Juso schießt auf Twitter gegen FDP und Immobilienhaie – Rücktritt nach medialer Hetze

09.02.2021, Lesezeit 6 Min.
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Bernd Schwabe / CC BY 3.0

Ein Juso-Mitglied setzt einen Tweet gegen die Immobilienmafia und die FDP ab. Medien, Politiker:innen und die Humboldt-Uni sorgen für seinen Rücktritt.

Bengt Rüstemeier, Vorstandsmitglied der Berliner Jusos (Jugendorganisation der SPD), ist seit dem Wochenende einer rechten Hetzkampagne ausgesetzt. Grund waren einige Tweets, die er gepostet hatte.

So bezog er Stellung zur Wohnraumpolitik mit der Aussage: „Ein v€rm1€7€rschw€!n [Vermieterschwein] persönlich zu €rsh0073n [ershooten] kann hilfreich sein aber, aber muss nicht notwendig voraussetzung sein.“

Auch zu den Julis, der Jugendorganisation der FDP, äußerte er sich – scheinbar als Antwort auf einen sexistischen Kommentar von diesen: „Jungl1b€ra£€ [Jungliberale] €r5h007€n [ershooten] wann?“

Der Aufstand verschiedener Medien, der Julis und selbst der Jusos (seiner eigenen Organisation!) war groß.

So sagte der Juli-Berlin Vorsitzende David Jahn: „Eine Sprache der Gewaltverherrlichung ist Boden für reale Taten. Wenn die Jusos sich glaubhaft von Gewalt gegen Menschen distanzieren wollen, darf jemand, der offen zu brutalster Gewalt aufruft, keinen Platz in diesem Verband haben“, und nennt den Fall „einen Schaden an unserer Demokratie“.

Bekanntlich ist die FDP nicht gerade die Speerspitze im Kampf gegen Unterdrückung und Sexismus, so überrascht es nicht, dass sie zu diesem Vorwurf kein Wort verlieren.

Wie verhält sich die FDP zu Gewalt, was sind „reale Taten“? Gewalt ist für die FDP als neoliberale Partei immer dann schlecht, wenn sie gegen den Kapitalismus gerichtet ist. Auslandseinsätzen der Bundeswehr beispielsweise stimmte sie schon in vielen Fällen zu.

Auch Aufrüstung für die deutsche Polizei, die tief mit rechtsextremen Terrorist:innen verwoben ist, ist eine wichtige Forderung der Julis. Erst vor wenigen Tagen wurde berichtet, dass die Ermittlungen im Fall Amad A. eingestellt würden, den die Polizei erst unschuldig inhaftierte und anschließend in seiner Zelle verbrennen ließ, sodass er später in einer Klinik starb. Die Reaktion der Julis auf diesen „Schaden an unserer Demokratie“ ist “real” bösartig zynisch. Sie fordern bewaffnete Nazis auf den Straßen, statt in den Parlamenten.

Da der Juso Bengt Rüstemeier auch Mitglied des Akademischen Senats der Humboldt-Universität Berlin ist, forderten die Julis auch das Präsidium, den Akademischen Senat und das Studierendenparlament dazu auf, ihn von dieser Position zu entfernen.

Dem schloss sich das Präsidium der HU an: Sie verurteilen „verbale Beleidigungen, diffamierende Äußerungen und Kommentare oder Tweets, die zu Gewalt aufrufen, auf das Schärfste. Die freie Meinungsäußerung erfährt dort ihre Grenze, wo es um beleidigende, diffamierende, andere Menschen in ihrer Würde verletzende Äußerungen und Behauptungen geht.“ Das betreffe nicht nur Studierende, sondern auch „Professorinnen und Professoren“.

