Sozialistische Revolution, Frauenbefreiung und das Absterben der Familie

27.05.2020, Lesezeit 20 Min.
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A gigantic painting of Lenin addressing the crowd upon his return to Russia during the Russian Revolution. Note the disaffected bourgeoisie, military officers, and priests in the lower right. The painting hangs in the Museum of Political History.

Manche sagen, der Marxismus interessiere sich nur für wirtschaftliche Probleme und ignoriere die Unterdrückung. Aber die Russische Revolution zeigte, wie Marxist*innen versuchten, die Unterdrückung der Frauen durch die Vergesellschaftung der reproduktiven Arbeit zu beenden. Sie glaubten, dass Beziehungen ausschließlich auf Liebe, nicht auf sozialem Zwang beruhen sollten.

Im College las ich viele Theoretiker*innen, die den Marxismus als «klassenreduktionistisch» bezeichneten. Sie behaupteten, dass der Sozialismus nur wirtschaftliche Probleme aufgreife und Unterdrückung ignoriere. Aber als ich begann, den Marxismus zu studieren, stellte ich fest, dass diese oft wiederholten Clichés über Marx und den Marxismus weit von der Wahrheit entfernt sind.

Von Anfang an haben die Marxist*innen die Frage der Unterdrückung der Geschlechter aufgegriffen – manchmal mit mehr Klarheit, manchmal mit weniger, aber immer diskutierten sie darüber. Ein kurzer Überblick: 1879 schrieb August Bebel «Die Frau im Sozialismus». Friedrich Engels schrieb 1884 «Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates», in dem er die Wurzeln der Geschlechterunterdrückung bis zur Schaffung von Privateigentum zurückverfolgt. Er argumentiert, dass sich das Patriarchat, die Monogamie oder die Zwei-Eltern-Familieneinheit nicht biologisch begründen lassen. Später war Clara Zetkin Redakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitung «Die Gleichheit» der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Sie kämpfte dafür, dass Frauen zu Subjekten des Kampfes gegen Kapitalismus und Patriarchat werden.

Aber für mich ist es die Russische Revolution, die am besten die marxistischen Ideen veranschaulicht, wie sie in Bezug auf den Kampf gegen Sexismus und für Frauenrechte verwirklicht wurden. Sie zeigt, dass für führende marxistische Denker wie Lenin und Trotzki die Revolution allein nicht ausreichte, um die Gesellschaft vom Patriarchat zu befreien. Vielmehr war die Revolution erst der Anfang einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderung mit entsprechenden Umwälzungen in der Rolle der Frau in der Gesellschaft sowie einer Veränderung aller gesellschaftlichen Werte und der Kultur. Das zeigen die Gesetze, die von der Bolschewistischen Partei, die die Revolution anführte, erlassen wurden, sowie die breiten Debatten über Frauenrechte innerhalb der Partei.

Doch, wie Lenin es formulierte, bedeutet Gleichheit im Gesetz nicht Gleichheit im Leben. Infolge des auf die Revolution folgenden Bürger*innenkriegs und der internationalen Isolation des ersten Arbeiter*innenstaates waren die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gleichstellung der Frauen nicht gegeben. Unter diesen schrecklichen Umständen setzte sich der Stalinismus durch und löschte die Siege der Arbeiter*innenklasse und insbesondere die Siege der Frauen, die in der russischen Revolution errungen wurden, aus. Das Aufkommen des Stalinismus schuf die falsche Vorstellung, dass der Marxismus und der Sozialismus im weiteren Sinne, sich nicht um Sexismus und Patriarchat kümmere.

Frauen als Funke für die russische Revolution

Der Kontext der russischen Revolution von 1917 ist von völligem Elend für das Land und seine Bevölkerung geprägt. Russland hatte eine Reihe von Kriegen durchgemacht: mit Japan 1904-05, eine gescheiterte Revolution 1905 und den Ersten Weltkrieg 1914. Während des Weltkriegs stiegen die Preise in Moskau um 131%, und die Frauen verbrachten Stunden damit, in der beißenden Kälte auf Grundnahrungsmittel wie Weizen und Zucker zu warten.

