Rein in die Strukturen, gegen Antisemitismus und Rassismus – Eine Antwort auf die Vorwürfe des TU AStAs

05.05.2022, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Matt Gush / Shutterstock.com

Am Dienstag veröffentlichte der AStA der Technischen Universität Berlin einen Artikel, der Klasse gegen Klasse als „Antisemiten” bezeichnet und unseren Ausschluss aus ihren Strukturen fordert. Auf diesen ungeheuren Vorwurf möchten wir reagieren.

Kurz nach dem 1. Mai und der rassistischen Schikane des Staates gegenüber palästinensischen Menschen und jeglicher Palästina-Solidarität fordern „Antideutsche” nun unseren Ausschluss aus Strukturen, werfen uns „israelbezogenen Antisemitismus” vor. Damit reihen sie sich in die rechten Narrative des Staates, der Springer-Presse, bis hin zur AfD, ein. Im weiteren wollen wir auf die einzelnen Vorwürfe des AStAs eingehen und aufzeigen, wie echte Politik gegen Antisemtismus und jegliche Unterdrückung aussehen sollte.

„​​Immer wieder taucht ein insbesondere radikaler israelbezogener Antisemitismus auf, welcher soweit geht, dass zur Vernichtung des jüdischen Staates und wichtigem Schutzraum für Juden*Jüdinnen [1] aufgerufen wird.”

Die hier erwähnte Annahme stützt sich klar auf der Antisemitsmus-Arbeitsdefinition der IHRA. Laut dieser Definition beschreibt Antisemitismus: „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.” Diese Begriffsbestimmung ist nicht nur sehr vage, sondern auch inhaltlich stark umstritten. In einem ausführlichen Artikel gehen wir darauf ein, warum diese Definition eine Neudefinition des Antisemtismusbegriffs darstellt, welche vor allem von Rechten benutzt wird, um Linke anzugreifen.

Als Gegenentwurf zu dieser Definition entstand die Jerusalemer Erklärung zum Antisemtismus. „Zu den Unterzeichner:innen zählen internationale Wissenschaftler:innen, die in der Antisemitismusforschung und in verwandten Bereichen arbeiten, darunter Jüdische Studien, Holocaust-, Israel-, Palästina- sowie Nahoststudien. Die Erklärung profitierte auch von der Einbindung von Rechtswissenschaftler:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft.” Die Erklärung definiert Antisemitismus wie folgt:

„Antisemitismus ist Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Einrichtungen als jüdische).”

In der Jerusalemer Erklärung wird klar aufgeführt, was im Kontext der Debatte um Antizionismus als antisemitisch zu werten ist, und was nicht. So heißt es, dass unter Anderem folgende Punkte nicht als antisemitisch zu werten sind:

  • die Unterstützung palästinensischer Forderungen (Leitlinie 11),
  • die Ablehnung von Zionismus oder die Unterstützung von Forderungen die „allen Bewohner:innen ‚zwischen dem Fluss und dem Meer‘ (from the river to the sea) volle Gleichberechtigung zugestehen, ob in zwei Staaten, einem binationalen Staat, einem einheitlichen demokratischen Staat, einem föderalen Staat oder in welcher Form auch immer.” (Leitlinie 12)
  • faktenbasierte Kritik am israelischen Staat und somit auch die Bezeichnung Israel sei ein Apartheidstaat oder betreibe Siedlerkolonialismus (Leitlinie 13).

Damit lässt sich der Vorwurf abstreiten, antizionistische Positionen, die Forderungen nach nationaler Selbstbestimmung für die palästinensische Bevölkerung oder die Abschaffung des israelischen Staates, wie er heute existiert, seien per se antisemitisch. Bereits große NGOs und andere Organisationen benennen Israel als Apartheidstaat. In dem vor einiger Zeit erschienenem Report von Amnesty International führten sie von Juli 2017 bis November 2021 Recherchen und Analysen im israelischen Staat durch. Der 280 Seiten lange Report ergab eindeutig: Israel ist ein Apartheidstaat. Auch die Studierendenzeitschrift Crimson der weltbekannten Universität Harvard positionierte sich vor einigen Tagen solidarisch mit dem BDS und Palästina.

In allen Texten, die der AStA TU von uns zitiert, sprechen wir uns ganz klar für gleiche Rechte für Juden:Jüdinnen, Palästinenser:innen und aller anderen Menschen im historischen Palästina aus. Ihr Vorwurf des „Antisemitismus“ stützt sich lediglich auf die Tatsache, dass wir einen ethnonationalistischen Staat mit Bürger:innenrechten nur für eine Volksgruppe ablehnen. Und ja, das tun wir — das tun wir zusammen mit jüdischen Linken auf der ganzen Welt.

„Hierbei ist ebenfalls erwähnenswert, auch wenn nicht verwunderlich, dass KgK sich in keinerlei Hinsicht gegen Antisemitismus positioniert oder diesen überhaupt nur erwähnt.”

Diese Aussage ist schlichtweg falsch. Wir nehmen Antisemitismus als eine Form der systematischen Unterdrückung sehr ernst. Im Jahr 2017 veröffentlichten wir eine ​​vierteilige Artikelserie zu Antisemitismus und Antizionismus. Im dritten Teil dieser Serie schreiben wir konkret: „Wir kämpfen […] für die Emanzipation von antisemitischer Unterdrückung, weil dieser Kampf ein Teil des Kampfs für die Emanzipation der Menschheit, den Kommunismus, ist.” Dabei betonen wir, dass gerade die Gleichsetzung von Juden:Jüdinnen und dem Zionismus ein verbreiteter Ausdruck von Antisemitismus in Deutschland ist. Indem Juden:Jüdinnen mit dem israelischen Staat gleichgesetzt werden, werden sie auch für die Handlungen des Staates verantwortlich gemacht. Der AStA der TU macht genau das in seinem Artikel. Die Vorstellung, die jüdischen Bevölkerung sei ein einheitliches, zentral gesteuertes Kollektiv, stützt sich auf die benannten antisemitischen Denkmuster.

