Liebe SAV, warum brichst du nicht mit der Polizei?

10.07.2020, Lesezeit 15 Min.
1

Eine massenhafte Bewegung gegen rassistische Polizeigewalt in den USA hat auch hierzulande einer alten Debatte neuen Schwung verliehen: Haben Polizist*innen etwas in den Organisationen der Arbeiter*innenklasse verloren? Die Position der SAV war stets ein überzeugtes: Ja! Nun beginnt sich ihre Position langsam zu verändern – aber leider bei Weitem nicht genug.

Beginnen wir mit einer ernüchternden Erkenntnis: Die Sozialistische Alternative (SAV) will die sogenannte Gewerkschaft der Polizei (GdP) weiterhin im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) behalten. Eine riesige, inzwischen monatelang anhaltende Bewegung gegen Polizeigewalt in den USA, der zentralen imperialistischen Macht des Planeten, hat sie nicht dazu bringen können, ihre Position grundlegend zu verändern.

Dabei steht am Anfang des neusten Beitrags der SAV eine richtige Feststellung: „Die sogenannten „Polizeigewerkschaften“ in den USA sind korrupte, reaktionäre Lobby-Gruppen für mehr Waffen, mehr Brutalität und Straffreiheit.“ Sie verweist auf die Vielzahl von Initiativen diese Organisationen aus den gewerkschaftlichen Dachverbänden zu werfen – in den USA.

In Deutschland sieht für die SAV die Lage anders aus. Sie stellt die im Deutschen Beamtenbund (DBB) organisierte „Deutsche Polizeigewerkschaft“ (DPolG) als „rechtspopulistische Standesorganisation“ der „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP) im DGB gegenüber. Auch sie positioniere sich „in erster Linie als Standesorganisation“ – d.h. als Organisation zur Durchsetzung von Partikularinteressen eines reaktionären Berufsstandes. Wo ist für die SAV nun der Unterschied zu den sogenannten „Polizeigewerkschaften“ in den USA oder zur DPolG?

Gewerkschaft oder „Standesorganisation“?

Die SAV verweist auf die Rolle der GdP als „Tarifgewerkschaft bei Lohnverhandlungen“. Ihr Charakter als Standesorganisation sei also lediglich eine Positionierung, leitet sich aus ihren politischen Aussagen ab, ist also letztlich nur diskursiv. Ihre objektive Rolle ist in dieser Lesart die einer Gewerkschaft, weil sie für höhere Bezüge für ihre Mitglieder eintritt. Während ihre Schwesterorganisationen in den USA nur „Polizeigewerkschaften“ in Anführungszeichen sind, scheint die GdP für die SAV zumindest in diesem Sinn eine vollständige Gewerkschaft zu sein – ohne Anführungszeichen. Dies stimmt mit der historischen Position der SAV und ihrer Vorgängerorganisationen überein, die stets das Recht von Polizist*innen verteidigt haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Für die SAV leitet sich daraus die folgende Aufgabe ab:

Wenn es der Linken und der Arbeiter*innenbewegung gelingen kann, Polizeieinheiten in ihrer repressiven Rolle zu schwächen, sie zu neutralisieren, indem an ihrer Unzufriedenheit als Lohnabhängige angeknüpft werden kann, sollte auf entsprechende Versuche nicht verzichtet werden.

Die sprachliche Akrobatik der mehrfachen Verklausulierung erweckt den Eindruck, die SAV sei sich ihrer Sache da selbst nicht mehr so sicher. Was soll der Satz überhaupt bedeuten? Wenn eine Gruppe von Polizist*innen gerne mehr Geld vom Staat hätte, werden sie ihre repressive Rolle verlieren? Das genaue Gegenteil ist doch der Fall: Jeder Cent, den die Bullen mehr verdienen, ist ein Cent mehr für Repression. Das ist der objektive Widerspruch zwischen Arbeiter*innen und Bullen. Es gibt genau eine Möglichkeit, wie eine Polizistin ihre repressive Rolle verlieren kann – indem sie aufhört, Polizistin zu sein. Ein bisschen Unmut über Überstunden wird dafür kaum ausreichen. Und warum sollte ein gut bezahlter Polizist auch weniger repressiv sein als ein weniger gut bezahlter?

Die SAV hingegen zielt auf die Vertiefung angeblicher Spaltungen in der Polizei, die sie mit ihrer Unterstützung oder zumindest Duldung der GdP vertiefen möchte. Jede*r Polizist*in habe doch Familie und könne seine*ihre Meinung ändern. Hingegen könne die Forderung nach dem Ausschluss dazu führen, dass Zollbeamt*innen und zivile Angestellte „sich stärker mit den Beamt*innen in direkten repressiven Einsatz (sic!) solidarisieren könnten.“

Nicht nur, dass das Argument letztlich auf moralischer Hoffnung beruht. Die angebliche Spaltungslinie ist insgesamt vollständig eingebildet. Zwar verprügelt nicht jede*r Polizeibeamt*in Demonstrant*innen oder begeht rassistische Morde. Doch die Polizei in ihrer Gesamtheit, einschließlich ihrer „zivilen“ Komponenten, und auch der Zoll, der die Einhaltung reaktionärer Grenzen kontrolliert, sind staatliche Organe zur Durchsetzung kapitalistischer Interessen gegenüber der eigenen Bevölkerung. Die ganze Existenz der Polizei hängt gerade an ihrer Abtrennung von der Bevölkerung als bewaffneter Teil eines über ihr schwebenden Staatsapparates, der die Profite der Bourgeoisie garantiert.

