Selbstbestimmt trans: Für die Abschaffung des TSG und das Recht auf eigenständige Entscheidungen

06.03.2023, Lesezeit 6 Min.
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shutterstock.com / Rachael Warriner

Als große Neuerung der Ampel-Regierung im Koalitionsvertrag angekündigt, sollte das Selbstbestimmungsgesetz das bisher gültige Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 ersetzen. Eigentlich – denn umgesetzt wurde es nach wie vor nicht, obwohl die Arbeiten daran weitgehend abgeschlossen sind. Trans Personen werden also auch im Jahre 2023 schikaniert und von dem Recht auf Selbstbestimmung ausgenommen.

Die Abschaffung des von Diskriminierung und Unterdrückung geprägten TSG, dem „Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“, ist überfällig, insofern es längst vom Bundesverfassungsgericht in großen Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde. Die noch bestehenden Vorschriften allerdings führen dazu, dass nach wie vor andere darüber entscheiden, ob trans Personen ihren Vornamen sowie Geschlechtseintrag ändern dürfen. Hierzu müssen sie dem Gericht zwei Sachverständigengutachten vorlegen, die als Bescheinigung dienen, wirklich trans zu sein und das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dauerhaft. Diese Gutachten bilden das Ende monatelanger Begutachtungsprozesse, teils demütigender Befragungen und Kosten von etwa 2.000 Euro, die zumeist auch noch selbst getragen werden müssen.

Mit dem Selbstbestimmungsgesetz würde dies wegfallen: Transgeschlechtliche, nicht-binäre und intergeschlechtliche Menschen könnten Geschlechtseintrag und Vornamen mittels Selbsterklärung beim Standesamt ändern lassen, bei Minderjährigen unter 14 Jahren müsste die Änderungserklärung durch die Sorgeberechtigten erfolgen, Jugendliche über 14 Jahre wiederum könnten die Erklärung ebenfalls selbst abgeben, wenn eine Zustimmung der Sorgeberechtigten vorliegt. Was harmlos klingt, würde das Leben vieler trans Personen bereits erheblich erleichtern und wird dennoch zu einer scheinbar unüberwindbaren Hürde stilisiert. Mit abwegigsten Behauptungen wie dem Erschleichen von Vorteilen, der permanenten Hin- und Her-Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen sowie dem vermeintlichen Verlust von Schutzräumen für Cis-Frauen, also Frauen denen ihr Geschlecht bei der Geburt richtig zugewiesen wurde, wird dagegengehalten; und das nicht nur von Vertreter:innen eines „Trans-Exclusionary Radical Feminism“ (TERF), sondern auch im Familien- und Justizministerium. So erklärt Justizminister Marco Buschmann (FDP) allen Ernstes, dass das Gesetz zwischen den beiden Ministerien aufgrund von Detailfragen festhänge. Und im Kleingedruckten lauert ja bekanntlich die Gefahr:

„Was ist zum Beispiel mit dem Sportverein, der Sauna, dem Fitnessstudio? In vielen Bereichen wird es keine Probleme geben, weil es ja gemischte Saunen, gemischte Fitnessstudios gibt. Es gibt aber auch Fitnessstudios nur für Frauen. Manche Frauen-Fitnessstudios werden entscheiden: Alle Personen mit Geschlechtseintrag weiblich sind uns willkommen. Es wird aber vielleicht auch Einrichtungen geben, die nicht anhand des Geschlechtseintrags differenzieren wollen. Wo es dafür ein nachvollziehbares Bedürfnis gibt, etwa in Saunen, wird das weiterhin möglich sein, wie es heute auch der Fall ist.“

Immer diese Massen an trans-femininen Personen, die ab sofort die Cis-Frauen-Fitnessstudios und Cis-Frauen-Saunen überfallen werden, um da genau was zu tun?! Die Äußerungen von Buschmann, Schwarzer und Co. stehen in der gleichen Dynamik wie die unaufhörliche Hetze von Rechten gegen trans und queere Menschen. Sie bewirken einen Anstieg von queerfeindlicher Gewalt. Immer wieder werden trans und queere Menschen auch Opfer tödlicher Gewalt, wie in Deutschland Malte C. oder in Großbritannien Brianna Ghey. Diese beiden Fälle sind nur zwei von Vielen. Befragungen kamen zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel aller trans Personen innerhalb der letzten 5 Jahre Gewalt erfahren haben. Fast die Hälfte aller Befragten gaben an, im vergangenen Jahr Opfer geworden zu sein.