„Wie (israelbezogener) Antisemitismus – auch gerade in Hochschulkontexten – direkt und massiv Juden*Jüdinnen bedroht, zeigte sich beispielsweise im Jahr 2017. Damals wurde eine Veranstaltung mit der Schoa-Überlebenden Dvora Weinstein an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) von Antisemit*innen massiv gestört und angegriffen. Dieser Vorfall wurde auch 2018 im Studierendenparlament (StuPa) der HU thematisiert.”

Bei dieser Veranstaltung waren wir nicht anwesend, und haben auch nie darüber geschrieben. Doch ein kurzer Blick auf Wikipedia genügt, um zu zeigen, dass der AStA den Fall sehr verzerrt darstellt. Drei Menschen – zwei jüdische Israelis und ein:e Palästinenser:in – protestierten gegen eine Veranstaltung einer rechten israelischen Politikerin. Eine jüdisch-israelische Akademikerin, die friedlich ihre Stimme für Menschenrechte erhob, wurde tätlich angegriffen und aus dem Raum hinausgeworfen. Sie wurde anschließend zu einer Geldstrafe verurteilt.

Aus der Stellungnahme des AStAs geht hervor, dass sie Gewalt gegen jüdische Menschen an deutschen Universitäten und Repression gegen jüdische Menschen durch deutsche Gerichte gutheißen. Dass sie allerdings die jüdische Identität der Angegriffenen bewusst ausblenden, zeugt wieder von tief sitzenden antisemitischen Denkmustern bei ihnen selbst. In diesem Fall gibt es einen Konflikt zwischen jüdischen Akteur:innen, auf der einen Seite rechts-nationalistisch und auf der anderen Seite links-liberal. Dass wir mit linken jüdischen Stimmen solidarisch sind, ist selbstverständlich. Nur warum ist der AStA TU genauso selbstverständlich auf der Seite der israelischen Rechten? Warum wird an keiner Stelle Bezug auf die aktuelle Situation und die schrecklichen Angriffe auf Palästinenser:innen in der Al-Aqsa Moschee genommen?

Nachdem wir nun auf die inhaltlichen Punkte des Artikels des AStAs eingegangen sind, stellt sich uns jedoch die Frage, was mit diesem Artikel erreicht werden sollte. Als Klasse Gegen Klasse haben wir zwar einzelne Genoss:innen, die an der Technischen Universität studieren, sind aber in keinen Strukturen aktiv. Aus welchen Strukturen sollen wir ausgeschlossen werden?

Wie schon zu Beginn erwähnt, lässt sich dieser Artikel vielleicht auch im Kontext des diesjährigen 1. Mais betrachten. Nochmal zur Erinnerung: In Berlin wurden pro-palästinensische Demonstrationen vom 29. April bis einschließlich dem 1. Mai verboten. Auch jegliche Symbole und Äußerungen auf Demonstrationen, die als solidarisch gegenüber Palästina gewertet werden können, wurden verboten. Die Springer Presse glorifizierte dies und fuhr in ihrer Tradition eine rassistische Hetzkampagne. Die „Antideutschen” reihen sich somit erneut mit Staat und Rechten in ein Narrativ ein, indem sie Palästina-Demos wegen „Antisemitismus” verbieten, aber Nazis trotzdem aufmarschieren lassen, wie es beispielsweise in Zwickau am 1. Mai der Fall war. Warum wird der Fokus gegen Antisemitismus auf andere Linke gelegt, während Nazis Anschläge auf Synagogen ausüben?

Das ist ein gutes Beispiel dafür, warum wir einen anderen AStA brauchen, der sich kämpferisch gegen jede Form der Unterdrückung stellt. Anstelle gegen trotzkistische Organisationen zu hetzen, braucht es eine Kampagne gegen die großen Probleme des Systems: beispielsweise gegen Krieg, Aufrüstung und Rassismus. Ein kleiner Vorschlag also von unserer Seite aus: Die Technische Universität ist ja wie der Name schon sagt eine technische. Viele Studierende arbeiten nach ihrem Studium für große Industriekonzerne, wie beispielsweise Thyssenkrupp oder BMW. Beides Firmen, welche bis heute existieren, aber auch Firmen, die zu den größten Profiteuren der NS-Zeit gehörten. Gerade Thyssenkrupp verdient sich am Krieg in der Ukraine auf Kosten von Menschenleben dumm und dämlich. Wäre es nicht sinnvoller eine Kampagne gegen solche Unternehmen zu machen und diese mit dem Kampf gegen Antisemitismus und für eine Antikriegsbewegung zu verknüpfen?

In Berlin und gerade an den Universitäten gibt es viele israelische, palästinensische, jüdische, arabische Linke. Wir denken, dass eine Studierendenvertretung mit einem linken Anspruch versuchen sollte, allen unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben. Die Positionierung des TU AStAs unterstützt die zutiefst antisemitische Annahme nur Vertreter:innen der rechten, israelischen Regierung seien „echte“ Juden:Jüdinnen. Dieser Versuch, zwischen „richtigen“ und „falschen“ Juden:Jüdinnen zu trennen steht in der schlimmsten Tradition des deutschen Antisemitismus.

Wir rufen den AStA der TU auf, eine breite Diskussion mit israelischen und palästinensischen Linken zu organisieren, für einen echten Diskurs über den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus. Als Klasse Gegen Klasse verstehen wir uns als Internationalist:innen und denken, dass so ein internationalistischer Umgang mit dem Konflikt aussehen sollte.

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