In Argentinien kämpfen nur revolutionäre Sozialist:innen für das Recht auf Abtreibung

27.10.2021, Lesezeit 5 Min.
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Demonstration von Organisationen der FIT-U am Internationalen Tag für das Recht auf Abtreibung im September 2020. Bild: Arikaff / Shutterstock.com

Weniger als einen Monat vor den Zwischenwahlen in Argentinien schwenkt die Mitte-Links-Regierung nach rechts. Ein Anti-Abtreibungs-Politiker wurde gerade zum Kabinettschef ernannt. Die einzige politische Kraft, die das Recht auf Abtreibung verteidigt, ist die Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit (FIT-U).

Die feministische Bewegung in Argentinien hat jahrzehntelang für das Recht auf legale, sichere und kostenlose Abtreibungen gekämpft. In den letzten Tagen des Jahres 2020 wurde der Schwangerschaftsabbruch schließlich vom argentinischen Kongress legalisiert. Der Eingriff kann nun in Krankenhäusern bis zur 14. Schwangerschaftswoche vorgenommen werden. Den Verdienst für diesen Meilenstein für Frauenrechte beansprucht die Mitte-Links-Regierung von Alberto Fernández für sich. Viele institutionelle Feminist:innen haben Regierungsämter übernommen und machen bei den für den 14. November angesetzten Zwischenwahlen Wahlkampf für Fernández‘ Frente de Todes (Front Aller).

Seit der Niederlage seiner Partei bei den Vorwahlen am 12. September hat Fernández einen Rechtsruck vollzogen und Juan Luis Manzur zum Kabinettschef ernannt. Manzur war vormals Gesundheitsminister unter Cristina Kirchner (der derzeitigen Vizepräsidentin) und später Gouverneur der Provinz Tucumán im Norden Argentiniens. Manzur ist Mitglied der rechtsextremen katholischen Sekte Opus Dei und ein vehementer Gegner des Selbstbestimmungsrechts der Frauen. Als 2019 ein elfjähriges Mädchen, das vergewaltigt worden war, abtreiben wollte, zwangen Manzurs Beamt:innen sie, gegen ihren Willen das Baby zur Welt zu bringen.

Der vermeintlich „feministische“ Fernández versucht nicht nur, die Gouverneur:innen des rechten Flügels des Peronismus auf seine Seite zu ziehen, seine Reformen haben außerdem erhebliche Schlupflöcher. Das Abtreibungsgesetz erlaubt es Ärzt:innen (wie Manzur selbst, der Chirurg ist) immer noch, „aus Gewissensgründen“ zu verweigern, die Behandlung vorzunehmen, was bedeutet, dass viele Frauen zwar ein „Recht“ auf eine Abtreibung haben, aber dennoch keine bekommen können.

Paradoxerweise wird also ein Teil der argentinischen Frauenbewegung für Politiker:innen werben, die gegen die Abtreibung sind. Die Koalition von Fernández ist ihrer Meinung nach das „kleinere Übel“ im Vergleich zu der vom ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri geführten Rechtskoalition, die die Rechte der Frauen noch heftiger angreifen würde.

Doch es gibt eine Alternative zu diesen beiden patriarchalen, bürgerlichen Projekten. Die dritte politische Kraft in Argentinien ist die Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit (FIT-U), die bei den Vorwahlen mehr als eine Million Stimmen (oder landesweit fünf Prozent der Stimmen) erhalten hat. Die vier sozialistischen Organisationen, aus denen die FIT-U besteht, kämpfen seit Jahrzehnten für das Recht auf Abtreibung. Ihre Fahnen und Transparente füllten die ersten Reihen der Proteste, als das Gesetz schließlich verabschiedet wurde.

Feministischer Wahlwerbespot der FIT-U mit der Kandidatin Myriam Bregman

Während sich Kirchner und Fernández mehr als ein Jahrzehnt lang weigerten, irgendwelche Schritte zur Legalisierung der Abtreibung zu unternehmen, kämpften die Organisationen der FIT-U als Teil der „grünen Welle“, der massenhaften feministischen Bewegung. Die Abgeordneten des Wahlbündnisses brachten Gesetzesentwürfe ein und stimmten konsequent für das Abtreibungsrecht. Seit ihrer Gründung vor einem Jahrzehnt setzt sich die FIT-U für eine umfassende Sexualerziehung in den Schulen sowie für die vollständige Trennung von Kirche und Staat ein. Die FIT-U hofft nicht darauf, diese Forderungen bei Wahlen durchzusetzen, sondern nutzt ihre Sitze im Kongress, um den Aufbau einer unabhängigen feministischen Bewegung zu unterstützen.

Um nicht nur die Gleichheit vor dem Gesetz, sondern auch die Gleichheit in allen Lebensbereichen zu erreichen, verbinden Argentiniens revolutionäre Sozialist:innen feministische und sozialistische Forderungen. Als zum Beispiel arme Familien in Guernica Land besetzten, waren es vor allem Frauen, die versuchten, Wohnraum für ihre Familien zu bekommen. Politiker:innen von Fernández‘ Partei ordneten eine gewaltsame Räumung an, damit ein Golfplatz gebaut werden konnte. Die Abgeordneten der FIT-U standen hingegen in der ersten Reihe derjenigen, die sich der Polizei entgegen stellten. Als die Fabrikarbeiter:innen des PepsiCo-Werks in Buenos Aires vor vier Jahren streikten, hatten die Anführer:innen der Arbeiter:innen Kontakte zur FIT-U und die Kongressabgeordneten der Front nahmen an den Protesten teil – und wurden Seite an Seite mit den Streikenden von Gummigeschossen getroffen.

Zur Front der Linken und Arbeiter:innen gehört auch die sozialistische Frauenbewegung Pan y Rosas (Brot und Rosen), die für die Forderungen von Arbeiter:innen kämpft: für Frauenkommissionen an den Arbeitsplätzen, für kostenlose Kinderbetreuung für alle und für gleichen Lohn. Doch für die FIT-U geht es nicht nur darum, Reformen zu erreichen – ihr Programm fordert eine Regierung der arbeitenden Menschen, die sich auf die Mobilisierungen und die Selbstorganisierung stützt. Den Kapitalismus zu beseitigen würde die materielle Basis für alle Formen der Unterdrückung und Diskriminierung zerstören.

Sozialistische Feminist:innen sind die einzigen mit einem konsistenden feministischen Programm. Und in Argentinien sind revolutionäre Sozialist:innen die einzigen, die für das Recht auf Abtreibung eintreten.

Der Artikel erschien zuerst am 24. Oktober 2021 bei Left Voice.

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