„In dieser Stadt muss der antifaschistische Selbstschutz aufgebaut werden“

21.02.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: shutterstock // Matt Gush

Am Rand der Kundgebung der GEW gegen die Erhöhung der Unterrichtsstunden der Lehrer:innen in Sachsen-Anhalt kam es zu einem faschistischen Übergriff. Ein Interview mit der linksjugend ['solid] Magdeburg.

Warum wart ihr am 13.02. auf der Kundgebung und wogegen habt ihr demonstriert? 

Die CDU regiert seit 1990 fast durchgehend in Sachsen-Anhalt und spart den Bildungsbereich kaputt. Dass nun Lehrkräfte das Missmanagement der Landesregierung ausbaden und eine Stunde zusätzlich arbeiten sollen, ist ein Zustand, der nicht hingenommen werden darf. Wir stehen solidarisch an der Seite der Lehrkräfte, deswegen schlossen wir uns dem Aufruf der GEW Sachsen-Anhalt an.

Nach der Kundgebung wurdet ihr von Faschisten angegriffen. Was ist dort passiert? 

Wir sind gegen Ende der Kundgebung zu Genoss*innen anderer linker Strukturen gegangen, um dort beim Aufspannen eines Transparentes anlässlich einer Veranstaltung der Bundesumweltministerin Steffi Lemke im Landtag zu helfen. Einige Zeit später bemerkten wir, dass vier Faschisten auf uns zukamen, die sich zunächst auf eine Bank in der Nähe von uns hinsetzten, um sich zu betrinken sowie uns davor im Vorbeigehen zu beleidigen. Etwas später stand einer der Faschisten auf, als wir gerade dabei waren das Transparent einzusammeln und klebte einen Sticker mit der Reichskriegsflagge an eine Laterne direkt vor uns – woran er zunächst scheiterte und sich bücken musste um diesen wieder anzubringen. Als er zurück zu seiner Gruppe ging, wurde dieser Sticker selbstverständlich überklebt, worauf er mit seiner braunen Truppe sofort zu uns kam und uns bedrohte. Zwei der Täter hatten dabei sofort einen Zahnschutz im Mund. Einer war mit einer Glasflasche in der Hand bewaffnet, ein weiterer hatte ebenfalls eine Glasflasche zur Bewaffnung dabei. Daraufhin wurde eine Person einer anderen linken Struktur zunächst geschubst, sodass seine Brille und seine Mütze herunter fielen. Ein weiterer Faschist schlug ihm dann gegen den Hinterkopf. Als ihm ein Genosse von uns zur Hilfe kam, musste er einem Schlag mit einer Glasflasche ausweichen, den einer der Täter auf seinen Kopf richtete. Danach wurde er aufs Jochbein geschlagen und von einem weiteren Täter gegen den Oberschenkel getreten. Der Genosse erlitt dabei eine Jochbeinprellung sowie eine Gehirnerschütterung. Als wir daraufhin vom Ort flüchten wollten und zur Seite des Landtages überwechseln, zeigte einer der Täter von der anderen Seite den Hitlergruß und rief dabei „Heil Hitler, ihr F*****!“. Daraufhin nahmen sie weiterhin die Verfolgung auf und bedrohten und beleidigten uns. Einen weiteren Genossen zog der Täter, der eben erst einen Hitlergruß in der Öffentlichkeit zeigte, mit aller Wucht an den Haaren, sodass ein anderer Täter ihm ins Gesicht schlagen konnte. Ungefähr zu dem Zeitpunkt setzt auch ein Video ein, das während der Tat angefertigt wurde und in den sozialen Medien viral ging. Als wir den Platz in Richtung des Breiten Weges verließen, sahen wir schon, dass die Polizei auf dem Weg war. Ein weiterer Wagen hatte in einer Nebenstraße die Täter gestoppt. Die Polizei nahm die Personalien der Täter auf, ließ sie danach jedoch direkt wieder gehen. Auf dem späteren Heimweg hatten wir dann noch einen der Täter von Weitem erkannt, sodass wir einen sicheren Umweg nehmen mussten.