Wie sollte sich eine revolutionäre Organisation positionieren?

Als Organisation mit sozialistischem, sogar trotzkistischem Anspruch weiß die SAV natürlich um die grundsätzliche Rolle der Polizei für den bürgerlichen Staat. Sie zitiert an anderer Stelle Friedrich Engels‘ Definition als „besondere Formation bewaffneter Menschen“ und hält fest, dass „Polizei und Justiz zur Aufrechterhaltung des Systems und der Privilegien der herrschenden Klasse“ agieren. Die Schlussfolgerungen aus diesen Einsichten ist sie aber nicht zu ziehen bereit.

So will sie nicht die Forderung aufstellen, die GdP aus dem DGB auszuschließen – zum jetzigen Zeitpunkt! Irgendwann einmal könnte es doch die richtige Forderung sein, nur eben noch nicht heute. Das Programm gegen Polizeigewalt, das die SAV aufwirft, ist dementsprechend nicht etwa eines der Abschaffung der Polizei, wie es die fortschrittlichen Teile der Bewegung in den USA längst fordern, und wo es die Aufgabe von Revolutionär*innen wäre, diese Forderung in eine strategische Konfrontation mit dem Kapital und dem Staat als Ganzem – die einzige Möglichkeit, die Polizei tatsächlich abzuschaffen – zu entwickeln. Die SAV verlangt stattdessen (wie der gemäßigte der Teil von Black Lives Matter in den USA) die demokratische Kontrolle der Polizei, die Auflösung besonders repressiver Einheiten und Kürzung von Geldern – „solange die Macht des Kapitals nicht in Frage gestellt ist“! Aber wer soll die Macht des Kapitals denn in Frage stellen, wenn sich Revolutionär*innen nicht für die konsequente Radikalisierung der politischen Stimmung der Avantgarde und der Massen einsetzen?

Die Logik, die hinter dieser Argumentation steckt, könnte man Nachtrabpolitik nennen. In den USA ist die Polizei vor den Massen diskreditiert, also sei es dort nun möglich, den Rauswurf der Polizei aus den Gewerkschaften zu fordern. In Deutschland sei diese Position noch nicht so weit verbreitet, also müsse man darauf warten, bis es soweit ist, ehe man solche Forderungen erheben dürfe. Das Massenbewusstsein geht voran, die SAV trabt hintendrein.

Die Aufgabe einer revolutionären Organisation ist jedoch eine andere. Es kann nicht darum gehen, die eigenen Forderungen an das Durchschnittsbewusstsein anzupassen. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, vorantreibende, organisierende Forderungen zu finden, die eine Brücke schlagen vom heutigen Stand des Bewusstseins zur notwendigen Konfrontation des Staats und letztlich zur Eroberung der politischen Macht. Die Anpassung an das, was die Mehrheit der Klasse heute denkt, ist das Gegenteil davon.

In der Schrift „Das Programm vervollständigen und in die Tat umsetzen“, welches 1938 die Diskussion um den Programmentwurf für das „Übergangsprogramm“ der Vierten Internationale begleitete, erklärte Leo Trotzki diese Frage unmissverständlich: „Wir haben oftmals wiederholt, dass der wissenschaftliche Charakter unserer Aktivität darin besteht, dass wir unser Programm nicht an die politische Konjunktur oder an das heutige Denken oder die heutige Stimmung der Massen anpassen, sondern an die objektive Lage, wie sie in der ökonomischen Klassenstruktur der Gesellschaft beinhaltet ist. Das Bewusstsein kann rückständig sein; dann besteht die politische Aufgabe der Partei darin, das Bewusstsein mit den objektiven Tatsachen in Einklang zu bringen und den Arbeitern die objektiven Aufgaben verständlich zu machen. Aber wir können das Programm nicht an das rückständige Bewusstsein der Arbeiter anpassen; das Bewusstsein, die Stimmung ist ein sekundärer Faktor – der primäre Faktor ist die objektive Situation. […] Was sollten wir tun? Unser Programm auf die objektive Lage oder auf das Bewusstsein der Arbeiter abstimmen? […] Dieses Programm ist ein wissenschaftliches Programm. Es begründet sich auf eine objektive Analyse der objektiven Lage.“

