Lauterbachs Reform: Von Revolution kann keine Rede sein

29.07.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Pasonglit Junuan / Shutterstock.com

Das neue Eckpunktepapier zur Krankenhausreform ist veröffentlicht. Entgegen Lauterbachs Ankündigung bleiben die DRGs bestehen, wenn auch um 60 Prozent eingeschränkt. Somit werden sie weiter über die Wirtschaftlichkeit von Kliniken entscheiden.

Das Gesundheitssystem funktioniert weiterhin ökonomisch und damit sehen wir auch, dass sich die Probleme der Versorgungsengpässe, Personalmangel und Überlastung nicht verändern werden. Weiterhin werden durch Privatisierung, Outsourcing und wirtschaftlich begründete Schließungen die Bedingungen in der Versorgung erschwert und verschlechtert. Für die akuten Probleme in den Krankenhäusern, die durch die starke Profitorientierung entstanden sind, gibt es keine kurzfristigen Lösungen oder Chancen durch die Reform.

Die Krise in der Gesundheitsversorgung hat sich in den letzten Jahren besonders dramatisch zugespitzt. Vorangetrieben durch das DRG-System mussten vor allem öffentliche Kliniken schließen und auch Betten wurden fast ausschließlich in öffentlichen Kliniken abgebaut. Sie wurden durch die DRGs gezwungen, profitorientiert zu arbeiten. Die sogenannten Fallpauschalen (DRGs) hatten den Zweck, verschiedene Fälle mit ökonomisch ähnlichem Aufwand in Gruppen zusammenzufassen – die sogenannten DRGs. So haben die Kliniken die finanziellen Mittel je nach Gruppe bekommen. Der tatsächliche Aufwand spielte keine Rolle – eine Pauschale eben. So entstand für die Krankenhäuser vor allem der Druck mehr Geld zu sparen, um möglichst viel Profit aus den Pauschalen herauszuholen und gleichzeitig mehr Diagnosen zu stellen, die lukrativ sind, auch wenn sie medizinisch gar nicht notwendig waren. Währenddessen hat sich der Anteil privater Kliniken verdoppelt. Die Vorschläge der eingesetzten Expert:innenkommission von Lauterbach machen nur amtlich, was Lauterbach seit Jahren in die Welt schreit: Schließungen und Zusammenlegungen von Kliniken statt einer nachhaltigen Verbesserung der Gesundheitsversorgung. Und auch die sogenannten Fallpauschalen „DRGs“ sollen nicht etwa abgeschafft werden, sondern  eingeschränkt und zu 60 Prozent durch „Vorhaltepauschalen“ ersetzt werden. Von bedarfsorientierter Kostendeckung keine Spur.

Zentralisierung geht zu Lasten der Qualität

Das Problem dieser Reform zeigt sich wahrscheinlich insbesondere am Beispiel der Geburtshilfe, also einem im kapitalistischen Gesundheitssystem wenig profitablem Versorgungsbereich. Der Kampf um die Schließung des Kreißsaals in Neuperlach in München hat bereits gezeigt, dass wirtschaftlich begründete Zentralisierungen auch ohne die Krankenhausreform bereits versucht werden umzusetzen. Die Stadt München hat hier versucht, einen gut funktionierenden und in der Stadt anerkannten Kreißsaal zu schließen. Dass die Entscheidung darüber bislang mündlich auf 2028 verschoben wurde, hat nur mit dem Kampf der Hebammen vor Ort zu tun, die sich gegen die Schließung ausgesprochen haben. Entscheidend war hier nicht der Bedarf oder die Qualität der Versorgung, sondern schlichtweg wirtschaftliche Erwägungen. Zentralisierung erhöht nicht die Qualität der Versorgung, sondern die Zentralisierung spart Geld zu Lasten der Versorgung.

Ausbaden müssten das am Ende wieder die Patient:innen und Beschäftigten, die längere Wege in Kauf nehmen müssten, weil ihre naheliegende Geburtsklinik plötzlich dicht ist. Fast 50 Prozent der Geburtskliniken wurden seit 1990 in Deutschland geschlossen. Für andere Bereiche sieht es auch nicht besser aus. Statt konkreten und nachhaltigen Verbesserungen der Gesundheitsversorgung in Kliniken, ändert die Reform von Lauterbach nichts an diesem Mangel. Die Folgen könnten insbesondere auf dem Land noch dramatischer sein, als bisher schon.