Marx glaubte, dass die sozialistische Revolution in den fortgeschrittenen Industrienationen beginnen würde. Russland blieb jedoch weit hinter der Wirtschafts- und Produktivkraft von Ländern wie Deutschland zurück. Die Bauern machten 80% der Bevölkerung aus – sie waren meist Analphabeten und waren isoliert von den politischen Debatten in den Städten. Das bäuerliche Leben basierte auf einer strikten Arbeitsteilung, und den Frauen wurde beigebracht, ihrem Vater und später ihrem Ehemann gehorsam zu sein. Erst nach 1914 durften sich Frauen von ihrem Mann trennen, aber nur mit der Erlaubnis des Mannes; ebenso konnten Frauen nur mit der Erlaubnis des Mannes einen Pass oder eine Arbeit bekommen.

In den Städten Russlands gab es ein kleines, aber starkes Proletariat. Der Erste Weltkrieg spielte eine wichtige Rolle bei der Erhöhung des Gewichts der Arbeiterinnen im russischen Proletariat: Als die Männer in den Krieg zogen, traten immer mehr Frauen in die Arbeitswelt ein. Im Jahr 1914 machten Frauen 26,6 Prozent der Arbeiterschaft aus, 1917 jedoch fast die Hälfte (43,4 Prozent). Neben den miserablen Arbeitsbedingungen sahen sich die Industriearbeiterinnen auch mit einer geschlechtsspezifischen Ungleichheit konfrontiert. Sie verdienten niedrigere Löhne und durften sich nicht in den gleichen Gewerkschaften organisieren wie ihre männlichen Kollegen.

Frauen waren jedoch der Funke, der die Russische Revolution entzündete, die den Zaren stürzten und die Voraussetzungen für die Machtübernahme der Bolschewiki schaffen sollten. Ende Februar 1917 verließen die Frauen in den Petrograder Fabriken ihre Arbeitsplätze und gingen in benachbarte Fabriken, um die Männer aufzufordern, ebenfalls ihre Arbeit niederzulegen und sich dem Streik anzuschließen. Die bolschewistische Zeitung Prawda erklärte: «Der erste Tag der Revolution – das ist der Frauentag, der Tag der Internationalen der Arbeiterinnen! Hoch lebe die Internationale! Die Frauen waren die ersten, die an diesem Tag durch die Straßen Petrograds gingen!»

Nach der Februarrevolution organisierten die Arbeiter*innen Delegiertenversammlungen, Sowjets genannt, um Entscheidungen über die aufkeimende Bewegung zu treffen. Frauen nahmen an den Sowjets teil, wenn auch in geringerem Maße als Männer. Die bolschewistische Zeitung Rabotnitsa (Die Arbeiterin) wurde im Mai 1917 wieder aufgelegt und erörterte die Gleichberechtigung der Geschlechter sowie die Notwendigkeit, dass der Staat kommunale Einrichtungen für die Erledigung der Hausarbeit bereitstellen müsse, die traditionell den Frauen aufgezwungen wurde.

Die Bühne für die Oktoberrevolution, die die provisorische Regierung beendete und den ersten Arbeiter*innenstaat der Welt hervorbrachte, wurde durch den radikalen Aktivismus der Frauen vorbereitet. Es war die unermüdliche Organisierungsarbeit von bolschewistischen Frauen wie Alexandra Kollontai, die es den Bolschewiki ermöglichte, die Mehrheit in den Sowjets zu gewinnen und die Macht in der Oktoberrevolution zu übernehmen. Frauen beteiligten sich auch an der Oktoberrevolution, indem sie medizinische Hilfe leisteten und sich sogar der Roten Garde anschlossen.

Was dachten die Bolschewiki über Frauenfragen? 

Die Bolschewiki sahen in der Rolle der Frau in einer bestimmten Gesellschaft ein Maß für die Gesellschaft als Ganzes; erst wenn die Frauen die volle Gleichberechtigung erreicht hätten, könnten sie die sozialistische Revolution letztlich als erfolgreich betrachten. Nach der Revolution wurden sofort Maßnahmen zur Befreiung der Frauen ergriffen. Die Bolschewiki schlugen vier Hauptpfeiler zum Aufbau der Gleichberechtigung der Frau vor: freie Liebe, die Beteiligung der Frauen an der Arbeitswelt, die Sozialisierung der Hausarbeit und das Absterben der Familie.

