Sexismus und Gewalt: die Realität hinter „13 Reasons Why“

22.05.2017, Lesezeit 4 Min.
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Am 31. März veröffentlichte Netflix alle Folgen der Serie „13 Reasons Why“ (oder „Tote Mädchen Lügen Nicht“ auf deutsch). Sie handelt davon, wie Jugendliche Mobbing und Belästigung erleben – eine Realität, die weit über die Fiktion hinausreicht.

Kann man „13 Reasons Why“ mit Sexismus unter Jugendlichen in Verbindung bringen? Ja! Die Serie zeigt Sexismus unter Jugendlichen. Sie zeigt sexualisierte Übergriffe. Sie zeigt eine Realität, die Tausende Jugendliche jeden Tag trifft.

„13 Reasons Why“ zeigt also eine tägliche Realität. Und neben dem Mobbing, das auch männliche Figuren in der Serie erleben, zeigt sie Alltagssexismus und sexualisierte Gewalt. Sie zeigt, dass Vergewaltigungen nicht nur dann passieren, wenn Frauen nachts alleine unterwegs sind und von einem Unbekannten mit verdecktem Gesicht angegriffen werden. Die meisten Vergewaltigungen und Fälle von sexualisierter Gewalt werden von einer Person im eigenen Umfeld begangen.

Alle Studien über Sexismus unter Jugendlichen im Spanischen Staat zeigen, dass dieser immer weiter steigt – auch unter den Jüngsten. Es ist keine „Generation der Gleichheit“, die Zahlen (und die Realität) zeigen etwas anderes: Die Vorstellung, dass Eifersucht, die Kontrolle des Partners oder die Geschlechterrollen „natürlich“ sind, hat zugenommen.

Viele Jugendliche sehen Sexismus als etwas Fremdes, etwas, das zu einer anderen Generation oder zu anderen Ländern gehört. Aber die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Trauriger Höhepunkt waren im Jahr 2016 im Spanischen Staat die Morde an Victoria und Fátima, beide 19 Jahre alt, und an Vanessa, 15 Jahre alt.

Vanessa wurde gefunden, erwürgt von einem 21-Jährigen Täter. Trotzdem wird Vanessas Fall nicht in den offiziellen Statistiken als Frauenmord aufgeführt, weil sie keine engere Beziehung zum Mörder hatte.

Die offiziellen Statistiken zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigen nur die Gewalt, die angezeigt wird. Aber wir wissen, dass es Tausende Fälle mehr gibt, die nicht angezeigt werden, aus Angst, Scham oder weil nicht daran geglaubt wird, dass es etwas bringt. Wir wissen auch, dass viele Jugendliche es nicht als sexistische Gewalt erkennen, was ihnen alltäglich widerfährt – zum Beispiel Kontrolle durch den Partner, Isolierung, Übergriffe und Belästigung. Und wenn Frauen sich entscheiden, eine Anzeige zu machen, müssen sie sich oft mit Vorurteilen und Hindernissen bei Richter*innen und Polizist*innen auseinandersetzen.

In der Serie zeigt Hannah weder die Vergewaltigung noch die sexualisierten Übergriffe an. Sie tut es nicht, weil sie weiß, dass es nichts bringt. Und als sie es doch versucht, wird in Frage gestellt, dass es eine Vergewaltigung war. Ihr wird unterstellt, dass sie es in Echt wollte, es aber später bereute. In ihrer Umgebung hört ihr niemand zu. Niemand kümmert sich darum, was ihr passiert. So ist es eben in der Schule.

Die Figur Bryce reproduziert den sexistischen Diskurs, dass wenn eine Frau „Nein“ sagt, man weiter beharren müsse. Denn in Wahrheit würde sie es doch wollen. Ein Argument, dass uns nicht fremd ist, vor allem wenn wir uns an die Vergewaltigung einer jungen Frau in San Fermín erinnern. Verantwortlich dafür war eine Gruppe von fünf Männern, die das auch vorher schon einmal getan hatten. Oder eine sehr ähnliche Vergewaltigung eines Mädchens in Málaga. Beide Vorfälle haben gemeinsam, dass die Täter versuchten sie herunterzuspielen, indem sie sagten „sie wollte es auch“, „sie hat es genossen“ oder „sie hat sich nicht gewehrt“. Und in beiden Fällen wurde dies von den Medien verbreitet, die Stunden damit zubrachten, zu erklären, wie Frauen Vergewaltigungen „verhindern“ könnten. Oder dass die Frauen zum Teil selbst verantwortlich seien, weil sie mit Fremden mitgegangen sind.

Die Realität von Tausenden Jugendlichen, die jeden Tag dem Sexismus in der Schule und außerhalb ausgesetzt sind, zeigt die Notwendigkeit, einer Sexualerziehung, die über das biologische hinausgeht und auch emotionale und gesellschaftliche Fragen behandelt. Die Lehrpläne sollten diese Frage in allen Klassenstufen behandeln und nicht vom Willen der Lehrer*innen oder der Schulleitungen abhängen. Sie sollte den tatsächlichen Bedürfnissen der Jugendlichen entsprechen. Wir brauchen eine Erziehung, die mit den Geschlechterrollen, mit der Heteronormativität und der Homo- und Transphobie bricht.

Für diese Art des Unterrichts zu kämpfen, bedeutet, sich gegen die religiöse und konservative Moral zu stellen. Deshalb ist es notwendig, sich in jeder Schule unabhängig vom Staat und seinen Institutionen zu organisieren, um die Forderung einer Sexualerziehung ohne Tabus, ohne Heteronormativität und gegen sexualisierte Gewalt und Sexismus in jeder Schule laut werden zu lassen.

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