In eurem Statement zu dem Angriff schreibt ihr, dass dies nicht die erste Attacke dieser Art in Magdeburg ist. Von welchen anderen Vorfällen könnt ihr berichten? 

Seit der zweiten Jahreshälfte 2022 gibt es in Magdeburg wieder einen starken Anstieg von rechten Übergriffen. Auch für uns war das bei weitem nicht der erste Übergriff, nicht einmal allein in diesem Jahr. Da sich seit Jahren immer wieder am 16.01., dem Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs, direkt vor dem Magdeburger Dom Nazis treffen um dort Kerzen abzulegen und ihre als „Gedenken“ getarnte Propagandaveranstaltung durchführen, waren wir Teilnehmende einer Mahnwache am Dom. Auch hier kam es wenige Meter vom Landtag entfernt zu einem Hinterhalt von Faschisten, die sich in Gebüschen und hinter den Resten der historischen Stadtmauer versteckten. Einer der Täter zog einen metallischen länglichen Gegenstand aus der Jacke. Wir vermuten, dass es sich hierbei um eine Machete handelte. Ein weiterer hatte sich Quarzsandhandschuhe angezogen. Bei der Flucht aus dem Hinterhalt wurden die Betroffenen mit Steinen beschmissen und gejagt, alles unter den Augen der 100 Meter entfernt stehenden Polizei. Im Übrigen waren unter den anwesenden Polizeikräften Teile der III. Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit anwesend, die erst kürzlich Aufmerksamkeit erhielten, da diese sich fragwürdige eigene Patches, die eher nach Hooliganmerchandise anmuten, für die Uniform anfertigen ließen. Auch trugen einige der anwesenden Polizisten jenes Patch an diesem Abend.

Ihr schreibt außerdem: “Wir können uns nicht auf den Staat und seine faschistisch durchsetzte Polizei verlassen, sondern müssen dafür* selbst sorgen”. Was bedeutet das für euch? 

Wir haben von der Polizei als linke Personen keinen Schutz zu erwarten. Die Polizei hat uns immer wieder durch verschiedene Handlungen und Aussagen deutlich gemacht, dass sie uns als Feindbild sieht. Auch bei dem Vorfall vor dem Landtag wurden wir nicht ernst genommen. Beweismittel wurden erst auf unseren Nachdruck gesichert und die Polizei ist auch der Ansicht, dass wir selbst Schuld an dem Vorfall gewesen seien. Zudem glauben wir, dass die Täter auch nicht nach Waffen durchsucht wurden. Gerade einmal zwei Tage nach der Tat ist wieder einmal eine rechte Chatgruppe aufgeflogen, diesmal von Polizeischüler*innen. Faschisten haben in Magdeburg offensichtlich ein viel zu großes Sicherheitsgefühl, wenn diese sich trauen, am helllichten Tage eine Gewerkschaftsdemonstration direkt vor dem Landtag angreifen zu können. Es gilt ihnen dieses Sicherheitsgefühl zu nehmen. In dieser Stadt muss der antifaschistische Selbstschutz aufgebaut werden und es müssen szeneintern Brücken gebaut werden, wo bisher eher tiefe Gräben gewesen sind. Darin sehen wir unsere Aufgabe für die nächste Zeit. Dann gilt es darüber zu diskutieren wie wir uns als linke Szene gemeinsam vor solchen Angriffen schützen können. Die sogenannten „Baseballschlägerjahre“ haben damals bereits in Magdeburg ihre Spuren hinterlassen und es muss in jedem Fall verhindert werden, dass diese eine Neuauflage erfahren. Mindestens fünfzehn Menschen wurden seit 1990 in Sachsen-Anhalt durch Faschisten ermordet, davon drei aus Magdeburg. Erst in der Woche vor dem Vorfall waren wir zu einer Mahnwache anlässlich der Ermordung von Frank Böttcher vor 26 Jahren.

 

*Anmerkung der Redaktion: Hier ist Selbstschutz gemeint

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