Die Bolschewiki waren der Ansicht, dass Frauen nicht aufgrund familiärer Verpflichtungen oder wirtschaftlicher Zwänge gezwungen werden sollten, zu heiraten oder in einer Ehe zu bleiben. Beziehungen sollten ausschließlich auf Liebe beruhen, nicht auf sozialem Zwang. Die Bolschewiki glaubten nicht, dass sie die Aufgabe, neue Arten von Beziehungen aufzubauen, sofort in Angriff nehmen könnten, da sie erkannten, dass die Revolution allein die Jahrhunderte patriarchalischer Traditionen, Überzeugungen und Moralvorstellungen nicht beseitigen würde. Vielmehr versuchten sie, die soziale Basis der bürgerlichen Familie und die ererbten Überzeugungen zu zerstören, die Frauen unterdrückt halten. Darüber hinaus waren sie der Meinung, dass Frauen am Arbeitsplatz völlig gleichberechtigt mit Männern sein sollten, und ermutigten Frauen, sich zu organisieren, zu wählen und für Führungspositionen in Gewerkschaften und Sowjets zu kandidieren.

Lange vor der Kampagne «Lohn für Hausarbeit», einer globalen feministischen Bewegung, die 1972 in Italien aus dem Internationalen Feministischen Kollektiv hervorging, argumentierten die Bolschewiki, dass nichts Natürliches oder Biologisches daran sei, dass Frauen Hausarbeit verrichten oder Kinder erziehen. Dies war eine vom Kapitalismus aufrecht erhaltene Ideologie, die in einer sozialistischen Gesellschaft keinen Platz hatte. Die Befreiung der Frauen aus der «häuslichen Sklaverei» nahm eine zentrale Stelle in den Debatten der Bolschewiki ein. Trotzki schreibt:

Die Revolution unternahm eine heroische Anstrengung, um den so genannten «häuslichen Herd» zu zerstören – jene archaische, stickige und stagnierende Institution, in der die Frau der werktätigen Klassen von der Kindheit bis zum Tod Galeerenarbeit verrichtet. Den Platz der Familie als abgeschlossenes Kleinunternehmen sollte den Plänen zufolge ein fertiges System der Sozialfürsorge und Unterbringung einnehmen: Entbindungshäuser, Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen, soziale Speisesäle, soziale Wäschereien, Erste-Hilfe-Stationen, Krankenhäuser, Sanatorien, Sportvereine, Filmtheater usw. Die vollständige Übernahme der hauswirtschaftlichen Funktionen der Familie durch die Institutionen der sozialistischen Gesellschaft, die alle Generationen in Solidarität und gegenseitiger Hilfe vereinte, sollte der Frau und damit dem liebenden Paar eine wirkliche Befreiung von den tausendjährigen Fesseln bringen.

Im Gegensatz zur Kampagne «Lohn für Hausarbeit» versuchten die Bolschewiki, die Hausarbeit aus der Hand der Einzelnen zu nehmen und sie in die Hände des Arbeiter*innenstaates zu legen. Die Bolschewiki wollten die Hausarbeit nicht im Bereich des Haushalts belassen und teilten diese banalen Aufgaben nicht einfach gleichmäßig zwischen Männern und Frauen auf. Vielmehr wollten sie diese Aufgaben von der Familieneinheit trennen und die Hausarbeit sozialisieren. Auf diese Weise würden die Familie und insbesondere die Frauen einen Großteil ihrer «reproduktiven» Rolle verlieren.

Gleichheit im Recht

Die Bolschewiki setzen ihre Ideen in die Praxis um. Im Jahr 1918, weniger als ein Jahr nach der Revolution, wurde das Familiengesetzbuch verabschiedet, das die Historikerin Wendy Goldman als «die fortschrittlichste Familiengesetzgebung, die es je in der Welt gab» bezeichnet. Es nahm die Kirche aus dem Geschäft der Ehe heraus und machte die Ehe zu einer zivilen Angelegenheit. Es legalisierte nicht nur die Scheidung, sondern machte sie auch für jede verheiratete Person ohne Angabe von Gründen zugänglich. Das Gesetzbuch beseitigte jahrhundertealte Gesetze, die alles Eigentum den Männern zuwiesen und Kindern, die außerhalb einer eingetragenen Ehe geboren wurden, gleiche Rechte einräumten. Wenn eine Frau nicht wusste, wer der Vater ihres Kindes war, teilten sich alle ihre Sexualpartner die Verantwortung für den Kindesunterhalt. Wichtig war, dass das Gesetz Frauen und Männer rechtlich gleichstellte. Ein so fortschrittliches Gesetz wie dieses ist in den Vereinigten Staaten bis heute nicht durchgesetzt worden, da das Equal Rights Amendment nicht von genügend Staaten bestätigt wurde. Der Autor des Familiengesetzbuches, Alexander Goikhbarg, betrachtete dieses Gesetz als vorübergehend – es sollte weder den Staat noch die Familie stärken, sondern einen Schritt in Richtung Auslöschung der Familie darstellen.

