik vorzuschlagen und auch gegen den Willen der Gewerkschaftsbürokratie durchzusetzen.

Gleichzeitig haben sich für die deutsche Linke mit diesem Kampf wichtige Fragen gestellt. Während die meisten linken Strömungen in Bayern und der Bundesrepublik nur verhaltenes Interesse an diesem Arbeitskampf in der Provinz zeigten, bildete die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) eine der wenigen Ausnahmen. Allerdings lehnte die MLPD den Erhalt der Arbeitsplätze durch eine Verstaatlichung unter Arbeiter:innenkontrolle ab. In einer Polemik haben wir uns damit beschäftigt und sind schnell zu großen Fragen gelangt: „Wie können sich die Arbeiter*innen selbst befreien? Und mit wem müssen sie sich dafür verbünden?“

Auch wenn der Kampf verloren ging, war er doch nicht umsonst. Eine lesenswerte Reportage für die junge Welt schloss unser Genosse Simon Zamora Martin mit einem Ausblick:

Doch hoffentlich fällt nicht der Nebel des Vergessens über diesen Kampf – dem ersten Streik seit Ausbruch der Coronapandemie. Im Angesicht einer möglichen neuen politischen Dynamik und bevorstehender Angriffe wegen der beginnenden Rezession lässt sich hier hinter dem Grünten mehr finden als leckerer Käse. Hier lässt sich ein wertvoller Schatz an Erfahrungen bergen.

Alle Artikel rund um den Arbeitskampf bei Voith findet ihr hier.

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