Natürlich betrifft die Reform aber auch andere Bereiche im Krankenhaus. Tatsächlich gibt es schon heute Regionen besonders im Osten Deutschlands, wo beispielsweise der Weg zur nächsten Schlaganfall-Aufnahme mehr als 60 Minuten beträgt. Die neuen Level I-Kliniken werden dieses Problem nicht lösen: Diese sollen sogenannte „sektorenübergreifende Versorger“ werden. Was genau für Leistungen sie erbringen, ist Ländersache. Sie sollen möglichst viel abfangen: Ambulante Leistungen, hausärztliche Leistungen, gegebenenfalls auch Chirurgie und Innere Medizin. Diese können jedoch die Lücke zwischen hausärztlicher Betreuung und Krankenhausversorgung, die auf dem Land ohnehin schon riesig ist, nicht schließen – ihr Ziel ist nämlich einfach nur, die Schließungen von Grundversorgerkrankenhäusern auf dem Land zu erreichen und eine schlechtere Rundumversorgung stattdessen anzubieten. Außerdem dürfen sie keine Notfallversorgung leisten, der Rettungsdienst darf sie nicht anfahren. Das heißt, eine verbesserte Versorgung auf dem Land, wo es jetzt schon an einer guten Notfallversorgung fehlt, wird es nicht geben und der ohnehin schon überlastete Rettungsdienst muss weiterhin Patient:innen weite Strecken transportieren. Die Finanzierung dieser Einrichtungen erfolgt über sogenannte „degressive Tagespauschalen“, die die Gefahr bergen, möglichst günstig behandeln zu wollen, Verweildauern zu verlängern und Personal abzubauen, da zum Beispiel die Pflege am Bett in diesen Pauschalen enthalten sein soll. Das heißt, die schon hart erkämpfte Refinanzierung der Pflegepersonalkosten soll für diesen Bereich wieder abgeschafft werden – ein krasser Schlag ins Gesicht für die seit Jahren aktiven Bewegungen gegen Kostendumping beim Personal.

Dabei geht es auch nicht darum zu sagen, dass jede Zusammenlegung von Kliniken immer abzulehnen ist. Der Maßstab dafür muss allerdings demokratisch von Beschäftigten und Patient:innen festgelegt und diskutiert werden nach den Bedürfnissen der jeweiligen Situation und regionalen Besonderheiten – das bedeutet auch vorausschauend für Versorgungsspitzen auszusorgen, die sich durch vermehrte Naturkatastrophen oder weitere Pandemien durch den Klimawandel ergeben. Denn viele Krankenhäuser sind allein räumlich gar nicht darauf ausgelegt, noch mehr Leistungen zu erbringen. Eine Zusammenlegung von Krankenhäusern muss dort entsprechend mit Einbußen bei der bisherigen Versorgung einhergehen. Das ist am Ende profitabler für die Kliniken, die Versorgung wird aber darunter leiden. Eine gute Pflege funktioniert nur, wenn auch das Finanzierungsmodell der DRGs komplett abgeschafft wird und endlich eine bedarfsorientierte Versorgung stattfindet.

Die vorgeschlagenen Vorhaltepauschalen sind dabei nichts weiter als ein Taschenspielertrick. Denn wie der Name schon verrät, handelt es sich dabei ebenfalls um Pauschalen. 40 Prozent dessen, was bisher in DRGs ausgezahlt wurde, soll nun in diese Vorhaltevergütung fließen. Finanziert werden soll das Ganze vom Bundesamt für soziale Sicherung, das bisher aus dem Gesundheitsfond bestimmte Leistungserbringer im Gesundheitswesen finanzieren. Ähnlich wird es dann auch wohl bei den Vorhaltepauschalen laufen. Zusätzlich gibt es das Pflegebudget, was ca. 20 Prozent der Kosten ausmacht. Zusätzlich kann es für bestimmte Einrichtungen (Pädiatrie, Geburtshilfe, Stroke Unit, Intensivmedizin…) Zuschläge geben – wie hoch, ist jedoch bisher nicht festgelegt.

