Homeoffice: Wenn dein Boss dir zu Hause über die Schulter schaut

25.02.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Paul Kov

Seit Start der Pandemie hat das Arbeiten aus dem Homeoffice massiv zugenommen. Eine sinnvolle Maßnahme, die aber von unseren Bossen gnadenlos ausgenutzt wird.

Ein Leben im Büro

Es ist ein lang gehegter Traum der Tech-Industrie, das Büro in unser Zuhause zu verwandeln. Diese Ambition manifestiert sich in Entspannungs- und Schlafräumen, in betriebseigenen Kindertagesstätten und Restaurants, bis hin zum letzten Vorstadt-Start-Up, dass sich lieber eine Tischtennisplatte leistet, anstatt seine Beschäftigten vernünftig zu bezahlen.

Google baut inzwischen sogar Siedlungen für Arbeiter:innen, direkt eingebettet in ihre Landschaften aus Bürogebäuden. Auf den ersten Blick erscheinen diese als großartige und sinnvolle Verbesserungen der Arbeitsplätze. Aber es sind keine wohlwollenden Geschenke der Kapitalist:innen, denn wir bezahlen dafür mit verlängerte Arbeitszeit durch weniger Pausen, Überstunden, weniger Lohn, stark befristeten Arbeitsverträgen und mit unserer arbeitsfreien Zeit.

Denn wer nach der Arbeit bleibt, wird sich Arbeitsgesprächen nicht entziehen können. Wer bleibt, kann immer noch kurz eben was machen, wenn etwas anfällt. Am besten sollten wir immer für unsere Bosse verfügbar und warm gehalten werden. Inzwischen zahlen wir für die Wärme sogar selbst.

Ein Büro im Leben

Diese Entwicklung hat nun einen ultimativen Schritt gemacht. Das Büro, das schon vor der Pandemie immer näher an unser Zuhause geschlichen ist, ist nun vollkommen eingedrungen.

Nicht jede Person kann mit der Arbeit aus dem Homeoffice umgehen. Nicht nur die Arbeit, sondern auch die Kommunikation mit Kolleg:innen und Bossen kommt nach Hause, weswegen man aktiv Maßnahmen ergreifen muss, um nicht mehr erreichbar zu sein. Slack, Microsoft Teams und andere professionelle Kommunikationsapps sind schon längst auf unseren Smartphones gelandet. Es ist so einfach geworden, uns jederzeit für Arbeit heranzuholen, die Erwartungshaltung schraubt sich immer weiter nach oben. Der Druck steigt.

Die Reproduktionsarbeit wird komplett auf uns abgeschoben. Kinder müssen zu Hause von den arbeitenden Eltern betreut werden, da Kindergärten aufgrund wiederkehrender Wellen durch die schwachen Maßnahmen der Regierung nur für Notbetreuung offen sind und ständig schließen müssen. Frag doch einmal jeden Elternteil aus deinem Bekanntenkreis, wie einfach es ist, sich vor den Kindern im Arbeitszimmer einzuschließen und in Ruhe zu schuften. Oft können wir uns sowieso keine Wohnungen mit genug Räumen für ein solches Szenario leisten. Elternteile, die zu Hause bleiben, müssen Arbeiter:in, Lehrer:in, Erzieher:in, Koch:Köchin und Reinigungskraft zugleich sein. Auch so etwas Banales wie die Stromkosten für Arbeits-Peripherie geht an uns über.

Doch wofür arbeiten wir eigentlich? Von dem, was wir erwirtschaften, bekommen wir gerade so viel, um uns weiterhin die Wohnung, nun unser Büro, zu leisten. Währenddessen schaut dein Boss dir über die Schulter ins Wohnzimmer.

Wer zu Hause arbeitet, muss kontrollierbar sein

Arbeitsschutz ist im Homeoffice kaum noch gewährleistet. Wer zu Hause arbeitet, muss sich strengen Kontrollmaßnahmen aussetzen. Kapitalist:innen dürfen während unserer Arbeitszeit log files anlegen, also Register mit Webseiten und Diensten, mit denen wir uns während der Arbeitszeit verbunden haben, um zu überprüfen ob wir auch effektiv schuften. Überstunden dürfen limitiert werden, das trifft vor allem Kolleg:innen in Teilzeit, die von der Personalabteilung automatisch ausgeloggt werden, obwohl sie noch arbeiten. In Kommunikationsapps wie Slack kann durch Funktionen wie “Corporate Export” auch auf private Chatverläufe von Arbeiter:innen zugegriffen werden.

Organisierung unter Kolleg:innen wird quasi unmöglich gemacht, Betriebsräte müssen auf Kommunikationsmittel außerhalb der Arbeit zurückgreifen. Diese neue Distanzierung ermöglicht es auch, dass Entlassungen leise und unbemerkt über die Bühne gebracht werden können.

Kein Ende in Sicht

Büros zu schließen und die Arbeit wenn möglich von zu Hause zu verrichten, ist grundsätzlich eine sinnvolle Maßnahme – doch nur wenn sie auch effektiv umgesetzt wird. Denn was bringt es, wenn wir zu Hause hocken, aber Schulen dann Präsenzunterricht erzwingen? Wenn riesige Einkaufszentren offen bleiben und zu viele nicht systemrelevante Betriebe weiterhin die Gesundheit der Arbeiter:innen durch Anfahrt in vollen Bussen aufs Spiel setzen? Einige Unternehmen stellen auch einfach gar nicht erst aufs Homeoffice um, auch wenn es möglich wäre. Es lohnt sich wirtschaftlich einfach nicht und mehr als eine nette Empfehlung der Regierung war das Homeoffice sowieso nicht.

Die schwächlichen Maßnahmen, die nichts anderes sind als eine Unterwerfung unter die Regeln des Kapitals, haben zu neuen Wellen, tausenden Toten und endlosen Verlängerungen der Lockdowns geführt. Sie zwingen uns weiterhin ins Homeoffice, wo wir von unseren Bossen gnadenlos ausgenutzt werden. Wir wollen raus!

 

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