NGG und ver.di müssen den Gorillas-Streik legalisieren!

13.06.2021, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Anai Paz

Der Streik von den Rider:innen bei Gorillas ist im vollen Gange. Um mögliche Kündigungen zu verhindern und die Forderungen der Kolleg:innen zu erfüllen, sollten sich ver.di und die NGG (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) mit einem Streikaufruf offiziell hinter den Arbeitskampf stellen.

Seit Mittwoch streiken die Arbeiter:innen bei Online-Lieferservice Gorillas in Berlin, nachdem ihr Kollege Santiago fristlos gekündigt wurde. Der Streik mag zwar den Anschein einer plötzlichen Eskalation haben, doch er stützt sich vor allem auf die lang anhaltende Unzufriedenheit von Rider:innen gegenüber den prekären Arbeitsbedingungen. Zusätzlich dazu ist es wichtig zu erwähnen, dass sich die Beschäftigten seit Monaten bemühen, einen Betriebsrat zu gründen. „Gorillas Workers Collective“ ist eine Struktur der Selbstorganisation von Kolleg:innen.

Doch sowohl der Versuch einer Betriebsratsgründung als auch die Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen stießen auf Ignoranz seitens der Geschäftsführung. Erst am 3. Juni gelang es den Arbeiter:innen in Berlin einen Wahlvorstand für die Betriebsratswahlen zu gründen. Die Entlassung von Santiago brachte also das Fass zum Überlaufen.

Wilder Streik: Prüfstein für den Gewerkschaftsbund

Begonnen als spontane Arbeitsniederlegung am Mittwoch, hat der Streik in kurzer Zeit durch weitere Blockaden von Warenlagern und Solidaritätsbesuche von Aktivist:innen an den Aktionen am Donnerstag und Freitag mediale Aufmerksamkeit erlangt. Die Rider:innen stellen bisher drei Forderungen auf:

– Der entlassene Kollege Santiago ist sofort wieder einzustellen

– Die 6-monatige Probezeit ist abzuschaffen

– Es darf keine Kündigungen ohne drei vorherige Abmahnungen geben

Die Aktion wird als „wilder Streik“ bezeichnet, weil die Vorstände der DGB-Gewerkschaften (NGG und ver.di) noch keinen offiziellen Streikaufruf gemacht haben. Wegen der undemokratischen Satzungen der DGB-Gewerkschaften und der rechtlichen Grundlage muss jeder Streik von diesen Vorständen genehmigt werden, damit die Streikenden Kündigungsschutz bekommen. Die bisherigen Streiks seit Mittwoch werden durch Versammlungen der Beschäftigten auf der Ebene der Belegschaft aufgerufen.

Der Streik bei Gorillas weist fortschrittliche Elemente auf, weil die Zusammensetzung der Belegschaft (vor allem aus Lateinamerika, Westasien und Europa) zu einem „Import“ der Kampftraditionen aus den Heimatländern nach Deutschland geführt hat, sodass die Streiks mit radikalen Methoden wie Blockaden sowie Streikversammlungen der Beschäftigten geführt wird. Aus diesem Grund fordert der Streik bei Gorillas die gewöhnlichen Rezepte der Bürokratie des deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) heraus, die sich traditionell gegen Streikdemokratie und radikale Aktionen stellt. Es kommt darauf an, diese Dynamik in die anderen Sektoren auszuweiten.

Die Schranke besteht darin, dass solange es keinen offiziellen Streikaufruf der Vorstände der DGB-Gewerkschaften gibt, Streiks in Deutschland als rechtswidrig gelten, weshalb der Geschäftsführung das Recht auf Abmahnung und Kündigung zukommt. Falls es also keinen Streikaufruf der NGG für die vergangenen und/oder zukünftige Aktionen gibt, kann es sein, dass das Management versuchen wird die Streikende zu entlassen. Daher ist es notwendig, dass die DGB-Gewerkschaften (NGG und ver.di) und auch die FAU sich offiziell hinter die Forderungen der Beschäftigten stellen und an Aktionstagen offizielle Streikaufrufe machen.

Diese Streikaufrufe könnten sich an Forderungen wie die Abschaffung der Probezeit, Erweiterung des Kündigungsschutzes, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sowie mehr Lohn knüpfen, die im Rahmen eines Tarifvertrages festgelegt werden können. Die Forderungen der Aktionen aus der Belegschaft können und sollten aber über diesen Rahmen hinausgehen.

Eine mögliche Hürde ist eine potenzielle Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Gewerkschaften. Bisher begleiten NGG und FAU den Streik, während die Beschäftigten sich langsam gewerkschaftlich organisieren. Da das Unternehmen in den Zuständigkeitsbereich Handel fallen und nicht wie alle anderen Lieferdienste zur Gastro gehören würde, will sich Ver.di in diesem Sektor aufbauen. Die FAU unterstützt die Streiks vor Ort und macht eine Öffentlichkeitsarbeit, doch sie ist außerhalb von DGB-Gewerkschaften strukturiert und kann alleine den Streik wegen der rechtlichen Grundlage nicht legalisieren.

Alle Gewerkschaften sollten mit einem offiziellen Aufruf die Streiks nachträglich und in der Zukunft legalisieren, um der Belegschaft den Rücken zu decken. Alle drei Gewerkschaften sollten eng zusammenarbeiten, mit möglichst großer Einheit in Aktion. Alle Entscheidungen über die Streiks, Forderungen, Verhandlungen und Aktionen sollten weiterhin von den Beschäftigten und dem Gorillas Workers Collective selbst getroffen werden. Diese Entscheidungen sollten bindend für alle gewerkschaftliche Gremien der drei Gewerkschaften gelten. So kann die Selbstorganisation der Gorillas-Beschäftigten die Gewerkschaften selbst demokratisieren, während sie selbst einen rechtlichen Schutz bekommen.

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