Diese Vorhaltepauschalen sollen den Grundbedarf der Krankenhäuser unabhängig von der Erbringung konkreter Leistungen sicherstellen. Sie sind allerdings nicht direkt zweckgebunden und können damit letztlich für alles Mögliche missbraucht werden – eine Garantie, dass dadurch die Behandlungsqualität steigt, gibt es nicht. Aus dem Eckpunktepapier geht außerdem nicht eindeutig hervor, wie die Pflege künftig finanziert werden soll. Zum einen wird gesagt, dass sie weiterhin nach dem Selbstkostendeckungsprinzip bezahlt werden soll. Es ist jedoch auch enthalten, dass die Kosten in den Vorhaltepauschalen enthalten sein sollen.

Auch werden Kliniken mit vielen Patient:innen weiterhin bevorzugt. Es besteht demnach ein Anreiz, Patient:innen kränker zu machen als sie sind, um mehr Geld zu bekommen, weil sie dann einen höheren Bedarf anmelden, als medizinisch eigentlich notwendig ist. Doch wenn der Bedarf die Höhe der Pauschale übersteigt, müssen die Kliniken doch wieder entscheiden, wo gespart wird und gegebenenfalls Patient:innen früher entlassen, weil das Geld nicht reicht. Kliniken in ländlichen Regionen wiederum gucken schnell in die Röhre, da sie naturgemäß nicht so viele Patient:innen betreuen. Die Gefahr, dass diese Kliniken sich wirtschaftlich nicht halten und wiederum schließen, ist mehr als absehbar.

Auch zu erklären ist, was es mit den Leistungsgruppen auf sich hat, die ebenfalls nach dem Vorbild NRW eingeführt werden sollen. Der Gedanke dahinter ist eine stärkere Spezialisierung von Kliniken. Davon soll es bisher 65 geben. Sie beschreiben konkret medizinische Leistungen und werden den Krankenhäusern von den Ländern im Rahmen der Krankenhausplanung zugewiesen, insofern sie die notwendigen Qualitätskriterien erfüllen. Was genau das bedeutet, ist noch unklar.

Wichtig zu verstehen ist, dass das Krankenhaus auch dann nur diese Leistungen durchführen darf. Diese Kriterien können wiederum zu vermehrten Klinikschließungen führen. Auch wird nicht konkret nach dem Bedarf gerechnet, also wie viele Betten benötigt werden. Die Prüfung der Qualitätskriterien soll durch den Medizinischen Dienst gewährleistet werden, der von den Kranken- und Pflegekassen finanziert wird.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass viel hin und hergeschoben wird, anders benannt wird und es definitiv andere Strukturen im Gesundheitssystem geben wird. Lauterbachs Ziel, für mehr Qualität zu sorgen, steht jedoch den offensichtlichen Verschlechterungen in der wohnortnahen Versorgung und den unberechenbaren Auswirkungen, die die Level II-Häuser haben werden, diametral entgegen.

Das ursprünglich von Lauterbach geforderte Level-System schafft es zwar nicht in die Reform wegen Widerstand der Bundesländer. Das bedeutet aber nicht, dass es nicht auf anderem Weg zu Schließungen und Fusionen von Kliniken kommen kann. Die Länder wollten sich lediglich nicht die Kriterien für die Level vom Bund vorgeben lassen. Außerdem will Lauterbach das Level-System in einem gesonderten “Transparenzgesetz” trotzdem einführen, ohne dass es direkte Auswirkungen auf die Kliniken hat. Gut vorstellbar, dass damit über die Hintertür trotzdem ein vergleichbares System eingeführt wird in Zukunft.

Wir fordern stattdessen eine flächendeckende, sichere, ambulante Versorgung mit einem Fokus auf Präventivmedizin, die nicht immer noch mehr Menschen in die Not treibt, ins Krankenhaus gehen zu müssen, weil sie keine Termine bekommen. In vielen ländlichen Bereichen, aber auch in immer mehr Städten gibt es kaum noch niedergelassene Ärzt:innen, die neue Patient:innen aufnehmen. Die Folge: Menschen werden kränker und landen irgendwann im Krankenhaus. Oder gehen direkt dorthin, weil sie nicht wissen, was sie sonst machen sollen. Ebenso verhält es sich mit dem ambulanten Pflegedienst und der Vor- und Nachsorge durch Hebammen während Schwangerschaft und Wochenbett: Aufgrund der schlechten Vergütung, ist es immer schwieriger, eine Betreuung zu finden. Die Reform enthält keine Überlegungen, wie es in diesem Bereich des Gesundheitssystems weitergehen soll.

