FFF und der Antikapitalismus: verbalradikal oder klassenkämpferisch?

08.11.2021, Lesezeit 10 Min.
Gastbeitrag

Fridays for Future hat ein Strukturproblem, doch nicht nur das. Die Probleme ziehen sich weit in die Klimabewegung hinein. Ein Aktivist aus der Klimabewegung in Frankfurt und Umgebung spürt diesen Problemen nach und schlägt vor, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung nach links kommen kann.

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Juergen Nowak / Shutterstock

Vor rund zwei Wochen demonstrierten zehntausende Menschen in Berlin gegen die Klimakrise und für einen Wandel in der aktuellen klimafeindlichen Politik, um die weiteren Folgen möglichst gering zu halten. Auf der Demo gab es neben Parolen wie „One solution – Revolution“ auch einen „antikapitalistischen“ Schwarzen Block, der zwischen anderen Demonstrierenden und der Polizei unterwegs war. Ab und an wurde ein Rauchtopf abgebrannt und die Teilnehmenden versuchten die mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nach der Demo hieß es dann von einigen Aktivist:innen auf Twitter, der antikapitalistische Block sei von den Ordner:innen aufgehalten worden. Sie hätten sich vor das Frontbanner gestellt und die Demo am Weiterlaufen gehindert, wie einer schildert. In einem seiner Tweet ist das Frontbanner mit der Aufschrift „Das System ist die Krise – Kapitalismus zerschlagen“ zu sehen.

So weit klingt das nach einer vernünftigen Perspektive, die die „antikapitalistische Strömung“ innerhalb von Fridays for Future (FFF) durchsetzen will. Zum Teil funktioniert es bereits. So ist beispielsweise das Wording der linkeren Gruppen, den Kapitalismus zu überwinden, auch in weitaus bürgerlicheren Teilen von FFF angekommen. Auch eine Luisa Neubauer ruft gerne einmal „system change, not climate change“, auch wenn sie damit bestimmt nicht ein System abseits der repräsentativen Demokratie oder des Kapitalismus meint, höchstens vielleicht einen grün angemalten Kapitalismus. Doch auch die Aktivist:innen um die FFF-Ortsgruppe Frankfurt, die als Kern der linken Strömung innerhalb Fridays for Future bekannt ist, bieten abseits des eigenen Verbalradikalismus ähnlich wenige Perspektiven. Vielen ist klar, dass der Kapitalismus der Grund vielen Übels ist und dass es unumgänglich ist, diesen für eine klimagerechte Welt zu überwinden. Doch wie dieser Wandel aussehen soll, wie man dafür kämpft und wo man hinwill, sind selten diskutierte Fragen. In Reden heißt es dann gerne einmal, wahrer Klimaschutz gehe nur mit Revolution. Doch wie sieht die aus? Von oben oder von unten? Zusammen mit den Beschäftigten? Ich könnte diese Fragen schwer beantworten, weil die Diskussion in der Bewegung beim Benennen des Problems aufhört. Es geht intern meistens nur noch darum, wie der antikapitalistische Ausdruck am besten vermittelt wird. Darauf lautet die Antwort meistens: schwarz, mit Schirm vermummt und Rauchtopf.

Ein vermeintlicher Ansatz für eine antikapitalistische Perspektive findet sich nicht nur in Frankfurt, sondern auch bei Fridays for Future Deutschland. Dort erklärte die zentrale Organisation der Bewegung Anfang des Jahres, man wolle jetzt gemeinsam mit ver.di und dem Unteilbar Bündnis arbeiten. Doch mehr als hohle Phrasen sind das auch nicht. Statt eine Zusammenarbeit mit der gewerkschaftlich organisierten Basis, handelt es sich lediglich um einen Imagetrick mit der Gewerkschaftsbürokratie. Die „Zusammenarbeit“ findet lediglich auf dem Papier statt und eine Perspektive, wie diese ausgebaut werden könnte, gibt es nicht. Das Bedürfnis, den Zusammenschluss auszubauen und Kämpfe zu verbinden, ist aktuell nirgendwo zu sehen, weder bei FFF Berlin, noch in Frankfurt, noch sonst irgendwo in der Bewegung.