1920 wurde die Abtreibung legalisiert, womit die Sowjetunion das erste Land der Welt war, das dies tat. Prostitution und Homosexualität waren auch in der UdSSR nicht mehr verboten. Zusätzlich eröffneten die Bolschewiki öffentliche Cafeterias, Waschsalons, Schulen und Kindertagesstätten als Schritt zur Abschaffung der Doppelschicht für Frauen am Arbeitsplatz und zu Hause. Es war ein Schritt zur Sozialisierung der Hausarbeit und der Befreiung der einzelnen Frauen aus der Verantwortung.

Darüber hinaus sahen die Bolschewiki in der politischen Teilhabe der Frauen eine zentrale Voraussetzung für den Aufstieg der Sowjetunion. Sie organisierten Schenotdel, die Frauensektion der Partei, die sich aus Arbeiterinnen, Bäuerinnen und Hausfrauen zusammensetzte und Frauen auf lokaler Ebene organisierte. Delegierte des Schenotdel wurden auch für Praktika in der Regierung gewählt. Wie Wendy Goldman argumentiert, war dies eine wichtige Möglichkeit für Tausende von Frauen, sich in der Partei und auch in der Politik im weiteren Sinne zu engagieren.

Gleichberechtigung im Leben

Obwohl die Bolschewiki durch neue Gesetze große Fortschritte machten, waren sie sich sehr wohl bewusst, dass dies nicht ausreichte, um echte Gleichheit zu garantieren. Lenin sagte:

«Wo es keine Grundherren, Kapitalisten und Kaufleute gibt, wo die Regierung der Werktätigen ein neues Leben ohne diese Ausbeuter aufbaut, besteht die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern. Aber das reicht nicht aus. Es ist ein weiter Weg von der Gleichheit im Gesetz zur Gleichheit im Leben. Wir wollen, dass die Arbeiterinnen nicht nur im Gesetz, sondern auch im Leben gleichberechtigt mit den männlichen Arbeitern sind. Dazu ist es unerlässlich, dass die Arbeiterinnen eine immer wichtigere Rolle in der Verwaltung der öffentlichen Unternehmen und in der Verwaltung des Staates spielen… Das Proletariat kann keine völlige Freiheit erlangen, wenn es keine völlige Freiheit für die Frauen erlangt.»

Obwohl die Bolschewiki die materielle Grundlage der Ungleichheit betonten, wussten sie auch, dass die Mitglieder der neuen sowjetischen Gesellschaft einen tiefgreifenden persönlichen Wandel durchmachen mussten. Dieser Wandel in den Ideen der Menschen war jedoch nicht losgelöst von den Veränderungen in der Organisation der Gesellschaft – von einer gesellschaftlichen Neuordnung, die durch die proletarische Revolution geschaffen wurde. In diesem Sinne erinnert sie uns daran, dass die bloße Veränderung der Ideen der Menschen nicht ausreicht, um echte Gleichheit zu schaffen. Sexismus existiert nicht nur in den Köpfen der Menschen, sondern auch in den Institutionen und in der Organisation der Gesellschaft.

Die Kämpfe eines jungen Arbeiter*innenstaates

Der junge Arbeiter*innenstaat stand in den ersten Jahren vor erdrückenden Herausforderungen. Er wurde von 14 imperialistischen Armeen angegriffen und überlebte aufgrund der Opfer, die die Arbeiter*innenklasse und Bauernschaft in der Roten Armee gebracht hatten. Nach einem Weltkrieg und dann einem Bürgerkrieg sah sich das Volk der Sowjetunion mit Hunger und hoher Arbeitslosigkeit konfrontiert.