Bedarf statt Profit

Nun sind alles erst einmal nur Vorschläge aus dem Eckpunktepapier. Kleinere Anpassungen hier und da sind sicherlich zu erwarten. Doch was jetzt schon deutlich wird: Das DRG-System wird minimal angepasst. Natürlich ist es erstmal irgendwie gut, dass DRGs eine kleinere Rolle spielen. Von bedarfsgerechter, kostendeckender Gesundheitsversorgung ist jedoch keine Spur zu erkennen. Ganz im Gegenteil droht der Bedarf weiter eingeschränkt zu werden, wenn noch mehr Kliniken dicht machen müssen. Zum eigentlichen Problem Personalmangel schweigt sich die Regierung ganz aus. Dabei braucht es gerade hier konkrete Maßnahmen, um mehr Leute in die Pflege zu kriegen und ehemalige Pfleger:innen zurückzuholen. Das geht schon bei der Ausbildung los: Azubis dürfen nicht einfach billige Arbeitskräfte sein, sondern müssen tatsächlich angelernt werden. Die Vergütungen für Azubis müssen ebenfalls an die Inflation angepasst werden. Denn bei den Mieten und Preisen für Lebensmittel werden sich junge Leute zwei Mal überlegen, ob sie sich eine solche Ausbildung überhaupt leisten können. Darüber hinaus müssen Kolleg:innen die Möglichkeit haben, ihre Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich zu reduzieren. Denn viele Pfleger:innen verlassen den Beruf nicht, weil sie den Job nicht mögen, sondern schlicht wegen Überlastung.

Deshalb ist es heute notwendig, gegen diese Reform zu kämpfen und zu streiken. Es braucht Betriebsversammlungen von Kolleg:innen, auf denen offen diskutiert werden kann, warum und wie diese Reform verhindert und das DRG-System tatsächlich überwunden werden kann, hin zu einem Gesundheitssystem, das nicht profitorientiert wirtschaftet. Kolleg:innen und Patient:innen müssen gemeinsam demokratisch darüber entscheiden können, welche Maßnahmen ergriffen werden, um ein Gesundheitssystem aufzubauen, das allein den Bedürfnissen von Patient:innen und Beschäftigten dient. Die Gewerkschaften müssen diese Auseinandersetzung anführen und mit einer Kampagne zur Aufwertung von Pflegeberufen sowie einem Ende von Privatisierung und Outsourcing verbinden. Die Berliner Krankenhausbewegung, Notruf NRW und die Hebammen in Neuperlach in München haben wichtige Ansätze geschaffen, wie Beschäftigte demokratisch über ihre Kämpfe bestimmen können. Diese Beispiele auszuweiten ist notwendig, um über den betrieblichen Rahmen hinaus den Kampf gegen die Krankenhausreform und die Privatisierungen des Gesundheitssystems zu führen.

Es sollte keine Einsparungen, sondern  eine Finanzierung durch drastische Vermögenssteuern geben. Und auch: Keine Verhandlungen mit der Regierung in Hinterzimmern, sondern öffentlicher, demokratischer Kampf. Kliniken gehören nicht in die Hand bürgerlicher Regierungen, privater Investor:innen oder Kirchen, sondern müssen demokratisch und selbstorganisiert von Beschäftigten und Patient:innen verwaltet werden. Gleichzeitig bedeutet das auch, die Macht großer Pharmakonzerne zu brechen. Denn sie reißen sich nicht nur Kliniken unter den Nagel, sondern diktieren eben auch die Preise für medizinisch notwendige Medikamente und sonstige Güter. Eine demokratische Verwaltung von Kliniken muss deshalb auch verbunden werden mit der Enteignung großer Pharmakonzerne unter Kontrolle der Beschäftigten.

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