Stellt sich die Linkspartei in der Pandemie endlich gegen die Bundesregierung?

19.11.2020, Lesezeit 6 Min.
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Bild: Screenshot aus der Mediathek vom Bundestag von der Debatte vom 18.11.2020

Im Bundestag hat die Partei Die Linke mit dem Verweis auf die Wahrung von Grundrechten gegen die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes gestimmt. Lange Zeit war von der Partei kaum ein Wort der Kritik zu vernehmen. Folgen den Worten jetzt wirkliche Taten?

Während gestern in Berlin in den Straßen um das Reichstagsgebäude Tausende Rechte und Verschwörungsgläubige demonstrierten, wurde drinnen über die Novelle des Infektionsgesetzes abgestimmt. Die derzeitigen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung werden sich erst einmal nicht ändern und doch ist die Gesetzesänderung keine Lappalie.

Denn während die Beschränkungen bisher mit einer Generalklausel im Gesetz begründet wurden, die die Anordnung von „notwendigen Schutzmaßnahmen“ ermöglichte, sind die Maßnahmen wie die Maskenpflicht nun explizit aufgelistet. Der Bundestag hat damit gewissermaßen die Praxis der bisherigen Pandemiebekämpfung legitimiert und die Entscheidungsmacht der Exekutive festgeschrieben. Und deren Grundsatz lautete bislang: Einschränkungen im Privaten so viel wie nötig, Einschränkung der Wirtschaft so wenig wie möglich. Die Abstimmung im Bundestag war damit auch eine Abstimmung über diesen Grundsatz.

Beschlossen wurde das Gesetz gegen die Stimmen der Fraktion der Partei Die Linke. Für die Fraktion sprach in der Debatte nur der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte. Er begann seine Argumentation mit einer Bemerkung in Richtung der Bundeskanzlerin: „Der Bundestag ist kein Bremsklotz, den man mal nach Gutdünken mit Anwesenheit beglücken kann oder nicht. Sondern er ist zentral für die Meinungsfindung und die Nachvollziehbarkeit der Pandemiebekämpfung.“ Die Kanzlerin stimmte ihm mit einem wohlwollenden Nicken zu.

Sein zentraler Punkt: Die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte, wie wir sie seit Monaten erleben und wie sie mit der Gesetzesänderung fortgeschrieben wurden, darf nicht von der Bundes- oder von den Landesregierungen vorgenommen werden, sondern muss im Bundestag beschlossen werden. Angela Merkel kann dem zustimmen, weil die größte Hürde für die Durchsetzung der Politik der Bundesregierung gar nicht die Diskussion der Parlamente ist. Die verstärkte Machtfülle der Exekutive lässt sich nicht mit dem Schüren von Illusionen in die Macht der Parlamente bekämpfen, wie Korte es versucht.

Viel problematischer ist aus Merkels Perspektive ohnehin der starke deutsche Föderalismus, der die rasche Umsetzung einer einheitlichen Politik im ganzen Lande erschwert. Unter Beweis gestellt wurde dies zuletzt wieder auf der Pressekonferenz nach dem Treffen Merkels mit den Ministerpräsident:innen. Zu verkünden gab es dort nichts, denn man war sich nicht einig geworden. Die Gesetzesänderung soll dementsprechend nun auch die bundesweite Vereinheitlichung der Politik ermöglichen.

Folgen jetzt Taten?

Welche Alternativen sich die Linkspartei zur Politik der Bundesregierung vorstellt, hat sie in einem „Fahrplan für den Corona-Winter“ festgehalten. Darin kommen einige Forderungen vor, die in die richtige Richtung weisen, z.B. die notwendige finanzielle Unterstützung von Solo-Selbstständigen und Kleinbetrieben, Lohnerhöhungen für die „Heldinnen und Helden der Krise“, also Pflegekräfte, Einzelhandelsbeschäftigte und Paketbot:innen, oder einen Aufschlag auf alle Sozialleistungen. Genauso richtig ist die Forderung nach Luftfiltern für Klassenräume und die patentfreie Verfügungstellung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus.