Was ist also der Plan, den Fridays for Future Frankfurt und der linkere Teil der Bewegung durchzusetzen versucht? Mit genug Pyro und „Ban capitalism“-Rufen wird die Politik schon auf uns hören? Nach der fünften Blockade des Willy-Brandt-Hauses knickt die SPD ein? Zumindest klingt es manchmal so! So schreiben einige, dass Zukunft nur mit ZU geschrieben wird, doch wie sieht dieser zivile Ungehorsam aus? Sich an einem Samstag auf eine leerstehende Baustelle setzen und warten, bis die Polizei einen wegträgt? Bringt uns das näher an eine Welt abseits des Kapitalismus? Wenn man sich den Protest und seine Auswirkungen anschaut, fühlt man sich fast wie mit einer Zeitmaschine zurück in die 90er transportiert. „Wenn der Staat für fünf Minuten seine faschistische Fratze zeigt, werden die Massen das erkennen und sich für die Anarchie entscheiden.“ So oder so ähnlich klingt das heute wieder, nur mit weniger Gewalt. Doch nicht nur das haben die antikapitalistischen Klimaaktivist:innen aus den 90ern übernommen, sondern auch die dazugehörenden Probleme. So wird eine Kampagne nach der anderen geplant und gefahren. Von einem Zentralstreik geht es zum nächsten, ohne über seine Fehler, Misserfolge und Probleme zu sprechen. Es handelt sich hier um perspektivlosen Aktionismus. Die bundesweiten Zentralstreiks sind richtig und wichtig, doch sollten sie nicht zum Selbstzweck werden, um sich nach der Demo einreden zu können, man habe doch alles Mögliche getan. Ein „Weiter so“ gibt es also nicht nur bei den Unionsparteien, sondern auch bei der Arbeit einiger Klimaaktivist:innen in Fridays for Future.

Aber was ändern?

Es braucht eine marxistische Perspektive! Statt nur Pyrotechnik braucht es eine Vernetzung mit Beschäftigten verschiedener Betriebe, wie es 2020 in Leipzig bereits gelungen ist. Dort haben Aktivist:innen zusammen mit Busfahrer:innen für bessere Bedingungen im Tarifvertrag Nahverkehr (TV-N) gekämpft. Die Beschäftigten haben die Solidarität zurückgezahlt und sich an Kundgebungen von Fridays for Future beteiligt. Man streikte zusammen für die gemeinsame Sache! Aktivist:innen von Fridays for Future standen gemeinsam mit Busfahrer:innen morgens vorm Werkstor und abends zusammen in einer Reihe bei der Klimademo. Hier war klar: ein sozialökologischer Wandel geht nicht an den Beschäftigten vorbei, sondern nur mit ihnen. In Frankreich zeigte sich das zum Beispiel in der Raffinerie Grandpuits nahe Paris. Dort kämpfte die Klimagerechtigkeitsbewegung zusammen mit den streikenden Beschäftigten, um die Betriebsstätte und die damit verbundenen 700 Arbeitsplätze zu erhalten. Sie stellten sich gegen das Greenwashing des Total-Konzerns und an die Seite der von Entlassung bedrohten Arbeiter:innen. Noch bleiben diese Beispiele vereinzelt. Trotz der Kooperation mit ver.di gab es keinen Kurswechsel, nur wenige FFF-Aktive, die für bessere Bedingungen im Betrieb eingestanden sind oder ihre Solidarität mit Streiks ausgedrückt haben.