Frauen litten unter diesen Bedingungen am meisten. Trotz ausdrücklichem Befehl, dies nicht zu tun, wurden Frauen vor ihren männlichen Kollegen entlassen. Der 13. Parteitag der Bolschewistischen Partei diskutierte dieses Problem ausdrücklich und erließ neue Vorschriften zum Schutz der Beschäftigung von Frauen. Sie sagten, «dass die Erhaltung von Arbeiterinnen in der Produktion politische Bedeutung hat».

Ein Grundsatz des Kommunismus – jeder nach seinen Bedürfnissen und von jedem nach seinen Fähigkeiten – kann nur in einer Gesellschaft des Überflusses funktionieren. Die fortgeschrittene kapitalistische Massenproduktion bietet eine solche Grundlage. Wenn jedoch nicht genügend vorhanden ist, wird eine besondere Gruppe entscheiden, wer genug hat und wer nicht – eine Bürokratie. Deshalb setzten Lenin und so viele andere Bolschewiki ihre Hoffnung auf eine deutsche Revolution, die dafür sorgen würde, dass die UdSSR nicht isoliert bliebe. Sie würde die deutsche Industrie und die von ihr produzierten Güter unter die Kontrolle der Arbeiter*innenklasse stellen. Die deutsche Revolution wurde jedoch niedergeschlagen und überließ die Sowjetunion sich selbst. Aus den Bedingungen des Mangels entstand die konterrevolutionäre stalinistische Bürokratie, die die in den ersten Jahren nach der Russischen Revolution erzielten Fortschritte zunichte machte. Der Stalinismus fuhr fort, weltweit eine konterrevolutionäre Rolle zu spielen, basierend auf der Theorie des «Sozialismus in einem Land».

Stalinistische Konterrevolution und Frauenrechte

Die stalinistische Bürokratie setzte eine Konterrevolution in Gang, die die linke Opposition innerhalb der bolschewistischen Partei ermordete und diejenigen einsperrte, ins Exil trieb oder tötete, die versuchten, das Erbe der Revolution von 1917 weiterleben zu lassen. Theoretiker*innen, die über das Absterben der Familie schrieben, wie Nikolai Krylenko, wurden verhaftet und ermordet, während der Autor des Familiengesetzbuches von 1918 in einer psychiatrischen Klinik eingesperrt wurde.

Zur gleichen Zeit, als Stalin begann, die Idee des Sozialismus in einem Land zu verbreiten, rekriminalisierte er auch Homosexualität und Prostitution. 1936 beendete Stalin das Recht der Frauen auf Abtreibung, wobei stalinistische Führer argumentierten, dass Frauen die «ehrenvolle Pflicht» hätten, Mütter zu sein.

Um solche reaktionären Vorstellungen über das Geschlecht zu vertreten, zerschlug Stalin die Frauenabteilung innerhalb des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei sowie alle Frauenorganisationen auf lokaler Ebene. Seine Regierung setzte sich dafür ein, die traditionellen Geschlechterrollen zurückzubringen – genau die Geschlechterrollen, mit denen die Bolschewiki zu brechen versucht hatten. Bis 1944 hatte Stalin Auszeichnungen für Frauen organisiert, die sich danach richteten, wie viele Kinder sie hatten. Der «Orden des Mutterruhmes» wurde für Frauen mit sieben bis neun Kindern geschaffen, und der Titel «Mutter Heldin» für Frauen mit zehn oder mehr Kindern.

Die linke Opposition und das bolschewistische Erbe

Während Stalin weiterhin die weltweite Konterrevolution vorantrieb, gründete Trotzki die Vierte Internationale, eine Gruppierung von Kommunist*innen, die das Erbe der Bolschewiki weiterleben lassen wollte. Die Vierte Internationale war gegen die Sowjetbürokratie und für die Macht der Arbeiter*innenklasse, nicht nur in einem Land – wie Stalin es wollte –, sondern auf der ganzen Welt.