Diese Aussage wäre ein guter Anlass für die HU, eine Bilanz über ihren eigenen reaktionären Professor Jörg Baberowski zu ziehen. Im Jahr 2015 demonstrierten über 1000 Rechtsextreme in Heidenau gegen eine Geflüchtetenunterkunft und griffen diese an. Zu einer Talkshow über das Thema war Baberowski eingeladen. Dort sagte er: „Überall da, wo viele Menschen aus fremden Kontexten hinkommen und die Bevölkerung nicht eingebunden wird in die Regelung all dieser Probleme, da kommt es natürlich zu Aggression“ – eine Legitimierung dieser rechten Gewalt als eine „natürliche“ Reaktion. Oder mit anderen Worten gab er zu verstehen: Bitte zeigt Verständnis, die Nazis sind doch ganz normal!

Ob Baberowski selbst ein Nazi ist oder nicht, sei dahingestellt, aber Bengt Rüstermeier ist auch kein linksextremer Terrorist. Es ist offensichtlich, wie hier unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden. Die Legitimierung rechter Gewalt im öffentlichen Fernsehen – kein Problem für die HU. Auch nur die Andeutung einer linken, klassenkämpferischen Gewalt: mediale Hetze, Rücktrittsforderungen, insgesamt „kein gutes Vorbild“ laut der Berliner CDU-Fraktion.

Die Jusos selbst verteidigten ihr Mitglied nicht. So sagte der Landessekretär Arne Zillmer: „Nach allen vorliegenden Informationen bewertet der Juso-Landesvorstand die Tweets als untragbare Entgleisung“. Zurecht wurden sie dafür auf Twitter für ihr unsolidarisches Verhalten kritisiert. Schließlich musste Rüstemeier dem Druck weichen und trat von allen Ämtern zurück.

Obwohl sie sich die Jusos gern auf Marx beziehen, sehen sie ihn lieber als Ikone im Regal anstatt als revolutionären Politiker. Dabei war es Marx, der sagte: „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“

Natürlich ist völlig klar, dass die Jusos sich als Jugendorganisation der SPD nicht zu weit aus dem Fenster lehnen dürfen. Schließlich ist die SPD seit über 100 Jahren ein wichtiges Standbein des deutschen Imperialismus. Die Gehälter und Karrieren vieler Mitglieder hängen davon ab, dass das auch so bleibt. Und die Jusos sind ihre Kaderschmiede. Bestes Beispiel ist Gerhard Schröder: Als Juso-Vorsitzender noch angeblich “Marxist”, setzte er als Bundeskanzler den größten sozialen Angriff seit Jahrzehnten durch, als “Genosse der Bosse”.

Klar ist auch: Wer in Berlin mit der Wohnraumpolitik der SPD konfrontiert ist, wird schon mal aggressiv. Nachvollziehbar während einer Pandemie, in der viele Jugendliche ihre Arbeit verloren haben, während die Mieten trotz Mietendeckel absurd hoch sind. Eine der Ursachen dieser Situation liegt beispielsweise darin, dass 2004 ein SPD-Senat unter Klaus Wowereit in einer SPD-Linkspartei-Koalition die landeseigene Wohnungsgesellschaft GSW mit einem Bestand von 65.000 Wohnungen verkaufte. 2013 wurde die GSW dann von der Deutsche Wohnen übernommen, für deren Enteignung es heute ein Volksbegehren gibt.

Eine der „notwendigen Voraussetzungen“ für eine soziale Wohnungspolitik ist also auch, sich politisch von der SPD zu befreien.

Als SPD-Mitglied Vermieter:innen und FDP-Mitglieder für eine bessere Welt erschießen zu wollen, ist übrigens keine besonders vielversprechende Strategie. Das sind wohl eher Tagträume, die sich aus der politischen Perspektivlosigkeit der Jusos und der SPD ergeben.

Eine bessere Herangehensweise wäre es, auf die unabhängige Organisierung der Arbeiter:innen zu setzen. Denn obwohl linke Gewalt als Antwort auf die tagtägliche kapitalistische Gewalt eine Notwendigkeit ist, ist es doch in erster Linie die von den Reformist:innen und den Bürokratien unabhängige Macht der Arbeiter:innenklasse über den Produktionsprozess, die als Hebel für Veränderung funktioniert.

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