Doch das geht nicht weit genug. Die Verteidigung der öffentlichen Gesundheit verlangt nach der dringenden Erhöhung der Budgets des Gesundheitssektors und nach der Verstaatlichung des gesamten Gesundheitswesens. In den Betrieben braucht es Hygiene- und Sicherheitskommissionen, damit die Beschäftigten gemeinsam mit Expert:innen über die notwendigen Schutzmaßnahmen entscheiden können. Wer in Quarantäne muss oder andere Menschen pflegt, muss bei vollem Lohnausgleich freigestellt werden.

 

Gleichzeitig befinden wir uns gerade nicht nur in einer Gesundheitskrise, sondern es drohen durch den wirtschaftlichen Abschwung auch massenhafte Entlassungen, die derzeit noch durch die Kurzarbeit aufgeschoben werden. Auch dagegen muss sich ein Notfallprogramm wenden: Unternehmen, die entlassen oder schließen, müssen enteignet und unter Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. Es ist richtig, dass die Linkspartei in ihrem Papier die Auflösung der Geflüchtetenlager in Griechenland fordert. Genauso müssen aber alle Abschiebungen ausgesetzt und Lager aufgelöst werden, was sie verschweigt – schließlich verantwortet sie in Regierungsverantwortung auf Landesebene selbst die deutsche Migrationspolitik.

Schon vor der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz hatte die Noch-Vorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, angekündigt, dass sie gegen die Gesetzesänderung stimmen würde. Auf Facebook verkündete sie: „Ich kritisiere die Corona-Politik der Bundesregierung von Anfang an.“ Viel zu hören war von dieser Kritik lange Zeit nicht. Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Zu Beginn der Pandemie sprach Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch der Bundeskanzerlin sogar seinen Dank für ihre Politik aus und stützte damit die große nationale Einheit. Auch anlässlich der Streiks im öffentlichen Dienst stellte er sich in den Dienst dieser Einheit, als er die Streiks als unzumutbar bezeichnete.

Insofern ist es ein Fortschritt, dass die Partei nun mehr versucht, einer Kritik der Politik der Bundesregierung von links Gehört zu verschaffen. Doch genügt es nicht, bloß zu kritisieren und sich im Bundestag in einer Abstimmung zu positionieren, wo die eigenen Stimmen eh keinen Unterschied machen. Die zentrale Frage ist schließlich, was zu unternehmen ist, damit die Forderungen nicht wirkungslos verhallen.

Gegen die Politik der Bundesregierung, die die Grundrechte der Massen im Privaten einschränkt und die große Wirtschaft unberührt lässt, und für eine effektive Bekämpfung der Pandemie braucht es nicht nur die richtigen Forderungen, sondern vor allem eine Kampfplan. Wenn sie es ernst meint, muss die Partei Die Linke zu einer schlagkräftigen Mobilisierung auf den Straßen und in den Betrieben beitragen. Welche Kampfmittel nötig sind, muss in einem überbetrieblichen und überregionalen gewerkschaftlichen Netzwerk mit Delegierten aus den Betrieben diskutiert werden.

Eine Konfrontation der Bundesregierung und ihrer Politik in der Pandemie auf den Straßen und aus den Betrieben wäre gleichzeitig auch die effektivste Waffe im Kampf gegen die rechte Demagogie und die Leugnung der Gefahr durch den Virus. Dabei ist auf die Polizei und die Gerichte kein Verlass, wie sich in den vergangenen Wochen Mal um Mal gezeigt hat. Zulauf bekommen die Rechten schließlich vor allem, weil es keine Alternative zu geben scheint zwischen ihnen und der Bundesregierung. Die Partei Die Linke wird sich daran messen lassen müssen, ob sie dazu bereit ist, zu einer solchen Alternative beizutragen.

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