Das Übergangsprogramm, in dem die Aufgaben für die Vierte Internationale festgelegt wurden, argumentiert, dass die Rechte der Frauen für die sozialistische Revolution von zentraler Bedeutung sind. Trotzki sagt:

Opportunistische Organisationen konzentrieren ihre Hauptaufmerksamkeit naturgemäß auf die obersten Schichten der Arbeiterklasse und ignorieren daher sowohl die Jugend als auch die Arbeiterinnen. Der Zerfall des Kapitalismus versetzt jedoch der Frau als Lohnarbeiterin und Hausfrau die schwersten Schläge. Die Sektionen der Vierten Internationale sollten sich bei den am meisten ausgebeuteten Schichten der Arbeiterklasse, also bei den Arbeiterinnen, um Stützpunkte bemühen.

Weit entfernt von jeglichem Klassenreduktionismus sieht Trotzki die Organisation von Frauen in einer revolutionären Partei als eine zentrale Aufgabe der Kommunist*innen.

Was können wir lernen?

Hundert Jahre sind seit der Russischen Revolution vergangen, und es ist Jahrzehnte her, dass eine Revolution den Kapitalismus erschüttern konnte. Manche glauben, dass eine Revolution unmöglich ist. Andere glauben, dass eine Arbeiter*innenrevolution Gesetze schaffen wird, die auf den rassistischen, sexistischen oder homophoben Haltungen basieren, die einige Arbeiter*innen heute vertreten. Viele setzen den Marxismus mit dem Kampf gegen Ausbeutung, nicht mit dem Kampf gegen Unterdrückung gleich.

Doch als die Bolschewiki an die Macht kamen und sofort Gesetze zur Unterstützung der Frauenrechte erließen, wussten sie, dass die Revolution nicht vor dieser Tatsache Halt machen würde und sollte. Sie machten sich keine Illusionen, selbst nicht über die fortschrittlichste Geschlechtergesetzgebung in der Weltgeschichte, als würde sie allein das Patriarchat beenden. Die Bolschewiki wussten, dass diese Gesetze die Grundlage für die Befreiung schufen, aber dazu nicht ausreichen würden. Stattdessen führten sie lebhafte Debatten darüber, wie die materiellen Bedingungen der neuen Gesellschaft organisiert werden sollten, um die Unterdrückung der Frauen auszurotten. Sie wollten sicherstellen, dass Frauen uneingeschränkt an Arbeit, Bildung und Politik teilhaben konnten – aber nicht, indem sie eine doppelte oder dreifache Last von Hausarbeit, Kinderbetreuung und bezahlter Arbeit auf sich nahmen. Sie diskutierten über sozialisierte Kinderbetreuung und Hausarbeit sowie über das Absterben der Familie als organisierende Einheit der Gesellschaft. Selbst der junge Arbeiter*innenstaat hatte noch nicht die materiellen Voraussetzungen, um diesen Traum zu verwirklichen, aber sie unternahmen reale und substantielle Schritte in diese Richtung. Der Stalinismus setzte all diesen Träumen ein Ende und führte die Sowjetunion zu patriarchalischen Normen zurück.

Die russische Revolution ist schon lange her. Es gibt viele Denker*innen, die seither entscheidende Beiträge zum sozialistischen feministischen Denken geleistet haben, vor allem im Bereich von Sex, Sexualität und Queer-Theorie. Die Theorie der sozialen Reproduktion baut auf marxistischen Schlüsselideen auf, und es hat enorme Entwicklungen in der Diskussion über Begehren, Sexualität und Queer-Theorie gegeben. Diese sind alle wichtig, um über eine sozialistische Revolution im 21. Jahrhundert nachzudenken, die die materiellen Grundlagen für die Befreiung von Geschlecht und Sexualität schaffen würde.

Aber wir können das Erbe des Marxismus nicht denen überlassen, die seine Bedeutung zu einem kruden Klassenreduktionismus pervertieren. Wir können nicht zulassen, dass das Vermächtnis von Marx mit dem Stalinismus und der patriarchalischen, konterrevolutionären Sichtweise von Geschlecht und Gesellschaft, die er vertrat, vermengt wird. Wir sollten Lehren aus der revolutionären Tradition der Bolschewiki für die Frauenbefreiung ziehen.

Dieser Artikel erschien zuerst in Englischer Sprache auf LeftVoice.org, und in deutscher Sprache auf Maulwuerfe.ch. Wir bedanken uns für die Übersetzung!

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