SPD-Parteitag: Nahles erringt einen Pyrrhussieg – mit hohlen Phrasen der Erneuerung

24.04.2018, Lesezeit 5 Min.
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Andrea Nahles ist neue SPD-Chefin – doch nur mit etwa zwei Drittel der Stimmen. Der Ausgang der Wahl verdeutlicht die anhaltende Krise der SPD.

Am Sonntag tagte der dritte SPD-Parteitag in fünf Monaten im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden. Zentrales Anliegen war die Neuwahl des Parteivorstands, bei der sowohl der ehemalige Hoffnungsträger Martin Schulz als auch der aktuelle kommissarische Vorsitzende Olaf Scholz abgelöst wurden. Erstmalig kandidierten diesmal zwei Frauen: die Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles und die bislang kaum bekannte Simone Lange aus Schleswig-Holstein. Darüber hinaus ging es um die Organisierung und Inszenierung der Erneuerung der Partei, welche sich in einer schwelenden Dauerkrise befindet. Vier so genannte Lenkungsgruppen wurden dafür auf den Weg gebracht.

Nahles‘ Wahl: Ein schwaches Votum für ein „Weiter so“

Das Ergebnis der Wahl war einerseits allerseits erwartet worden und brachte doch eine Überraschung mit sich. Andrea Nahles gewann die Wahl und wird somit – 18 Jahre später als bei der CDU – die erste weibliche Vorsitzende in der Geschichte der SPD. Niemand hatte mit einem anderen Ausgang gerechnet. Jedoch gelangt Nahles nur äußerst ramponiert auf diesen Posten, mit dem sie von nun an das doppelte Amt der Partei- und Fraktionsvorsitzenden innehat. Lediglich 66,3 Prozent der abgegebenen Stimmen konnte sie in der Wahl auf sich vereinigen. Das ist deutlich weniger Zuspruch als auch in der Parteispitze erwartet wurde – seit Lafontaine 1995 das schlechteste Ergebnis. Zu jener Zeit war die SPD ebenso wie heute in einer tiefen Krise und hatte keine Vorstellung davon, wie sie mit der kapitalistischen Restauration umgehen sollte. Seit 1946 ist Nahles‘ Resultat das zweitschlechteste Wahlergebnis einer*s Kandidat*in für den SPD-Vorsitz.

Nahles‘ Gegenkandidatin Simone Lange erreichte demgegenüber ein deutlich über den Erwartungen liegendes Wahlergebnis von knapp 28 Prozent. Die Kandidatin präsentierte sich als eine „authentische“ parteiinterne Oppositionelle, aber sie war de facto eine völlige Außenseiterin aus der Regionalpolitik Flensburgs. Nur von einer kleinen Minderheit der Ortsvereine hatte sie im Voraus den Zuspruch erhalten – von 95 von 7.741.

Lange wollte einem Sektor der SPD die Stimme geben, der die Agenda 2010 und die blasse Politik der Unterordnung der SPD unter die Führung Merkels ablehnt. So forderte sie auch die Abschaffung von Hartz IV. Ihr gutes Abschneiden zeigt entsprechend die tiefe Krise der Parteispitze der SPD.

Jedoch konnte Lange kein wirkliches Alternativprogramm vorschlagen. Nicht einmal der Vorsitzende der Jusos, Kevin Kühnert, der zuvor die Speerspitze der #No-Groko-Kampagne darstelle, stellte sich hinter sie. Stattdessen hatte er sich im Voraus für Nahles ausgesprochen. So blieb selbst derjenige, der angeblich die „Erneuerung“ innerhalb der SPD verkörpern wollte, bei einem Appell für ein „Weiter so“ – dessen Glaubwürdigkeit allein auf die leeren Versprechen von Nahles‘ fußt, von nun an doch alles anders machen zu wollen.

Keine Antwort auf die Dauerkrise der Sozialdemokratie

Das schwache Ergebnis der Wahl für Nahles und die Infragestellung der Führungsriege durch große Teile der Basis verdeutlicht also die weiter schwelende tiefe Krise der Sozialdemokratie.
Nachdem die SPD-Führung gerade erst das Gespenst der No-Groko Kampagne abgewehrt hat, mit dem diese nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre Macht verloren hätte, soll Nahles nun das „Weiter so“ arrangieren. Es wird zwar vollmundig von Erneuerung trotz der Teilnahme an der Regierung geredet, aber die bisherige Praxis zeichnet ein deutliches Bild der Anpassung und Unterordnung.

Am augenscheinlichsten zeigte sich das im Wortbruch in Bezug auf den Paragraphen 219a StGB: Dieser Paragraph zur Kriminalisierung von Informationen für Abtreibungen sollte gemäß den Versprechen der SPD schnellstmöglich gestrichen werden. Doch nach der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag zog die SPD ihren entsprechenden Gesetzentwurf wieder zurück. Ausgerechnet Andrea Nahles verteidigte das so: „Wir sind nicht in der Sache zurückgetreten, aber im Verfahren der Union entgegengekommen. Das ist doch eigentlich ein guter Kompromiss.“ Doch im Gegenteil war dies nichts weiter als ein Schlag ins Gesicht für den Kampf um Frauenrechte.

Die neue Parteiführung hat nun eine schwere Aufgabe vor sich: Die Unterstützung der Parteibasis wird immer schmaler, während die Union in der Regierung immer weitere reaktionäre Offensiven startet. Die einzige Strategie, die Nahles und Co. anzubieten haben, ist das Abwarten auf die Schwächung der von Merkel geführten CDU.

Doch auch die parteiinterne Opposition hat keine Alternative anzubieten. Langes Kandidatur war dafür symbolisch: Fast die gesamte Parteistruktur stand gegen sie, auch wenn sie einen ideologischen Achtungserfolg erringen konnte. Und das ist auch kein Wunder: Die SPD ist eine Hauptsäule des BRD-Regimes und ihr Personal ist zum großen Teil zugleich Personal des Regimes. Sie ist strukturell viel zu eng an den Staat und die Bosse gekoppelt, um sich „von innen“ zu „erneuern“.

Umso zentraler ist es, diejenigen Teile der SPD, die sich gegen Nahles‘ Regierungslinie stellen, für eine tatsächliche Opposition auf der Straße und in den Betrieben, Schulen und Unis gegen die neue-alte Große Koalition zu gewinnen. Angefangen mit einer großen Bewegung gegen den Paragraphen 219a StGB.

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