Polizeigewalt bei G20: Keine Anklage? – keine Überraschung!

04.07.2020, Lesezeit 4 Min.
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Nach drei Jahren Ermittlungen ist aus den zahlreichen Anzeigen gegen Polizist*innen wegen Körperverletzung keine einzige Anklage hervorgegangen. Das mag angesichts der umfassenden Videoaufnahmen der Taten überraschen. Doch es zeigt vor allem, dass der Staat kein Interesse hat, sein Recht auf Gewalt einzuschränken.

Foto von Libertinus

Beim G20 Gipfel 2017 in Hamburg gab es drastische Repression gegen Demonstrant*innen, gegen die Protestcamps, gegen Journalist*innen, die darüber berichten wollten und selbst gegen Anwohner*innen, die nur zufällig daneben standen, als die Polizei durch ihre Straße zog.

Bereits Tage vor dem eigentlichen Gipfel wurden Protestcamps mit Gewalt geräumt. Anschließend wurde die gesamte Stadt in einen Belagerungszustand versetzt, mit insgesamt rund 31.000 Polizist*innen. Bei der „Welcome to Hell“-Demo am Freitagnachmittag des G20-Wochenedes wurden durch die Polizei Menschenleben gefährdet, als die Einsatzkräfte einen von hohen Mauern umgebenen Demo-Block komplett einkesselten und zusammen zwängten. Abends gab es dann im Schanzenviertel zahlreiche Schikanen der Polizei und in der Nacht sogar einen KSK-Einsatz. Die Begründung dafür, stellte sich später jedoch als frei erfunden heraus. Und auch am Samstag wurden bei Demonstrationen und Blockadeaktionen regelmäßig Protestierende mit Reizgas, Knüppeln und Wasserwerfern angegriffen.

Von vielen Vorfällen erschienen sofort Handyvideos im Netz. Umfassend dokumentiert wurden besonders skandalöse Übergriffe zudem auf G20-doku.org.

Nichtsdestotrotz behauptete Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) anschließend, es habe keine Polizeigewalt gegeben. Sein Parteigenosse und Innensenator Andy Grote sagte dazu zwar, dass „die G20-Ereignisse sehr ernsthaft aufgearbeitet werden müssen“ – doch dabei schwebte ihm wohl vor allem ein umfassender Freispruch der Beamt*innen vor.

Die von Grote eingesetzte Sonderkommission im Dezernat für Interne Ermittlungen kam jedenfalls zu dem Schluss, dass in keinem der Fälle Anklage erhoben werden sollte, in denen Polizist*innen Gewalt gegen Demonstrierende oder andere Personen im Rahmen der G20-Proteste vorgeworfen wurde.

Insgesamt 169 Verfahren wurden anhand der vorhandenen Hinweise eingeleitet, 133 davon wegen Körperverletzung im Amt. Daraus folgten bisher keine Anklagen und 120 dieser Verfahren sind mittlerweile eingestellt. Das geht aus einer Anfrage der Linken-Fraktion im Hamburger Senat hervor. Ausgehend von der bisherigen Quote ist wohl kaum mit Anklagen aus den verbleibenden Fällen zu rechnen, geschweige denn mit Verurteilungen.
Wirklich überraschend ist das jedoch nicht: Schließlich ermittelt in solchen Fällen die Polizei gegen sich selbst. Zeugenaussagen von Polizist*innen werden vor deutschen Gerichten (und erst recht von anderen Polizeibeamt*innen) pauschal als glaubwürdig eingestuft, während Zivilist*innen und Betroffenen von Polizeigewalt Lügen unterstellt werden. Dazu kommt, dass Zeug*innen und Betroffene regelmäßig mit Gegenanzeigen rechnen müssen, wenn sie gegen die Polizei aussagen. Wer verprügelt wurde, bekommt also selbst noch eine Verurteilung wegen „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ oder ähnliches oben drauf.

Staatliche Strukturen sorgen also dafür, dass die Gewaltexzesse der Polizei straffrei bleiben – selbst wenn sie tödlich enden. Gegen Demonstrant*innen werden hingegen besonders abschreckende Urteile verhangen, wie gegen einen Niederländer, der wegen eines nicht einwandfrei nachgewiesenen Flaschenwurfs zunächst eine einer mehrjährigen Haftstrafe bekam. Die Strafe wurde im Berufungsverfahren zur Bewährung ausgesetzt, nachdem er bereits ein Jahr in Untersuchungshaft verbracht hatte.

Das alles ist kein Versehen und kein Zufall. Der bürgerliche Staat sorgt lediglich dafür, jeden Widerstand im Zweifelsfall mit Gewalt begegnen zu können. Dafür wären Restriktionen für die Polizei nur hinderlich.

Wobei, ganz stimmt es nicht, dass es keine Anklagen gegen Polizist*innen rund um G20 gab. In einem Fall wurde nämlich doch Strafbefehl gegen einen Beamten erlassen. Warum? Weil sich seine Gewalt nicht gegen Demonstrant*innen, sondern gegen andere Polizist*innen richtete.

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