Ähnlich sieht es bei internationalen Fragen und Diskussionen aus. In der Frage, wie man den Befreiungskampf Indigener sieht, sind sich alle einig: Unterstützen! Spricht jedoch jemand die Lage von Palästinenser:innen an, ist der Diskurs schnell beendet. Von einem Sharepic der internationalen FFF-Bewegung, das die Angriffe der israelischen Armee auf den Gazastreifen verurteilte, distanziert sich FFF Deutschland noch auf dem Bild selbst. Stolz schrieb eine Aktivistin aus Frankfurt auf Twitter: „Mein Verdienst“. Die Bewegung habe aber keine offizielle Position dazu und will sich auch keine bilden, das führe immer zu einer Spaltung, heißt es wie so oft. Anderswo wird dann jedoch ständig betont, wie international man sei: „Von Frankfurt bis nach Rojava“ heißt es oder es wird sich mit den Zapatistas solidarisiert. Imperialismuskritik ist also nur so lange geduldet, wie sie nicht der eigenen weißen Hegemonie schadet.
Doch warum das Ganze? „Strittig nach innen, geschlossen nach außen“, so heißt es nicht nur bei der Linkspartei, sondern auch bei FFF. Doch so richtig klappt diese Strategie ja bei beiden nicht. Aktivist:innen schreiben große Threads, wie enttäuscht sie vom letzten Streik waren und was alles schlecht lief. Andere erklären öffentlich ihren „Austritt“. Es ist völlig legitim, dass FFF sich als bürgerlicher Teil der Klimabewegung sieht und Menschen versucht an die anstehenden Kämpfe heranzuführen. Eine Situation wie bei Brokdorf, als 1986 nach dem Unfall in Tschernobyl Hunderttausende trotz polizeilichem Verbot gegen das dort im Bau befindliche Kernkraftwerk demonstrierten, entsteht als Ergebnis von Organisation und Aufbau, nicht aus dem Nichts! Wer bei den Castor-Transporten am Anfang demonstrierte, ging später blockieren oder schottern. Wer 2019 mit FFF streikte, geht heute vielleicht zu Ende Gelände oder besetzt Wälder, beides jedoch nicht unter dem Label Fridays for Future.

Betrachtet man den Auftritt der Linken in Fridays For Future, beschleicht einen Man hat fast das Gefühl, es gehet nicht mehr darum, die Folgen der Klimakrise einzudämmen, sondern Luisa Neubauer dazu zu bringen, den Kapitalismus zu verurteilen. Statt also zu versuchen, Fridays for Future nur mit dem eigenen Verbalradikalismus zu verändern, ist es angebracht auf einen Pol in der Bewegung hinzuarbeiten. Einen Pol in der Bewegung zu bilden, der vor allem ein Programm für die Überwindung des Kapitalismus, eine Lösung für die Klimakrise vorschlägt und damit einen Kampf um die Führung der Bewegung führen kann. So kann FFF immer noch die Anlaufstelle für Menschen sein, die sich mehr in der Klimabewegung engagieren wollen und sich dann schrittweise zum Pol hin radikalisieren werden können.

Es braucht keine Spaltung von Fridays for Future. Die Klimabewegung ist nicht hegemonial von Fridays for Future angeführt, sie ist divers, sie ist bunt und sie ist international, und das ist auch gut so. Jedoch zeigt sich diese Diversität der Bewegung nicht in der Organisation Fridays for Future. Alle Akteur:innen versuchen den Diskurs in die eigene Richtung zu bewegen, jedoch ohne Perspektive. Aktivist:innen müssen aufhören, die eigene Position in FFF als Avantgarde der Klimabewegung zu sehen, die allein den Diskurs bestimmt. Niemand wird mit einer grünen Fahne kommen, um uns alle zu retten, das geht höchstens in Rot. Es braucht einen Diskurswechsel weg vom Verbalradikalismus hin zu einer sozialistischen, einer marxistischen, internationalen und vor allem einer klassenkämpferischen Perspektive. Statt sich als Organisation von Diesem und Jenem zu distanzieren, statt zu diskutieren, ob ziviler Ungehorsam auf der Demo jetzt OK ist oder nicht, braucht es eine Einheitsfront, eine Front gegen die klimazerstörerische Politik der Bourgeoisie, gemeinsam mit Beschäftigten, Gewerkschaften und Organisationen mit gleichem Ziel, die eine andere Form des Protestes wählen. Wenn wir jetzt noch eine realistische Chance haben, dann nur als geeinte Klimabewegung.

Gastbeiträge geben nicht notwendigerweise die Position von Klasse Gegen Klasse wieder. Wir stellen unsere Publikation jedoch für diese wichtige Debatte über die Strategie der Klimabewegung zur Verfügung und laden zu weiteren Beiträgen ein.

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