Worum es beim Selbstbestimmungsgesetz zudem nicht geht, ist der unbürokratische und selbstbestimmte Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Transgeschlechtlichkeit bisher eine psychiatrische Diagnose nach dem ICD-10, einem Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen der WHO, erfordert. Erst mit dem 2018 vorgelegten ICD-11 wurde die Diagnose „Transsexualität“ aus dem Katalog der psychischen Erkrankungen beziehungsweise Störungen entfernt – im ICD 10 befinden sich die F.64-Diagnosen über „Störungen der Geschlechtsidentität“ in der Kategorie „F60-F69 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“, was vor allem für Personen, die zugleich trans und von einer Persönlichkeitsstörung betroffen sind, zu noch größeren Herausforderungen führen kann. Und das weiterhin: Denn obwohl das ICD-11 seit Anfang Januar 2022 gilt, findet es in Deutschland bisher keine Anwendung. Was stattdessen sehr wohl Anwendung findet, sind genaueste Vorschriften, wie jemand trans zu sein hat, sowie weitere Begutachtungen. Jedenfalls dann, wenn es um geschlechtsangleichende Maßnahmen beziehungsweise Operationen geht. Für die Prüfung zur Kostenübernahme durch die Krankenkasse werden vom Medizinischen Dienst, der den Beratungs- und Begutachtungsdienst des Systems der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung darstellt, Richtlinien zur Orientierung erarbeitet, wie etwa eine Kurzzeittherapie von mindestens sechs Monaten, eine Erklärung über komorbide psychische Störungen und wie diese behandelt wurden, sowie eine vorausgehende Hormontherapie.

Dies alles muss, wie sollte es auch anders sein, durch Gutachten und Indikationsstellungen belegt werden; jede Abweichung von der vorgegebenen Reihenfolge der Maßnahmen bedarf einer erneuten Begründung durch die Behandler:innen. Außerdem hält der Medizinische Dienst an seiner Empfehlung fest, vor geschlechtsangleichenden Maßnahmen doch auch „alternative Methoden“ zu versuchen, um eine „Versöhnung“ mit dem „biologischen“ Geschlecht herzustellen. Was hier anklingt, ist einzig und allein: Konversionstherapie; dies wird so auch klar von der Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität benannt und kritisiert. Ganz anders hingegen sieht die S3-Leitlinie zur Gesundheitsversorgung von trans Personen aus, die von der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) auf Grundlage empirischer Evidenz sowie systematischer Recherche und Bewertung herausgegeben wird. Zunächst wird festgehalten: „Entscheidungen über die Notwendigkeit und die Reihenfolge der Behandlungsschritte sollen partizipativ im Sinne einer Übereinstimmung zwischen Behandlungssuchenden und Behandelnden getroffen werden.“ Psychotherapie sollte keine Voraussetzung für körpermodifizierende Behandlungen bilden, sondern trans Personen im Bedarfsfall angeboten werden, wobei Ziele der Therapie etwa „Förderung von Selbstakzeptanz, Selbstwertgefühl und Selbstsicherheit, Bewältigung von Scham- und Schuldgefühlen sowie von internalisierter Trans-Negativität sowie Unterstützung des Coming-Out-Prozesses […]“ sein können. Psychische Störungen, die unabhängig von der Transgeschlechtlichkeit bestehen, sollten parallel zur Geschlechtsdysphorie adäquat behandelt werden. Herausgestellt wird außerdem, dass „modifizierende Behandlungen körperlicher Geschlechtsmerkmale […] für trans Personen, die körpermodifizierende Behandlungen in Anspruch nehmen wollen, die Therapie erster Wahl [sind].“ Vorweggenommen wird außerdem eine Stellungnahme zum unterstellten unkritischen Vorgehen der Leitlinie bei der Indikationsstellung für somatische Behandlungen: Die Indikationsstellung braucht ein individuell fundiertes, klinisch begründetes Vorgehen sowie die bereits skizzierte Partizipation und Übereinstimmung zwischen Behandlungssuchenden und Behandelnden.

Es geht hier ganz einfach um das Recht auf Selbstbestimmung!

Das Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung ist lediglich der längst überfällige Schritt, endlich das TSG abzuschaffen. Ausreichend ist es hingegen nicht. Wir fordern, Transgeschlechtlichkeit aus dem Katalog der psychischen Erkrankungen beziehungsweise Störungen zu streichen, wie es durch das ICD-11 vorgesehen ist, und die sofortige Durchsetzung der S3-Leitlinie bei der Behandlung. Alles andere ist lediglich die Fortsetzung von Diskriminierung und Unterdrückung – und diese gilt es endlich zu beenden!

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