Warum gibt es nun bei der SAV diese entgegengesetzte Herangehensweise? Organisationen, die sich wie die SAV über lange Zeit in einer reformistischen Partei vergraben haben, stehen immer auch vor dem Problem, nicht mit einem zu radikalen Programm den eigenen Rauswurf zu provozieren. Nicht nur die SAV-Vorgängerorganisation in Großbritannien Militant stand vor diesem Problem und reagiert mit Revisionen am Programm des Trotzkismus. Die SAV befindet sich tief in der Partei Die Linke, ist politisch auf sie angewiesen. Das hindert sie daran, zu einer konsequenten Position gegenüber der Polizei zu finden. Schließlich ist die Partei Die Linke selbst staatstragend, in mehreren Landesregierungen vertreten, will so schnell es geht im Bund regieren und wird von Leuten wie Dietmar Bartsch geführt, die ihre Aufgabe darin sehen, die Polizei gegen Kritik zu schützen. Mit ihrem eigenen Programm liegt die SAV konsequenterweise auf einer Linie mit der Mutterpartei, die in ihrem aktuellen Programm ebenfalls die demokratische Kontrolle der Polizei fordert. Der Bruch mit dem politischen Reformismus ist also aufs Engste verbunden mit dem Schritt hin zu einer konsequent sozialistischen Position zum Staat und der Polizei.

Und stattdessen?

Was schlägt die SAV nun als Alternative zum Rauswurf der GdP aus dem DGB vor? Sie wolle, „den Kampf gegen den politischen Kurs der GdP innerhalb des DGB […] intensivieren“, um GdP-Gliederungen zur Einstellung der Mitarbeit im DGB zu bringen. Wenn es dann GdP-Mitglieder gäbe, die dem Kurs ihrer Führung kritisch gegenüberstünden, hätten diese die Wahl, „eine Opposition in ihrer Gewerkschaft aufzubauen oder sie in Richtung ver.di zu verlassen.“ Nicht nur ist das reichlich viel Spekulation für einen konkreten Vorschlag. Die SAV will Polizist*innen zum Eintritt in ver.di bewegen! Nicht mehr nur im Dachverband, sondern in unseren eigenen Gewerkschaften soll die Polizei vertreten sein! Die SAV mag darauf spekulieren, dass das die Polizei oder einzelne Polizist*innen auf irgendeine Weise aus ihrer materiellen Rolle im Repressionsapparat des Staats und damit aus ihrer objektiven Gegner*innenschaft zur Arbeiter*innenklasse herauslösen könnte. Am Ende stünden dann aber prekäre Arbeiter*innen in einer Reihe mit denjenigen, deren Aufgabe es ist, sie zu unterdrücken. Doch wenn es keine klare Linie zwischen uns und unseren Gegner*innen gibt, dann schadet dies uns und nützt unseren Gegner*innen.

Ganz zu schweigen davon, dass der DGB-Bundesvorstand erst vor wenigen Tagen eine beschämende Resolution verabschiedet hat, die es trotz „Black Lives Matter“ fertig bringt, in Höchstgeschwindigkeit von der Ablehnung von Rassismus (ohne konkrete Nennung von Polizeigewalt) zum Thema der „Diskriminierung“ von Polizist*innen überzugehen und diese zur zentralen Achse ihrer Resolution zu machen. Im Namen des „gesellschaftlichen Zusammenhalts“ fordert sie „Solidarität, Respekt und Wertschätzung“ – nicht für Opfer von Polizeigewalt, sondern für Polizist*innen!

Nein, die Bürokratien des Deutschen Gewerkschaftsbundes – weder der Einzelgewerkschaften noch des Dachverbands – sind in irgendeiner Weise Verbündete für eine konsequente Politik gegen die Polizei in den Reihen der Arbeiter*innenklasse. Im Gegenteil ist es notwendig, eine antibürokratische Strömung in den Gewerkschaften aufzubauen, um die Polizei – entgegen dem erklärten Willen der Gewerkschaftsführungen – kompromisslos aus unseren Organisationen rauszuwerfen.

Die SAV sagt, man solle die DGB-Führungen mit der Diskussion über die politische Linie der GdP konfrontieren. Aber die DGB-Bürokratien sind selbst etatistisch – d.h. sie verehren den bürgerlichen Staat, beten die sogenannte Tarifautonomie an, die die Arbeiter*innenklasse in vereinzelte ökonomische Kämpfe einsperrt. Das Programm des Bruchs mit den bewaffneten Teilen des Staats kann nur Teil eines Programms des Bruchs mit dem Etatismus sein.

Wir wollen diese klare Linie ziehen und wir sind der Ansicht, dass jede*r Sozialist*in das tun sollte. Die SAV stellt in der Überschrift ihres Beitrags die Frage: „GDP raus aus dem DGB?“ Für jede Organisation mit sozialistischem Anspruch kann die Antwort nur eine sein: Ja! Die SAV sollte in Deutschland nicht auf einen Massenaufstand warten, bis sie ebenfalls zu dieser Antwort findet.

Werde Teil des KGK-Netzwerks!

Ruf uns an oder sende uns eine WhatsApp- oder Telegram-Nachricht: 015129749527

Schreib uns eine Mail an info@klassegegenklasse.org.

Folge uns in den sozialen Netzwerken:

Twitter: @KGK_News

Facebook: Klasse Gegen Klasse

Instagram: Klasse gegen Klasse

Telegramkanal: Klasse Gegen Klasse

Mehr zum Thema